Kurzes Glück
Interessiert kamen alle näher, als der Ochsenkarren in die Innenburg herein ruckelte. Jeder wollte sehen, was hier gebracht wird oder vor sich geht.
Bei einigen Leuten hatte es sich schon herumgesprochen, dass Larno's Braut mit diesem Karren zur Hochzeit gebracht wird.
Auch Conia hatte von den Slepnaer Frauen schon davon erfahren und es den edlen Damen gesagt, dass Ihr Schwager Larno- der Anführer der Waldrebellen und Befreier der Slivorer Menschen- noch heute heiraten will. Ein Mädchen mit Namen Nemanja soll die Braut sein, hieß es.
Daher kamen auch die vier edlen Frauen näher. Durch ihre Hilfeleistungen an Mensch und Dingen waren ihre guten Kleider nun teils mit Schlamm, teils mit Ruß beschmiert.
Fräulein Nerin, die zwei Verwundete mit verbunden und versorgt hatte, konnte sogar etwas verschmiertes Blut am Kleid vorzeigen.
Doch all dies war für Nerin nun nebensächlich. Sie hatte ihre Hände und ihr Gesicht in einem Bottich eiskalten Wassers sauber gemacht, sogar das Blut am Kleid etwas auswaschen können. Wie all die Anderen war Nerin nun Zeuge dessen, was hier vor sich ging.
Im ersten Moment jedoch war Nerin etwas erschrocken, als der Karren kam.
War diese Frau auf dem Kutschbock mit dem Kopftuch etwa die Braut von Larno? Sie schien um einiges älter als der junge und kräftige Bräutigam, der soeben mit den anderen Männern an der Göttersäule Aufstellung nahm und sich seine Kleidung noch einmal herrichten lies.
Und nahe bei Larno stand noch ein anderes Paar, recht jung Beide noch, die wohl ebenfalls vorhatten hier und heute zu heiraten.
Conia hatte Bohumil auf dem Arm und drängte sich näher zu Nerin durch die Leute heran.
"Ist er nicht Stattlich? Mein Schwager? Seht ihn Euch nur an, edle Frau Nerin. Er kann es wohl kaum erwarten?", sprach Conia belustigt.
Ja.
Conia hatte Recht, wie Nerin fand.
Dieser Larno, ihr Schwager- auch wenn er es wohl vom Blut nicht wirklich war- ist wirklich ein stattlicher Mann.
Ein starker Mann.
Ein starker Mann und kluger Anführer.
Die Leute achten ihn- ohne Ausnahme- auch wenn er kein Edler Herr ist. Er hat sich die Achtung , den Respekt und die Liebe der Leute selbst erkämpft. Ja- erkämpft! Mit klugen Taten und seinem Schwert hat dieser starke Mann sich deren Achtung erworben.
Nerin beobachtete die Frau auf dem Kutschbock mit dem Kopftuch. Sie wirkte nicht, als würde Sie sich auf diesen Mann dort freuen? Sie schien mehr in Sorgen, irgendwie.
Unvermittelt hielt der Karren am Zugang zum Platz. Zwei Leute gingen näher, um die Ochsen am Zaumzeug zu halten, damit man vom Kutschbock absteigen konnte. Auch folgten dem Karren noch zwei Frauen, die allem Anschein wohl Mutter und Tochter waren. Sie waren wohl Freunde der Braut oder hatten ihr beim Vorbereiten geholfen.
Jetzt- da der Karren stand und die Leute vom Karrenbock stiegen, also diese Frau und der Mann daneben- erst jetzt sah Nerin ein dünnes Ärmchen, dass sich hinten auf dem Karren gegen den Himmel reckte.
Alle machten lange Hälse.
Die Frau und der Mann gingen nach hinten zum Karren. Ein älterer Mann, der neben Larno stand löste sich aus dessen Gruppe und ging auch dorthin- auf die Hinterseite, die man von hier kaum einsehen konnte.
Man half dort Jemanden herunter- half beim Absteigen von der Ladefläche.
Kurz konnte man einen zierlichen Kopf erkennen, der mit einem Kopftuch umbunden war. Mehrere Metallringe hingen links und auch rechts am Kopftuch. Demnach war dies die Braut, welche hier gebracht wurde? Doch warum hatte man sie nicht sehen können vorher? Warum hatte sie sich dort auf der Ladefläche befunden?
Nerin verstand dies alles nicht so recht.
Die Fürstentochter blickte nach rechts- zu Conia, die sich lang machte, um etwas zu sehen. Zudem versuchte Conia auch für den Kleinen Bohumil freien Blick zu schaffen. Sie hob ihn fast auf ihre Schulter hoch.
Dann blickte Nerin nach links zu den Leuten, die wie gebannt das Kommende erwarteten.
Nun fiel ihr Blick auf Larno, der schmunzelnd etwas zu dem anderen Brautpaar sagte und dann wieder zu dem Karren blickte.
Zuletzt erblickte Nerin die Edle Herrin Reglindis von Polen und Herrin Lieschna von Masowien in der Menge der Neugierigen. Auch die beiden Damen waren neugierig und folgten dem Geschehen aufmerksam. So wie Nerin selbst standen die hohen Frauen heute nur wenig herausgeputzt, wie man es sonst erwarten konnte, unter den einfachen Leuten hier. Nur ihre gute Kleidung, wenn sie auch verschmutzt war, hob die Edlen noch von den Einfachen ab.
Erst als eine ältere Slivorerin hinter Fräulein Nerin zu Conia sprach, blickte auch sie wieder zum Karren hin.
"Das ist doch die Nemanja, die Tochter vom Stanielub, die der Larno da zur Braut nimmt! Die Beiden waren doch schon als Kinder unzertrennliche beste Freunde, bis man den Larno in die Fremde wegschickte. Stimmt's?", fragte die Frau.
Conia stimmt nickend zu.
"Ja. Das ist sie! Das ist die Kleine vom Stanielub!", beteuerte eine andere Alte zustimmend. "Götter! Seht nur, wie schwach Sie aussieht- das arme Ding! Was ist mit ihr?"
Doch sowenig wie Nerin wussten die alten Slivorer Frauen, weshalb die Braut so geschwächt wirkte- kreidebleich und fast weiß war ihre Haut, ihr Gesicht strahlte überglücklich- dann wieder schal, blass und verzerrt von Schmerz. Jedoch strahlte die Braut und freute sich auf diesen Moment.
Fräulein Nerin sah etwas warmherziges in diesem Mädchen, etwas sehr vertrauensvolles. Die Braut schien ein sehr nettes Mädchen zu sein- so in ihrem Alter oder knapp älter. Die Güte ihrer Augen nahm Nerin für sich auch wahr. Die Braut, diese Nemanja, war wohl ein Mensch, den sie auch gern als Vertraute oder Freundin hätte- entschied Nerin im Herzen für sich.
"Ja. Das ist Nemanja. Ich kenne Sie. Einige Burschen wollten sie zur Braut- fortgejagt hat sie alle!", tuschelte eine junge Frauenstimme.
"Wisst ihr nicht, dass das arme Mädchen so böse verwundet ist? Halbtot ist sie- seht nur. Ein Wunder, dass Sie noch diesen Tag erleben darf!", raunte ein älterer Mann von weiter hinten.
Nerin fuhr ein eiskalter Schauer über die Haut, dass sich die Haare am Arm aufstellten. Die Braut ist halbtot? Verwundet? Und dieser Larno verspricht ihr trotz allem noch die Treue?
Nerin blickte zu Larno herüber. 'Was bist Du nur für ein Mann?', fragte sich die Fürstentochter in Gedanken- jedoch nicht bösartig- eher bewundernd waren ihre Gedanken.
"Seht, jetzt kommen sie!"
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Stanielub, Bogna und Dobrawa waren um Nemanja und stützten sie. Die Frauen waren es auch, die beim Ausstaffieren geholfen hatten- unter stetiger Sorge des Kräuterweibes Lumiki. Lumiki hatte auch daraus bestanden neben Pridmir auf dem Karrenbock zu sitzen, damit sie besser nach der schwachen Nemanja sehen konnte, denn die kurze Reise war für Nemanja sehr anstrengend.
Eingeklemmt zwischen die Helfer und ständig gestützt humpelte Nemanja ihrem Bräutigam entgegen. Ihr linkes Bein berührte den Boden kaum, Nemanja hatte es angewinkelt. Stattdessen suchte sie Halt bei Bogna und ihrem Vater.
Larno ergriff Nemanja's Hände, als Sie ihn erreichte. Stanielub gab weiter Halt, bis Nemanja- zwischen Larno und ihm sicher eingeklemmt- festen Stand auf ihrem rechten Bein gefunden hatte.
Während die Anderen um Nemanja besorgt waren hatte Pridmir einen langen federgeschmückten Stab vom Karren geholt und sich ein langes, weißes Leinengewand übergestreift. Er wusste- wie alle Anderen auch, dass nun Eile geboten war.
Daher ging Pridmir schnell zu den Brautleuten.
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Nerin und alle Leute sahen dem Ereignis zu.
Der Schamane machte zuerst einige beschwörende Gesten- zu den Brautleuten und zum Himmel.
Er sprach dann davon, dass eine starke Liebe ein Band flechtet, welche Zeit des Lebens zwei Menschen fest verbinden kann. Hiernach sprach er aus dem Leben der Brautleute. So haben sie schon als Kinder einander gesucht- bis sich ihre Wege trennten. Und die Götter sorgten dafür, dass Sie sich kurz nach Larno's Rückkehr nach Slivor wieder getroffen haben- ja sie sich fast gegenseitig um eine Jagdbeute prügeln wollten.
Die Leute lachten lautstark. Auch Nerin hielt nichts zurück, über diesen Spaß mitzulachen.
Doch sind die Zeiten schlecht- wie alle wissen, sprach der Schamane weiter. Krieg, Neid, Missgunst und der Tod ziehen durch die Wälder der Pregynitza und erreichten auch die Slivorer. Dies war der Moment, wo Nemanja und Larno wieder zueinander fanden. Sie stellten sich den Sorgen der Zeit gemeinsam- um Ihr Leben und das Leben vieler Leute zu einem freien Leben zu machen. Die Götter wollten, dass die Zwei einander vertrauen- und die Zwei lernten dies mit der Zeit. Die Götter wollten, dass die Zwei gemeinsam Leute anführten- und sie stellten sich dieser Aufgabe. Die Götter wollten die Einigkeit der Zwei- und sie haben gestritten, bis Beide sich einig waren.
"Ja!", rief der andere Bräutigam lachend dazwischen, der mit seiner Braut ein wenig hinter dem Paar stand. "Und wie sie sich manchmal gestritten haben!"
Wieder ging ein lautes, erlösendes lachen durch die Menge um Nerin.
Doch der Schamane sprach weiter- und es wurde schnell ruhig : Die Götter wollten, dass sich keiner der Zwei dabei schonte, für die Freunde einzustehen und die Menschen hier zu kämpfen- und Beide nahmen sie diese große Verantwortung an und gaben dafür alles- ja sogar die eigene Liebe und das eigene Glück stellten die Zwei zurück, gaben sogar die eigene Gesundheit.
Der Schamane sah Nemanja besorgt bei diesem letzten Satz an. Es schien, als wolle er noch sagen: - ja sogar das eigene Leben. Die Braut nickte wissend in diesem stillen Moment.
Keiner in der Menge sagte etwas.
Nerin indessen erschauderte erneut. Viele Weiber in Nerin's umstehender Nachbarschaft waren schon von den Worten ergriffen. Einige schnäuzten sich bereits. Nerin hatte einen Stein im Hals vor Mitgefühl für die Braut.
Doch heute wollen die Götter nicht, dass die Brautleute gemeinsam Kämpfen, sprach der Schamane weiter. Sie sollen auch nicht gemeinsam Jagen oder für andere da sein. Und Streit soll es heute nicht geben, denn die Zwei- Braut und Bräutigam sollen vor den Götter verheiratet werden.
Nerin konnte sehen, wie die Braut, das Mädchen Nemanja, zwischen Larno und ihrem Vater ein wenig zusammensackte- kurz nur, dann nahm sie alle Kraft zusammen, um sich schnell aufzurichten. Nasser, kalter Schweiß war in Tropfen auf dem Gesicht der Braut zu sehen.
"So wollen wir denn diesen Bund zwischen Euch- alle - jetzt und hier- vor aller Leute Augen bezeugen.", sprach der Schamane, der wohl bemerkte, dass er es nicht zu lange aufschieben durfte. Er erklärte Beide vor den Göttern zu Eheleuten.
Nemanja die Braut hüpfte auf dem rechten Bein so seitlich, dass sie Ihrem Bräutigam in die Augen sehen konnte. Ein langer, fester Kuss folgte.
Als alle Leute in der Runde vor Freude mit dem Paar raunten und klatschten, hielt sich auch Nerin damit nicht zurück. Sie bemerkte, dass auch Herrin Reglindis heftig klatschte. Hoch über ihren Kopf hatte sie die Hände zum Handgeklapper hochgereckt. Doch Nemanja war sich sicher, der Herrin späterhin noch einmal alles Gesagte erklären zu müssen, damit auch Herrin Reglindis es wirklich verstand- all dies Gesagte, dass Nerin selbst im Moment die Kehle zuschnürrte vor Mitgefühl und auch Freude.
Dem Kuss des Brautpaares folgte ein zweiter sehr langer Kuss.
Die Braut sackte erneut kurz in sich, so dass der Vater der Braut zugreifen musste, um die Braut in diesem Kuss zu halten.
Als sich das Brautpaar dann den Leuten zudrehte, um kurz zu Winken, sah man am unteren Kleid der Braut bereits einen kleinen Blutfleck am linken, angewinkelten Bein. Die Verbände waren durch die Bewegungen wohl durchnässt, so dass das Blut das gute Kleid angingen.
Larno schien dies- so sah es Nerin jedenfalls- nicht bemerkt zu haben. Er war voller Freude, winkte, sprach kurz etwas zu seiner Braut und warf danach dem etwas dahinter stehenden zweiten Brautpaar auch ein Winken zu.
In diesem Moment war es, wo die Braut nun wieder in sich zusammenfiel- wohl, weil dem Mädchen jede Kraft verloren ging. Sofort stürzten Larno, Brautvater, das Kräuterweib, der Schamane und die zwei anderen Frauen zu der Braut hin, um sie aufzufangen, bevor sie zu Boden stürzen konnte.
Ein Raunen ging durch die Menge. Alle waren besorgt um die Braut. Nerin musste sich größer machen, um noch etwas zu sehen, denn alle wollte sehen, was geschah.
Nemanja die Braut wurde von Larno und den Anderen hinter die Hütte unter eine dort gespannte Stoffbahn geschleppt.
Nur kurz zeigte sich jetzt Larno's Gesicht noch einmal der Menge. Seine Freude von eben noch, war großer Sorge gewichen. Dennoch winkte er noch einmal kurz. Dann sprach er zu den anderen Brautleuten, die sofort vortraten. Auch der Schamane wurde von Larno auf die anderen Brautleute aufmerksam gemacht.
Ein älterer Mann, der wie ein Würdenträger aussah- zumindest aber jemand, dessen Stimme Gewicht bei den Leuten hatte, traf hervor und hob beschwichtigend beide Arme in die Luft.
Es war Wibor, der Älteste der Slepnaer Leute. "Beruhigt Euch, Leute. Beruhigt Euch! Wir haben noch ein Brautpaar, dass der Schamane heute zusammen bringen möchte!"
Erst nach und nach kam wieder Ruhe in die Menschenmenge. Nerin war ruhig- aber auch besorgt, wie es um die Braut steht. Wenn sie es richtig gesehen hatte, hatte man Nemanja unter dem Stoffdach auf ein Paar Strohbündel gelegt. Viele Leute- auch ihr Bräutigam waren dort um Sie herum.
Auch für das Zweite Paar wurden Worte gefunden durch den Schamanen. Auch Trennung und Kampf sagte er. Nerin jedoch war in Gedanken- auch wenn diese zweite Zeremonie noch lief und kaum weniger wirkungsvoll war- bei Larno und seiner Braut Nemanja- hinten an der Häuserfront bei der Stoffbahn. Die Kräuterfrau sagte dort etwas zu Larno und den anderen Umstehenden. Etwas Schlimmes musste dort geschehen sein- Nerin spürte es förmlich.
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Larno stellte sich aufrecht hin, ging kurz ein wenig abseits für sich und strich sich mehrfach mit der linken Hand die Stirn, bevor er wieder an Nemanja's Seite zurück ging.
Nemanja's Vater sagte kurz einige Worte zu Larno, dann wies der Stanielub die zwei Frauen- Dobrawa und Bogna, an, mehrere Tücher zu holen und auch neue Wundverbände.
Lumiki, die Kräuterfrau, strich den kalten Schweiß von Nemanja's Stirn. Ihren Kopfschmuck hatte man ihr schon abgenommen- Nemanja's Haar war nass durchschwitzt - vom Wundfieber und der Anstrengung. Doch lächelte sie ihren Larno an.
Zu ihrem Vater Stanielub sagte Nemanja nur kurz etwas- so dass es jeder in der Runde verstehen konnte.
"Die Mutter will mir die Hand reichen, Vater! Ach- wie schön Sie ist. So wie damals, weißt Du?..."
"Ja mein kleines Vögelchen! Ja!", stammelte Stanielub mit Tränen in den Augen.
Dann schien Nemanja wohl die Hand ihrer verstorbenen Mutter ergriffen zu haben.
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Nerin sah, dass die Frauen, die Tücher und Leinen hinter die Hütte brachten inne hielten und sich deren Arme senkten.
Nerin schossen die Tränen in die Augen. Auch Nerin verstand, was dort gerade geschah.
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