Ratlosigkeit
Nicht mehr weit, bis zur alten Eiche. Der Weg zurück war fast geschafft.
'Was mache ich hier nur? Wie nun weiter?', diese Fragen hatten Larno über die ganze Zeit des Weges beschäftigt- doch eine Antwort konnte er sich noch nicht geben.
Verstehen konnte er die Wut und Trauer der Anderen, besonders den Schmerz von Milorad. Man hatte vor den Augen des Burschen hinterrücks und kaltblütig seinen Vater abgestochen. Ob die Mutter auch tot war konnte niemand wissen. Die Schwester, Freunde, Bekannte- auch seine Freundin Danuta- waren Gefangene der Lutizen, die nun die Burg in der Hand hatten. Der Junge hatte viel Unschönes heute gesehen und erlebt. Ihm wird es auch so gehen, dass er ratlos ist. Doch Ziellosigkeit und blinder Übereifer waren jetzt nicht die richtige Lösung.
Auch Larno war in Sorge- um Wuko und die einzige Familie, die ihm noch geblieben war- Wuko's Familie. Hoffentlich ging es dem gutherzigen Bruder gut. Nur ihm war es zu verdanken, dass die Wenigen über die Palisade flüchten konnten.
Wie sollte es nun weitergehen?
Die Eiche kam in Sichtweite, jedoch war niemand mehr hier zu sehen.
Larno blickte sich um, versuchte ruhig in den Wald hinein zu lauschen.
„Psst. Psst. Hierher.", zischte die Stimme eines Jungen.
Larno folgte dem Zeichen in den Wald hinein.
Es war der Junge, der auch vorhin fliehen konnte.
„Wo sind die Anderen?"
„Komm nur. Wir haben einen guten Platz abseits der Wege gefunden. Und es sind auch noch Weitere aus der Burg entkommen- sie sind schon im Lager." tuschelte der Junge.
„Gut. Wie heißt du eigentlich?" Larno's Frage war ehrlich gestellt. Er kannte nicht alle in Slivor- schon gar nicht die Jüngeren- und dieser Bursche hier war zwölf, vielleicht dreizehn Jahre. Einen Bart hatte er noch nicht einmal.
„Andra heiß ich. Der Jüngste vom Dauern Milosh. Die Danuta, von der der Milorad sprach, ist meine Schwester."
„Andra also? Gut, Andra. Führ mich. Hier, trag meinen Speer."
„Hast du Essen dabei?", fragte Andra und deutete auf den übergeworfenen Sack auf Larno's Rücken.
„Wenig nur. Was ich fand, schnell verstauen und gut tragen konnte."
Beide versuchten leise durch den Wald zu kommen. In abfallendem Gelände kamen sie zu einer Senke, in der bereits die zwei Mädchen kauerten. Nahe bei dem einen Mädchen saß nun ein Junge, den Larno vom Sehen aus Slivor kannte.
„Mein Bruder hat es auch geschafft.", sprach das Mädchen. „Er und Sladko hatten Vieh meiner Eltern zu hüten. Sie waren nicht in der Burg, haben nur von Uns gehört, was geschehen ist."
„Wie heißt ihr Beiden? Ihr seit Geschister?", fragte Larno.
„Ich bin der Premyslaw.", sprach der Junge für die beiden Geschwister. Der Junge war älter, als seine Schwester und schien aufgeweckt und kräftig. „Ich werde bald siebzehn. Meine Schwester ist die Dobrawa und fünfzehn Jahre alt. Bauer Wenzel ist unser Vater, die Bogna unsere Mutter."
„Wer ist Sladko? Und wo ist der Milorad?"
„Die zwei Jungen wollen das Geschehen an der Burg auskundschaften- vom Waldrand aus." sagte das gut sechszehn Jahre alte andere Mädchen.
„Wer bist Du?"
„Gesa heiße ich. Ich bin die Tochter eines Händlers, der auf Slivor handeln wollte. Auf meinen Vater brauche ich nicht mehr hoffen. Ich sah, wie ihn dieses Narbengesicht seinen Speer spüren lies. Ich werde dieses Gesicht nicht vergessen."
„Hast du noch Familie? Irgendwo?"
„Nein. Mutter starb vor Jahren. Anderes als ein Leben auf dem Wagen kenne ich nicht."
Larno nickte dem Mädchen Gesa aufmunternd zu, die nun jedoch wieder sehr gefasst war. Gesa hatte dunkles, leicht krauseliges Haar, jedoch hinten- ihr Pferdeschwanz war von hellerem Haar. Ihr Gesicht war gebräunt- für Larno ein Zeichen dafür, dass sie das Leben im Freien gewohnt war.
„Und Du?", fragte der Premyslaw. „Wie nennt man Dich?"
„Larno. Larno ist mein Name. Ich bin der Bruder vom Wuko, lebte bis heute in Vitko's Hütte. Ich bin erst vor wenigen Tagen von meinem Kriegerdasein in Rethra zurückgekehrt. Meine Zeit dort war um."
„Dann bist du einer von denen?", fragte die Gesa frei heraus.
„Nein. Nein. Ich kenne keinen von Ihnen. Dies waren aber Rethra- Kämpfer. Hirsch- Krieger. Gut ausgebildet im Kampf. Gefährliche Gegner für uns."
„Meine Schwester hat mir von Dir erzählt. Auch das Wladim und die anderen Jungen dich nicht mögen. Sie halten Dich für dumm. Aber Essen mitzubringen, das ist nicht so dumm, wie sie sagen." Andra warf hierbei einen auf den Beutel gerichteten fragenden Blick zu Larno.
„Oh ja. Ich habe etwas zu Essen mitnehmen können. Viel hatte ich nicht in der Hütte. Wir sollten etwas aufheben."
Das Wenige wurde verteilt, auch für die zwei noch fehlenden- Milorad und den Sladko.
Diese Zwei kamen kurz darauf angepirscht und ließen sich in das Laubbett der Senke hinein rutschen.
„Es scheint ruhig in der Burg. Hier und dort steigt noch Rauch auf, so als ob Hütten brannten. Wachen haben wir keine gesehen. Vielleicht sind Sie ja wieder weg?", tuschelte Milorad den Neugierigen zu und bekam von Larno eine kleine Ration Körner in einem Brotstück.
Larno gab eine ebenso kleine Portion auch dem anderen Jungen, dem Sladko, der Larno einen dankenden Blick zuwarf, der jedoch dann zu einem fragenden Blick wurde.
„Nein. Die sind nicht weg. Die Lutizen werden nicht gehen- zu sehr scheint mir die Sache listig geplant. Wenn Sie mit so vielen gekommen sind, werden die Lutizen die Burg für sich haben wollen. Was sie vorhaben, weiß ich nicht. Jedoch nichts Gutes werden sie im Schilde führen."
Es schien fast, als könne Larno sagen, was er wollte- Milorad stellte alles in Frage. „Ich hab gesehen, was ich gesehen habe. Ruhig ist es, wir könnten wieder an die Burg gelangen und hinein- so wie wir geflohen sind. Die Bresche steht noch offen."
„Eine Falle! Und jeder Narr kann das Erkennen! Sicherlich warten sie dort- bewaffnet lauern sie schon darauf, dass Unwissende wieder nach Hause kommen und zu ihren Familien wollen."
„Woher willst du das wissen? He?", platzte Milorad heraus. „Wir können die Unsrigen doch nicht im Stich lassen!"
„Doch! Genau das müssen wir, wollen wir Ihnen noch Hoffnung geben." Larno blickte ernst, suchte den Blick zu jedem Auge in der Runde. „Ich denke wie ein Krieger. Und Hoffnung darauf, dass ihr lebt- das ist es, was unseren Familien und Freunden dort in Slivor Kraft geben kann."
Dobrawa unterbrach dieses Mal die Stille: „Und was sollten wir nun tun? Fortgehen? In die Fremde?"
„Wär das Einfachste. Aber ich habe kein Heim, zu dem ich gehen könnte.", warf Gesa ein.
Sladko sah Larno an: „Wir sollten Kämpfen!"
Milorad fiel Sladko in den Gedanken: „Und womit? Einem dummen Heimatlosen folgen? Mit bloßen Fäusten und lautem Geschrei auf die Burg zustürmen?"
„Nein." Larno stand auf. „Wir sollten kämpfen, der Meinung bin ich auch. Doch wenn wir sie treffen wollen, müssen wir es geschickt anstellen. Hier im Wald der Pregynica kommen Sie nur so schnell voran, wie wir. Die Pferde nützen ihnen hier wenig. Und Ihr kennt diese Wälder- besser als Sie! Wir haben kaum Waffen? Besorgen wir uns welche. bauen wir Bögen, stehlen uns Waffen von denen- aber nur hier im Wald! Nie zur Burg, denn dann sind sie im Vorteil."
Die Jungen und Mädchen schienen nachdenklich über Larno's Worte.
Wieder war es Sladko, der achtzehn Jahre alte kräftige Junge, der sich das Wort erbat. „Ich habe überlegt, woher ich Dich kenne, Larno. Es ist mir eingefallen. Als Kinder haben die größeren einmal eine Bude im Wald gebaut- zum Kampfspiel. Wir, die Kleineren damals, sollten dir folgen und diese Bude angreifen. Wir wollten mit lautem Geschrei los beim ersten Mal- alle bekamen Stockhiebe von den Großen. Dann jedoch hast DU damals schon gesagt, wir könnten es anders angehen- Ihnen auflauern und Sie einzeln verhauen. Und so taten wir es dann, schützten uns mit Blattwerk, hielten uns versteckt, bis immer wieder welche herauskamen aus der Bude aus Ästen, um uns aufzuspüren. Bis zum Abend hatten wir drei Gefangene von den Großen."
Alle schienen über Sladko's Worte nachzudenken, auch Milorad, Sladko's Freund.
Fast mit Dank klopfte Larno dem Sladko auf den Rücken. Jetzt erkannte auch Larno einen der Kleinen von damals wieder. Besser hätte niemand sprechen können, um die Zweifel darüber, was nun zu tun ist, auszuräumen.
Doch sie brauchten ein besseres Lager- eines das Schutz bot.
Sie brauchten Essen und Wasser.
Sie brauchten Waffen.
Und Hilfe.
Es wurde ruhig in der Laubsenke.
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