Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

1 - Brüderchen und Schwesterchen


Das Schrillen des Telefons durchschnitt die nachmittägliche Stille.

„Henriette Reitmeier. Hallo?"

„Hallo Henny." Die Stimme der Mutter klang atemlos, so als hätte sie geweint. Sofort wusste Henriette, dass etwas nicht stimmte.

„Was ist passiert, Mum?"

Die Antwort kam als einzelnes Wort. „Oma." Der Damm am anderen Ende der Leitung brach. Henriette konnte sich nicht erinnern, wann sie ihre Mutter das letzte Mal weinen gehört hatte. Hatte ihre Mum überhaupt jemals geweint? Eine eisige Kälte ergriff von Henriette Besitz und beschlagnahmte ihre Gedanken und Gefühle.

„Was ist mit ihr? Mum? Sag schon!"

Das Blut rauschte Henriette in den Ohren und sie wappnete sich für den Schlag, von dem sie spürte, dass er unweigerlich folgen würde. Die Finger ihrer freien Hand klammerten sich um die Tischkante.

„Sie ist..." Die Mutter schniefte, dann versagte ihr die Stimme. Henriettes Welt stand mit einem Mal still. Es dauerte eine Ewigkeit und doch nur wenige Sekunden, bis die Mutter die Worte wieder fand. „Sie ist heute Morgen gestorben."

Der Schlag fiel in aller Härte. Erst stand Henriettes Welt still, dann zerfiel sie in tausend Scherben.

- - -

Der Wind pfiff  über den Friedhof. Nicht laut genug, um das vereinzelte Schniefen und Naseschnäuzen der anwesenden Trauergäste zu überdecken. Aber kalt genug, um gespürt zu werden in den Fingerspitzen, den geröteten Augen und triefenden Nasen.

Henriette stützte sich an der Schulter ihres Bruders ab. Es war ihr egal, dass der Stoff seines dunklen Jacketts unter Rotz und Tränen silbrig glitzerte.

Auch Johann sah mitgenommen aus, obwohl er sich tapfer hielt. Sein Blick verharrte geradeaus im Nirgendwo der langen Grabreihen, als wäre er mit den Gedanken ganz woanders. Die Mutter schluchzte hemmungslos in den Armen des Vaters.

„Wir werden sie in liebevollem Andenken behalten", schloss der Pfarrer und gab Weihwasser auf die offene Grabstelle. Seine weiteren Worte rauschten an Henriette vorüber. Dann folgte eine Serie Händeschütteln. „Mein herzlichstes Beileid." Händeschütteln. „Sie war immer so voller Leben. Das kam so unerwartet." Ein neues Paar Hände. „Wir werden sie vermissen." Eine weitere Beileidsbekundung. „Wir sind in Gedanken und Gebet bei euch." Eine Umarmung. "Unser herzlichstes Beileid. Wir werden sie in unserem Herzen in Erinnerung behalten." Ein Schulterklopfen. Henriette und Johann antworteten ihr "Danke" leise und auf Autopilot.

Und irgendwann war es vorüber. Oma Hedwig, die immer so voller Elan gewesen war und stets ein Lachen auf ihren Lippen gehabt hatte, lag in einer Holzkiste unter Erde und Blumen. Nur ihr Name und ein paar Zahlen auf einem einfachen Holzkreuz erinnerten an ihr Leben.

„Ich kann es einfach nicht glauben." Henriette stand neben Bruder, Onkel, Mutter und Vater vor dem ausgegrabenen Loch im Boden und schaute auf das Blumenmeer hinunter, das sich über dem Sarg verteilte. „Mir ist, als müsste ich nur die Augen schließen, und ich höre ihre Stimme."

„Geht mir ähnlich", bekundete Johann und schloss die Augen.

„Jetzt ist sie bei ihrem geliebten Hans", bemerkte der Vater und legte seiner Frau den Arm um die Schultern.

„Ein schwacher Trost", schniefte die Mutter. „Aber ich glaube ganz fest daran. Er wird sie mit offenen Armen empfangen haben und dorthin bringen, wo wir uns eines Tages alle wiedersehen."

Sie starrte auf die Inschrift des alten Grabsteins des Familiengrabs. Zwei Worte und Daten waren dort in schnörkeliger Schrift eingraviert.

Hans Reitmeier

*09.02.1940  +21.05.1995

---

Der Schlaf wollte Johann in dieser Nacht nicht besuchen. Er wälzte sich zum wiederholten Mal von der einen auf die andere Seite. Aber auch in dieser Position fand er nicht zur Ruhe, was nicht am Gästebett im alten Kinderzimmer seines Elternhauses lag und auch nicht daran, dass er nach diesem langen Tag nicht müde und ausgezehrt war. Ganz im Gegenteil. Er war erschöpft. Todmüde.

Wenn jemand Geliebtes stirbt, gehen die Gedanken mit dir spazieren. Einmal zum Himmel und zurück.

So hatte es Tante Marga formuliert und Johann glaubte zu verstehen, was sie damit meinte. Seine Gedanken stoben in alle Richtungen davon, waren überall und nirgendwo gleichzeitig.

Es war still im Haus. Alle anderen schliefen längst. Er schielte zur Uhr. Es war weit nach Mitternacht und er lag seit mehr als zwei Stunden schlaflos im Bett. Die Stille ging ihm auf die Nerven. Mit Oma Hedwig war es immer laut gewesen. Immerzu hatte sie gelacht, gescherzt oder eine Geschichte erzählt. Sie fehlte ihm. Und der Gedanke, nie wieder ihre Stimme zu hören oder ihr Lachen, schmerzte so sehr. Er schloss die Augen, um sich ihr Lachen und ihre Stimme besser ins Gedächtnis zu rufen. Aber es gelang nicht. Die Erinnerung war nicht da. Wollte nicht kommen. Dafür lösten sich endlich die Tränen.

Plötzlich horchte er auf. Johann wusste nicht, wie lange er so dagelegen und in sein Kissen geschluchzt hatte. Es konnten Minuten, aber auch Stunden gewesen sein. Er hob den Kopf. Lauschte.

Ja, eindeutig. Da war ein Geräusch. Schritte. Jemand lief durch das Haus. Er setzte sich auf. Horchte in die Stille. Eine Tür knarzte. Da! Schon wieder! Die Geräusche kamen von unten. Wer schlich sich da um zwei Uhr in der Nacht durch das Wohnzimmer? Johann stand auf und tapste auf Zehenspitzen zur Tür. „Dort unten liegen die Trauerkarten", schoss es ihm durch den Kopf.

Langsam drückte er die Türklinke nach unten. Jetzt konnte er die Schritte deutlich hören und sehen, dass kein Licht brannte. Jemand geisterte mitten in der Nacht im Dunklen herum.

Johanns Herz klopfte. Dann schlich er zur Treppe. Zum Glück kannte er jede knarzende Stelle, so dass kein Laut die nächtliche Stille störte. Am Fuß der Treppe hielt er inne. Lauschte. Nichts war mehr zu hören. War er zu spät?

Er fasste seinen ganzen Mut zusammen und durchquerte den Flur. Kein Laut war zu hören. Er meinte, einen kalten Windhauch auf seinen nackten Armen zu spüren. Hatte jemand die Balkontür aufgehebelt?

Mit angehaltenem Atem schnappte sich Johann den Schuhlöffel von der Garderobe in der Diele. Ein spontaner Gedanke im Vorbeigehen und der Wunsch, sich nicht völlig unbewaffnet einem Einbrecher gegenüber zu finden. Dann passierten zwei Dinge gleichzeitig. Er drückte den Lichtschalter und jemand schrie auf.

Der Schrei erstarb.

„Johann! Hast du mich vielleicht erschreckt."

„Puh!" Johann atmete tief aus. "Du bist das."

Henny saß auf dem Sofa, die Hände auf die Brust gelegt. Ihre Augen waren rot und ihre Wangen feucht.

„Ich konnte auch nicht schlafen", bekundete Johann im Näherkommen. „Bin ich froh, dass das nur du warst." Er legte einen Arm um seine Schwester.

„Sie fehlt mir so sehr."

„Mir auch."

„Irgendwie fühle ich mich ihr hier unten näher." Henriettes Blick glitt zu den gerahmten Fotos an der Wand neben dem Sofa. Da hingen jede Menge Kinderbilder der beiden Geschwister, aber auch Fotos der Eltern, der Oma und eine Schwarzweißaufnahme vom Hochzeitstag der Großeltern. Oma als junges Mädchen mit einem Lächeln auf dem Gesicht. In der einen Hand hält sie einen Brautstrauß und die andere ist mit der Hand ihres Bräutigams verschränkt, der hinter ihr steht, sodass sie sich an ihn anlehnen kann. Johann sieht ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.

„Ob man sich im Himmel wirklich wieder sieht?"

Johann nickte. „Ich glaube schon."

„Weißt du noch, wie wir früher hier saßen, als Oma auf uns aufgepasst hat, wenn Mama und Papa nicht da waren?" Hennys Finger strichen über eines der handbestickten Kissen. Oma Hedwig konnte nie still sitzen, immer musste sie etwas tun. Häkeln, Sticken oder Backen und wenn das nicht ging, wenigstens ihren Mund bewegen.

Wieder nickte Johann. „Sie hat uns nie vorgelesen, so wie Mama und Papa."

„Ja, aber dafür kannte sie die besten Geschichten. Weißt du noch, wie sie uns immer von der Frau im Mond erzählt hat? Und davon, wie sauer sie war, weil jeder immer automatisch davon ausging, dass sie ein Mann sei."

Johann lachte auf. „Ja! Oma war schon ein verrücktes Huhn."

„Oder als sie uns die Geschichte von der Zahnfee erzählte?" Jetzt kicherten die beiden.

„Und wie war das noch? Die Kuscheltiere, die von einem bösen Zauberer mit einem Fluch belegt wurden?", ergänzte Johann. "Und deswegen für immer dazu verflucht sind, still und stumm in den Kinderbetten zu existieren." Die Flut der Kindheitserinnerungen brach über sie herein und sie konnten gar nicht mehr aufhören, sich an all die vielen Geschichten zu erinnern und Erinnerungen auszutauschen.

Henny seufzte wehmütig. Eine war besser, verrückter und liebevoller als die andere. „Und dann gab es noch diese Geschichte mit dem Zug, der einmal im Jahr kommt, um brave Kinder ins Land der Träume mitzunehmen."

„Oh ja!", fiel ihr Johann ins Wort. „Wie konnte ich den Traumzug vergessen?"

„Das war meine liebste Geschichte."

„Meine auch."

„Irgendwie war Oma da immer wie ausgewechselt. Diese Geschichte hat sie uns bestimmt zehn Mal erzählt und wir konnten nie genug davon kriegen."

Henny kaute nachdenklich auf der Lippe. „Ich glaube, es war auch Omas Lieblingsgeschichte. Sie hatte beim Erzählen immer dieses Leuchten in den Augen. Weißt du, was ich meine?"

Ihr Bruder nickte. „Ob sie sich die ganzen Geschichten selbst ausgedacht hat?", überlegte er. „Ich habe sie nie danach gefragt." Trauer mischte sich in seine Stimme. Da gab es so viele Dinge, die er sie noch gerne gefragt hätte, es aber nie getan hatte und nun war es zu spät.

„Ich auch nicht." Henriette war wieder den Tränen nah. „Ich dachte immer, dass es mehr ist als nur eine Geschichte. Mehr so eine alte Legende vielleicht? Ach, ich weiß auch nicht."

"Jetzt werden wir es wohl nie mehr herausfinden." Resignation schwang in Johanns Stimme mit. Keiner sagte mehr ein Wort. Still saßen die beiden Geschwister im Wohnzimmer zusammen und spendeten sich gegenseitig Trost mit ihrer Anwesenheit.

Bis dann, Stunden oder Minuten später, den genauen Zeitpunkt konnte im Nachhinein keiner mehr so genau sagen, etwas das Schweigen störte. Ein Pfiff. Ein anschwellender, lang anhaltender, lauter Pfiff.

--------

„Was war das?", schrie Johann über den Lärm hinweg.

Beide saßen aufrecht auf der Couch und blickten sich im Zimmer um. Aber keiner der beiden konnte entdecken, woher das andauernde, schrille Geräusch kam. Das Wohnzimmer sah aus wie immer. Die Couch, der niedrige Tisch mit den Trauerkarten, die gerahmten Bilder an der Wand, der massive Holzschrank an der Wandseite, das breite Fenster mit der weißen Spitzengardine und der Balkontür in den Garten.

Henny hob die Schultern und klammerte sich an ihren Bruder. Wieder schwoll der Pfiff an, wurde lauter und lauter.

Zögerlich standen die beiden auf. „Ich glaube, das kommt von draußen?" Johann lupfte die Gardine zur Seite, dicht gefolgt von seiner Schwester, und presste die Nase an die Scheibe, um durch den Schlitz des Rolladens einen Blick in den Garten zu erhaschen.

Henriette krallte sich an ihn. „Und? Siehst du was?"

Johanns Mund stand offen. „Das gibt's ja nicht. Schau dir das an!"

Er trat zur Seite, und Henriette nahm seinen Ausguck ein. Auch ihre Kinnlade klappte herunter. „O mein Gott!"

„Das müssen wir uns näher ansehen. Komm mit!" Johann zerrte sie am Ärmel des Schlafanzugs.

„Bist du sicher?", fragte Henriette. „Ich meine..." Aber was genau sie meinte, wusste sie in diesem Augenblick selbst nicht. Sie rieb sich die Augen. „Ich meine...", stammelte sie erneut. Ihr fehlten die Worte. Schließlich stand nicht jede Nacht eine gigantische, dampfende und antik ausschauende Dampflok im Garten der Eltern. Ein schwarzes Ungetüm, das aus irgendeinem Grund bis fast direkt auf die dem Wohnzimmer angrenzende Terrasse gefahren war.

„...da sind doch gar keine Schienen", beendete Henriette ihren Satz.

Johann zuckte nur die Schultern. „Sie ruft uns! Hörst du es nicht?"

Henriette hörte nur die anhaltend laute Dampfpfeife. Tuuuhuuut. Tuuuhuuuuut. Tuhuhuuut. Aber ja, man konnte schon meinen, dass es wie ein Lockruf klang und sie nach den beiden Geschwistern rief. Manchen Rufen musste man folgen, bei manchen blieb einem keine andere Wahl und anderen widerstand man besser. Henriette dachte in dieser Nacht nicht darüber nach, welche Art von Ruf dies sein könnte.

Sie folgte ihrem Bruder ins Freie.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro