Der Magie- und Zauberladen
erzählt von Rosalie
Es war einer dieser seltenen Tage, an dem meine beiden Freundinnen Delilah und Ophelia und ich frei hatten. Da wir in derselben Arbeitsstelle unsere Ausbildungen machten, war es sehr schwierig, einen ganzen Tag zu organisieren, den wir nur für uns hatten, da der Lebensmittelladen, in dem wir arbeiteten, sogar sonntags bis mittags offen hatte. Wo ich mich immer fragte, warum man am Sonntag unbedingt einkaufen musste. Aber gut, unsere Chefin wollte jeden glücklich machen, also blieb uns nichts anderes übrig.
Wir liebten unseren Job. Meistens. Aber die Menschenliebe unserer Chefin war ziemlich anstrengend für uns, da so gut wie immer ihre Mitarbeiter darunter zu leiden hatten. Vor allem die Lehrlinge. Und dann noch viel mehr diese, die bald am Ende ihrer Ausbildung waren. All diese Dinge trafen nun mal auf die Zwillinge und mich zu.
Seit Wochen hatten wir uns auf diesen Tag gefreut und panische Angst verspürt, dass er wieder mal ins Wasser fallen würde.
Wir waren ein bisschen shoppen und Kaffee trinken und plauderten über dies und jenes und natürlich kamen wir irgendwann auch auf das Thema Männer und mein nicht existierendes Liebes-, sowie Sexleben. Hätte das Wort „Sex" mehr Buchstaben als nur drei, wüsste ich nicht mal wie man es schreibt, so abwegig fand ich allein schon nur den Gedanken daran.
„Wahnsinn Rose", seufzte einer der Zwillinge, Delilah, resigniert und verwendete wie so oft den englischen Spitznamen, den sie und ihre Schwester mir gegeben hatten, als sie mich vor knapp drei Jahren kennen gelernt hatten. „wie konntest du nur an all diesen gut aussehenden Typen vorbeigehen, ohne auch nur ein bisschen in Wallung zu geraten?"
Auch ich seufzte.
„Delilah, ich brauche so was banales wie einen Mann an meiner Seite nicht. Ich komme auch so durchs Leben", versicherte ich.
Ophelia schlürfte wie immer ihren Schoko-Milchshake so laut, dass uns alle Leute im Cafe missbilligende Blicke zuwarfen. Nicht, dass es der lebensfrohen Ophelia auffallen oder stören würde.
So schlürfte sie also, schluckte und konterte mir prompt: „Aber irgendwann wirst auch du das Bedürfnis nach Liebe, einer Familie und einem geordneten Leben verspüren. Auch wenn du dann vielleicht schon vierzig bist oder so. Und wenn es so ist, wirst du es bereuen, dass du mit 20 gedacht hast, du brauchst nichts und niemanden"
Ebenfalls nahm auch Delilah einen großen Schluck von ihrem Cappuccino, machte eine schimpfende Handbewegung in meine Richtung und sagte: „Und Sex, liebste Schwester, Sex wird sie auch vermissen"
Ich stöhnte. „Also bitte, als ob das das wichtigste im Leben wäre!"
„Ist es, Schätzchen"
„So ein Quatsch!"
„Kein Quatsch! Du bist Quatsch!"
„Na schön und was ist mit dir?"
Während unseres kompletten Wortgefechts war Ophelia still geblieben und hatte lediglich zwischen ihrer Schwester und mir hin und her geschaut, die Leute beobachtet und an ihrem Milchshake genuckelt. Doch als ich plötzlich Delilah auf ihr Liebesleben ansprach, schreckte auch sie hoch. Zwar nicht ganz so stark wie Delilah, dennoch spürte ich schon wieder, dass sie ein Geheimnis vor mir hatten- beziehungsweise etwas vor mir verbargen. Und das hasste ich. Immerhin gehörten die beiden zu den ganz wenigen Menschen, denen ich Einblicke in meine Persönlichkeit und in mein Leben gewehrte und da konnte man doch wohl ein bisschen gegenseitige Ehrlichkeit erwahrten.
Doch ich überspielte dies- wie so vieles in meinem Leben- und tat so, als würde mir diese Tatsache überhaupt nicht auffallen.
„Naaaa, hab ich da einen wunden Punkt angesprochen?", sagte ich boshaft.
Beide schluckten und sahen sich an.
Ich spürte, sie überlegten gerade, was sie mir sagen konnten und was nicht.
„Nun", druckste Delilah. „ich genieße einfach nur mein Leben und... wir haben ja noch viel Zeit"
Erst sehr viel später, während unserer Mission, würde mir die Tragweite dieser Aussage auffallen und bewusst werden. Doch damals dachte ich einfach nur, sie wolle mich veräppeln und für blöd verkaufen.
Deswegen entglitten mir dezent die Gesichtszüge, weil es mir schlicht und einfach wie eine dumme Ausrede vorkam.
„Ach, und ich hab nicht mehr viel Zeit, oder wie?", sagte ich viel gemeiner als ich wollte. „Hey, was soll das? Verarschen kann ich mich selbst!" Fast hätte ich noch ein Ihr verheimlicht mir doch was ausgesprochen, aber ich hatte das Gefühl, die Zeit war noch nicht gekommen, sie darauf anzusprechen.
Die Zwillinge wurden bleich und ich hielt inne.
Diesen zwei Mädchen hatte ich so unglaublich viel zu verdanken, ich musste mein Temperament zügeln. Sonst würde ich sie verlieren. Das wusste ich und genauso sehr, wie ich das wusste, wusste ich, dass ich sie unter keinen Umständen verlieren wollen würde. Dann wäre mein Leben so gut wie vorbei ohne Freunde. Dann hatte ich praktisch nur noch meinen Vater und sich neue Freunde zu suchen war für eine wie mich so unmöglich und schwierig wie chinesisch lernen.
Ich war nämlich nicht gerade gesellschaftsfähig.
Ich war zwar freundlich, aber auch nur bis zu dem Punkt, wo man mir nicht auf die Nerven ging oder mich auf irgendeine Art und Weise auf mein Äußeres ansprach. Ich hatte zwar eine ziemlich große Klappe (wo auch was dahinter war!) und ich mochte mich, dennoch fand ich, hätte sich die Natur bei meinem Aussehen ruhig mehr einfallen lassen können.
Ich hatte rot-blonde schulterlange Haare und mein fransiger Pony fiel mir auf die Seite, so dass ich ihn meistens hinter die Ohren tat. Außerdem war ich sehr klein, was zur Folge hatte, dass ich schon viele Ellenbogen im Gesicht hatte.
Ophelia und Delilah sahen eigentlich komplett gleich aus, wenn da nicht der kleine aber feine Unterschied wäre, dass Ophelia stets eine erdfarbene, nerdige Brille, sowie Glitzerhaargummis trug. Wäre die selbstbewusste und starke Delilah nicht immer an ihrer Seite, wäre Ophelia jemand, der in seiner Jugendzeit in Mülltonnen in der Schule getreten worden wäre.
Delilah brauchte keine Brille (oder benützte Kontaktlinsen??) für ihre braunen, erdfarbenen Augen und trug statt kindlich wirkenden Glitzerhaargummis schwarze oder lilafarbene Haargummis, die ihre hellbraunen, schulterblattlangen Haare stets zu einem hohen Pferdeschwanz hielten.
Das seltsame war, dass beide immer- selbst im Sommer- lange Klamotten trugen und sie aber auch nicht so wirkten, als würden sie darunter schwitzen. Was wirklich an ein Wunder grenzte. Und ich hatte sie auch noch nie nur in Unterwäsche oder Badekleidung gesehen. Fast so, als würden sie ihr Äußeres vor mir verbergen wollen, was wie gesagt, eigentlich kompletter Blödsinn war. Die Beiden waren ein Jahr jünger als ich, sahen aber aufgrund ihrer normalen Größe älter aus als ich Zwerg. Außerdem hatten beide diese skurrilen pinken Haarspitzen, die überhaupt nicht nach Tönung oder Färbung aussahen.
Manchmal fragte ich mich, ob sie mir jemals wirklich alles von sich erzählen würden.
Nichtsdestotrotz liebte ich sie. Mehr als andere auf der Welt und doch tat es unheimlich weh, dass sie sichtlich etwas vor mir verbargen.
Ich ließ nicht viele Menschen an mein Herz, deswegen war es umso schmerzlicher, dass sie mir nicht alles sagten.
Dennoch durfte ich niemals aus den Augen verlieren, wie viel wir schon gemeinsam erlebt und durch gestanden hatten.
Als ich sah, wie sich die Zwillinge unter dem Tisch heimlich an den Händen hielten, seufzte ich, senkte den Kopf und sah sie den Beiden dann anschließend entschuldigend in die Augen.
„Hey, es tut mir Leid, das war... unsensibel" Ich seufzte erneut. „Ihr werdet schon eure Gründe haben, warum ihr mir bestimmte Dinge nicht sagt"
Dennoch war ich so enttäuscht, dass nicht mal ich meine Gefühle verbergen konnte.
Die Zwillinge sahen sich an und dann mich. Das schlechte Gewissen schien sie offensichtlich sehr zu quälen. Wenigstens ein kleiner Trost.
„Rose, es gibt tatsächlich einige Dinge, die wir dir noch nicht sagen können", schluckte Delilah und Ophelia fügte etwas fröhlicher hinzu: „Aber bald. Wenn soweit alles geklärt ist"
„Geklärt? Was meinst du denn damit, Phel?", fragte ich.
„Ja, es gibt da noch ein paar Dinge...", meinte Ophelia.
„Wirklich Rose, sobald es geht, sagen wir dir alles, was wir können und was wir dürfen", beteuerte Delilah und hielt meine Hand, die ich weg zog.
„Ich bin eure Freundin!", entgegnete ich verletzt. „Ihr müsst mir doch soweit vertrauen. Ich versteh das nicht. Warum verheimlicht ihr mir so viel? Soll das bedeuten, dass ich..."
Ich sprach nicht mehr weiter. Als würde es eine Rolle spielen. Allmählich hatte ich den Eindruck, die Beiden spielten nur mit mir und meinen Gefühlen und schienen ihr Versprechen, mir bald alles zu sagen, nicht ernst zu meinen.
Es tat weh und war verletzend, so etwas Schreckliches von seinen einzigen Freundinnen denken zu müssen.
„Was, Rose? Was willst du sagen?", fragte Ophelia einfühlsam.
„Nichts. Können wir bitte über was anderes sprechen?", bat ich und die beiden nickten nur bedrückt.
Wunderbar. Eine der seltenen Mädelstage endete im völligen, depressiven Desaster. Und das nur, weil mir Männer völlig gleich waren.
Nun, das stimmte jetzt auch nicht ganz. Nur gab ich das nicht mal vor den Zwillingen zu.
Natürlich wollte ich einen Freund.
Natürlich wollte ich später Kinder.
Und natürlich wollte ich auch mal einem Kerl begegnen, der mich verstand. Nur glaubte ich langsam nicht mehr, dass ich jemals so einen finden würde.
Die Männer auf der Erde waren so unglaublich primitiv und langweilig. Alle schienen komplett gleich dämlich zu sein.
Da räusperte ich mich, schüttelte diese traurig machenden Gedanken ab und wandte mich wieder an die Zwei: „Hey, wollen wir noch ein bisschen durch die Innenstadt gehen?"
„Warum?", fragte Delilah. „Willst du dir diese Pumps jetzt doch kaufen?"
Ich nickte freudig. „Ja. Vielleicht sollte ich mal etwas mehr in meinem Leben riskieren"
Da strahlten auch die Zwillinge, als kleine Entschuldigung für meine aufbrausende Art vorhin zahlte ich die Getränke, was beide sichtlich besänftigte und so gingen wir zurück in die Innenstadt.
Ich wusste nicht warum, aber irgendwas tief in mir, sagte mir, ich müsse unbedingt zurück in die Innenstadt. Etwas, was mein Leben verändern würde, wartete dort auf mich. Und nein, die Pumps waren das definitiv nicht.
Das seltsame war, dass die Zwillinge mich in dieselbe Richtung zogen, zu der ich sowieso wollte- besser gesagt, zu der ich wusste, ich musste da hin. Es war, als würde uns etwas sehr, sehr starkes zu sich führen. Wie eine Bestimmung. Oder eine Vision. So etwas hatte ich noch nie gespürt. Im Gegensatz zu den Zwillingen war ich kein besonders spiritueller Mensch. Es gab keine Orte oder Personen, zu denen ich mich unerklärlicherweise hingezogen fühlte. Ich war, wo ich war und mit wem ich war und das reichte mir. So unromantisch das auch zu sein mag.
Dann fiel mir etwas noch seltsameres auf.
Die Innenstadt, die ich so gut wie meine Westentasche kannte, wirkte heute anders auf mich als sonst. Mystischer, geheimnisvoller.
Langsam erklärte ich mich selbst für verrückt.
Delilah und Ophelia schien diese Veränderung nicht aufzufallen oder es war ihnen schlichtweg egal. Ich vermutete allerdings das Zweite, da die beiden- wie bereits erwähnt- wesentlich spiritueller waren als ich und sofort irgendwelche Veränderungen spürten. Sei es bei banalen Dingen wie wenn Kollegen oder andere Menschen neue Klamotten oder Frisuren trugen, seltsames Verhalten der Vögel am Himmel oder ob uns jemand beobachtete. Manchmal waren diese Fähigkeiten der Beiden schon einwenig gruselig.
Als ich stehen geblieben war, weil die Zwillinge, deren Hände ich gehalten hatte, stehen geblieben waren, wurde mir schlagartig klar, warum die Innenstadt anders auf mich wirkte als sonst. Irgendein kleiner, aber düster und stark dekorierter Laden, hatte sich zwischen dem Gebäude, in dem sich immer mal wieder eine Kunstausstellung befand und einem Schuhgeschäft gezwängt.
Ich schwöre, dieser Laden war davor noch nicht da!
Völlig perplex schnallte mein Mund immer wieder auf und zu wie bei einem Fisch.
„Rose, alles in Ordnung?", fragte mich Delilah besorgt.
„Du siehst aus wie ein Fisch", bemerkte auch Ophelia.
Augenblicklich hörte ich mit meiner Schnappatmung auf.
„Was... was ist das für ein Laden?" Mit zitternden Fingern zeigte ich auf den geheimnisvollen Laden, der vor einer Stunde noch nicht dort gestanden hatte.
Die Zwillinge sahen sich wieder gegenzeitig an und ich wusste, dass sie Bescheid wussten. Ich räusperte mich und zügelte somit mein Temperament, das am liebsten wieder ausgebrochen wäre.
Ganz ruhig bleiben. Ich wollte die Gefühle der Beiden nicht erneut verletzen.
„Wunderschön, nicht wahr?", strahlte Ophelia.
„Ja, aber..." Ich zögerte. Sollte ich ihnen davon erzählen, dass ich mich zu diesem Ort hingezogen fühlte? Immerhin gab es einige- sehr viele- Dinge, die sie mir verschwiegen.
„Aber?" Delilah hob neugierig die Augenbrauen hoch und in Ophelias Blick konnte ich sehen, dass sie und ihre Schwester durchaus wussten, was ich sagen wollte. „Fühlst du dich etwa zu dem Laden hingezogen?"
Ich druckste. „Ähm... nein!"
„Du lügst", stellte Phel fest.
Ich senkte meinen bestimmt rot gewordenen Kopf. „Ja gut, könnt ihr mir das erklären? Ihr wisst, ich fühle mich nie zu irgendwas oder irgendwem hingezogen"
Delilah nickte ihrer Schwester zu und sagte „Es ist Zeit" und Ophelia erwiderte ihr Nicken ebenfalls und flüsterte ein gewissenhaftes „Ja".
Okay, dieser Laden hatte definitiv etwas mit Delilahs und Ophelias Existenz und all den Geheimnissen, die sie vor mir hatten, zu tun. Das war so sicher wie Reis in der asiatischen Kultur.
„Zeit für was?" Ich wurde leicht hysterisch. „Wovon sprecht ihr? Und könntet ihr mir jetzt bitte erklären, was das für ein Laden ist? Der ist doch vor ner Stunde auch noch nicht da gestanden!"
„Das wissen wir, Rose. Bleib ganz ruhig. Alles ist gut" Ophelia nahm mich in den Arm und streichelte mich, wie ein verwirrtes Hundewelpen, das nicht wusste, so seine Mama war und das gefiel mir ganz und gar nicht.
Es verfehlte gänzlich seine Wirkung. Ophelias Umarmung sorgte nämlich nicht für meine Beruhigung, sondern viel mehr meiner Beunruhigung.
Augenblicklich wandte ich mich von ihr ab und stieß sie weg. „Was soll das? Redet endlich mit mir!"
Die Gesichtszüge der Zwillinge hätten in diesem emotionalen Moment nicht unterschiedlicher sein können. Während Ophelia sichtlich gekränkt von meiner Abwehr ihr gegenüber war, sah mich Delilah ernst und ohne jegliche Gefühle, dafür aber sehr ehrgeizig und bereit für alles, an.
„Phel, ich wollte dich nicht...", begann ich, doch Delilah schnitt mir grimmig das Wort ab: „Lasst uns gehen. Es ist Zeit, dir alles zu sagen, was du wissen musst"
Mein Blick fiel erneut auf Ophelia, die daraufhin nur noch trauriger aussah.
Ihre Augen verrieten mir, dass ich bald- sehr bald, wenn nicht sogar schon heute, endlich ihre und Delilahs Vergangenheit erfahren würde. Und die fröhliche, und doch so sanftmütige Ophelia befürchtete scheinbar, ich würde mich von ihr und ihrer Schwester nach dieser Nachricht abwenden.
Um ehrlich zu sein, konnte ich ihr in diesem Moment keine Garantie geben. Noch wusste ich gar nichts. Das einzige, das ich wusste, war, dass ich einiges nicht wusste und das war absolut niederschmetternd. Nicht umsonst gab es das glorreiche Sprichwort: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß".
Nur zu gern hätte ich Ophelia gesagt, ich würde mich nie von ihnen abwenden. Und sei ihre Vergangenheit und ihre Existenz noch so schrecklich. Aber das wäre eine Lüge.
Ich wusste nicht, wie ich reagieren würde und wenn ich jetzt so darüber nachdachte, war ich auf meine letzten endliche Reaktion ganz und gar nicht stolz.
Sanft ein- und ausatmend und stolz, wie eine Kriegerin, schritt sie in Richtung des Ladens. Ich glaube, wenn die Innenstadt keine Fußgängerzone gewesen wäre und Autos gewagt hätten, sich ihr in den Weg zu stellen, Delilah hätte sie weg gefegt. Allein schon nur durch ihre beängstigende Ausstrahlung.
Ophelia folgte ihr schweigend und immer noch traurig und ich folgte Ophelia, weil ich nicht allein mitten in der Innenstadt stehen wollte.
An der Eingangstür des Ladens blieb Delilah geistesabwesend stehen und wandte sich nicht zu mir oder ihrer Schwester um. Die Frau, die uns durch das Fenster freudig anlächelte und sichtlich erwartete, schien die Besitzerin zu sein.
Zähneknirschend betratt Delilah den Laden und Ophelia und ich folgten ihr.
Es war total ungewohnt für mich, so nervös zu sein, dass ich jede Sekunde befürchtete, meine Knie würden nachgeben. Sonst behielt ich stets mein Selbstbewusstsein und ließ mich von nichts und niemandem einschüchtern. Eigentlich wollte ich gerade nichts mehr, als in die Arbeit spazieren oder einfach fort zu rennen. Weit weg von diesem Ort, der vielleicht meine tolle Freundschaft zu den Zwillingen zerstören würde.
Und doch fühlte ich mich immer noch unglaublich angezogen und ich spürte, ich musste hier bleiben. Für mich. Für die Zwillinge. Und vielleicht auch für die Welt.
„Delilah! Ophelia!" Die Frau lief mit weit ausgebreiteten Armen auf die Zwillinge zu und umarmte diese so, als hätten sie sich seit Jahren nicht gesehen. Doch als sie ihnen dann auch noch Küsschen auf die Wangen gab, dachte ich, sie sei ihre Oma. „Ich bin so froh, dass ihr endlich hier seid. Die Zeit wird knapp"
„Wissen wir, Laetitia", nickte Delilah ernst. „Wir denken, sie ist so weit. Wenn wir ihr es noch länger vorenthalten..." Sie senkte bedrückt ihre Stimme. „ist unvorhersehbar, wie sie reagieren wird"
„Das ist es sowieso, meine Liebe", beteuerte diese Laetitia. „Die Art und Weise, sowie Reaktionen, besonders von Menschen, sind so unvorhersehbar wie das Wetter. Wenn nicht sogar noch unvorhersehbarer und undurchsichtiger"
Besonders von Menschen???
„Entschuldigen Sie bitte", unterbrach ich und die alt wirkende Frau wandte sich zu mir. „was meinen Sie mit Mensch? Auf der Erde leben, soweit ich weiß, nur Menschen, Tiere und Pflanzen"
„Das ist richtig", nickte die Frau, lächelte mich an und zeigte auf einen Stuhl, der neben einem Tarotkartentisch stand. „Das wird ein langes, sehr langes und aufreibendes Gespräch. Du solltest dich setzen"
„Was??? Ich weiß doch nicht mal, wer Sie sind!", warf ich ein.
Ich versuchte ihr so lange wie möglich in ihre dunkelbraunen, klug wirkenden Augen zu sehen, doch sie schienen unendlich und in die Ewigkeit zu führen. Also hielt ich dies nicht stand und sah weg zu den Zwillingen.
Ihre Augen verrieten viel mehr, als es die Augen der Besitzerin taten. Sie sagten mir, dass sie dieser großen, zierlichen Frau mit den mystischen, abgrundtiefen, dunkelbraunen Augen, die ihre weißen, aber kräftigen und welligen Haare, die übrigens seltsamerweise auch rosafarbene Spitzen hatten, zu einem festen Zopf, sowie ein bodenlanges, pechschwarzes Kleid mit wunderschönen Stickereien und ebenso pechschwarzen Schuhen trug, vertrauten. Es wirkte, als würden sie ihr sogar ihre Leben anvertrauen. Die Stickereien, übrigens, schienen, gleich wie sie, aus einer anderen Welt zu stammen.
Halt mal! Andere Welt? Menschen mit unvorhersehbaren Reaktionen?
„Äääh, wer sind Sie überhaupt?", fragte ich deshalb sofort. Kaum hatte ich es ausgesprochen, war mir bewusst, wie unhöflich ich mich wohl gerade benommen hatte. Das war alles andere als gut. „Hören Sie, ich möchte wirklich nicht unhöflich sein, aber eigentlich hatte ich mich auf einen schönen, unbeschwerten Tag mit meinen Freundinnen gefreut. Also, könnten wir uns bitte beeilen?"
Da sah ich wie die Zwillinge ihre Gesichter verzogen und Ophelia sagte: „Rose, ich fürchte, auf fünf Minuten ist das hier nicht besprochen"
„Deswegen sollten wir endlich anfangen" Erneut bot mir Laetitia ihren Stuhl an. „Setz dich"
Seufzend und wehmütig setzte ich mich. Nicht, dass ich das wollte, aber es half ja doch nichts.
„Na gut, wer sind Sie? Woher kennen Sie Delilah und Ophelia? Was haben Sie mit ihnen zuschaffen? Warum und seit wann steht dieser Laden da und warum fühle ich mich zu ihm hingezogen?", überflutete ich sie energisch.
Wenn sie nicht bald mit der Wahrheit raus kamen, explodierte ich.
Doch Laetitia lachte nur, als hätten wir alle Zeit der Welt. Ich erwiderte ihr meiner damaligen Meinung nach, albernes Gelächter mit einem bösen Grummeln.
„Du bist wahrhaftig der menschliche Teil der fünf Krieger!"
„Der was Teil der was?", fragte ich.
Doch da merkte Delilah, dass wir so nicht weiter kamen und übernahm vorerst die Führung und das Kommando: „Rose, das ist Laetitia, sie ist eine langjährige Freundin von Ophelia und mir. Ach, was sag ich? Eine jahrzehntelange Freundin" Skeptisch zog ich die Augenbrauen hoch. „Sie ist eine Magierin und Hüterin eines Tores nach Lakaria, unseres Volkes"
Bei dem Wort Magierin verließ mich endgültig die Geduld und das bisschen Höflichkeit, das mir noch geblieben war. So stand ich Wut entbrannt auf und sah Delilah so böse an, wie mir nur möglich war. „Du willst mich doch verarschen! Eine Magierin aus Lakaria? Was soll das überhaupt sein? Wenn wir nur hier sind, um mich zu verarschen, finde ich das echt nicht witzig! Ihr wisst genau, wie wichtig mir Ehrlichkeit, sowie unsere Freundschaft, sind, aber euch scheint nichts von beidem etwas zu bedeuten!"
„Rose, ich... wir lügen nicht. Bitte glaube mir", flehte Delilah.
Ich hatte sie noch nie flehen gesehen, aber das war mir in diesem Moment so egal gewesen, wie dem IS wohl unschuldige Menschenleben egal waren.
„Rosalie, mein Kind", versuchte es nun Laetitia, ich drehte mich zu ihr um und warf ihr einen so tödlich wütenden Blick zu, der berühmt-berüchtigt und gefürchtet war. Dieser Frau schien es allerdings nicht mal kalt den Rücken hinunter zu laufen. Sie zuckte nicht mal mit den Wimpern. „du bist etwas Besonderes, noch ist dir das vermeintlich nicht klar, aber schon sehr bald, wirst du deiner äußerst wichtigen Aufgabe bewusst sein und sie annehmen müssen"
„Das einzige, das ich annehme, ist Ihre Bekanntschaft und das wars dann auch schon!" Ich wandte mich zum Gehen. „Es hat mich gefreut, Sie kennen gelernt zu haben, obwohl Sie es gewagt haben, mich zu reizen und einen Freundinnen-Tag zu zerstören!"
„Rosalie...", wisperte Ophelia.
„Nein, Phel! Lass mich in Ruhe!"
Und mit diesen stürmischen Worten verließ ich den Laden, meine Freundinnen, sowie diese Frau.
Und sofort bereute ich erneut mein Temperament.
Verdammt! Heute war echt nicht mein Tag!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro