Die Frau, die mich verließ
erzählt von Rosalie
Jetzt stand nur noch Element Wasser auf den heutigen Plan. Ich hoffte, dass ich hierbei ein besseres Kleid anhatte, als Erde. Dieses war mir einfach viel zu girly.
Mittlerweile hatte ich allerdings wieder meine persönlichen Sachen an, nachdem ich, wie bereits vom Übergang von Luft auf Feuer und von Feuer auf Erde, ewig gebraucht hatte, das Element wieder los zu werden. Okay, loswerden klang so böse, dennoch sagte Ruben, ich könne nicht mit dem anderen Element weitermachen, solange das andere noch auf einen Befehl von mir wartete. Ich verstand nicht ganz wie er das meinte. Nyco erklärte mir daraufhin, dass die Elemente wie eigenständige Wesen galten und dass sie sich nur demjenigen anschlossen, der dazu bestimmt war, sie zu bändigen. Als ich ihn fragte, woher er das wisse, sagte er, man lerne dies in der Katzenschule, in der Hundeschule und in jeder Schule, die es in Lakaria gab.
Jedenfalls schien das zu funktionieren. Das jeweilige Element blieb immer solange bei mir, bis ich es mündlich entließ. Dabei war glücklicherweise meine Wortwahl egal. Gut, so musste ich mir wenigstens keinen komplizierten, kryptischen Text merken. Es reichte völlig, wenn ich „Feuer, du darfst gehen" oder „Vorerst wars das" sagte. Allerdings warnte mich Nyco davor, auf meinen Tonfall zu achten. Denn wenn die Elemente spürten, dass ich unfreundlich ihnen gegenüber wurde, konnte es passieren, dass sie mich angriffen.
„Dein Ernst? Die greifen mich dann an??"
„Ja, wir haben ja gesagt, die Elemente sind eigenständige Wesen, die es nicht mögen, wenn man unfreundlich zu ihnen wird" Dann lächelte Nyco und zuckte mit den Schultern. „Aber ich denke, du wirst nur zu denen unfreundlich, die dich nerven, nicht wahr?"
Ich wurde rot. „Na ja, schon. Aber jetzt, wo ich weiß, dass ich es mir mit den Elementen auch verscherzen kann, pass ich auf. Kann es auch passieren, dass sie sich mir verweigern?"
Nyco sah Ruben an und der wiederum Nyco. Beide überlegten.
„Um ehrlich zu sein, haben wir keine Ahnung", gestand Ruben. „Aber vermutlich nicht. Die Elemente wissen, dass sie zu dir gehören und du zu ihnen"
Abgefahren. Ich gehörte zu jemandem. Oder besser gesagt, zu etwas.
„Aber es sollte nie soweit kommen, okay?" Ruben warf mir einen scharfen Blick zu, der mir ganz deutlich verriet, dass ich mein Temperament im Umgang mit den Elementen zügeln und ich sie immer respektvoll behandeln solle.
Plötzlich sah Nyco nachdenklich und ernst in den Himmel. Okay, ein bisschen ernst sah er immer aus. Das war vermutlich sein natürlicher Gesichtsausdruck. Dennoch war er ernster als gewöhnlich.
„Alles in Ordnung?", fragte ich ihn vorsichtig.
Er sah mich wieder an und nickte stumm.
„Es ist nur... irgendwie komisch"
„Was meinst du?"
„Ich spüre eine Unruhe..."
„Ja, ich spürs auch...", bemerkte Ruben.
Na toll und ich spürte wie immer gar nichts außer Hunger!
„Es riecht nach Ärger"
Ich hoffte ja, dass Ruben mit Ärger nicht meinen Schweiß meinte. Ein Bad wäre jetzt wirklich großartig. Bestimmt stank ich schon wie eine alte Katzenlady (immerhin hatte ich den halben Tag mit einem Katzenmenschen und einem Hundemenschen verbracht).
Doch dann wurde Rubens Gesicht unernster und er warf Nyco einen wissenden Seitenblick zu. „Aber das ist noch lange kein Grund, sich vor deinem Job zu drücken"
Völlig regungslos erwiderte Nyco: „Ich sehe nicht, dass das wirklich unbedingt mein Job wäre, das Versuchskaninchen für Rosalie zu spielen. Aber für heute akzeptier ich das"
Ich lachte künstlich auf und rieb mir den Hinterkopf.
Ruben klatschte in die Hände, rief „Hopp! Hopp!" und ich musste lachen und versuchte zu verdrängen, was beide gesagt hatten. Ich wollte nicht, dass es schon wieder Ärger gab. Ich war noch nicht so weit.
So sagte ich, trotz Unsicherheit: „Wasser, bitte komm zu mir". Ich befürchtete auch beim vierten Mal, es würde nicht klappen und das Element würde sich mir verweigern, aber auch dieses Mal erschien es und ich fühlte es in meinem ganzen Körper.
Genau in diesem magischen Moment, verwandelte ich mich erneut in ein viel schöneres Ich. Meine Haare gingen bei meinem Wasser-Outfit bis zu meinem Bauchnabel und waren zu einem niedrigen Zopf gebunden, der von einem wasserblauen Band gehalten wurde, das dieselbe Farbe hatte, wie meine Creolen, mein Lidstrich, der Armreif an meinem rechten Arm und der Großteil des Kleides. Das Kleid an sich sah aus, als wäre es eine einzige riesige Welle und kein Kleid. Es ließ meine rechte Schulter frei und unbedeckt und glitt wie ein wunderschöner, glitzernder Fluss mit violetten Wasserperlen zu Boden. Die violetten Wasserperlen waren natürlich keine echten Perlen, sondern leicht waagerechte, dünne Streifen, die von der linken Schulter bis ganz nach unten zu der kurzen Schleppe des Kleides reichten. Die Sandalen, die ich trug, waren in derselben Farbe wie die Streifen und hatten glücklicherweise keine Absätze. Ich war den Elementen sehr dankbar, dass ich –außer bei meinem Feuerkleid- keine Absätze tragen musste und selbst die bei Feuer waren so minimal, dass ich damit leben konnte. An meinem linken Arm stand in blauer Farbe: Ocean's Wave. Die Welle des Ozeans.
In dem Moment, in dem ich das las, wurde mir bewusst, dass die vier Dinge, die jeweils bei jedem Kleid auf meinem linken Arm standen, entweder der Titel eines Liedes oder eine wichtige Zeile eines Liedes waren.
Nyco stellte sich seelenruhig und völlig mit sich selbst im Reinen ein paar Meter entfernt mir gegenüber hin, hob seine Ohren aufgeregt und wartete. Leider konnte ich aus dieser Entfernung nicht sehen, ob er auch dieses Mal nach meiner Verwandlung freudig lächelte.
„Bist du soweit?", rief er mir aus der Ferne zu.
„Das könnte ich dich fragen", erwiderte ich einwenig belustigt.
Er machte den Daumen nach oben und ich wusste, was zu tun war. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf jede Faser meines Körpers, die Wasser in sich trug. Ich konzentrierte mich auf den Fluss, der ganz in der Nähe von uns war, auf alles, was Wasser in sich hatte.
Dann, als ich soweit war und noch bevor ich das Wasser auf Nyco losließ, flüsterte ich „Tut mir Leid, Nyco" und ließ es passieren. Mit einem lauten „Platsch!!" ergoss sich die nasse Menge auf den armen Nyco, der nicht mal ein kleines Miauen von sich gab. Als ich die Augen wieder öffnete, stand er völlig benässt von mir und Ruben entfernt und sah plötzlich gar nicht mehr so stark aus. Mit traurigen Augen und hängenden Katzenohren versuchte er sich trocken zu lecken und miaute leise wehmütig vor sich hin. Ruben begann lauthals zu lachen und mir tat es einfach unfassbar leid. Wir liefen sofort zu ihm hin und ich wünschte, ich hätte ein Handtuch dabei gehabt.
„Ist alles in Ordnung?"
Ich hoffte, Nyco hörte mein Bedauern.
„Ja ja, alles gut", bestätigte er eher geistesabwesend, weil er immer noch damit beschäftigt war, sich trocken zu lecken.
„Haha, du siehst echt toll aus!!", prustete Ruben weiterhin vergnügt und ich warf ihm einen bösen Seitenblick zu, als ich sagte: „Das ist fies! Nyco hat bei dir doch auch nicht gelacht"
„Ich weiß, tut mir Leid", antwortete Ruben, wirkte allerdings nicht so, als würde es ihm wirklich leid tun, da er immer noch ein wenig vor sich hinprustete. Dann verstummte es endlich und er sagte an mich gewandt: „Ich bin stolz auf dich, Rosalie! Du konntest meine und Nycos Anforderungen sofort in die Tat umsetzen"
„Na ja, sofort war das wohl nicht...", wollte ich widersprechen, doch er unterbrach mich: „Nein, es war großartig, für das, dass du das erste Mal deine Elemente beschworen hast. Mir ist zwar nichts bekannt, dass es jemals einen Menschlichen Part vor dir gegeben hat, der diese Fähigkeit innehatte, doch selbst wenn es da jemanden gegeben hat, der hat sich bestimmt um Weiten blöder angestellt als du"
Ich lächelte ihn an, verbeugte mich dezent und flüsterte ein „Danke". Es freute mich wirklich, dass er das sagte. Ein Lob von Ruben zu bekommen würde bestimmt nicht allzu oft vorkommen, das wusste ich damals schon.
Plötzlich hörte ich jemanden Beifall klatschen und Ruben und Nyco schnupperten in die Luft. Ich sah zuerst verwirrt zu den Beiden, dann zu der Frau, die auf uns zu schritt und anschließend wieder zu den Jungs, in der Hoffnung, dass sie wüssten, wer die Frau war. Doch sie wussten es nicht. Aber sie ahnten es.
Die Frau blieb vor uns dreien stehen, beendete ihren seltsamen Beifall, lächelte mich an und sagte, als ob wir uns schon seit Jahren kannten: „Ich bin beeindruckt wie mächtig du bist, Rosalie. Du bist wirklich gut geworden"
„Wer sind Sie?", fragte ich skeptisch und unhöflich.
Da lachte sie kurz auf. „In deinem Alter war ich auch noch so ungestüm wie du"
„Was soll das denn jetzt heißen? Es ist mein gutes Recht zu erfahren, wer Sie sind!", motzte ich sie an.
„Irgendwie kommt sie mir bekannt vor", bemerkte Ruben und schnupperte näher an die Frau heran. „Ich glaube, ich habe mal ein Foto von ihr gesehen"
„Bestimmt", grinste die Frau dämlich.
„Der Geruch... sie riecht wie..." Bevor Ruben seinen Satz vollendete, sah er wieder mich an und ihm wurde alles klar. „Sie riecht wie du"
„Hast du jetzt Drogen genommen, oder was??"
Wurden jetzt alle verrückt? Wo waren nur die Zwillinge, wenn man sie brauchte?
„Nein, ganz im Gegenteil", sagte Ruben, ohne verletzt von meiner Barschheit zu sein. „Ich weiß jetzt, wer sie ist. Ich war dämlich das nicht mehr zu wissen"
„Aha und wer ist sie jetzt?"
„Sie steht im Buch der Fünf Krieger", erklärte Nyco mit einem Blick aus Stein auf die Frau.
„Es gibt ein Buch über uns??"
„Ja, dort stehen alle Fünf Krieger, die es jemals in Lakaria gab", erklärte Ruben weiter.
„Das würde ja bedeuten, diese Frau" Ich zeigte abschätzig auf sie. „war auch mal eine der Fünf Krieger und so wie sie aussieht, ist sie ein Mensch. Das heißt wieder um, sie muss der Menschliche Part gewesen sein"
„Das ist absolut korrekt, Rosalie"
Die Frau freute sich sichtlich, dass ich die Situation verstand, obwohl ich sie noch nicht vollständig verstanden hatte.
„Es ist richtig, ich war der Menschliche Part der Fünf Krieger, bevor ihr geboren und als Fünf Krieger bestimmt wurdet" Sie erzählte das, als sei das alles völlig normal. Den Gesichtsausdrücken von Ruben und Nyco zu urteilen, war es für beide auch völlig normal- im Gegenteil. Sie waren sichtlich geehrt, dieser Frau über den Weg zu laufen. Mir war sie von Anfang an suspekt.
Bei meiner nächsten Frage sah ich eindeutig Ruben an: „Und warum riecht sie dann wie ich, hm?"
Bevor er mir antworten konnte, wehte ein sanfter Vanilleduft um uns herum und als wir uns umdrehten, kamen Charlotte und Ophelia daher. Ophelia hüpfte wie immer und wank mir aufgeregt zu. Als sie bei uns angekommen waren, war Charlotte mindestens genauso perplex gewesen, wer die Frau war und Ophelia war –sehr zu meinem Ärger- auch noch nett zu ihr.
„Rena, was machen Sie denn hier?", fragte sie.
Warum fragte sie das? Und woher wusste sie den Namen der Frau??
„Du weißt, wer das ist??", fragten Charlotte und ich gleichzeitig und sahen uns angewidert an, als uns auffiel, dass wir dieselbe Frage gehabt hatten.
„Ja klar, sie ist doch..." Ophelia sah zu Ruben und Nyco. „Oh, ihr habt ihr noch nicht gesagt, wer das ist, oder?"
„Das wollte ich gerade", murmelte Ruben genervt.
„Also langsam nervt es mich, dass immer alle alles wissen und ich nichts", motzte ich.
„Tja, dann weißt du ja endlich, was für ein Dummchen du bist", kicherte Charlotte und warf ihre engelhaften, blonden Haare nach hinten.
„Ja also, Rosalie, das ist... ich weiß nicht, wie ich das sagen soll", druckste Ophelia schüchtern vor sich hin, was mir äußerst missfiel. So war Ophelia in letzter Zeit nur gewesen, wenn sie und Delilah gezwungen gewesen waren, mir ihre wahre Identität, Lakaria und alles andere zu verschweigen und dies aufkam.
„Ach, jetzt weiß ich's wieder, wer Sie sind!", verkündete Charlotte. „Sie sind Rena Hansen!"
„Hansen? Wieso denn Hansen?", fragte ich verzweifelt und war den Tränen nah. „Ophelia, ich möchte jetzt sofort wissen, warum diese Frau denselben Nachnamen hat wie ich, mir sehr ähnlich sieht und Ruben meint, sie rieche wie ich"
„Oh, tut sie das?", fragte Ophelia kichernd in Rubens Richtung, der kaum merklich nickte und als sie meinen bösen Blick sah, wurde sie wieder ernst und räusperte sich: „Entschuldige, Rose, es stimmt. Das ist deine Mutter. Es tut mir so Leid"
„Wie kannst du... wie... ich meine..."
Verzweifelt versuchte ich meine Tränen der Wut und der Traurigkeit zu verdrücken, doch mir war absolut bewusst, dass dies hier eine Ausnahmesituation war und ich weinen würde. Vor Charlotte. Vor dieser dummen Frau, die so roch wie ich.
„Es tut mir Leid, dass du es so erfahren musstest..." Wehmütig und tatsächlich reuevoll warf Ophelia Charlotte einen viel sagenden Blick zu und diese senkte wahrhaftig den Kopf und versteckte ihr Gesicht, als könne ich sie nun jetzt nicht mehr sehen.
Auch dass mich Nyco und Ruben so traurig ansahen, machte die Lage nicht besser. Wahrscheinlich wussten sie, dass ich meine Mutter nie wirklich kennen gelernt hatte, weil sie mich und meinen Vater verlassen musste, als ich noch klein war.
Ich sah den Tag vor mir, als sei er erst gestern gewesen. Der Tag, an dem sie mich verließ. Ich war gerade erst zwei Jahre alt geworden. Von einem Tag auf den anderen war sie fort gewesen und ich war damals noch zu klein gewesen, um richtig zu verstehen, dass sie fort war. Umso älter ich wurde, umso mehr fragte ich meinen Vater, warum und wo sie hin war. Immer sagte er: „Sie ist nun an einem Ort, an dem sie mehr gebraucht wird, als hier" Und ich hatte immer geantwortet: „Aber wir brauchen sie doch auch!"
Irgendwann hatte ich aufgehört zu fragen, wann sie wieder kam, weil ich die Antwort wusste und sie satt war immer und immer wieder zu hören. Und irgendwann verdrängte ich die Frau, die mich verließ, aus meinem Kopf und aus meinem Herzen und ließ mich skeptisch gegenüber meinen Mitmenschen werden. Ich wusste, sie würden mich eines Tages genauso verlassen wie sie es getan hatte.
Dann kamen die Zwillinge und das alles hier.
Als mir all das, was ich so bewusst verdrängt hatte, wieder in den Kopf stieg, begann ich mein Herz zu verschließen, wie früher und so zu tun, als sei alles okay. Allerdings tat ich das nicht mit kompletter Perfektion, wie ich selbst zugeben musste. Denn ich war wütend. Ich war so unfassbar wütend. Auf Ophelia und Delilah. Auf Charlotte, weil sie es einfach so raus gehauen hatte, wer diese Frau war und vor allem war ich sauer auf diese Frau mit den schönen roten, welligen Haaren und den gleichen Augen wie ich und der gleichen Größe. Ich hasste sie dafür, dass sie so aussah wie ich in älter. Ich hasste sie dafür, dass sie plötzlich und ohne Vorwarnung und vor allem, ohne dass ich es wollte, Teil meines Lebens wurde. Oh und ich verachtete sie so sehr, dass sie atmete.
Meine Wut und meinen Frust hörte und spürte man, als ich verkündete: „Lasst uns das jetzt vergessen. Warum sind Gwyneth und Delilah noch nicht zurück?" Ich sah Ophelia und Charlotte vernichtend an, Charlotte erwiderte nur mit einem Schulterzucken und Ophelia senkte traurig den Kopf und antwortete: „Um ehrlich zu sein, haben wir keine Ahnung. Ich mach mir selbst Sorgen um sie"
In all meiner Wut, die ich unter anderem auf Ophelia hatte, waren mir ihre Gefühle egal. So sagte ich eisern und kalt wie ein Soldat, der gerade jemanden töten musste: „Wir sollten die Beiden suchen"
In diesem Moment wünschte ich mir zu sterben. Nicht mehr hier zu sein. Einfach weg von hier zu sein.
Erst später fiel mir auf, dass ich die ganze Zeit über in meiner Wasser-Verwandlung gewesen war. Doch seltsamerweise hatte mir diese irgendwie Kraft gegeben.
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