Stanielub's Lager
Die Wälder der Pregynica sind groß.
Und sie verbergen seltsame Orte- Orte, wie diesen: Das Lager von Stanielub und seiner Tochter Nemanja.
Wenn man nicht durch Zufall zu diesen Orten kommt oder weiß, wo man sie findet oder wie man dorthin gelangt, so würde man Ewigkeiten vergeblich danach suchen.
Nemanja hatte Larno- trotz der kleinen Unstimmigkeiten bei der Lichtung- dennoch mit hierher geführt.
„Vater?", rief Nemanja nun schon zum wiederholten Male. Und ihr Rufen wurde erhört- ein älterer Mann von großer, kräftiger Gestalt kam aus der kleinen, flachen Hütte in der Bodensenke heraus.
'Stanielub!', dachte Larno bei sich. Ja. Das war der alte Krieger, den alle in der Siedlung Slivor nur 'Stanielub' nannten. Stanielub heißt so viel, wie 'Der, der nicht vom Ruhm geliebt wurde'. Unter anderem Namen hatte Larno diesen Mann nie gekannt.
Stanielub erhob sich vor der Hütte- jedoch schien er weniger kraftvoll, als früher. Er stand etwas gebeugt. Ein längerer, grau- gekräuselter Bart zierte das Gesicht. Er winkte Nemanja und Larno näher zu sich.
„Kommt nur, kommt nur."
Stanielub schien wenig überrascht, dass seine Tochter einen Gast mit an das Feuer vor der Hütte brachte. „Kommt nur.", sagte er immer noch- auch als die Beiden schon fast an der Hütte waren. Stanielub setzte sich auf einen in der Hälfte gespaltenen Baum, der wohl als eine Art Bank am Feuer errichtet worden war. Die Sitzfläche war mit alten Fellstücken bespannt.
„Vater? Ich habe hier einen Gast mit ans Feuer gebracht, wenn es Dir recht ist."
„Oh ja. Kommt nur. Und lass mich sehen, was Du uns Gutes an Fleisch mitbringst. Wir wollen deinen Gast nicht hungrig weiterziehen lassen, wollen gastfreundlich sein."
Larno warf Nemanja einen kurzen vielsagenden Blick zu: 'Siehst Du? Dein Vater ist weit mehr gastfreundlich, als Du es vorhin zu mir warst!'. Nemanja schien Larno zu verstehen, verdrehte ihre Augen trotzig.
„Er ist nicht 'mein Gast', Vater. Larno wollte wohl auch auf der Hasenlichtung jagen. Nur ich kam ihm zuvor.", sprach das Mädchen und knüpfte den festgebundenen Hasen vom Gürtel, um ihre Beute dem Vater zu zeigen.
„Larno also. Der Ziehsohn von Brano und Zebyla- mögen die Götter sie gut aufgenommen haben. Wie viele Sommer warst du fort, junger Larno?"
„Sechs lange Sommer." Larno's Verwunderung darüber, dass der Stanielub die beiden Bauersleute kannte, welche ihn nach dem Tot der Mutter Larna aufgenommen hatten, schien ihm auf der Stirn zu stehen. Kannte der Stanielub vielleicht sogar noch seine richtige Mutter? Der alt gewordene Krieger, der hier im Wald mit seiner Tochter lebte, schien mit einem Male noch geheimnisvoller als Nemanja.
„Sechs Jahre also. Eine sehr lange Zeit. Und? Hast Slivor kaum wiedererkannt, was?"
„Doch. Wiedererkannt hab ich Slivor. Doch vieles ist nicht mehr so, wie ich es in Erinnerung hatte."
„Ja. Die Zeit vergeht. Ich sehe es an Nemanja."
„Vater, bitte.", redete Nemanja zu.
„Nein mein Kind. Es ist doch so. Vor Jahren ein Kind, nun eine junge Frau. Und mein Stolz, das ist sie."
Nemanja schien beschämt- so, wie ihr Vater sprach, gefiel es ihr nicht. Vielleicht wegen der Anspielung auf das eigene Alter Stanielubs, vielleicht auch gefiel ihr nicht die Art, wie ihr Vater sie als Frau hervorhobt vor dem Gast.
Stanielub war ein Älterer nunmehr, fast schon vierzig Jahre.
Nemanja hatte mit zwanzig Jahren ein Alter, in dem andere Frauen schon versprochen sind- ja sogar Kinder haben. Nemanja's Leben hätte auch so verlaufen können. Doch Vater Stanielub hatte sich vor vier Sommern mit der Gemeinschaft auf Burg Slivor erzürnt. So hatte er mit Fürst Wielzko gebrochen. So hatte man Stanielub jahrelang als Feigling und Verlierer unter den Männern Slivor's gescholten. Nur weil Stanielub ruhmlos als einer der Wenigen aus der Schlacht an der Tanger nach Hause zurückkehrte und in Ruhe seinem Tagewerk nachgehen wollte. Dies gelang ihm über Jahre hinweg in der Gemeinschaft Slivor's- auch nach dem Tode seiner Frau, der Mutter Nemanja's. Doch vor vier Jahren, als die Marodierenden, die Ukranen hier durchzogen, war es Stanielub, der Wielzko zum Nachsetzen aufforderte- mutig seine Stimme erhob. Nur Cestibor, der ehrenvollste Krieger Slivor's seinerzeit sprach für ihn. Alle anderen- der Herr Wielzko voran- waren dagegen, erklärten Stanielub für „vom wirren Geist geführt". So verstieß ihn die Gemeinschaft der Burg- nur, weil er nicht feige war wie andere. Nemanja wusste dies, zog mit dem Vater- hierher, tief in den Wald. Seither führen Beide hier ein einsames, schweres Leben- immer im Kampf um ein Überleben. Ein Leben von Tag zu Tag. Nemanja wollte jedoch nicht, dass Larno dies alles heute, hier und jetzt am Feuer erfuhr.
Larno indes versuchte mehr über seine Vergangenheit zu erfahren. Er hatte sehr viele Fragen- vor allem zu seiner Mutter und seinem wahren Vater. Offenbar bestand hier eine Gelegenheit dazu.
„Dann kanntest Du den Bauern Brano und seine Frau Zebyla?"
„Ja. Ehrliche Leute waren das. Lebten abseits- am westlichen Rand des Waldes war deren Hütte."
„Kanntest Du auch noch meine Mutter? Larna hieß sie."
„Nein Larno- und wenn, dann erinnere ich mich nicht an sie."
„Sehr klein war sie, wirkte schwach. Doch Sie war stärker und mutiger als viele andere- ein besonderer Mensch, so hat Zebyla immer von ihr gesprochen."
„Nein. Ich kenne Dich nur als deren Ziehkind. Ich weiß aber, dass Brano und Zebyla dich angenommen haben. Das hatten Beide deiner Mutter versprechen müssen."
Nemanja hörte den Männern aufmerksam zu, auch wenn sie sich mit dem Hasen beschäftigte. Das Fell musste abgezogen werden und das Tier ausgenommen- sollte es nun gleich auf das Feuer. Einige fein und dünn geschnittene Streifen Fleisch hatte Nemanja zum Trocknen schon bei Seite gelegt. Was die Männer redeten, schien fremd für Sie selbst. Dann hatte Larno nur wenig Erinnerung an seine leibliche Mutter? War bei Bauern aufgezogen worden?
Auch Nemanja hatte Fragen. „Nennt man dich deshalb den Bezdomni? Weil Du nicht aus Slivor bist, bei den Bauern aufgewachsen?"
„Ich glaube schon, denke jedoch schon lange nicht mehr darüber nach. Wohl aber, weil ich kein Brisane bin. Ich bin Linone. Meine Mutter lebte mit mir auf Burg Wulfesal. Sie hatte gutes Ansehen dort- aber einen Mann, der oft boshaft zu meiner Mutter war. Vor ihm floh meine Mutter- mit mir. Da war ich noch sehr klein."
„Sie floh vor deinem Vater?", Nemanja war gefesselt von Larno's Rede.
„Er war nicht mein leiblicher Vater, so viel hat meine Mutter mir gesagt. Doch wer mein Vater war, konnte Sie mir nicht mehr sagen."
„Hmmm. So hat ein Jeder eine Geschichte zu erzählen, Larno." Stanielub lehnte sich zurück auf der Sitzbank des Halbstammes. „Mich nennt man 'Stanielub den Verrückten'. Weniger wirr rede ich als jene Leute, die am Feuer prahlen und deren Handeln davon weit entfernt ist. Daher mussten wir von Burg Slivor gehen- nicht fliehen zwar, doch auch unser Schicksal- Nemanja's und meines- wurde von Anderen bestimmt. Doch es gibt auch dort gute Menschen. Wuko und seine Frau Conia sind solche guten Leute dort. Doch es sind nur noch Wenige."
Nemanja hatte den Hasen für die Mahrzeit über das glimmende Feuer gebracht und schob einen Holzscheid unter.
Langes Schweigen herrschte nun am Feuer- nur gestört von knurrenden Mägen.
„Wie ergang es Dir in der Fremde?", fragte Stanielub irgendwann, nachdem er mit Nemanja Blicke getauscht hatte. Ihm schien es, als würde seiner Tochter die gleiche Frage im Hals stecken.
„Ich habe viel gelernt- zumeist das Kämpfen. Mit allerlei Waffen hat man mich umzugehen gelehrt. Und zu Svarozic mussten wir viel beten. Manchmal war dies der einzige Trost für uns Kinder- um Hoffnung zu beten."
„Zu meiner Zeit brachten uns die Alten ihre Waffenkünste bei.", wandte Stanielub ein. „Meine Nemanja habe ich daher gelehrt, den Bogen zu führen und den Speer zu werfen."
„Mit den Bogen versteht sie gut umzugehen.", lobte Larno und lächelte vor sich hin- so, das Nemanja dies bemerken musste.
„Sag, das Haus vom Vitko hast Du nun für Dich? Warum nicht in der Burg, wie die meisten Anderen?", fragte Stanielub.
„Wegen der weniger guten Menschen, schätze ich. Ich hatte mich am ersten Tag bei Wladim dem Fürstensohn gezeigt. Dachte mir, dass 'Altes' in Vergessenheit geraten war oder er ein anderer Mensch geworden ist."
Stanielub schüttelte den Kopf.
„Vater sagt, wenn Wladim erst der Herr von Slivor ist, dann wird es für die Leute dort noch schwerer.", gab Nemanja als Einwand.
„Das wird sich zeigen müssen, mein Kind. Man soll nicht zu schnell urteilen." Stanielub ermahnte Nemanja.
„Aber du hörst doch von den Leuten, wie sich Wladim und seine Freunde geben. Wenn Wladim den Fürsten daheim vertreten kann auf der Burg, dann geht kaum noch einer mit lockerer Zunge an das Feuer am Abend."
„Hmm.", brummte Stanielub auf den Einwand seiner Tochter.
„Das Haus vom Vitko ist mir recht.", sprach Larno. „Und Arbeit habe ich auch- helfe dem Wuko mit dem Holzfällen und Holzarbeiten."
„Hmm."
Nemanja drehte den Hasen am Spieß etwas.
Stanielub drehte sich zu der kleinen Hütte um. „Unser kleines Heim. Wir benötigen wohl auch bald drei oder vier Stämme fürs Dach. Der Lehm ist feuchter hier im Wald, kann kaum trocknen und macht das Holz morsch am Dach."
Die Hütte in der kleinen Senke war in die Seite des Erdreiches eingebaut worden und das Dach ging zum Moosboden über. Kühl im Sommer und auch gut zum Lagern von Lebensmitteln, im Winter sicherlich dennoch unbehaglich.
„Ich kann mit Wuko ja mal reden. Weiß nur nicht, ob ich eure Hütte ohne weiteres wieder finde- so gut geschützt liegt sie hier im Wald."
Stanielub nickte zufrieden.
„Woher wisst ihr, das ich in dem Haus vom Vitko nun unter gekommen bin?", fragte Larno neugierig.
Stanielub antwortete, bevor Nemanja zu Worten kam- wie Sie sich anschickte. „Nemanja. Sie hat dich vor zwei Tagen dort gesehen, als sie uns Nüsse von den Nussbäumen der Weggabelung beschaffte. Zwei Mädchen aus Slivor waren bei Dir, sagt Sie?"
Nemanja nickte.
'Seltsam.'- dachte Larno. Er hatte Nemanja gar nicht bemerkt dort. 'Sie muss wohl- wie ein Schatten- durch den Wald gepirscht sein, will sie mich gesehen haben.' Larno blickte erstaunt zu Nemanja, die am Feuer hockte und das Fleisch begutachtete.
„Zwei Mädchen? Ja. Aus Slivor- zwei, denen aus Neugier nichts anderes einfiel, als mich von der Arbeit abzuhalten."
„Pfft.", Nemanja prustete abschätzig. „Wer weiß, was sie bei Dir wollten. Soll mir auch egal sein."
Stanielub zog die Augenbrauen hoch. Hatte er soeben bei seiner Tochter etwas Trotz gespürt? Wenn sie so redete, war es Nemanja wohl nicht egal. Sie vermochte vielleicht den Gast zu täuschen- beim Vater gelingt ihr dies aber nicht. War seine Tochter eifersüchtig auf die Mädchen? Mochte sie Larno vielleicht sogar noch? Sie waren als Kinder sehr gut befreundet. War da nun vielleicht noch mehr als Freundschaft? Jetzt, wo Larno als ein Mann wieder zurück war? Manchmal hatten damals andere Kinder schon ihren Spaß getrieben, weil Nemanja und Larno vielzusammen waren.
Stanielub betrachtete den Gast am Feuer. Larno zeichnete sich nicht nur durch den Kurzbart als Mann aus- seine Hände waren stark, die Arme kräftig, obgleich Larno groß und dünn daher kam. Das Kind, das man damals weggegeben hatte- es war zu einem Mann geworden. Einem Kerl- wohl auch mit gutem, wachen Verstand gesegnet. Jedoch sehr ernst- nicht so unbekümmert, wie andere junge Männer. Die Jahre in Rethra hatten wohl Narben hinterlassen- sichtbare und nicht sichtbare. Wer von Rethra zurückkam, der wirkte gebrochen- dieser Bursche jedoch nicht. Dieser junge Mann hier schien anders. Besonnen vielleicht- Stanielub vermochte es nicht für sich zu beschreiben.
„So. Der Hase ist gut durch. Er saftet gut, das Fleisch wird schmecken, Vater." Nemanja's Worte durchbrachen die kurze Stille.
„Dann gib dem Gast doch eine gute Keule davon. Nimm dir die andere."
Nemanja hielt Larno ein abgerissenes Keulenstück hin.
Stanielub beobachtete seine Tochter dabei. 'Ja. Vielleicht täusche ich mich auch.'
Larno bedankte sich bei den Gastgebern.
Nach dem Mahl musste Larno aufbrechen, doch diese Begegnungen hier im Wald beschäftigten seine Gedanken bereits auf dem Heimweg.
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