Die Zeit ist reif
erzählt von Rosalie
Hm, diese krasse Antwort hatte ich irgendwie erwartet, dennoch brachte sie mich völlig aus der Bahn. Ich wollte nachhause. Jetzt. Sofort.
Nach all diesen Fragen und all diesen schwierigen Antworten, brauchte ich erstmal Zeit für mich, um nachzudenken, was nur dazuführte, dass mir noch mehr Fragen in den Kopf schossen.
Waren Soldaten gut oder böse?
Was war das Ziel der Wesen mit dem irrsinnigen Glauben?
Würden sie mich töten wollen?
Konnten Engel fliegen und überhaupt, war es wirklich total unmöglich mit uns Menschen zusammen zu leben?
Leider war die Frage, ob Engel fliegen können, die einzige, die ich mir im Grunde selbst beantworten konnte.
Laetitia sah mich aus ihren Augenwinkeln von oben herab an (versteht mich nicht falsch, das musste sie, da sie bestimmt einen Kopf größer als ich war) und beäugte mich kritisch. Ich war mir relativ sicher, dass sie von irgendwoher spürte, dass mir noch Fragen auf der Seele brannten, doch ich fürchtete, das sei zu viel für heute. Bestimmt war nicht nur ich völlig geschlaucht. Vielleicht lag dies auch ein bisschen an dieser wirklich unglaublich reinen Luft. Wenn man Feinstaub besetzte Luft gewohnt war, war es durchaus möglich, dass völlig klare Luft, meine Lunge überforderte. Womöglich war das anfangs auch für die Zwillinge und Laetitia auf der Erde ein Problem gewesen.
Während all der Zeit der tausend Fragen, waren wir vier einfach nur in der schönen Gegend Lakarias herumgewandert und leider hatte ich auch keine Gelegenheit gehabt, diesen bezaubernden Anblick zu genießen, doch ich schwor, ich würde es nachholen. Ja, ich würde zurückkommen. Aber heute war es wirklich genug.
Abrupt blieb ich stehen und die drei Pflanzenmenschen neben mir sahen mich verwundert und ängstlich an.
„Rosalie, was ist los?", fragte Ophelia und ließ ihren rechten Arm förmlich unter meinen linken fliegen, um mich zu stützen.
Da spürte ich auch schon Laetitias Hand auf meiner Stirn und hörte, wie sie fragte: „Geht es dir nicht gut, mein Kind?"
Ich wimmelte beide ab und schüttelte heftig mit meinem Kopf. „Nein, nein! Ich..." Ich seufzte und sah die Zauberin erschöpft an. „Könnten Sie mich bitte nachhause bringen?"
Sofort nickte sie mütterlich und murmelte: „Selbstverständlich. Du brauchst Zeit, nachzudenken" Erneut sah sie mich kritisch an. „Allerdings spürte ich, dass du noch einige Fragen hast" Ha! Was hab ich gesagt?
„Nun ja, mir sind tatsächlich wieder ein paar eingefallen, aber wäre es in Ordnung, wenn ich Ihnen diese wann anders mal stelle?", fragte ich schüchtern.
Es war mir äußerst unangenehm, die drei so abwimmeln zu müssen, aber mein Kopf rauchte und langsam verspürte ich Hunger und das ganze Reden hatte meinen Mund fusselig und trocken gemacht. Ne Cola wärs jetzt.
Wir schritten ziemlich schweigsam dorthin zurück, wo wir hergekommen waren. Zu diesem seltsamen Pflanzengestrüpp. Am Ende angekommen, blieben wir stehen und ich sah, wie Laetitia ihre Augen schloss, ihre rechte Hand zuerst auf ihr Herz legte, dann auf Brusthöhe in die Luft hielt und letzten endlich ihren eigenen Namen sagte.
Vielleicht musste man das, damit das richtige Tor kam und nicht das von einer anderen Zauberin. Aber ich traute mich nicht zu fragen. Das würde aufhalten und langsam wurde ich von dieser Luft echt müde.
Nachdem sie ihren Namen gesagt hatte, tauchte wieder das weiß-rosafarbene Tor auf, dessen Licht mich erneut so blendete, dass ich mir die Augen zuhalten musste.
Wie beim ersten Mal folgte ich den Zwillingen ohne ein Wort zu sagen, während Laetitia das Schlusslicht bildete. Erneut kam mir eine Überlegung. Vielleicht musste die Herrin des Tores als letzte gehen, damit das Tor wusste, wann es sich zu schließen hatte. Wenn meine Vermutung richtig war, war das echt ein cooler Trick um eventuelle Verfolger loswerden zu können.
Ich trat aus dem Schrank und war hundemüde, obwohl es ziemlich spürbar war, dass unsere Luft schlechter war als die von Lakaria. Ach, was sag ich? Da lagen im wahrsten Sinne des Wortes Welten dazwischen!
„So, da sind wir wieder", lachte Ophelia und hüpfte wie ein Flummi auf der Stelle.
Ich seufzte. „Es wäre irgendwie total schön, wenn alle Menschen die Chance hätten, Lakaria zu besichtigen und diese reine Luft zu atmen"
„Ja, Rosalie, das wäre es", beteuerte Laetitia und in der nächsten Sekunde änderte sich ihre Mimik, sowie ihr Tonfall, rapide. „Aber dies ist unmöglich. Wir können eine Gefährdung durch die Menschen für Lakaria und das Paralleluniversum nicht aus Sentimentalität oder Solidarität hervorrufen"
„Aber... was sollte ein Mensch schon anrichten?", zuckte ich mit den Schultern.
„Wir aus der Parallelwelt haben zwar die Magie und die Fantasie, aber ihr Menschen auf der Erde habt die Waffen, die uns alle und das Land vernichten könnten und es auch zweifelsohne tun würden", erklärte sie bitterernst.
„Sie meinen, Menschen und Mischformen können nicht zusammen leben?"
„Richtig", nickte sie. „ihr Menschen seid machthungrig und würdet binnen einem Jahr alles an euch reißen und die Natur zerstören"
Die Tatsache, dass wir Menschen doch wesentlich länger als ein Jahr gebraucht hatten, um das Ozonloch und die Klimaerwärmung herbeizurufen, behielt ich lieber für mich. Ich war mir sicher, Laetitia war sich diesem sehr wohl bewusst und eigentlich spielte es auch keine Rolle. Sie hatte ja Recht. Erneut.
Ich seufzte resigniert. „Ich weiß. Das haben Sie mir vorhin schon erläutert, aber es ist trotzdem traurig"
„Natürlich ist es das, aber es ist nun mal nicht zu ändern"
Fürsorglich strich sie mir mein Haar zu Recht.
„Aber geh erstmal nachhause und denke über alles nach, was du heute erfahren hast. Dein Vater ist bestimmt ein bisschen irritiert, warum du um diese Zeit nicht zuhause bist"
Oh nein, mein Vater!!
„Mach dir keine Gedanken, er ist erst vor ein paar Minuten nachhause gekommen", zwinkerte mir die Zauberin verschwörerisch zu.
„Was? Woher wissen Sie das?"
„Ich bitte dich, Rose, Laetty wusste auch, dass du heute zu ihr kommen würdest", lachte Delilah.
„Deshalb wart ihr beide hier, nicht wahr?"
„Irgendwie, aber irgendwie auch nicht", zuckte sie mit den Schultern. „Da wir sie möglichst jeden Tag besuchen, war es nur wahrscheinlich, dass wir eines Tages alle drei zufällig hier sein würden"
Hm, ich war mir sicher, dass die drei das geplant hatten.
„Also los, geh", erinnerte mich Laetitia.
„Noch eine letzte Frage" Ich begann, zu lächeln. „Dieses mal aber wirklich. Sie können in die Zukunft sehen, nicht wahr, Laetitia?"
„Sehr recht" Sie erwiderte mit einem stolzen Lächeln. „Die zweite Tochter des Königs und der Königin, Prinzessin Sunshine, und ich sind die Einzigen, die die Macht zu dieser Fähigkeit besitzen"
Tja, irgendwie hatte ich schon länger diese Vermutung in mir getragen, da sie einfach immer Bescheid wusste. Ich meine, klar, bei Eltern war es nicht anders. Sie wussten ganz genau, welcher Kerl einen nur verarscht und welcher vielleicht sogar der Richtige war. Einfach anhand von Fotos. Es war zwar so, dass mein Vater dies noch nie gebraucht hatte, da seine Tochter... nun ja... noch nie verliebt gewesen war und ihm auch noch nie Fotos von einem Wildfremden auf Facebook gezeigt hatte. Doch ich spürte, es würde bald passieren. Jedenfalls hoffte ich es, weil... ich auch nicht jünger wurde.
„Jetzt geh schon", lachten die Zwillinge und schoben mich aus dem Hinterzimmer und schließlich aus Laetitias Laden, die mir freudig nachwinkte, was ich wieder rum erwiderte.
„Es ist spät und irgendwie musst du deinem Dad erklären, wo du warst", gab Delilah zu Bedenken, doch ich zuckte nur mit den Schultern: „Mein Vater weiß, dass ich, wenn dann, nur was mit euch unternehme. Nicht mit irgendeinem dahergelaufenen Kerl, den er nicht kennt"
„Dahergelaufener Kerl" Ophelia schüttelte entrüstet den Kopf und sah zu ihrer Schwester. „Hast du das gehört, Del? Alle Kerle kommen aus einer Gosse und kann man nicht vertrauen"
Ich lachte und schlug ihr sanft auf die Schulter. „Hey! So war das nicht gemeint!"
„Du bist echt gemein, so kriegst du nie einen"
Daraufhin schlug ich Ophelia erneut und streckte ihr die Zunge heraus, bis ich wieder ernster wurde. Die Zwillinge merkten das und hörten auf zu lachen.
„Mädels, nehmt es mir nicht böse, aber dieser Tag war echt heftig. Ich denke, ich brauche für die nächsten Tage meine Ruhe. Ist das in Ordnung?"
Die zwei sahen sich unsicher an. Scheinbar waren sie sich nicht sicher, wie viel Zeit ihnen noch blieb, um Lakaria und die Welt zu retten.
Da versuchte ich sie zu besänftigen. „Ich verspreche, es wird nicht mal ne Woche sein", sagte ich und strich ihnen wehmütig die Arme entlang.
Da seufzten beide und Delilah gab die Antwort: „Na gut, aber bitte beeil dich. Wir haben schon viel zu, viiiiel zu viel Zeit verloren"
Es machte mir Angst in welchem Tonfall sie dies sagte. Als würde morgen die Welt untergehen. Ich biss die Zähne zusammen. Vielleicht war es auch so.
Dummerweise musste ich die nächsten Tage so viel arbeiten, dass mein Kopf überhaupt nicht frei für Gedanken an die Weltrettung waren und ich auch die Zeit zwischen meiner Reise nach Lakaria und dem Tag, an dem die Zwillinge mich zur Rede stellten, gar nicht richtig wahrgenommen hatte. Für mich hatten sie sich wie lediglich zwei Tage angefühlt. Die bittere Wahrheit war allerdings, dass es über eine Woche her war, seitdem ich zuletzt mit den Zwillingen und Laetitia in Lakaria gewesen war. Wahnsinn, wie ich beim Arbeiten immer wieder das Gefühl für die Zeit verlor. Als würde es nichts anderes mehr geben. Und das, obwohl ich mehrfach an dem Laden vorbeigegangen war und ihn nicht bewusst wahrgenommen hatte. Ich hatte Laetitia sogar manchmal zu gewunken! Ohne es richtig zu verstehen, was ich tat!
Oooh, ich schätze, es stand schlecht um meinen Geisteszustand.
Doch vielleicht wusste mein Gehirn auch einfach schon, welche Entscheidung es getroffen hatte, nur hatte es nicht für nötig gehalten, es dem Rest meines Körpers mitzuteilen.
Weshalb dann auch die geduldigsten Pflanzenmenschen ihre Geduld mit mir verloren und mich die Zwillinge eines Tages nach der Arbeit abpassten und in eine kleine Nebenstraße zogen.
Ich schrie, doch Ophelia hielt mir den Mund zu und flüsterte: „Sei still!"
Verwirrt nuschelte ich ihren Namen in ihre Hand und sie nahm sie weg. „Ja, wir müssen mit dir reden"
So seltsam ernst hatte ich Ophelia noch nie gesehen.
„Was ist denn los?", fragte ich völlig unwissend.
„Was los ist??", fuhr mich Delilah wütend an. Es fehlte nur noch, dass sie mich nach hinten schubste. „Du fragst uns, was los ist?" Sie zeigte auf sich und ihre Schwester. „Rose! Du hast versprochen, du brauchst nur ein paar Tage!"
„Ja, hab ich ja auch"
Jedenfalls war ich der festen Meinung davon gewesen.
„Willst du uns verarschen??"
„Nein" Ich sah sie mit großen Augen an. „Moment, wie viel Zeit ist vergangen? Ich musste so viel arbeiten, Doppelschichten übernehmen, weil ihr nicht auffindbar wart"
„Wir mussten Dinge vorbereiten", erklärte Ophelia ruhig. „Und es ist über eine Woche vergangen"
„Eine Woche, Rose!! Du hast gesagt..."
Ich hielt mir den Kopf und unterbrach Delilah in ihrem Wutanfall. „Ich weiß, was ich gesagt hab. Ich hab nur total die Zeit übersehen, weil ich jeden Tag so spät heimgekommen bin. Ich hatte nicht mal richtig Zeit, darüber nachzudenken"
„Wirklich, Rose? Du musstest darüber noch ernsthaft nachdenken??"
Bevor mir Delilah noch wirklich an die Gurgel springen konnte, hielt Ophelia sie zurück und stellte sich vor sie, so dass ihre Schwester mich nicht mehr körperlich erreichen konnte, weshalb sie auch unerwartet scharfsinnig zu ihr flüsterte: „Delilah, verherrsch dich bitte. Wenn du sie jetzt permanent anfegst, überlegt sie es sich vielleicht doch noch anders und du weißt, dass Laetitia uns versichert hat, Rose hätte eigentlich schon längst eine Entscheidung getroffen, nur keine Zeit gehabt, sie uns zu sagen. Also, beruhige dich" Ironischerweise blieb Delilah still und verschränkte bockig die Arme, während sich Ophelia wieder mir zuwendete: „Entschuldige ihre Laune. Sie ist gestresst"
Ich seufzte und zuckte mit den Schultern.
Als ob ich nicht wusste, wie ungemütlich Delilah werden konnte, wenn sie gestresst war und ich konnte mir durchaus vorstellen, dass die Rettung der Welt sehr stressig war.
„Es tut mir wirklich, wirklich Leid, dass ich es vergessen habe", flehte ich und bedachte besonders Delilah mit meinem rehäugigem Blick, doch sie sah beleidigt weg.
„Ach weißt du?", winkte Ophelia ab. „ein bisschen sind wir auch selbst Schuld" Delilah sah sie böse an. „Wir hätten nicht einfach abtauchen und unserer Chefin nichts sagen sollen. Wahrscheinlich hat sie sich furchtbare Sorgen gemacht und du konntest ja nichts sagen. Natürlich musstest du für uns mitarbeiten" Sie verneigte sich wahrhaftig vor mir. „Es tut mir Leid, dass du unseretwegen so abgelenkt warst. Das haben wir nicht bedacht"
Delilah schlug ihr auf den Kopf und Ophelia erwiderte mit einem gequietschten „Au!". „Bist du jetzt völlig beschränkt? Entschuldige dich doch nicht bei ihr! Wir mussten ihre Scheiße ausbaden!"
„Und sie musste unsere Scheiße ausbaden, ich schätze, wir sind jetzt quitt" Ihre Schwester zuckte nur mit den Schultern und Delilah reagierte sofort mit einem erneuten, nur viel schmerzhafteren Schlag auf den Kopf.
„Mädels, Mädels", versuchte ich die Situation zu entschärfen. „das ist doch eigentlich egal. Ich komme mit, ich muss nur meinem Vater eine Nachricht hinterlassen und möchte mich von ihm verabschieden"
„Dafür hattest du genügend Zeit!", blieb Delilah hart.
Ophelia rieb sich den Kopf. Ich nahm an, sie tat es nicht wegen den heftigen Schlägen, die sie kassiert hatte, sondern weil Delilahs Sturheit uns derzeitig nur aufhielt.
„Schwesterherz, natürlich ist mittlerweile sehr viel Zeit vergangen, aber die zehn Minuten, die Rose braucht, um sich von ihm zu verabschieden, egal ob persönlich oder per Brief, sollten wir auch noch verkraften, oder nicht?" Delilah zog verächtlich die Augenbrauen hoch. „Ooooder??" Ophelia setzte das berühmt-berüchtigte Schwester-Erweichungsprogramm in der besten Form als süßer Blick auf, der wirklich immer zog. Immer.
So auch jetzt. Delilah pustete sich genervt eine Haarsträhne von ihrem seitlich liegenden Pony aus dem Gesicht und lockerte ihre Arme. „Ja, na gut, hör nur auf, mich so anzusehen"
Darauf folgte eine wilde Umarmung seitens ihrer Schwester und ein kitschiges, aber ehrlich gemeintes „Du bist die Beste!".
Ich lächelte. „Es wird auch nicht lange dauern"
„So wie beim letzten Mal. Schon klar", motzte Delilah.
„Geh, dein Vater wird es verstehen", meinte Ophelia und ich überhörte vor lauter Eile diese Aussage total. Doch später würde sie mir wieder ins Gedächtnis fallen.
„Wartet hier, ich mache so schnell ich kann", sagte ich und wollte schon in Richtung unserer Wohnung laufen, kam aber nach ein paar Schritte wieder, weil mir noch etwas Wichtiges einfiel. „Komme ich heute wieder heim?"
„Wahrscheinlich nicht", antwortete Ophelia.
„Brauche ich Klamotten?"
„Wirklich, Rose?" Delilah erhob erneut ihre Augenbrauen.
Ich zuckte mit den Schultern und lächelte künstlich. „Ich weiß nicht"
„Du wirst nicht unbedingt Zeit haben, dich zu stylen, fürchte ich. Aber wenn was ist, leihen wir dir was"
Na toll, weil ja Pflanzenmenschen-Klamotten zu mir passten, aber ich schätze, da musste ich durch. Immerhin hatte ich eine Woche lang herumgetrödelt und die armen Zwillinge und Laetitia auf heißen Kohlen sitzen lassen. Echt dumm, wenn man zu versunken in Arbeit war.
Und so lief ich los- so schnell ich konnte.
Wie sollte ich meinen Vater erklären, wohin ich ging und wann ich wieder kam?
Würde er es verstehen?
Und was passierte überhaupt in der Arbeit?
Wenn ich auch noch einfach fort ging, fehlten drei Lehrlinge. Drei Vollzeitkräfte. Das war heftig und das schlechte Gewissen stieg in mir hoch. Doch wenn ich jetzt nicht mit den Zwillingen ging, würde die Welt untergehen und dann würde ich mir bestimmt wünschen, ich wäre nicht so dumm gewesen, hier zu bleiben, nur um den Mädels in der Arbeit nicht noch mehr Stress aufzubrummen. Die Rettung der Welt war eben das Wichtigste. Auch wenn es wirklich schwierig werden würde, unserer Chefin, wie den anderen Kolleginnen, zu erklären, warum die Zwillinge und ich alle verhindert waren. Sollten wir sagen „Hey, wir mussten die Welt retten"? Das glaubte uns doch kein Mensch.
Leise schloss ich die Tür auf und wusste, wo ich meinen Vater nach der Arbeit antreffen würde. In der Küche. Beim Kaffee trinken.
Um ihn in gute Stimmung zu bringen, tat ich so, als sei alles bestens, als müsse ich ihn nicht auch verlassen, so wie es seine egoistische Frau getan hatte.
Und so sagte ich neckisch: „Ich wusste ganz genau, dass ich dich hier finde"
Er drehte sich lächelnd zu mir um. „Und ich dachte, ich finde dich, wie immer nach der Arbeit in deinem Zimmer"
Ich ging zu ihm hin und setzte mich neben ihn.
Ich sah ihn eindringlich an. Vielleicht sah ich ihn heute zum letzten Mal.
Da saß er. Der liebe und ruhige Peter Hansen, groß und schlaksig wie immer, müde von der anstrengenden Arbeit als Lagerist in einer Baufirma, wie er zur Erholung seinen Kaffee ganz schwarz trank. Trotz seiner fünfzig Jahre, die er inzwischen auf dem Buckel trug, einem straffen Arbeitsplan und einer Tochter, die nicht normal sein wollte, hatte er kaum graue Haare. Sein Haar sah wohl noch fast so dunkelbraun aus, wie damals, als er jung gewesen war. Nur vermutlich mit etwas weniger Menge und Volumen. Wie so häufig trug er einen Dreitagebart, der exakt denselben Farbton wie seine Kopfhaare hatte. Einen Bart, den er nicht besonders mochte, aber manchmal tragen musste, weil er nach der Arbeit teilweise einfach zu müde war. Das Hart Arbeiten hatte ich eindeutig von ihm. Ich hatte ihn auch nur einen Tag faul gesehen. Er hatte nie an mir gezweifelt und ich nicht an ihm. Wir waren ein Dreamteam. Deshalb hatte ich nie verstanden, warum meine Mutter so dumm gewesen war, ihn zu verlassen. Eine treue Seele wie meinen Vater verließ man nicht freiwillig.
Nun, ich will euch nicht zu viel verraten, aber... auch hierbei sollte ich eines besseren belehrt werden. Hinter meiner Familiengeschichte verbarg sich mehr, als ich bis jetzt erfahren durfte.
„Was siehst du mich denn so an? Wie war die Arbeit?"
Eilig verdrückte ich die Tränen, die hochzukommen drohten.
„Papa, ich muss dir was sagen", sagte ich mit brüchiger Stimme, doch er erwiderte wie die Ruhe selbst und lachte: „Wärst du ein fremdes Mädchen und nicht meine Tochter, die Jungs scheiße findet, würde ich fragen, ob du schwanger bist"
„Ach Papa, wenn's nur das wäre"
Traurig sah ich auf den Boden.
„Was ist denn schlimmer, als eine Schwangerschaft in deinem Alter?"
Ich sah ihn wieder an, damit er durch meinen Blick den Ernst der Lage spüren konnte und er verfehlte es nicht. „Dad, ich muss dich verlassen. Ich weiß nicht, für wie lange und ich weiß nicht, ob ich jemals zu dir zurückkehren darf. Das mag völlig irre klingen, aber das Schicksal der Welt steht auf dem Spiel und... ich kann dir nicht versprechen, was passieren wird, aber..." Ich redete mich so in Rage, dass ich die Tränen gar nicht wahrnahm, die aus meinen Augen flohen. „aber... die Zwillinge sind bei mir. Sie werden mir helfen. Ebenso wie eine sehr weise Frau"
Da lächelte er mich an und drückte meine Hand ganz fest. „Mein Engel, ich verstehe das. Geh ruhig"
Ich sah ihn perplex an. Ich hatte nicht wirklich viel Reaktion von ihm erwartet, aber dass er sich der vollen Lage absolut bewusst war, war äußerst mysteriös. Viel mehr. Es wirkte, als wisse er Bescheid. Doch woher sollte er das? Ich hatte nie mit ihm über Lakaria gesprochen, weil ich zum Teil keine Zeit gehabt hatte und er auch nicht und weil ich mir nicht sicher war, ob ich es überhaupt tun hätte dürfen.
Dann fiel mir plötzlich Ophelia ein.
Geh, dein Vater wird es verstehen, hatte sie gesagt.
Doch warum?
Woher konnte sie das wissen?
Natürlich kannten und achteten sie meinen Vater. Sie wussten, er war die Chilligkeit in Person, was er wohl während meiner Erziehung gelernt und gebraucht hatte. Wobei er immer wieder betonte, meine Mutter sei auch so temperamentvoll wie ich gewesen, was er an ihr stets geliebt und bewundert hatte.
Himmel, diese ganzen Geheimnisse machten mich verrückt!
Das Lachen meines Vaters riss mich aus meinen verwirrenden Gedanken.
„Kind, geh. Es ist schon okay"
„Nein, ist es nicht!" Ich schniefte und hielt nun seine Hand, die die ganze Zeit meine gehalten hatte, mit beiden Händen. „Du hast schon Mama verloren und jetzt muss ich dich vielleicht auch für immer verlassen"
„Rede nicht so, als sei deine Mutter tot"
„Das... woher weißt du, dass sie nicht tot ist?"
„Glaubs mir, ich weiß es" Er zwinkerte mir verschwörerisch zu.
„Wa-?"
Mehr brachte ich nicht heraus.
Mein Kopf rauchte. Das war zu viel. Das war einfach zu viel.
„Geh, mein Kind, geh"
Ich konnte nicht mehr, als ihn zu umarmen und in seinen Armen das vielleicht letzte Mal zu schluchzen, wie ich es früher immer getan hatte, weil niemand außer er mich verstanden hatte.
„Ich liebe dich, Papa"
„Ich liebe dich mehr, mein Kind"
Wir beide waren aufgestanden, hielten uns aber immer noch im Arm.
„Ich weiß, du wirst es gut machen und eines Tages, wenn die Zeit reif ist, zu mir zurückkehren"
Erneut wollte ich ihn fragen, woher er das wusste. Woher er wusste, dass ich alles richtig machen und mein Bestes geben würde. Woher er wusste, dass ich zurückkehren würde.
Während ich ihn verließ, ins Ungewisse schritt, den Zwillingen sagte, es sei alles okay, betete, dass ich keine roten Augen hatte, schließlich mich von Laetitia in den Arm nehmen ließ, mit den dreien vielleicht für immer die Erde verließ und durch das hell leuchtende Tor der Zauberin wanderte, wurde mir bewusst, woher mein Vater, all dies wusste. Ich gab immer mein Bestes und versuchte stets, das Richtige zu tun. Genau wie er- nur dass ich dabei wesentlich verbissener war als er. Er sagte dann jedes Mal, ich sei da wie meine Mutter. Nicht, dass ich wie diese treulose Tomate sein wollte.
Und weil er an mich glaubte, begann auch ich an mich zu glauben.
Egal, wie schwer es sein würde.
Egal, wie sehr mich alles einschüchtern würde.
Egal, wie oft ich in die Knie gezwungen werden würde.
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