Neugierige Besucher
Larno war mit dem Binden des Strohes beschäftigt, damit es später mit festem Zusammenhalt das Dach besser schließt. Das Stroh vermochte mit dem Holz vor dem herbstlichen Wetter zu schützen. Doch ihm waren die zwei sich nähernden Gestalten bereits aufgefallen. Knackendes Unterholz, fliehende aufgeschreckte Vögel und bereits von weitem wahrnehmbares Gekicher hatten die zwei jungen Frauen angekündigt.
Larno saß vor der Hütte an der kleinen Feuerstelle und tat, als habe er die neugierigen Besucher noch nicht bemerkt, als die beiden Frauen sich mit Mut näherten, um ein Gespräch zu suchen.
„Du bist der Krieger aus Rethra, richtig? Der Mann, der heimgekehrt ist, stimmt's?"
„Ja. Der bin ich wohl. Und ihr? Wer seid ihr? Mädchen aus der Burg?", fragte Larno, obschon er die Antwort bereits zu kennen schien.
„Ja.", antwortete das Mädchen mit dem Pferdeschwanz selbstbewusst für Beide. „Ich bin die Lubina und dies hier ist meine Freundin Danuta. Wir sind beide aus der Burg."
„Und was treibt Euch hierher in den Wald? Sollt Ihr Holz für das Feuer sammeln?"
„Ja. Genau. Und Pilze mitbringen, wenn wir welche sehen.", sprach die Lubina.
„Wie ist es in Rethra?", fragte die Andere, Danuta genannt, fast hastig. „Kannst Du uns von Rethra berichten? Keiner von uns war je dort, soweit weg von hier. Also komm! Sag, was hast Du dort gesehen?"
Nun blickte Larno doch hoch und schaute die beiden Mädchen mit den fragenden Augen an.
Die Lubina war gut gekleidet. Sie mochte vielleicht 18 Jahre alt sein. Dennoch schien es so, als ob das Mädchen bereits jemanden anvermählt sein musste- die Schmuckringe am Gewand bedeuteten, dass Sie vergeben ist an einen Mann.
Anders hingegen und einfacher war Danuta gewandet. Larno vermutete, dass die Eltern von Danuta Bauern waren, die in der Burg ein Heim hatten. Sie war schlicht und schmucklos angezogen- vielleicht ein wenig jünger als ihre Freundin Lubina. Neben ihrer Neugier war sie auch ansehnlich von Gestalt und Gesicht- rotbraune kurze Haare hatte Danuta.
Larno deutete mit der Hand, dass die Mädchen zu ihm an das Feuer kommen sollten, damit er ihnen berichten konnte. Während die Lubina sich nahe an das Feuer hockte, um sich aufzuwärmen, blieb Danut lieber stehend hinter ihr und verschränkte die Arme vor dem Körper. Die Blicke der jungen Frauen erwarteten Antworten.
„Die Burg von Rethra ist groß. Müsste man ihr Inneres abschreiten, so würde ein erwachsener Mann gut zweimal so viele Schritte benötigen, wenn er Gleiches in Burg Slivor abschreiten würde. Rethra ist auf einen Hügel gebaut. Nicht wie hier in einen feuchten Sumpf. Man hat dort zwei Holzwälle gezogen. Doch in der Innenburg leben die Menschen nicht wie in Slivor- das Innere ist den heiligen und den Priestern vorbehalten- dort gab es die große Halle des Orakels."
„Des Orakels?" fragte Lubina nach.
„Ja. In der Inneren Burg Rethra's sind hölzerne Standbilder von allerlei Göttern der Redarier aufgestellt. Die Götter reden mit den Priestern des Stammes, die deren Bildnisse bewahren und ihnen Opfergaben bringen. Jeden Tag wird den Göttern dort gehuldigt. Doch Svarosic, der Mächtigste der Götter- der Göttervater der Slawen- Svarisic verlangte für sich mehr. Er forderte für sich und die Priester, die ihm dienen, eine große Halle. In dieser Götterhalle für Svarosic erscheint der Gott den Priestern und redet mit Ihnen. Das Orakel spricht nur in dieser Halle zu den Priestern- und nur wenn Gott Svarosic es für notwendig ansieht. Er gibt den Priestern Auskunft, wie die Ernte ausfallen wird. Svarosic bestimmt, was er geopfert haben möchte, um die Ernte besser werden zu lassen. Svarosic sagt den Priestern, welcher Kriegszug mit den Stämmen geführt werden muss. Frauen bringen Gaben, wenn sie sich ein gesundes Kind wünschen. Kranke habe ich viele in Rethra gesehen, die um bessere Gesundheit baten. Selbst krankes Vieh haben die Leute zum Orakel gebracht. Männer beteten zu Svarosic und den Göttern Rethra's um stark und kampfbereit zu sein."
„Und leben in der Burg keine Menschen?", fragte Danuta.
„Doch. In der äußeren Burg- vor dem Wall der Inneren Tempelburg- dort leben Menschen. Viele. Sehr viele- zu viel für die Burg. Daher gibt es außerhalb der Mauern der Tempelburg an allen Wegen sehr viele Häuser."
„Leben dort auch Frauen?", fragte Danuta sofort erneut. Zeitgleich stellte ihre Freundin Lubina auch schon die nächste Frage an Larno.
„Und stimmt es, dass Du ein Rethra- Krieger warst?"
„Ja. Ich war dort Krieger. Beschützer der Burg Rethra's und des Gottes Svarosic. Und Frauen gab es dort auch- jedoch nicht in der Innenburg. Svarosic gebot den Frauen, das Orakel nicht zu betreten."
„Und..."
Obwohl die Mädchen endlos Fragen stellen wollten, wie es Larno schien, gebot er den zwei Frauen auf einmal, sofort zu Schweigen- ruhig zu sein.
„Psst! Leise! Kein Ton von Euch!", zischte Larno die beiden Mädchen an und zeigte dieses durch Gesten. Da die Mädchen sich fragend ansahen, gab Larno den Grund seiner Anspannung preis: „Da hinten kommt Jemand. Dem Schritt nach ein Mann."
Die Augen aller drei richteten sich auf den Waldabschnitt, den Larno mit seinem Finger aufzeigte.
In der Tat näherte sich ein junger Mann aus der angezeigten Richtung. Er führte einen Bogen mit sich, in dem ein Pfeil leicht gespannt eingelegt war.
„Das ist kein Mann!", platzte es aus der lächelnden Lubina heraus. „Das ist Milorad. Danuta's Versprochener!"
„Milorad?", fragte Larno. „Fürst Wielzko's Drittgeborener?"
„Genau Der!", gab Danuta freudig und stolz bekannt. Dann rief sie dem näher kommenden Jungen zu: „Hier sind wir. Komm zu uns!"
Milorad, auch in Danuta's Alter, also etwa 16 oder 17 Jahre, kam schnell näher auf diese Aufforderung. Schon beim Annähern an das Haus beäugte er Larno argwöhnisch und misstrauisch. Larno erkannte den jungen Mann. Es war der „Stille", der an der Tafel des jungen Herren Wladim abseits gesessen hatte und mit angesehen hatte, wie Wladim- also sein älterer Bruder- Larno zum Kniefall gezwungen hatte, noch bevor Wladim Larno in den Staub wegtrat.
„Was macht ihr hier! Wir sollten schon längst zurück sein!"
Danuta antwortete: „Schimpf nicht so mit mir. Lubina und ich wollten uns nur einmal den Neuen ansehen. Es passiert ja sonst nicht viel Interessantes auf Burg Slivor. Und Alle reden von dem geheimnisvollen Fremden! Da wollten wir ihn aus der Nähe besehen."
„Ihr Hühner!", herrschte Milorad die zwei jungen Frauen an. „Der Bezdomni ist dumm und gefährlich. Das sollten mein Bruder und Slawav, dein Mann, doch zu Euch gesagt haben, Lubina!"
In Larno's Kopf fügte sich alles mehr und mehr zusammen. Lubina war demnach die Braut von Slawav, dem besten Freund des jungen Herren Wladim. Und Danuta? Sie war also Milorad versprochen.
'Sollen sie mich ruhig weiterhin für dumm halten!', dachte Larno bei sich. 'Dummheit kann ein schützender Mantel sein gegen fremde Überheblichkeit- wie die von Wladim und seinen Kumpanen. Dann lassen sie mich wenigstens in Ruhe.'
Während Danuta sich anschickte, ihren Versprochenen angemessen zu begrüßen, lies es sich Lubina nicht nehmen, einen spöttischen Kommentar an Milorad zu richten.
„Gefährlich und dumm? Der Bezdomni wirkt weit weniger gefährlich auf mich als Du, so wie du deinen Bogen hältst!"
„Ich war in Sorge um Euch! Könnt ihr Mädchen das nicht verstehen?" Immer noch blickte Milorad argwöhnisch zu Larno, der unbeteiligt tat und weiter das Stroh für das Dach band- ganz so, wie man es von einem Dümmling erwarten kann.
„Der Bezdomni Larno war ein Rethra- Krieger. Also ich hatte keine Angst, hier bei ihm zu sitzen." Setzte Lubina dickköpfig entgegen.
„Rethra- Krieger? Der?", gab Milorad abfällig zurück. „Er hat vielleicht den Kriegern in Rethra das Essen gebracht, oder ihnen die Waffen getragen."
„Wirklich?", fragte Danuta in Larno's Richtung- blickte dann ein wenig enttäuscht zu Lubina.
Larno tat, wie es dumme Menschen am besten tun- er wirkte abwesend und vom Gespräch nicht berührt. 'Sollen sie glauben, was sie wollen.'
„Los! Kommt jetzt.", forderte Milorad die Mädchen auf. Und um Larno auch noch einmal zu zeigen, wer hier der Herr ist und wem Danuta versprochen ist, warf er zum Abschied zu: „Rede nicht noch einmal mit Danuta. Am besten lässt Du deine Finger von allen Mädchen in Slivor. Sonst gibt es Ärger! Verstanden?"
„Ja, junger Herr Milorad.", gab Larno nur kleinlaut zurück und versuchte Milorad nicht anzusehen, um ihm seine Untergebenheit zu zeigen- egal was von dieser Warnung des Knaben auch hielt.
Dann entfernten sich die drei „Besucher" ohne sich noch einmal umzusehen.
Im Reden miteinander- über den Vorfall und Milorad's Anweisung, nicht noch einmal zu diesem Ort allein zu gehen- übersahen sie beinahe den ihnen entgegen kommenden Wuko.
Wuko grüßte die jungen Leute der Burg und ging mit hochgezogenen Augenbrauen des Unverständnisses auf Larno zu.
„Schwierigkeiten, Larno?"
„Nein. Nicht wirklich. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Neugierigen einmal zeigen."
„Der Jüngste des Fürsten?", fragte Wuko besorgt nach.
„Nein. Die Mädchen waren zuerst erschienen, waren neugierig. Der junge Herr hat sie nur bei mir gefunden und holt sie heim in die Burg."
„Der Milorad hat es nicht leicht, glaub mir. Er war schon immer bemüht, um die Liebe seines Vaters Wielzko zu bekommen. Wielzko hat von Wolod und Wladim aber immer schon mehr gehalten, als von Milorad. Der Junge hat es nicht leicht. Und an Wolod hat er auch sehr gehangen, die waren gut mitteinander. Zu Wladim brauche ich Dir nichts sagen. Du hast erlebt, wie hoch er die Nase trägt und wie grausam er sein kann. Milorad hat davon auch schon kosten dürfen. Der junge Herr Milorad ist nicht unrecht- nur vielleicht zu sehr verbittert. es ist viel Wut in ihm."
Interessiert blickte Larno auf den Sack, den Wuko auf den Rücken trug. „Was bringst Du?"
„Seile. Brot und Grüße von meinem Weib. Und ein Krug süßes Honigbier- gegen die kälter werdenden Nächte."
„Dann komm, Bruder. Lass uns nicht frieren, während wir das Stroh binden."
Wuko verstand und lächelte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro