Die Flucht
erzählt von Rosalie
Das Verlassen der Oase, sowie das Durchwandern der schier unendlich riesig wirkenden Wüste Azrek, schien fast genauso unkommunikativ und still zu verlaufen, wie bereits unsere Ankunft gewesen war. Niemand sagte ein Wort, voller Angst, so entdeckt werden zu können. Wir wussten, wir mussten so vorsichtig wie nur irgend möglich sein. So achteten wir beinahe penibel darauf, dass unsere Spuren sofort vom Wind verweht wurden. War dies nicht der Fall, sprang ich mithilfe des Elements Luft ein und hinter uns sah es so aus, als wären wir nie hier gewesen. Dies war jedes Mal sehr beruhigend und zufrieden stellend.
Was mich dennoch beunruhigte, war das Vertrauen der anderen auf die Hexe. Tief in meinem Herzen wusste ich zwar, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, doch trotzdem hatte ich die Befürchtung, sie würde den König nicht heil zurück nach Lakaria bringen. Allein nur deshalb, um uns vor den Prinzessinnen und dem gesamten Volk bloß zu stellen.
Über meine Befürchtungen redete ich nicht mal mit den Zwillingen. Sie würden es doch nicht verstehen. Immerhin verehrten sie die Hexe, als wäre sie eine Göttin. Als wäre sie allein das Heilland für uns alle.
Auch mit Nyco wollte ich nicht darüber sprechen. Es erschien mir nicht wichtig genug, ihn damit zu belasten. Ich war mir zwar sicher, dass er meine Skepsis nachvollziehen würde, doch ich wollte ihm nicht bereits jetzt schon mein ganzes Herz ausschütten. Vor allem nicht die Hexe betreffend. Er hatte schon zu viel von meinem wahren Ich gesehen. Vielleicht sogar mehr als die Zwillinge jemals vor ihm.
Bevor wir jedoch die Oase verlassen hatten, hatten wir unser Vorräte mit Beeren, Früchten und alles, was essbar war und sich lange hielt, aufgefüllt. Immerhin hatte die lange Zeitperiode, in der wir uns in der Wüste und in der Oase befunden hatten, viel Nahrung verlangt.
Während wir dies taten, hatten die Zwillinge gebetet und den Geistern der Sträucher und Bäume, von denen wir nahmen, für ihre Güte gedankt und sie um Vergebung gebeten. Bereits von meiner ersten Reise nach Lakaria, als mir Laetitia einiges aus ihrer Welt erklärt und erzählt hatte, wusste ich, dass besonders Pflanzenmenschen und Schmetterlingsmenschen, aber auch einige andere Individuen an das Shizentum glaubten. Der Glaube daran, dass jedes Ding, jede Pflanze, jedes Lebewesen im Paralleluniversum eine Seele hat. Selbst ich als hart eingesessene Atheistin, die man nicht von irgendwelchen Religionen überzeugen konnte, musste zugeben, dass diese Art des Glaubens bemerkenswert logisch und erstaunlich wenig egoistisch war. Dieser Egoismus, den ich in den Religionen auf der Erde sah, war auch der Grund, warum ich nicht glauben konnte. Warum ich stolze Atheistin war. Manchmal hatte ich den Eindruck, die Menschen auf der Erde glaubten nur, wenn es ihnen nützlich war oder wenn sie dafür ins Paradies kommen würden. Das klang für mich eher wie ein Pakt mit dem Teufel, als wie ein Glaube an einen netten und väterlichen Gott, der alles erschaffen hat.
Wir durchwanderten die Wüste, so schnell unsere Beine oder unsere Flügel es ermöglichten, machten wenig Pausen und hielten die Tage, an denen wir schliefen, kurz. Es war ermüdend, doch wir wussten, es war notwendig. Denn nur in Lakaria waren wir wirklich sicher vor Soldaten. Denn niemand von uns konnte erahnen, wie viele von ihnen uns an den Fersen hingen, geschweige denn, ob wir die Anzahl nur zu fünft bezwingen konnten. In Lakaria hatten wir immerhin das Militär, das uns eine Hilfe sein würde.
Interessanterweise dauerte es bei der Heimreise etwas länger, bis die Haut, sowie die Haare der Zwillinge wieder spröde und kaputt waren. Allerdings konnte ich in der Wüste nicht die Zeit einschätzen und so auch nicht, ob ich mit meiner Annahme richtig lag, dass es dieses Mal tatsächlich länger gedauert hatte. Jetzt wusste ich wenigstens, dass ich mir keine Sorgen machen brauchte, dass dies lediglich eine natürliche Reaktion auf ihre Umgebung war. Das war eine der wenigen Situationen, in denen ich froh war, ein Mensch zu sein. Meine Haare waren so hässlich wie immer. Zumindest für mich.
An jedem Tagesanbruch beschwerten sich die Zwillinge darüber, wie traurig es doch sei, dass wir die Oase verlassen hatten. So sehr ich die beiden auch mochte und ihre Sicht verstehen konnte, langsam ging es selbst mir- ihrer Freundin- auf den Keks. Natürlich stritten sich Charlotte und Delilah jeden Tag und auch das ging uns allen auf die Nerven. Immerhin hatten wir keine Zeit und wir anderen keine Geduld für so was. Doch manchmal hatte ich den Eindruck, dass beide- Charlotte und Delilah- diese Streitereien brauchten, um runter zu kommen, ruhiger zu werden. Um irgendwo ihren Frust und ihre Ängste heraus zu lassen.
Eins der Dinge, die mich am meisten frustrierten, war eine ganz andere Sache, die mindestens genauso belanglos und unwichtig war, wie die Streitereien der Beiden. Es war die Tatsache, dass Nyco seit der Flucht nicht mehr in meinem Zelt schlief. Okay, es war klar, dass dies nicht der Fall sein würde. Immerhin hatten wir nicht die Zeit oder den Kopf frei, um uns anzunähern. So schade es auch war. Doch irgendwie hatte ich Angst, dass die Bindung, die ich in der Oase zu ihm aufgebaut hatte, nicht in Lakaria bestehen würde. Nicht in seiner Heimat, in der er ein Katzenmensch war und ich ein Mensch.
Wie so häufig, in vielen Nächten, in denen wir voran schritten, schaute ich in den Himmel und stellte mir diese Frage. War die Bindung zu Nyco vielleicht gar nicht da und ich bildete sie mir nur ein? Immerhin war ich blutige Anfängerin in Sachen Liebe und hatte keine Ahnung, ob alles, was ich fühlte, richtig und die Wahrheit war.
Die Zwillinge schritten wir immer still neben mir, ich sah sie von der Seite an und sagte laut, aber nicht zu laut, damit es die anderen nicht hören konnten: „Denkt ihr, dass das mit Nyco nur Einbildung war?"
Beide blieben kurz stehen, um mich mit großen Augen anzusehen und gingen sofort wieder weiter.
„Wie kommst du denn darauf?", fragte mich Delilah.
„Ich meine, ich hab keine Erfahrung darin und ich weiß erst recht nicht, ob alles, was ich fühle, richtig ist" Ich seufzte traurig aus. „Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil ich es so sehr möchte"
„Aber Rose, das, was du fühlst, ist immer richtig" Ophelia lächelte mich so süß an wie immer und ich glaubte ihr. „Niemand hat das Recht zu entscheiden, ob deine Gefühle richtig oder falsch sind. Sie sind immer richtig, weil es deine Gefühle sind, verstehst du? Deine Gefühle sind das, was du bist"
Ich konnte nicht anders, als sie breit anzulächeln.
Delilah fügte hinzu: „Es kann natürlich sein, dass du dir das alles eingebildet hast. Das Gehirn macht so was oft, wenn es etwas unbedingt möchte, aber das glaub ich bei dir nicht. Nyco hat nicht so gewirkt, als wäre alles einseitig und als würde er das gar nicht wollen. Außerdem war es immer seine Entscheidung, bei dir im Zelt zu schlafen. Niemand von uns hat ihm gesagt, er soll es tun. Auch nicht Phel und ich" Sie zeigte auf ihre Schwester und sich und grinste. „Um ehrlich zu sein, hat uns das ziemlich überrascht. Auch, dass er ein zweites Mal hintereinander zu dir kam" Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu. „Niemand hat ihm gesagt, sich um dich zu kümmern, nachdem du Gwyneth gerettet hast. Niemand hat ihm gesagt, zu dir zu gehen, als du wütend auf uns warst. Ein Kerl, der dich verarscht, würde all diese Dinge nicht tun"
„Außer er ist echt gut im Lügen", bemerkte Ophelia und legte nachdenklich die Hand ans Kinn. „Aber er wirkt gar nicht so. Er fühlt sich nicht so an"
Ihre Schwester zog skeptisch eine Augenbraue hoch und warf Ophelia einen viel sagenden Blick zu. Ich musste lachen. Manchmal äußerte Ophelia schon ziemlich merkwürdige Sachen.
„Also, ich finde, du solltest dir keine Sorgen machen", sagte sie dann. „Außerdem müsste sich Nyco darauf gefasst machen, dass du ihn mithilfe der vier Elemente umbringst, wenn er dich verarschen würde"
Hierbei begann sie laut zu lachen und auch Delilah und ich stiegen mit ein. Nicht, dass ich das tun würde. Egal, wie wütend und enttäuscht ich wäre, doch eine lustige Vorstellung war es schon.
Unser lautes Lachen brachte uns allerdings sofort energische Beschwerden von Ruben: „Hey, ihr da hinten, lacht gefälligst nicht so laut!"
„Entschuldigung", flüsterten wir ihm zu und kicherten leise weiter.
„Und Phel und ich würden ihm ganz schön einheizen, wenn er sich's mit dir verscherzt", prustete Delilah leise.
„Genau!!", verkündete Ophelia fröhlich.
Während ich lachte, warf ich Nyco einen Blick zu, der eigentlich sofort wieder enden hätte sollen, doch ich sah, dass er auch mich ansah und aus dem kurzen Blick wurde ein langer, der mein Lachen verstummen ließ.
erzählt von Nyco
Ich wusste nicht woher, doch ich hatte die ganze Zeit über das Gefühl, dass Rosalie mit den Zwillingen über mich sprach. Es war mir währenddessen ziemlich gut gelungen, zu verschleiern, wie neugierig ich eigentlich war. Doch als sie leise vor sich hinlachten, nachdem Ruben sie geschimpft hatte und sich Rosalie zu mir umdrehte und sich unsere Blicke trafen, war es mir nicht mehr möglich, so zu tun, als würde ich nichts für sie empfinden. Denn das stimmte nicht.
Mein Herz begann plötzlich wieder lauter und schneller zu pochen, wie in jedem Moment, als ich mit ihr alleine war. Ich vergaß alles um uns herum und es fühlte sich an, als gäbe es nur Rosalie und mich.
Bis sie sich wieder von mir weg drehte.
erzählt von Charlotte
Ungläubig sah ich zwischen Rosalie und Nyco hin und her. Scheinbar hatte ich mir das romantische Verhältnis zwischen den Beiden doch nicht eingebildet. Klar, im Grunde ging es mich nichts an, doch ich war kein Fan davon, eventuell bald ein Paar innerhalb der Fünf Krieger zu haben. Womöglich noch ein Paar, das uns ständig aufhalten und behindern würde, weil sie vielleicht viel zu sehr mit turteln beschäftigt waren anstatt sich auf die Arbeit zu konzentrieren.
Vielleicht sprach auch einwenig die Eifersucht aus mir. Okay. Immerhin war meine letzte Beziehung und Verliebtheit schon über ein Jahr her. Selbst ich sehnte mich nach Liebe und Geborgenheit. Einem Engel, der mich verstand und in seine Arme nahm... tja, doch mein letzter Freund hatte sich von mir getrennt, weil meine anderen Ansichten auf das Engel-Dasein ihm nicht gefallen hatten. Vermutlich war es mein Schicksal allein zu sein. Kein Engel wollte mit einem anderen Engel zusammen sein, der das komplette Zusammenleben in Himmelstor und die Gesellschaft darin, in Frage stellte. Und bestimmt fühlten sich die meisten auch nicht zu einem weiblichen Engel hingezogen, die Teil der Fünf Krieger war.
Urgh, die Intoleranz meiner Art war ein einziges Trauerspiel. Manchmal fragte ich mich, ob das wirklich der Weg war, den unser heiliger Munchi für uns gewollt hatte.
Es war wirklich ziemlich schwierig die Gedankengänge eines Gottes zu verstehen.
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