Die Mistel
erzählt von Rosalie
Es war für alle nicht-Pflanzenmenschen gar nicht so leicht sich in der Küche zu orientieren und zu Recht zu finden. Doch mit der Hilfe von den Zwillingen und Perfor fanden wir schließlich doch etwas, das wir kochen konnten. Delilah und Ophelia waren gleich Feuer und Flamme, als uns Perfor anbot, ein traditionelles Gericht des Dorfes zu kochen. Sie konnten es kaum erwarten, damit anzufangen.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, wann ich das letzte Mal in einer Küche gekocht hatte. Durch die Missionen hatte ich mich an das Kochen auf einer Feuerstelle gewohnt.
Anfangs beteiligte sich Charlotte kaum, doch irgendwann machte sie doch mit, was mich sehr überraschte. Ich glaube sogar, sie fand ihren Spaß daran.
Leider war die Küche viel zu klein für so viele Personen, doch irgendwie konnten wir uns damit arrangieren und es klappte.
Schon bald würden wir mit dem traditionellen Essen fertig werden, bis plötzlich die hölzerne Haustür ins Schloss fiel und wir eine Frauenstimme verkünden hörten: „Perfor, wir sind wieder da"
Eine jünger klingende Frauenstimme fragte hingegen: „Perfor? Wo bist du?"
Wenige Sekunden später stand eine schlanke, sehr hübsche, junge Frau mit goldblonden, langen Haaren in der Küche und sah uns verdattert an. Ihr Haar glänzte noch mehr als das von Charlotte und sie war auch fast so groß wie der Engel und Ruben. Wären wir hier auf der Erde, hätte ich sie auf jeden Fall für ein Model gehalten. Mit dieser Frau hätten alle Models auf der Erde eine starke Konkurrentin.
Die etwas ältere Frau, die nach ihr die Küche betrat, schien äußerlich betrachtet das direkte Gegenteil zu sein. Denn es war eine kleine Frau mit rundlicher Statur und welligen, schulterlangen Haaren. Während die junge Frau sehr fröhlich und aufgeweckt wirkte, hatte die rundliche Frau eher eine etwas einschüchternde Wirkung auf mich. Die einzige Gemeinsamkeit, die beide miteinander zu haben schien, waren ihre blonden Haare. Zwar waren die Haare der älteren Frau wesentlich dunkler als die der anderen, dennoch konnte man ihren Ton noch als Blond einstufen.
Die ältere Frau mit der rundlichen Figur quetschte sich an der anderen vorbei, stellte sich vor Perfor und stemmte wütend -sehr wütend- ihre Arme in die breiten Hüften.
„Oh, hallo Mama, schön, dass ihr da seid", sagte Perfor völlig gelassen und ignorierte den bitterbösen Blick der Frau ihm gegenüber.
Diese Frau sollte seine Mutter sein? Oha...
„Was sind das für Leute? Was wollen die hier? Die habe ich noch nie gesehen", schimpfte sie. „Sag mir nicht, dass das Außenstehende sind. Perfor, wehe, das sind fremde Menschen..."
„Mama, lass mich doch erstmal erklären", versuchte er sie zu beruhigen.
„Gut, erklärs mir" Seine Mutter verschränkte skeptisch die Arme vor der Brust.
Die jüngere Frau kam nun auch näher heran und beäugte uns sehr interessiert.
Offensichtlich verunsichert begann Perfor zu erklären: „Mama, das sind die Fünf Krieger von Lakaria" Erbost wollte seine Mutter bereits zu schimpfen anfangen, doch Perfor redete weiter: „Bitte reg dich nicht auf. Sie haben dieses Dorf zufällig gefunden, weil sie nach Johanniskraut und Lavendel für die Königin suchen. Diese liegt im Sterben, weil jemand sie scheinbar regelmäßig heimlich vergiftet hat. Ohne das Gegengift wird sie bald sterben. Sie haben uns Dorfbewohner um Hilfe gebeten, aber niemand hat ihnen zugehört. Niemand außer mir. Ich weiß, dass wir Angst vor den Bewohnern Lakarias haben, aber bitte, Mama, lass uns ihnen helfen"
Es brach mir fast das Herz zu hören, dass die Dorfbewohner Angst vor uns Wesen aus Lakaria hatten. Aber im Anbetracht der Geschichte, die vor sehr, sehr langer Zeit passiert war, war das nun wirklich kein Wunder. Ich hätte an ihrer Stelle auch Angst.
Seine Mutter sah ihn wenig begeistert an.
„Ich weiß, dass uns Lakaria eigentlich nichts angeht, aber..." Perfor machte eine kurze Pause. „aber wir können die Königin doch nicht sterben lassen. Das heutige Königspaar und die Fünf Krieger können doch nichts für das, was damals passiert ist"
„Nein!", rief seine Mutter. „Wir werden ihnen nicht helfen!"
„Aber..."
„Nein! Das Schicksal der Königin mag zwar tragisch sein, aber das ist noch lange kein Grund, sie einfach in unser Haus zu bringen und gemeinsam mit ihnen zu kochen. Vermutlich haben sie es vergiftet!"
Ihre Worte waren wahnsinnig verletzend und doch konnte ich ihr nicht böse sein.
Perfor seufzte schwer aus und ich spürte, dass er mit seinem Latein am Ende war.
„Mutter, als Ärztin hast du geschworen, jedem zu helfen, der deine Hilfe braucht", sagte er darum in einem komplett anderen Tonfall, als der, den er die ganze Zeit über gehabt hatte. Er war stets gelassen und ruhig gewesen, doch jetzt fuhr er schwere Geschütze aus. Das war offensichtlich.
Moment, seine Mutter war Ärztin? Wenn das nicht perfekt war!
Seine Mutter seufzte wenig begeistert von seinem Argument. Sie kämpfte mit ihren Worten. „Ja, aber die Wesen von Lakaria sind etwas anderes"
„Warum? Weil ein Königspaar vor sehr langer Zeit einen Riesenfehler gemacht hat?"
Seine Mutter seufzte erneut. Ihr fehlten die Argumente. Das war gut.
„Perfor, du weißt, wir fallen im gesamten Dorf in Ungnade, wenn sie bei uns bleiben", sagte Perfors Mutter. „Sie werden uns vertreiben und dann... und dann sind wir obdachlos und ohne Heimat. Nein, Perfor, das will ich nicht mehr. Ich bin bereits als kleines Mädchen aus meiner Heimat vertrieben worden. Das will ich nie wieder!"
„Mama, bitte beruhige dich doch" Erneut machte Perfor beruhigende Wellenbewegungen mit seinen Händen und nahm schließlich die seiner Mutter in seine. „Das wird nicht passieren. Ich verspreche es dir. Die Fünf Krieger brauchen unsere Hilfe und wollen uns nichts tun. Sie haben sogar zwei Pflanzenmenschen dabei"
Er drehte sich zu den Zwillingen um, die daraufhin ein paar Schritte nach vorne gingen, sich verbeugten und Perfors Mutter begrüßten und Delilah entschuldigte sich mehrere Male bei ihr für die Umstände, die wir ihr bereiteten.
Diese sah hingegen immer noch skeptisch aus. Zwar auch wesentlich freundlicher als noch vor ein paar Minuten, dennoch war sie noch nicht vollständig überzeugt von uns.
„Ihr seid eine Mücken-Händelwurz und ein Manns-Knabenkraut, richtig?", fragte sie an Delilah und Ophelia gewandt.
Beide nickten und Delilah sagte: „Ja, wir begleiten die Fünf Krieger, um das Gegengift für die Königin brauen zu können, wenn wir es endlich gefunden haben"
„Sie sind eine Mistel, oder?", fragte Ophelia.
Ich fragte mich wirklich, woher Pflanzenmenschen das immer so perfekt wussten, welche Art ein anderer Pflanzenmensch ist. Es war ja nicht so, als würde man dies einem Pflanzenmenschen ansehen, welche Pflanze er war. Es faszinierte mich immer wieder.
Sofort erhellte sich das Gesicht von Perfors Mutter und sie sagte: „Ja, freut mich, dass du es erkennst. Einst waren wir Misteln ein wichtiges Heilkraut und soweit ich weiß, verwendet selbst ihr Menschen auf der Erde meine Art gerne gegen Krankheiten" Ich zuckte mit den Schultern, weil ich das nun wirklich nicht wusste. Ich hatte mich noch nie mit Medizin und Heilkräuterkunde befasst. Sie seufzte. „Doch dann wurden wir als minderwertig und gefährlich angesehen, weil Misteln Halbparasiten sind und darum wurde ich fortgeschickt"
Die Gesichter der Zwillinge wurden sofort sehr traurig und auch ich konnte meine Traurigkeit darüber nicht verbergen.
„Das tut uns sehr leid", sagte ich darum.
Sie seufzte. „Mein Name ist Visca und das ist meine Tochter Nistra. Es tut mir leid, dass ich so negativ reagiert habe. Ihr denkt jetzt bestimmt, dass ich eine Furie bin"
Wir alle wollen schon protestieren, doch Delilah war schneller als jeder einzelne von uns: „Oh nein, nein, überhaupt nicht. Wir verstehen das"
Ich sah mich kurz um und blickte in das Gesicht eines jeden Kriegers und tatsächlich war Charlotte die Einzige, die etwas genervt dreinblickte. Doch seltsamerweise war der Blick nicht eindeutig. Sonst immer war er so auffällig, dass man ihn von hundert Meter Entfernung noch erkennen würde.
Ich schüttelte diesen Gedanken sofort wieder ab. Ich wollte nicht länger als nötig an Charlotte denken oder in ihr eingebildetes Gesicht blicken. Darum wandte ich mich wieder nach vorne und sah zwischen Visca und Nistra hin und her.
Gerade unterhielten sie sich nämlich mit Delilah und Perfor, was wir gerade gekocht hatten. Perfors Mutter sah nun wirklich viel freundlicher und weniger kaltherzig aus. Tatsächlich hatte die Anwesenheit der Zwillinge dazu beigetragen, dass wir endlich Sympathiepunkte bei ihr sammeln konnten und sie uns wenigstens ein bisschen weniger als Feinde betrachtete.
Es dauerte natürlich noch eine Weile, bis sich Visca komplett zu entspannen schien, doch es wurde und ich war unfassbar glücklich darüber.
Schließlich deckten wir den Tisch, aßen zusammen, lernten uns kennen und Visca und Nistra erzählten uns einiges über sich, das Dorfleben hier und ihre Berufe, die sie ausübten.
Ich glaube, was uns alle wohl am meisten überrascht hatte, war Viscas plötzliches Angebot, für ein paar Tage in einem Gästezimmer schlafen zu können. Wir waren ihr unfassbar dankbar dafür, denn immerhin ließ sie Fremde bei sich schlafen. Noch dazu Fremde aus einem Stadtstaat, den sie hasste.
Da das Gästezimmer allerdings zu klein für sieben Personen gewesen wäre und Visca darauf bestand, dass wir nach Geschlecht getrennt schlafen sollten -was irgendwie etwas seltsam war-, schliefen wir Mädchen in dem Gästezimmer und Perfor teilte sein Zimmer gnädig mit Nyco und Ruben.
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