Ein gefährliches Vorhaben
erzählt von Rosalie
Eine Weile lang, standen wir wie bekloppte und höchst unprofessionelle Spione am Rand des Eingangs zum größten Raum des Hauptquartiers. Hier war der Fels komplett ausgehüllt, Teppiche lagen auf dem Boden und die Soldaten knieten darauf und beteten zur Dunkelheit. Das allein zu schreiben, erschien mir total freakig. Doch anders in Worte zu beschreiben ging nicht. Schließlich beteten sie wahrhaftig und ungelogen zur Dunkelheit, denn in die Richtung, in die sie beteten, war nämlich gar nichts. Nur Dunkelheit. Oh mann. Gruseliger konnte das alles echt nicht mehr werden.
„Die beten ja tatsächlich etwas an", kommentierte Charlotte.
„Sag ich doch!!", empörte sich Gwyneth und handelte sich durch ihr lautes Aufschreien sofort ein „Psscht!!" von Nyco und Ruben ein. Ich kicherte in mich hinein.
Dennoch wäre es wirklich nicht von Vorteil gewesen, wenn uns die Soldaten bemerken würden. Wir hatten beim ersten Kampf gegen sie bereits erhebliche Probleme gehabt und da waren sie wesentlich weniger gewesen. In ihrem Hauptquartier befanden sich locker fünfzig. Man brauchte kein Mathegenie zu sein, um sich ausrechnen zu können, wie unfair und ungleich ein Kampf fünfzig gegen fünf war (die Zwillinge jetzt mal weg gelassen). Außerdem waren das auch noch Soldaten. Das waren die besten Kämpfer der Welt.
„Sie beten also zu was. Aber zu was denn? Könnt ihr was erkennen?", fasste Delilah zusammen und bildete die Augen zu Schlitze, in der Hoffnung, besser sehen zu können.
„Ich hab zwar gute Augen, aber ich seh nichts", sagte Ruben.
„Ich auch nicht", bestätigte Nyco.
„Zu irgendwas müssen sie doch beten", überlegte Delilah. „Man betet doch nicht einfach zur Luft, oder?"
Charlotte seufzte genervt auf und rieb sich den Kopf. „Eben. Das ist kompletter Schwachsinn. Klar, es sind Wahnsinnig gewordene. Trotzdem finde ich das total merkwürdig. Ich bin ein Engel und ich kenn mich mit so was aus, dennoch hab ich noch nie so was gesehen. Alle sitzen auf Teppiche in einer Reihe und beten das Nichts an"
„Es sieht für mich eher so aus, als würden sie die Dunkelheit da hinten anbeten", sagte ich und zeigte auf das flackernde Schwarz am hintersten Ende des Hauptquartiers.
„Eigentlich würde ich sagen, du bist plemm plemm, dennoch sind deine Ideen bis jetzt immer irgendwie richtig gewesen", schnaubte Charlotte verächtlich. „Ich muss mir selbst eingestehen, dass das Verrückte wohl auch dieses Mal wieder das Richtige ist"
Unter anderen Gegebenheiten hätte ich mich über ihr verstecktes Kompliment gefreut.
„Fest steht, wir sind am Arsch", seufzte ich und stellte mich gerade hin.
Alle sahen mich verwirrt an. Wahrscheinlich, weil sie mit der Bezeichnung „am Arsch sein" nichts anfangen konnten.
Sie stellten sich nun alle ebenfalls gerade hin und schauten mich erwartungsvoll an.
„Was meinst du damit?", fragte Ruben.
„Gegen fünfzig wahnsinnig gewordene Soldaten können wir nichts ausrichten" Ich sah traurig in die Runde. „Klar, wir sind die Fünf Krieger und so und ich erinnere euch nur ungern an den Vorfall in der Wüste, aber wir dürfen das nicht außer Betracht lassen. Das war damals echt knapp und da waren es viel weniger"
Mit meinem Kopf zeigte ich zu der Meute am Boden betender wahnsinniger Soldaten.
„Aber dieses Mal haben wir noch dich", freute sich Ophelia.
„Na ja, das macht die Sache auch nicht besser", sagte ich nachdenklich. Ophelia sah mich daraufhin traurig an und ich fuhr fort: „Ich meine, im Prinzip stimmt das schon, aber das wird uns auch nicht viel helfen. Außerdem müssen wir euch aus der Schusslinie bringen"
Delilah und Ophelia schreckten beide auf, lächelten und Delilah sagte: „Ach, wir können gut auf uns selbst aufpassen. Und wenn's doch mal brezlig wird, verwandeln wir uns einfach in Pflanzen"
„Ich fürchte, so einfach wird es nicht", motzte Charlotte bösartig in Delilahs Richtung und die beiden warfen sich wie immer biestige Blicke zu.
Da meldete sich Ophelia wieder zu Wort: „Aber es ist doch so, dass ihr hier den König vermutet, nicht wahr?" Wir nickten. „Die Soldaten stören euch aber dabei, ihn zu suchen, auch wahr?" Erneut nickten wir und Charlotte verschränkte genervt die Arme. „Das wieder um bedeutet, wir müssen die Soldaten aus ihrem Hauptquartier bringen"
„Ja, das wäre das Beste", seufzte Ruben wehmütig.
„Was habt ihr vor?", fragten Gwyneth und ich gleichzeitig.
„Mir kommt da eine coole Idee", freute sich Ophelia und hüpfte erneut auf und ab.
„Könntest du das doofe Rumhüpfen bitte lassen??", motzte Charlotte und Ophelia blieb tatsächlich stehen und grinste sie an.
„Was würdet ihr sagen, wenn Delilah und ich uns auch mal nützlich machen würden, ihr uns in Sicherheit wissen könntet und ihr auch noch in Ruhe den König suchen könntet?"
„Das wäre sogar noch besser", kommentierte Ruben und ich fügte freundlich hinzu: „Ja, schon, aber ihr müsst wirklich kein schlechtes Gewissen haben, nur weil ihr uns nicht wirklich gut helfen könnt. Ihr wisst doch, warum ihr hier seid"
„Ja, und genau deshalb ist mir dieser Plan eingefallen" Sie lächelte mich süß an. „Wir sind doch mit hierher gekommen, um dir seelischen Beistand zu leisten und dir zu helfen, mit allem klar zu kommen. Und jetzt werden wir die Soldaten ablenken, damit sie uns folgen und ihr euch umsehen könnt. So helfen wir dir, deine Mission zu Ende zu bringen" Dann sah sie traurig zu Boden und anschließend mir wieder in die Augen. „Und vielleicht können wir das mit deiner Mutter wenigstens ein bisschen Wett machen"
Zugegeben: Das klang gar nicht mal so blöd.
„Aber ihr müsst das nicht Wett machen", sagte ich versöhnlich.
„Nein, nein, wir wollen auch was tun!" Dann sah sie ihre Schwester an. „Oder was meinst du, Del?" Delilah nickte ehrgeizig und selbstbewusst.
„Aber wie wollt ihr die Soldaten denn ablenken?", fragte Ruben.
Da schnipste Ophelia neckisch mit den Fingern und antwortete: „Mit einer altbewährten Methode natürlich. Dem Krawall machen"
„Ihr wollt laut sein, damit sie euch folgen?", wiederholte Ruben misstrauisch, weil er es einfach nicht glauben konnte.
Ich für meinen Teil übrigens auch nicht. Es war schier unglaublich, mit was für einen simplen Plan Ophelia um die Ecke gekommen war.
Da lachte Ruben plötzlich auf. Zwar nur leise und kurz, um die Aufmerksamkeit der betenden Soldaten nicht auf uns zu ziehen und prustete: „Das ist so simpel, dass es tatsächlich klappen könnte. Es ist zwar total dämlich, aber na ja. Vielleicht klappts"
„Also, ich finde das nicht lustig", meckerte Charlotte.
„Ich mag die Idee! Sie ist so verrückt!", verkündete Gwyneth und umarmte Ophelia stürmisch. „Du bist ein Genie!"
Da kicherte Ophelia nur süß auf und ließ rot an.
Ich verschränkte wütend die Arme. „Begeistert bin ich davon nicht. Was ist, wenn noch ein paar Soldaten im Hauptquartier bleiben?"
„Dann erledigt ihr die eben!", verkündete Ophelia und klatschte aufgeregt in die Hände. „Das wären dann bestimmt nur noch so Wenige, dass ihr das locker schafft! Wobei ich ja der Meinung bin, dass du jeden platt machen kannst, Rosalie" Da lief sie noch röter an.
Dazu fiel mir nun wirklich nichts mehr ein. Es war ja schön, dass Ophelia so ein unbegrenztes Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten hatte, aber Gott war ich auch nicht. Alles war leider auch nicht möglich für mich.
„Trotzdem", blieb ich stur.
„Jetzt gehen dir die Argumente aus", kicherte Gwyneth.
„Nein! Gar nicht!", protestierte ich.
„Sollen wir wieder abstimmen?", fragte Ophelia.
„Nein!", brummte ich.
„Also, dann lasst uns das jetzt machen", beschloss Ophelia.
„Nein!"
„Ach komm schon, Rosalie, wo ist das Problem?", fragte Delilah.
„Was ist, wenn sie euch fangen?"
„Dann verwandeln wir uns wirklich in Pflanzen", grinste sie. „Die Soldaten wissen ja nicht, dass wir Pflanzenmenschen sind. Und selbst wenn sie es wüssten, wüssten sie nicht, wie wir als Pflanzen aussehen"
„Eure Pflanzenarten sind doch viel zu auffällig für die Wüste", blieb ich hart.
„Eigentlich ja, aber wir sind hier in einer Oase" Auch Delilah ließ nicht locker.
Unruhig biss ich mir auf die Unterlippe und kämpfte gegen mein Kopfkino an, was ihnen passieren könnte. Die Soldaten könnten sie schnappen und foltern oder umbringen. Aufs grausamste Art und Weise. Ihnen jedes Blatt, das ihre Haut bedeckt, einzeln ausreißen und sie elend verrotten lassen. In der tiefsten Dunkelheit in einer finsteren Ecke...
Ich fand erst wieder den Weg zurück aus meinen düsteren Gedanken, als ich Nycos Hand auf meinem Kopf spürte, die diesen beruhigend streichelte. Erst so drangen die Stimmen der Anderen wieder zu meinem Gehirn hervor.
„Lass es sie doch einfach probieren", ertönte Nycos sanfte Stimme nahe an meinem Ohr. Sofort bekam ich eine Gänsehaut. Oh wow, er war so süß... „Eigentlich kann doch gar nichts schief gehen"
Also, mir würden tausend Dinge einfallen, die schief gehen könnten, war ich kurz davor laut zu protestieren, doch den Gesichtsausdrücken der Anderen- vor allem der Zwillinge- zu folge, war es sowieso egal, was ich noch zu sagen hatte. Sie würden es tun. Mit meiner Zustimmung oder ohne. Irgendwie konnte ich ihren Drang, uns zu helfen, auch nachempfinden. Ich hatte es ja auch, bevor ich meine Kräfte entwickelt hatte, zum Kotzen gefunden, wie unnütze und unwichtig ich für die Gruppe und die Mission gewesen war. Der Unterschied lag lediglich darin, dass ich eine der Fünf Krieger war und helfen und etwas tun musste- die Zwillinge nicht. Sie waren meine Begleiterinnen und nicht verpflichtet dazu. Dies sprach allerdings für sie.
Ich seufzte aus und schüttelte den Kopf. „Es ist sowieso egal. Tut, was ihr nicht lassen könnt"
„Danke", zwinkerte mir Ophelia zu und flüsterte anschließend etwas mit ihrer Schwester. Dann wandten sie sich wieder zu uns allen und Delilah verkündete: „Wenn die Soldaten an euch vorbei laufen und Phel und ich weg laufen, versteckt ihr euch wieder da, wo wir uns vorhin versteckt haben. Die Soldaten werden vermutlich auf uns fixiert sein und gar nicht auf irgendwas anderes achten" Selbst Charlotte nickte nur und akzeptierte bedingungslos Delilahs Anweisungen. Das war noch freakiger, als die Tatsache, dass die Soldaten zur Dunkelheit beteten. „Geht am besten schon dahin. Dann riskieren wir nichts. Wir fangen erst an, wenn ihr uns ein Zeichen gegeben habt"
„Ich werde eine Rose in die Luft werfen und wieder verschwinden lassen", schlug Gwyneth sofort vor.
„Gut", nickte Delilah. „Anschließend verschließt du, Rosalie, den Tunnel, ohne euch dabei zu gefährden. Ich bin mir sicher, du kannst das" Sie zwinkerte mir zu und ich schluckte nervös. „Wir werden euch rufen, wenn wir draußen sind"
„Alles klar", sagte Ruben und machte seinen linken Daumen nach oben. „Dann viel Glück euch und seid vorsichtig", warnte er ernst und führte uns an.
Ich drehte mich kurz zu den Beiden um, bevor ich sie von dem dunklen Tunnel aus nicht mehr sehen konnte. Ich hatte immer noch ein ungutes Gefühl dabei. Aber vielleicht auch nur deshalb, weil die beiden völlig schutzlos waren. Die einzige Möglichkeit der Beiden, sich selbst zu retten, ist ihre Pflanzenverwandlung. Da blieb mir nur noch Hoffen und Bangen, dass alles glatt ging.
Als wir alle wieder fast so dastanden wie vorhin- Ruben und Nyco ganz vorne, ich direkt hinter Nyco und Gwyneth und Charlotte ganz hinten- ließ Gwyneth eine Rose an uns allen vorbei fliegen, so dass die Zwillinge sie vom Eingang des Hauptquartiers sehen konnten und augenblicklich auch wieder verschwinden.
„Ich hoffe, sie haben sie gesehen", flüsterte Gwyneth.
Das hoffte ich auch. Doch plötzlich hörte ich, wie die Zwillinge so laut miteinander sprachen, dass sogar wir es noch hören konnten, obwohl wir einige Meter von ihnen entfernt versteckt in einer dunklen Ecke standen. Es war unmöglich, dass die Soldaten sie überhören würden. Nachdem sie für kurze Zeit und unfassbar laut debattiert hatten, was sie sangen, begannen sie ein Lied zu singen, dass sie immer in der Arbeit vor sich hingesummt hatten, soweit kein Kunde oder die Chefin in der Nähe gewesen waren. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, dass ich sie eines Tages gefragt hatte, was das für ein schönes Lied sei. Ihre Antwort war ein belustigtes „Ach, das kennst du nicht. Kommt aus einem fernen Land" gewesen. Jetzt verstand ich, was sie mit fernem Land meinten. La Fleur.
Dieses Mal sangen sie es mit Text und es ging darin eindeutig um die Natur, die Pflanzenmenschen und La Fleur. Dies konnte ich mir denken, obwohl der Text natürlich auf villesisch war.
Leider konnte ich die Beiden nicht sehen, doch ich konnte mir vorstellen, dass sie wie Indianer um ein Feuer herumtanzten und ihren Spaß hatten. Es war unüberhörbar.
„Heilige Natur,
gelobtes Land,
verbinde dich mit mir.
Hey!
Du bist die Seele,
der Atem, der mich erfüllt.
Ja, du bist die Seele,
der Atem, der mich erfüllt.
Hey!"
Umso länger sie sangen, desto leidenschaftlicher wurden sie. Irgendwie musste ich lachen, weil es so niedlich war, wie viel Vergnügen ihnen das alles bereitete.
„Echt mutig von ihnen, ausgerechnet die Hymne La Fleurs zu singen" In Nycos Stimme schwang unverkennbar sein Lächeln mit, das ich in der Dunkelheit leider nicht sehen konnte. Doch ich spürte es.
„Ich will nicht ohne dich sein.
Ohne dich kann ich nicht sein.
Ja, komm zu mir,
erleuchte und erhelle mich.
Durchflute mich.
Heilige Natur,
gelobtes Land.
Hey!"
Plötzlich beendeten sie ihren schönen Gesang und ich hörte ihre Schritte. Die Soldaten hatten sie gehört und fühlten sich vermutlich gestört vom Gesang meiner Freundinnen. Sehr gefährlich. Die meisten Leute fanden es nicht besonders toll, wenn man sie beim Beten störte.
Noch während die Zwillinge an uns vorbei liefen, zeigten sie uns ganz kurz den Daumen nach oben und ich schwöre, sie lächelten dabei, auch wenn ich es nicht sehen konnte. Sie jubelten und jauchzten und sprangen in die Luft. Ja, selbst Delilah tat das. Charlotte und Gwyneth mussten sich ihr Lachen sehr hart verkneifen und ich hatte auch meine Mühe, mich zusammen zu reißen.
Schon bald waren ihr Jubel und Jauchzen, ihre Schritte und das wütende Grummeln der Soldaten nicht mehr zu hören und wir trauten uns aus unserem Versteck und begannen leise zu lachen.
„Wow, das hätte ich nie von ihnen gedacht", brach es prustend aus Charlotte heraus.
„Ich auch nicht. Delilah wirkt manchmal so steif", bestätigte Gwyneth und lachte.
Selbst die Jungs lachten und ich musste Charlotte und Gwyneth Recht geben. Selten sah man Delilah so kindisch und befreit, wie es ihre Schwester meistens war.
Der Erste, der wieder zu Worten fand, war Ruben: „Jedenfalls scheint es funktioniert zu haben. Bleibt nur zu hoffen, dass nicht welche im Hauptquartier geblieben sind"
„Ich hoffe nur, ihnen geht es gut"
Traurig sah ich in die Richtung, in der sich das Ende, besser gesagt, der Anfang des von mir neu erschaffenen Tunnels, befand. Da spürte ich erneut Nycos Hand. Nur dieses Mal lag sie nicht auf meinem Kopf, sondern auf meiner Schulter.
„Es wird ihnen bestimmt gut gehen. Das Gefährlichste, die Jagd der Soldaten auf sie im Tunnel, ist vorbei. Im Freien können sie leichter entkommen"
Ich sah zu ihm hoch und zwang mir ein Lächeln hervor. Er hatte ja Recht.
Da hörte ich ein lautes Jodeln von Ophelia, was ich als das Zeichen wahrnahm, rief die Erde und befahl dem Element augenblicklich: „Bitte verschließe den Tunnel, den du vorhin gegraben hast, sorgfältig, so dass ihn niemals wieder jemand finden kann"
Das Element tat, was ich sagte und mit demselben Rauschen und Brummen, mit dem ich den Tunnel wieder erschaffen hatte, zerstörte ich ihn auch wieder und er fiel in sich zusammen. Gerade noch rechtzeitig konnten wir uns in den komplett ausgehüllten Raum des Hauptquartiers der Soldaten flüchten, den diese wohl als Gebetsraum nutzten. Der Eingang, vor dem wir keuchend stehen blieben, fiel ebenfalls in sich zusammen und hinterließ riesige Gesteinsbrocken.
Meine Aufmerksamkeit war noch dem nicht mehr vorhandenem Tunnel gewidmet, da hörte ich ein schweres Aufatmen und Keuchen und den letzten Atemzug eines Menschen. Erschrocken drehte ich mich um und sah, wie Ruben mit der Messerseite seiner Nunchakos den einzigen Soldaten tötete, den sie zurück gelassen hatten.
Kaum war er tot, ließ er ihn fallen, wischte seine Nunchakos ab und steckte sie anschließend wieder ein.
„Ich... ich weiß nicht, was ich sagen soll", stotterte ich.
„Wow, Respekt, den hab nicht mal ich gehört", grinste Charlotte und zeigte auf den Leichnam.
Ruben kam genüsslich zu uns zurück und auch er hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht. „Ist schon gut. Dafür habt ihr mich mit den guten Ohren"
Ich wusste nicht genau wieso, doch irgendwie machten mich sein Grinsen, die Angeberei und der genüssliche Gang zu uns wütend. Auch Charlottes Anerkennung machte es nicht besser. Mir war klar, dass ich damit die Elemente ausnützte, doch es musste sein.
„Erde, du darfst gehen und Wasser, bitte komm zu mir", flüsterte ich und lediglich Gwyneth, die dicht neben mir stand, hörte es und sah mich irritiert an. „Wasser, verzeih mir, aber ich kann nicht anders. Überflute den Angeber mit einer Ladung Wasser"
Mit der passenden Armbewegung dazu, folgte das Element meinem Befehl und überschüttete Ruben mit einer kleinen Flutwelle, die natürlich aus dem Nichts kam. Immerhin befanden wir uns inmitten eines Felsen. Er wurde mit einem lauten Glucksen davon geschwemmt, das Wasser ebbte ab und kehrte zu mir zurück.
„Danke, Wasser, du darfst gehen", sagte ich und verwandelte mich zurück.
Ruben spuckte Wasser und sah mich wütend an. Seine ganzen Klamotten und seine langen, rote Haare tropften und hingen ihm wüst ins Gesicht. Jetzt war ich diejenige, die ein breites Grinsen auf den Lippen hatte.
„Was sollte das??", fragte er und stand auf.
„Ich verstehe, dass du den Soldaten töten musstest", begann ich. „Dennoch verstehe ich nicht, warum du ihn so respektlos getötet hast, als wäre er nichts wert, als wäre er nie geliebt worden. Als du dann auch noch so doof gegrinst und dich cool gefühlt hast, wollte ich dein erhitztes Gemüt abkühlen"
Alle starrten mich an. Doch Ruben verstand wohl, was ich ihm damit sagen wollte, denn er senkte den Kopf und sah mich dann anschließend reumütig an.
„Es tut mir Leid. Das war wohl wirklich etwas zu eiskalt" Während er sein Oberteil auswrang, sagte er: „Ich vergaß, dass Soldaten immer noch Menschen sind und dass du auch einer bist. Ich habe nicht daran gedacht, was das für dich bedeuten könnte"
„Schon gut", murmelte ich. „Es geht mir nicht darum, dass er ein Mensch war und ich einer bin, sondern finde ich es einfach unmöglich, wenn einer es cool findet, andere zu töten oder ihnen Schlimmes an zu tun. Daran ist nichts cool. Sei nicht stolz drauf, als wärst du ein psychopathischer Sadist. Ich weiß, dass du es tun musstest, aber mach nicht auf cool. Du bist besser als das"
Er nickte nur und Gwyneth sah mich traurig von der Seite an. Ich seufzte und mir wurde kalt, als mein Blick auf den Leichnam fiel. Er hatte sich seinen Neuanfang in Lakaria bestimmt anders vorgestellt. Friedlicher. Mir stiegen die Tränen in die Augen, weil ich so Mitleid mit ihm hatte. Er hatte es nicht verdient, so zu sterben. Er hatte es nicht verdient, wahnsinnig zu werden und dann diese Dinge zu tun, die er bestimmt sonst nicht tun würde. Er hatte besseres verdient. Sie alle hatten das.
„Bist du okay, Rosalie?", fragte mich Gwyneth leise und ich erwiderte mit einem lauten Ausatmen und sagte: „Ja, natürlich. Es ist nur beängstigend, wie ihr einfach jemand umbringen könnt"
„Training, Rosalie, Training" Sie hatte sich bei mir eingehackt und jetzt lächelte sie mich aufmunternd an. „Uns wurde jahrelang beigebracht, dass uns das nicht zu sehr an die Nieren gehen darf. Dir sollte es auch nicht zu viel ausmachen. So ist es halt. Glaub mir. Wir alle mögen diesen Teil unserer Aufgabe nicht, aber es ist unser Schicksal"
„Ich weiß", murmelte ich.
„Aber richtig daran gewöhnen wird man sich nie" Nun tätschelte Nyco meinen Kopf, als wäre ich sein Kätzchen. „Selbst ich kann das nicht und du weißt, dass Gefühle nicht so mein Ding sind"
Hierbei musste ich leicht lächeln. Oh ja, das konnte er wirklich nicht abstreiten.
„Geht's wieder?", flüsterte er mir anschließend in mein Ohr und ich nickte und lächelte ihn an. „Dann ists ja gut. Dann können wir jetzt das Hauptquartier durchsuchen"
„Wäre es nicht besser, wenn wir uns aufteilen?", fragte ich. „Dann wären wir schneller"
„Das halte ich für keine gute Idee", kam es von Ruben. „Wer weiß, ob unser Freund da unten" Er zeigte auf den Leichnam. „nicht der Einzige ist, der hier geblieben ist. Wir sind stärker, wenn wir zusammen bleiben"
„Bestimmt geht es den Zwillingen gut", versicherte mir Nyco beruhigend. „Solange sie in ihrer Pflanzenform bleiben, sollte nichts passieren"
Ja, sollte. Doch passieren konnte immer was. Vor allem im Umgang mit wahnsinnig gewordenen Soldaten sollte man sich seiner Sache nie zu sicher sein.
erzählt von Delilah
Gerade noch hatten es Ophelia und ich geschafft, uns rechtzeitig in das Manns-Knabenkraut und die Mücken-Händelwurz zu verwandeln, bevor wir wieder in Sichtweite der Soldaten gewesen wären. Wenn sie gesehen hätten, wie wir uns verwandeln, hätten sie bestimmt schon Tee aus uns gemacht. Urgh, gruselige Vorstellung. Doch glücklicherweise ging alles gut. Doch sie waren verdammt schnell gewesen, wie es von Soldaten nun mal nicht anders zu erwarten war. Pflanzenmenschen waren nun mal nicht für intensiven Sport geeignet.
Ophelia und ich hatten uns hinter einer Hecke verwandelt, um die Wahrscheinlichkeit, dass sie uns vielleicht doch fanden, noch mehr zu verringern. Außerdem fielen wir als Pflanzen innerhalb eines Gestrüpps weniger auf. So sah es nun aus, als wären Ophelia und ich ganz normale Pflanzen, die inmitten einer Hecke wuchsen.
Wir konnten hören, wie uns die Soldaten suchten, irgendwann zu fluchen begannen, weil sie sich nicht erklären konnten, wie wir so schnell verschwinden konnten. Wie wir sie, die Soldaten, austricksen haben können.
Bei uns war also alles glatt gelaufen. Blieb nur noch zu hoffen, dass es Rosalie und den Anderen ähnlich gut ging und dass sie uns bald finden würden.
erzählt von Rosalie
Immer noch in Gedanken bei den Zwillingen, ging ich bereits einwenig vor. Ich schritt näher an das Gemälde eines merkwürdigen Typen mit pechschwarzen, ewig langen Haaren und Augen, die rot schimmerten, heran, das mir von der Weite noch gar nicht aufgefallen war. Ich wandte mich kurz um und mir wurde klar, dass die Soldaten das Gemälde anbeteten. Auch bemerkte ich die flackernde Dunkelheit, die das mysteriöse Gemälde umgab. Was war das wohl? War das unser Gegner? Der, der für alles verantwortlich war? Doch wieso beteten großartige Kämpfer, wie die Soldaten es waren ein Gemälde von einem komischen Typen an? Zuerst schien mir dieser Gedanke zu abgefahren, doch dann widmete ich meine ganze Aufmerksamkeit dem Gemälde, sah immer tiefer in die blutrot wirkenden Augen des Mannes, versank mich immer mehr in ihnen und jeder Gedanke daran, wie seltsam das alles war, jeder Gedanke an Nyco, die Zwillinge und die Anderen war plötzlich nicht mehr wichtig. Alles, was mir in diesem Moment etwas bedeutete, war dieser Mann.
Seine Augen.
Die Finsternis.
Sie verschlang mich.
Ich wollte nur ihm gehören.
„Rosalie?"
Ich nahm die Stimme nur noch am Rande war. Anfangs dachte ich, das Gemälde- der Mann- spräche zu mir, doch dazu war die Stimme viel zu weiblich.
„Rosalie?"
Die Stimme wiederholte meinen Namen.
„Rosalie? Was ist denn mit dir?"
„Ich glaube, jetzt braucht sie ne Erfrischung" Eine weitere weibliche Stimme ertönte.
„Wir müssen sie sofort wieder in die Wirklichkeit holen!", schimpfte eine männliche Stimme. „Sonst bleibt sie für immer gefangen und wird genauso wahnsinnig wie die Soldaten!"
Sie begannen zu diskutieren, was zu tun war und dass sie alle keine Ahnung hätten, was in so einer Situation am besten war. Die männliche Stimme, die vorhin geschimpft hatte, schimpfte noch mehr und fluchte. Dann spürte ich zwei Hände, die mein Gesicht umschlossen; anfangs dachte ich, es sei die wunderschöne Dunkelheit des geheimnisvollen Mannes auf dem Gemälde, das mich umschloss und retten würde. Doch nein, er war es nicht, denn etwas oder besser gesagt jemand, gab mir einen langen Kuss auf die Wange und hielt dabei mein Gesicht fest in seinen Händen.
Dieser Duft und diese Stimme und warum schlug mein Herz nur so schnell? Warum konnte ich kaum atmen?
Nyco?
Ich blinzelte und plötzlich sah ich wieder alles vor mir. Das Gemälde mit dem Typen, die Wand, an der es hing und drei der Fünf Krieger, die mich mit weit geöffneten Augen anstarrten. Der Vierte von ihnen ließ mein Gesicht los und seins lief dafür irgendwie niedlich rot an.
Ich blinzelte erneut und sah mich irritiert um, weil ich nicht glauben konnte, wo ich mich befand, geschweige denn, was passiert war. Und dass Nyco mich so lange und so intensiv auf die Wange geküsst hatte.
Gwyneth war die Erste, die ihre Worte wieder fand: „Willkommen zurück"
Ich öffnete und schloss meinen Mund wie ein bekloppter Karpfen.
„Ist alles in Ordnung?", fragte nun Ruben sachlich.
Ich nickte. „Ja, ich weiß nur nicht, was passiert ist"
„Du hast das gruselige Gemälde hinter dir angestarrt, als wäre es der Heilige Gral" Während Charlotte dies äußerst und ziemlich spürbar verächtlich von sich gab, zeigte sie angewidert auf das Gemälde.
„Ach ja, stimmt, ich habe es angesehen und bin irgendwie darin versunken", gab ich zu.
„Zum Glück hab ich das rechtzeitig bemerkt", erschrak sich Gwyneth. „Das hätte böse enden können. Du musst besser aufpassen"
„Ich konnte doch nicht ahnen, dass es mich in seinen Bann ziehen würde", versuchte ich mich heraus zu reden, doch während ich es aussprach, wurde mir bewusst, dass ich dies sehr wohl hätte erahnen können. Immerhin war mir in meinen letzten Momenten des eigenen Denkens, bevor ich abgedriftet war, aufgefallen, dass das Gemälde wohl der Ursprung unseres Problems war. „Das ist doch jetzt auch egal", fuhr ich fort. „Jedenfalls konnte ich dadurch etwas herausfinden"
Ruben schüttelte den Kopf und schlug sich mit der Hand auf die Stirn. „Du riskierst dein Leben, deine Seele und deine Identität, um etwas heraus zu finden?"
„Ja", bestätigte ich selbstbewusst. „Das Gemälde ist unser Problem" Als in den Gesichtern aller ein dickes, fettes „Hä?" stand, erläuterte ich weiter: „Die Soldaten scheinen das Gemälde, beziehungsweise, den Typen darauf anzubeten und sind vermutlich seinetwegen wahnsinnig geworden"
„Aber das Gemälde muss irgendwie hierher gekommen sein", versuchte Ruben meine These zu widerlegen.
„Vielleicht konnte er einige Soldaten von der Ferne wahnsinnig werden lassen, sie hierher locken und so den Wahnsinn verbreiten", überlegte ich.
Nyco schritt mit beiden Händen in den Hosentaschen näher an das Gemälde heran und beäugte es nachdenklich.
„Sei vorsichtig!", warnte Gwyneth besorgt. „Sonst ergeht es dir wie Rosalie"
Ohne auf ihre Warnung einzugehen, sagte er: „Ich wusste gleich, dass mir der Kerl bekannt vorkam"
„Und wer ist er?", fragte ich.
Erst jetzt drehte sich Nyco wieder zu uns um, kehrte dem Gemälde den Rücken zu und rieb sich nervös den Wuschelkopf.
„Scheinbar muss ich seinen Namen vergessen haben"
„Na toll, du bist ja ein Held", motzte Charlotte.
„Ich kann mich aber daran erinnern, dass er in der Katzenschule ein langes Kapitel in unserem Lehrbuch hatte und ich ihn sehr faszinierend fand..."
„... und trotzdem hast du seinen Namen vergessen", unterbrach Charlotte weiterhin mürrisch.
„Soweit ich's noch im Kopf habe", erzählte Nyco. „war er ein sehr berüchtigter Medizinmann, der durch bestimmte Pflanzen in der Lage war, Andere depressiv zu machen. Jedenfalls hieß es das. Das hat damals in der Katzenschule natürlich niemand geglaubt"
„Was???", kam es nun etwas zu schrill von meiner Wenigkeit. „Er konnte Andere depressiv machen?"
Er zuckte nur mit den Schultern und murmelte: „Zumindest hieß es das"
„Leute, wir haben des Rätsels Lösung", freute ich mich und schnipste euphorisch mit den Fingern.
„Und deine Lösung ist ein einziges Rätsel", meckerte Charlotte, wie immer wenig hilfreich.
Nyco legte weiterhin nachdenklich die Finger ans Kinn und schien über das, was ich gesagt hatte, zu grübeln.
„Dann scheint das Gerücht wahr zu sein", murmelte er und ich nickte begeistert.
Oder besser gesagt, so begeistert, wie man halt sein konnte, im Hinblick darauf, wie gruselig diese Fähigkeit im Grunde war.
„Es gibt also Pflanzen, die eine solche Wirkung haben, richtig?", fragte ich und nun war Nyco derjenige, der nickte. „Dann könnten die Zwillinge etwas darüber wissen. Bestimmt haben sie in der Schule was darüber gelernt"
„Pflanzenmenschen lernen zwar sehr viel über so was, dennoch bezweifle ich, dass sie lernen, welche Arten unter ihnen zu so was Abscheuliches im Stande wären" Rubens Stimme klang nicht sehr begeistert. Sie klang viel mehr kleinlaut, verängstigt, als hätte er Angst vor dem, was wir gerade dabei waren, heraus zu finden.
Nach einer kurzen Weile der Stille, in der jeder für sich selber darüber nachgedacht hatte, erhob ich meine Stimme: „Leute, ich denke, es wird Zeit von hier zu verschwinden, nachdem wir den König gefunden haben und in Lakaria weitere Recherchen und Überlegungen in Gang gesetzt haben"
Es war gut, dass wir nun den Übeltäter unseres Problems kannten, deshalb waren wir schließlich in die Wüste Azrek gegangen, um heraus zu finden, was die Soldaten wahnsinnig machte. Jetzt wussten wir das mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit. Dennoch war uns allen bewusst, dass uns vermutlich nicht mehr viel Zeit blieb, um den König zu finden- falls er überhaupt noch am Leben war. Doch er musste. Wenn er bereits tot war, würde alles den Bach runter gehen. Ganz gleich, ob wir nähere Informationen über den Mann auf dem Gemälde finden würden oder nicht.
Unsere höchste Priorität lag nun dabei, den König zu finden. Dann die Zwillinge und anschließend hier abzuhauen. Wer weiß, ob die Soldaten uns nicht eh schon auf dem Schirm hatten.
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