Theorus' Krönung
erzählt von Nyco
Auf einem hohen Baum, auf einem Ast sitzend, sah ich in meiner Katzenform dem Regen zu, wie er laut und stark zu Boden fiel und alles überschwemmte.
Erst gestern hatten wir die Mondstraße verlassen und hatten uns so immer mehr von Lakaria entfernt. Irgendwann bemerkte Gwyneth, dass der Himmel immer dunkler wurde, doch da war es schon zu spät. Ein plötzlicher Platzregen hatte uns eilig unseren Schlafplatz aufbauen lassen.
Da Rosalie die Einzige mit einem Zelt war und wir alle pitschnass waren, ließ sie jeden von uns nacheinander in ihrem Zelt allein, damit wir unsere nassen Klamotten los werden und uns umziehen konnten. Diese Klamotten legten wir nebeneinander unter unsere Schlafplane, unter der wir alle –außer Rosalie- wie immer zu schlafen pflegten. Leider konnten wir sie nicht aufhängen, da es seit Stunden im Strömen regnete. Es würde wohl oder übel eine Ewigkeit dauern, bis sie trocken waren.
Von dem Baum aus sah ich auf den unordentlichen Schlafplatz. Die meisten schliefen. Selbst die Zwillinge schliefen in ihren reichlichen Kissen und Decken unter der Plane. Die Einzige, die es nicht tat, war Gwyneth. Erst vorhin hatte sie sich beschwert, dass sie selten bei so lautem Regen schlafen konnte und dass sie nicht verstehe, wie Ruben mit seinen guten Hundeohren das konnte. Also lag sie da und las ein Buch, was sie laut eigener Aussage schon sehr lange nicht mehr getan hatte.
Ich für meinen Teil konnte auch nicht schlafen. Bei mir lag es aber viel mehr daran, dass ich einfach nicht müde war. Selbst das Schmuddelwetter machte mich nicht müde genug. Darum hatte ich beschlossen, mich in meiner Katzenform auf einen Baum zu sitzen und nachzudenken.
Ich dachte an den gestrigen Tag. Daran, wie ich hatte zulassen können, dass Rosalie alleine in die Mondstraße ging. Wie ich zulassen hatte können, dass sie fast stirbt. Sie war nicht nur für das Team und die Mission wichtig, sondern auch für mich persönlich.
Manchmal hatte ich das Gefühl, als sei sie alles, was ich brauchte, alles, was ich wollte. Als wäre sie die Lösung eines jeden Problems. Meine Erlösung. Meine Zuflucht. Das Licht am Ende des sehr langen, dunklen Tunnels der Einsamkeit.
Und doch hatte ich sie fast leichtfertig sterben lassen.
Ich gab ein böses Grummeln von mir, weil Katzen nicht seufzen konnten.
Diese ganzen Gedanken an Rosalie machten mich verrückt. Ich musste sie sehen. Auch, wenn es erst ein paar Stunden her war, seitdem ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Es war lächerlich und doch spürte ich es in jeder Pore meines Katzenkörpers, dass ich zu ihr musste.
So sprang ich ohne Probleme von dem hohen Baum, tapste zum Schlafplatz und versuchte dabei, möglichst wenig nass zu werden, was natürlich sehr schwierig war. Doch dies war der Grund, warum ich als Katze herum lief. Sobald ich mich in meine Mischform zurück verwandelte, war ich komplett trocken, als sei nichts geschehen.
Allerdings waren meine Pfoten selbstverständlich voller Matsch. Ich drehte mich mehrfach im Kreis und suchte nach etwas, an dem ich sie säubern konnte. Da entdeckte ich das Handtuch, mit dem ich mich vorher in Rosalies Zelt abgetrocknet hatte.
Dann tapste ich zu ihrem Zelt und strich mit der rechten Pfote über ihren Eingang. Das Zelt bewegte sich. Plötzlich hörte ich den Reißverschluss, Rosalie steckte ihren Kopf heraus und sah mich verwundert an.
„Nyco? Ist alles in Ordnung? Warum bist du in Katzenform?", fragte sie.
Ich miaute zurück, in der Hoffnung, dass sie mich verstand.
„Hm, ich vermute, du willst mit mir reden, richtig?"
Ich nickte mit meinem Katzenkopf.
Sie lächelte und machte den Eingang leicht auf, so dass ich hindurch schlüpfen konnte, während sie sagte: „Na dann, komm rein" Als ich drinnen war und mich hinsetzte, fragte sie: „Aber warum verwandelst du dich nicht zurück, wenn du willst, dass ich dich verstehe?"
Da verwandelte ich mich tatsächlich zurück und saß komplett trocken vor ihr.
„Weil ich in Katzenform besser durch den Eingang komme", erklärte ich. „In meiner Mischform ist er zu eng für mich"
Rosalie blickte kurz zum Eingang und murmelte. „Hm, das stimmt wohl" Schließlich wandte sie ihren Blick wieder zu mir und sagte: „Womit kann ich dir helfen? Wo bist du überhaupt gewesen? Ich habe dich draußen gar nicht schlafen sehen"
„Ich bin nicht müde", antwortete ich. „Darum habe ich mich als Katze auf einen Baum gesessen und nachgedacht"
„Oh", machte sie. „Über was denn? Wenn ich fragen darf natürlich..." Sie sah beschämt zu Boden.
Ich lächelte sanft. „Ach, nicht so wichtig. Ich hoffe, ich habe dich nicht auch beim Schlafen gestört"
Sie winkte lachend ab. „Oh nein, ich habe aufgeräumt und so was" Dann legte sie nachdenklich ihren Kopf zur Seite, so dass ihr langes, rötliches Haar fast den Boden berührte. „Also, noch mal, warum bist du hier?"
Wenn ich das nur wüsste.
Ich räusperte mich und sagte die Wahrheit. „Ich wollte dich sehen"
Erstaunt blinzelte sie mehrfach auf. „Du hast mich doch erst vor ein paar Stunden gesehen"
Ich senkte den Kopf und nickte ertappt. „Das stimmt, aber..."
„Ist schon gut. Ich freu mich, dass du da bist", sagte Rosalie und lächelte mich dabei so süß an, dass ich für ein paar Sekunden vergaß zu atmen.
Eine Weile lang sah Rosalie traurig aus dem Zelteingang und bedauerte, dass wir nicht weiter gehen konnten. Ich für meinen Teil machte mir eher Gedanken darüber, wie es ihr nach den Vorkommnissen in der Mondstraße ging.
Sie lächelte mich erneut unfassbar süß an und antwortete: „Ganz gut. Mein Hals tut noch ein bisschen weh von dem ganzen Würgen, aber ich denke, das war mir eine Lehre"
„Das will ich doch hoffen", seufzte ich.
„Weißt du, was unfair ist, Nyco?", fragte sie mich schließlich. Als ich nur mit den Schultern zuckte, antwortete sie sich selbst: „Ich habe dir beim letzten Mal, als wir gemeinsam in meinem Zelt saßen, meine halbe Lebensgeschichte erzählt. Du weißt so viel über mich, aber ich weiß im Grunde gar nichts über dich"
„Da gibt es nicht viel, was du wissen musst", murmelte ich.
Dass ich wohl einige seelische Probleme hatte, von Alpträumen gequält werde und nicht sonderlich beliebt in der Katzenschule in Nyala gewesen war, weil viele mich für seltsam und langweilig hielten, wollte ich ihr nun wirklich nicht unter die Nase reiben. Schließlich wollte ich endlich ihr Herz erobern und in dem ich ihr die Ohren voll jammerte, würde ich dies gewiss nicht erreichen. Vor allem, da ich mir nicht sicher war, ob man eine Rosalie Hansen jemals erobern konnte. Geschweige denn, ob jemand wie ich es schaffte.
Mir war klar, falls es mir tatsächlich eines Tages gelingen sollte, dass sie all diese Dinge irgendwann erfahren würde. Auch, weil mir bewusst war, dass sie es verdient hatte. Doch ich wollte das um jeden Preis so lange hinauszögern, wie es möglich war.
Enttäuscht sah mich Rosalie an, versuchte es allerdings zu überspielen. „Oh, na gut, wenn du meinst. Ich will mich dir nicht aufdrängen"
In ihrem letzten Satz, der eigentlich so einfach war, hing etwas sehr verletzliches mit und augenblicklich tat mir meine Unaufrichtigkeit unfassbar leid.
Sie sah deprimiert zur Seite und schenkte mir kein bisschen ihrer Aufmerksamkeit mehr. Jetzt hielt sie mich sicher auch für langweilig. Toll.
„Du hast vielleicht Nerven", murmelte sie wütend und sah mich endlich wieder an. „Tauchst hier auf, behauptest mich sehen zu wollen und doch willst du nicht, dass ich irgendwas über dich erfahre. Kannst du mir mal sagen, wie ich dir jemals vertrauen soll, wenn ich doch nichts über dich weiß? Wenn ich nicht weiß, was du magst, was du nicht magst, was du in Nyala vorher gemacht hast und so weiter. Ich weiß nur das, was jeder Idiot weiß"
„Es tut mir Leid, Rosalie..."
„Ja, mir auch", blaffte sie. „Deine Vergangenheit und du könnt gar nicht so schlimm sein, wie du tust. Ich bin mir sicher, nichts von dem, was du denkst, das mich dich hassen lässt, ist so furchtbar, dass ich der Meinung bin, du wärst ein schlechter Kerl" Ihr Ton, sowie ihre Mimik wurden weicher und freundlicher. „Ich habe ein Problem mit Sozialem, ja und ich flippe zu schnell aus, oh ja, doch ich hasse nicht einfach so. Zum Beispiel meine Mutter, ich hasse sie, weil sie ein Feigling ist und meinen Vater und mich im Stich gelassen hat, wie du weißt. Doch bis jetzt sehe ich weder, dass du ein Feigling bist, der sich vor seiner Verantwortung drückt, noch, dass du mich im Stich lassen wirst" Im nächsten Moment schien sie ihre Füße sehr interessant zu finden und starrte diese an, während sie weiter sprach: „In gewisser Weise kann man sagen, dass du in dieser kurzen Zeit wesentlich mehr für mich getan hast, als Rena jemals" Zum Glück sah sie wieder hoch und lächelte mich an. Doch als ich ihr Gesicht wieder betrachten konnte, sah ich die kleinen Tränen in ihren Augen. „Ich könnte dich nur hassen, wenn du ein Sexualstraftäter oder Mörder wärst"
Ich wollte etwas sagen, ich musste etwas sagen, doch ich brachte keinen Ton heraus. Mir fielen keine Worte ein, die ihrer in diesem Moment würdig gewesen wären. Außerdem machte es mich wütend, dass ich sie erneut zum Weinen gebracht hatte.
Doch irgendwie musste ich schmunzeln. Sexualstraftäter und Mörder. Sie setzte die Messlatte für ihren Hass sehr niedrig, schon fast niveaulos.
„Es gibt keine Mörder oder Sexualstraftäter in Lakaria", sagte ich etwas amüsiert. „Die einzigen Mörder, wenn du es so sehen möchtest, wären die Soldaten. Aber diese zählen wohl eher nicht"
„Es gibt wirklich keine bei euch in Lakaria?" Rosalie sah mich mit offenen Augen an, als könne sie es gar nicht glauben, was ich ihr gesagt hatte.
Ich schüttelte mit dem Kopf. „Nein, in anderen Stadtstätten schon, aber bei uns nicht"
„Das ist so krass" Nun war es Rosalie, die den Kopf ungläubig schüttelte. „Man kann also als Mädchen alleine von einer Party nachhause gehen, ohne dass etwas passiert?"
„Natürlich kannst du das" Dann lachte ich. „Vor allem, du kannst das, Rosalie Hansen"
„Ich meine, wenn ich nicht der Menschliche Part wäre"
„Selbst dann würde dir höchstwahrscheinlich nichts passieren" Ich überlegte kurz, bevor ich weitersprach: „Und wenn doch, wäre es ein Fremder, der gar nicht nach Lakaria gehört. Aber wieso kommt dir das so außergewöhnlich vor? Ihr Menschen könnt das doch auch"
„Nein, eben nicht", sagte Rosalie. „Als Mädchen musst du immer überall damit rechnen, dass dich einer angrapscht, vergewaltigt oder umbringt. Deswegen ist es immer besser, wenn man eine größere Gruppe dabei hat"
Ich sah sie mit großen Augen an, so wie sie mich vorhin angesehen hatte, nahm ihre beiden Hände in meine und stotterte: „Ist dir auch schon... also, ist dir...?"
Sie schüttelte den Kopf, lächelte und erwiderte den Druck meiner Hände auf ihren. „Nein, ich gehe nicht oft aus und wenn doch, hätte mich sicher keiner angegraben"
Rosalie lachte über ihre eigenen Worte, als fände sie sie witzig. Doch ich war ganz anderer Meinung. Um ihr dies zu zeigen, streichelte ich ihre Hände, die immer noch fest von meinen umschlossen wurden, sanft mit meinen Daumen, sah ihr tief in die Augen, schluckte und sagte leise: „Ich bin mir sicher, dass ich nicht der Einzige bin, der dich toll findet"
Kurz stockte sie, schien etwas sagen zu wollen und ließ es dann schließlich. In diesem Augenblick wünschte ich mir nichts sehnlicher, als sie endlich zu küssen und sie für immer in meinen Armen zu halten. Ich sah ihr weiterhin in die Augen, versuchte den Drang zu widerstehen und hörte lediglich den Regen, der hart und stark gegen das Zeltäußere trommelte.
„Sag mal, Nyco, ein anderes Thema", begann Rosalie.
Ich zuckte zusammen und löste meine Hände aus ihren. „Ja?"
„Ich habe vorhin über den König nachgedacht" Sie sah kurz zur Seite und anschließend wieder zu mir. „Ich weiß nicht. Irgendwie denke ich seit der Rettung ständig an ihn. Er ist so stark, so willensstark. Außerdem hoffe ich, dass er mittlerweile erwacht ist. Meinst du, er ist wieder bei Bewusstsein?"
„Das ist er sicher", versuchte ich sie zu beruhigen.
„Wie kannst du dir da sicher sein?", fragte sie beunruhigt. „Vielleicht ist er inzwischen... gestorben"
„Ich denke, dass wir Bewohner Lakarias es spüren würden, wenn es so wäre" Ich legte etwas den Kopf schief, um nachzudenken. „Vielleicht würdest du das auch merken. Immerhin lebst du schon ein paar Monate in Lakaria und identifizierst dich langsam mit uns. Außerdem scheinst du dem König ähnlich zu sein" Bei dem letzten konnte ich mir ein sanftes Lächeln nicht verkneifen.
„Wie meinst du das?" Rosalies Augen wurden sofort wieder groß.
„Du bist genauso stark wie er", sagte ich. „Charakterlich wie von den Fähigkeiten. Ihr beide hasst es, wenn ihr etwas nicht wisst und angelogen werdet. Ihr seid beide ein wenig idealistisch und wollt immer das Richtige tun. Ich kenne kaum jemanden, der so aufrichtig ist wie du und der König"
Sehr im Gegensatz zu mir selbst.
„Ich bin mir sicher, wenn du an der Stelle des Königs gewesen und gefoltert worden wärst, wärst du immer noch am Leben und würdest es überstehen", redete ich weiter. „Weil ich glaube, nein, weil ich weiß, dass du alles schaffen kannst, Rosalie"
„Wow, danke..." Rosalies Erstaunen machte aus ihrer sonst eher lauten Stimme ein leises Flüstern.
Unausweichlich musste ich so breit lächeln, wie ich es viel zu selten in meinem Leben tat.
„Soll ich dir die Geschichte erzählen, wie sich König Theorus und Königin Juilette kennen gelernt haben?", fragte ich sie schließlich, um unbemerkt das Thema wechseln zu können und augenblicklich erstrahlten ihre bezaubernd dunkelbraunen Augen mit den wunderschönen lavendelfarbenen Sprenkeln, die während der ersten Mission in der Oase entstanden waren.
„Sag bloß, du kennst sie!"
Ich nickte, verstand ihre Freude als Ja und begann sogleich mit der Geschichte des Königspaares von Lakaria.
König Theorus und Königin Juilette lernten sich bereits vor über zwanzig Jahren kennen. Zu einer Zeit, in der noch einiges anders war, als es heute war.
So wusste Rena Hansen noch nichts von ihrer Bestimmung, war frisch verheiratet und ihre Tochter Rosalie noch nicht auf dem Weg ins Leben.
So walteten also die Generation Fünf Krieger ihres Amtes, noch bevor es Rena getan hatte.
Der frisch gekrönte König Theorus hatte eine sehr harte Zeit in seinen so jungen Jahren hinter sich. Ursprünglich war sein älterer Bruder Jonasan, ein begnadeter Medizinmann, der sich schon seit seiner Kindheit für Bräuche, Mixturen und Spirituelles interessierte und der für nahezu jedes Problem einen Trank brauen konnte, als nächster König von Lakaria vorgesehen gewesen. Doch Theorus' und Jonasans Eltern, Königin Timea und König Vinzenson, hatten die letzten Jahre vor der Krönung immer öfter bemerkt, wie merkwürdig und beängstigend ihr ältester Sohn wurde. Er kapselte sich immer mehr von seinen Mitwesen ab, um skurrile und teilweise übel stinkende Gebräue zu mixen, die seine Eltern beinahe um den Verstand brachten. Diese Mixturen probierte er nicht allzu selten an Unschuldigen, Dienstboten oder gar seinem Bruder aus und erfreute sich, falls seine Experimente sadistische und schmerzhafte Auswirkungen für sein Opfer hatten.
All dies waren Dinge, die er früher nicht gehabt hatte. Doch irgendetwas oder vielleicht sogar irgendjemand hatte ihn verändert. In seiner Jugend war er nicht so boshaft, besessen und sadistisch gewesen.
So war also Theorus' Eltern klar, dass es unzumutbar für das noch relativ junge Lakaria gewesen wäre, ihren außer Rand und Band geratenen, gefährlichen älteren Sohn wie geplant zum König zu krönen. Denn ihnen war es wichtig, dass Lakaria größer wurde, wirtschaftlich gut lief, eine Zukunft hatte und selbstverständlich, dass die Bewohner glücklich waren. Das alte Königspaar hatte stets versucht, so gewissenhaft wie möglich, Entscheidungen zu treffen, die gut für ihr Volk waren. Doch sie wussten, Jonasans veränderte Persönlichkeit würde womöglich eher das Gegenteil mit sich bringen: Der Untergang Lakarias. Dem Stadtstaat, den sie jahrzehntelang zu dem aufgebaut hatten, was es war.
So entschieden sie sich letzten endlich gegen Jonasan und für Theorus' Krönung, nachdem sie sich wochenlang mit den Zauberinnen Lakarias, sowie ihren Beratern und Freunden darüber unterhalten hatten, um ihre Meinungen und Gedankengänge berücksichtigen zu können.
Der damals 25 jährige Jonasan war daraufhin selbstverständlich sehr erzürnt und erbost gewesen, hatte sich hintergangen gefühlt und hatte anschließend einige Jahre seine Heimat verlassen. Doch bevor er dies tat, ließ er sich es dennoch nicht nehmen, bei der Krönung seines Bruders dabei zu sein und so boshaft und gemein wie er war, seinem Bruder böse Anfeindungen entgegen zu bringen, um seinen Triumph zu lindern. Theorus war es zwar nicht Recht gewesen, König zu werden. So hatte er gegenüber seinem Bruder doch ein schlechtes Gewissen und sagte dies ihm auch häufig, doch Jonasan glaubte ihm nicht, beschimpfte ihn sogar mehrmals.
Am Tag seiner Krönung, die extra auf seinen 22. Geburtstag gelegt wurde, war Theorus natürlich sehr nervös, zupfte an seiner traditionellen Uniform und betrachtete sich im Spiegel, als es plötzlich an der Tür klopfte.
„Herein", bat er und seine Mutter steckte den Kopf durch die Tür und betrat den Raum.
„Bist du soweit?", fragte Königin Timea mit ihrer sanftmütigen Stimme, umarmte ihren Sohn von hinten und strich anschließend seine Uniform zu Recht. „Du siehst wundervoll aus. Ich verstehe wirklich nicht, warum du noch keine Frau gefunden hast"
„Oh, Mutter!", schimpfte Theorus und drehte sich zu ihr um.
Die alte Königin lachte laut auf. „Entschuldige, aber es ist so amüsant, dich damit aufzuziehen. Nein, aber ernsthaft, Sohnemann, langsam wäre eine Schwiegertochter angebracht. Wie lange willst du noch auf die Richtige warten? Denkst du, sie fliegt dir zu?"
Theorus wandte sich wieder seinem Spiegelbild zu und zupfte an seiner Fliege in den Farben Lakarias herum.
Grün für die Natur und die Hoffnung auf eine gute Zukunft, blau für den Himmel, an dem die Schmetterlingsmenschen fliegen und das Meer und in der Mitte einen goldenen Kreis als Sinnbild für die Sonne.
„Nein, natürlich nicht, aber ich habe zurzeit einfach nicht den Kopf dafür", seufzte Theorus. „Außerdem will ich mich nicht willkürlich in irgendeine Frau verlieben. Es soll die Eine sein, verstehst du, Mutter? Und Jonasan ist auch unverheiratet und bei ihm sagst du nichts"
„Er wird auch nicht mehr König" Nun war es seine Mutter, die laut aufseufzte. „Und so merkwürdig und unsympathisch, wie er mittlerweile ist, wird ihn sowieso nie mehr eine Frau anschauen. Dabei ist er so ein gut aussehender, junger Mann. Ich werde wohl nie verstehen, warum er so geworden ist"
„Das wissen wohl nur die Götter", murmelte Theorus.
„Hat er noch was zu dir gesagt?", fragte die Königin.
„Das übliche", antworte Theorus gelangweilt.
Sein Bruder hatte auch heute wieder nur den üblichen Blödsinn von sich gegeben. Was er nur für ein Verräter und ein mieser Bruder sei, ihm den Thron zu klauen und dann auch noch zu behaupten, man wolle ihn nicht. Anfangs hatte Theorus versucht, Jonasan davon zu überzeugen, dass er weder den Thron wollte, noch log. Später hatte er die Hoffnung aufgegeben und seinem Bruder immer wieder aufs Neue vor die Augen führen wollen, dass es richtig war, ihn zum König zu machen, anstatt Jonasan. Doch dies hatte nur alles noch schlimmer gemacht. Mittlerweile ließ Theorus die Beschimpfungen seines Bruders nur noch über ihn ergehen. Es gab nichts mehr, was er ihm sagen konnte und eigentlich wollte er ihm auch nichts mehr sagen. Jonasan widerte ihn an.
„Es tut mir so Leid...", beteuerte seine Mutter.
Ehe sie zu weinen begonnen hätte, drehte sich Theorus wieder zu ihr um und nahm sie in den Arm.
„Das ist nichts, was dir leid tun müsste", sagte er. „Jonasan ist selbst daran schuld und ich bin froh, wenn er endlich nach der Krönung verschwunden ist. Auch, wenn es gemein sein mag, das zu sagen"
Seine Mutter nickte wissend und traurig und sagte anschließend: „Nun, mach dich fertig. In zehn Minuten beginnt die Zeremonie und in einer Stunde bist du bereits König"
Theorus war klar, dass er sich darüber hätte freuen sollen und doch konnte er es nicht. Er war damals nicht der Meinung gewesen, dass er geeignet für den Job sein würde, so jung wie er war.
Seine Mutter öffnete die Tür, wandte sich noch mal kurz an ihn und sagte: „Wir warten auf dich" und verließ ihn.
Theorus seufzte auf.
Anschließend gab er sich wirklich Mühe, die Zeremonie zu genießen oder wenigstens so zu tun. Doch er tat es nicht. Er wusste, nach diesem Tag, dieser Stunde, wäre sein altes Leben vorbei. Die Unbeschwertheit. Von nun an würde all die Verantwortung des jungen Stadtstaates Lakaria auf seinen Schultern lasten. Jeder Fehler, alles, was falsch laufen könnte, wäre von nun an seine Schuld.
Die Zeremonie ging endlich vorbei, alle redeten auf ihn ein und beglückwünschten ihn. Außer einer. Sein Bruder. Dieser warf ihm den ganzen Tag böse Blicke zu, die Theorus eindeutig signalisieren sollten, dass Jonasan nur darauf wartete, bis er einen schwerwiegenden Fehler machen würde und Jonasan sich an ihm rächen konnte.
Doch Theorus versuchte dies, zu ignorieren.
Zwei Tage nach der Krönung verschwand Jonasan, hinterließ lediglich einen kurzen, aber dennoch leicht verstörenden Brief an ihre Eltern. Darin schrieb er das, was Theorus während seiner Krönung befürchtet hatte. Er schrieb, dass er Rache an allen üben und dass sie es bald bereuen würden, nicht ihn zum König erwählt zu haben.
Während die Alt-Königin, die durch Theorus' Krönung nun die Bezeichnung Freiherrin inne trug, erschüttert war und in Tränen ausbrach, pochte in ihrem Mann Vinzenson eher die Wut auf.
„Dieser dumme Idiot!", schrie er wütend und schlug mehrfach auf den Esstisch. „Ich wusste, wir hätten ihn vor Jahren sicherheitshalber in den Kerker sperren und nie wieder rauslassen sollen!"
Seine Frau, die auf einem Stuhl zusammen gekauert dasaß, sah erschrocken zu ihm auf. „Aber Vinzenson! Das wäre nicht richtig gewesen und das weißt du. Vielleicht sind dies auch nur leere Sprüche und er wird entweder nie wieder zurückkehren oder wenn er es doch tut, kommt er in Frieden"
„Das glaubst du doch wohl selbst nicht!" Der Alt-König sah seine Frau wütend an. „Er ist ein Spinner. Dummerweise ein mächtiger Spinner. Wir müssen uns um jeden Preis darauf vorbereiten"
„Sollen wir also für immer in Angst leben, Vater?", fragte da Theorus, der die ganze Zeit über seiner Mutter beruhigend die Schulter gestreichelt hatte. „Sollen wir uns verstecken, falls er zurückkommt und tatsächlich Rache nimmt? Oh nein, ich werde es sicher nicht tun. Wir sind Lakaria, ein noch sehr junger Stadtstaat, aufstrebend in Wirtschaft, Finanzen und bereits jetzt schon mit unterschiedlichen Arten, die friedlich miteinander leben und aufeinander und vor allem auf uns vertrauen. Wir dürfen jetzt nicht in Angst verfallen und unser Volk im Stich lassen"
Seine Eltern hatten ihn angestarrt. Verwundert über das plötzlich auftretende erwachsene Verhalten ihres jüngeren Sohnes, der sonst eher immer alles ins Lächerliche zog und seine Späßchen machte. Doch nun, in dieser Krisensituation, schien er der Einzige mit einem kühlen Kopf zu sein und beiden wurde klar, dass sie die absolut richtige Entscheidung getroffen hatten.
Theorus war der wohl perfekteste König, den man sich für Lakaria vorstellen konnte. Es würde niemanden geben, der besser geeignet war.
Auch noch einige Tage, nachdem Jonasan seine Familie und seine Heimat verlassen hatte, herrschte immer noch eine merkwürdig düstere Stimmung im Schloss. Sein Vater schien sich Strategien zu überlegen und seine Mutter hatte schlichtweg Angst.
Theorus hingegen lebte einfach mit seinem neuen Leben und versuchte sich damit zu arrangieren.
So kam es, dass er seinen Eltern am Frühstückstisch Folgendes erklärte: „Vater, Mutter, ich möchte alle Viertel Lakarias sehen und ihre Bewohner kennen lernen"
Beide hörten augenblicklich zu essen auf.
„Warum möchtest du das?", fragte seine Mutter.
Theorus seufzte auf, weil ihm klar gewesen war, dass seine Eltern ihn nicht verstehen würden.
„Seit meiner Geburt lebe ich hier, hab euch die Stadt aufbauen und führen sehen und doch hab ich noch kaum etwas gesehen", erklärte er. „Ich habe noch keines der Viertel gesehen. Die einzigen Orte, die ich kenne, sind das Schloss und der Marktplatz. Mehr nicht. Was wäre ich für ein König, wenn ich nicht alle Orte unseres Zuhauses kennen würde?"
Seine Eltern sahen sich gegenseitig an und scheinbar schienen sie ihn doch zu verstehen.
Sein Vater zupfte an seinem Bart herum und murmelte: „Da hast du auch wieder Recht. Aber wie hast du dir eine Besichtigung von jedem Viertel vorgestellt? Es ist unmöglich, dass du mit jedem Bewohner ein Gespräch führen kannst"
„Vielleicht nicht mit jedem", grinste Theorus. „Aber wenigstens kann ich ihre Gesichter sehen. Ich dachte an eine Art Parade in jedem Viertel. Dass sich alle Bewohner an der größten Straße ihres Viertels treffen und wir in einem Auto oder auf einem Wagen durchfahren"
„Das klingt sehr abenteuerlich", murmelte sein Vater, doch seine Mutter klatschte fröhlich in die Hände, was sie seit Jonasans beunruhigenden Abschiedsbrief nicht mehr getan hatte und lachte: „Also ich finde die Idee fantastisch! Damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe. Theorus sieht alle Viertel und noch dazu alle Bewohner"
„Sicherlich werden nicht alle Bewohner teilnehmen", meckerte sein Vater weiter.
„Das müssen sie auch nicht, wenn sie nicht wollen", sagte Theorus. „Aber ich gehe davon aus, dass es die meisten interessieren wird, wer ihr neuer König ist. Sie haben ja auch noch nicht viel von mir gesehen"
Da der Freiherr Vinzenson von seinem Sohn und seiner Frau überstimmt wurde, ergab er sich seinem Schicksal, zu zustimmen und organisierte das Ganze.
Trotz Theorus' Überzeugung, dass alles gut laufen würde, gab es leichte Zweifel in ihm. Was wäre, wenn doch niemand kommt? Wenn ihn die Bewohner mit Hass entgegenkommen werden, weil sie ihn noch nicht kennen und dieser junge Mann plötzlich König ist?
Doch er schob diese Zweifel beiseite und nach einer Woche begann seine Kennenlern-Tour im größten und zugleich unübersichtlichsten Viertel: FlyHigh, dem Viertel der Schmetterlingsmenschen.
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