Vor mir stand ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Er war Asiate und vielleicht zwei Jahre älter als ich. Die Ärmel seines schwarzen Hemdes hatte er hochgekrempelt, sodass man eine Reihe von tätowierten Zeichen sehen konnte, welche mir jedoch nicht bekannt waren. Er war groß und wirkte durchtrainiert. Als mein Blick auf den seinen traf, verschlug es mir die Sprache.
Seine Augen waren so dunkel, dass man sie fast schwarz nennen konnte und sie erinnerten mich augenblicklich an den Sternenhimmel. Keine Ahnung wieso.
Kurz räusperte ich mich um mich wieder zu fangen. Ich musste dringend aufhören ihn so anzustarren, sonst dachte er noch ich sei verrückt.
"Was genau meinst du?", fragte ich ihn auf seine Aussage bezogen. Leicht legte ich den Kopf schief und musterte ihn erneut. Diesmal aber mit bewusst weniger Faszination, obwohl er deutlich etwas an sich hatte was mir bekannt vorkam, um nicht zu sagen vertraut.
" Du hast dir Wasser geholt auf einer Party die zu neunzig Prozent von Leuten besucht ist, die sich reihenweise auf den Alkohol stürzen. Das ist ungewöhnlich", erklärte er und musterte mich dabei genauso neugierig wie ich ihn.
Mittlerweile wurde ich einfach das Gefühl nicht los ihn irgendwie zu kennen. Doch woher? Hatte ich ihn auf einer früheren Party schonmal gesehen? Aber dann müsste ich mich doch erinnern, oder nicht?
"Aha. Dachtest du vorher etwa, dass ich eine von denen bin, die sich, kaum das sie das Wort Alkohol hören, schon darauf stürzen?"
Die Worte waren schneller draußen als ich denken konnte. Wo auch immer dieser Herausforderungswille herkam, gerade war er echt unpassend.
Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. Scheinbar hatte er das genauso wenig erwartet wie ich selbst.
" Nein, keinesfalls. Ich habe schon zu Beginn gedacht, dass du anders bist."
Nun war ich diejenige, die die Augenbrauen hochzog. Jedoch mehr aus Irritation, denn seine Worte klangen so als würde er damit nicht nur unser derzeitiges Thema meinen.
So langsam kam mir der Typ komisch vor, egal welche Wirkung er ausstrahlte.
"Wer bist du? Ich habe dich hier noch nie gesehen. Bist du ein Freund von Jaxon?"
Misstrauen schlug erste sachte Wellen in mir.
"Verzeih bitte, ich hätte mich zuerst vorstellen sollen. Ich bin Chou. Und ob ich ein Freund von ihm bin? Ja, ja wir sind Freunde", sagte er, wobei er den letzten Satz seltsam betonte. Seine Antwort kam mir irgendwie nicht richtig vor.
"Schön. Und ich bin Kelya. Es war schön dich kennengelernt zu haben, aber ich gehe jetzt."
Ich entschied mich den Rückzug anzutreten und erstmal ein paar Nachforschungen anzustellen zu ihm. Irgendwas stimmte nicht mit ihm.
Mit genügend Abstand lief ich an ihm vorbei und wollte gerade die Küche verlassen, als er noch etwas sagte.
" Du hast deine Flasche vergessen."
Ich blieb stehen und drehte mich wieder zu ihm. Tatsächlich stand die Flasche wieder auf dem Tisch. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich sie dort abgestellt hatte.
Verwundert zog ich die Augenbrauen zusammen. Währenddessen schnappte sich Chou die Flasche, trat einen Schritt auf mich zu und hielt sie mir hin.
Noch immer verwirrt nahm ich die Flasche entgegen, wobei ich mit Absicht darauf achtete ihn nicht zu berühren.
Fast schon belustigt sah er mir zu.
"Bis zum nächsten Mal", sagte er zu mir und ging an mir vorbei aus der Küche. Vollkommen überrumpelt blieb ich zurück.
Was zum Teufel war das gerade?
Missmutig sah ich auf die Flasche in meiner Hand. Ich musste definitiv herausfinden wer er war. Er löste bei mir eine wilde Mischung aus Vertrauen und Misstrauen aus, was ich so absolut nicht mochte.
Langsam holten mich die wummernden Bässe der Musik wieder in die Wirklichkeit. Ich musste mich dringend ablenken. Immerhin war ich hergekommen um Spaß zu haben und nicht um über seltsame Typen zu Grübeln. Die gab es schließlich wahrscheinlich auf jeder Party.
Apropos Typen! Ich wollte ja eigentlich Kilian suchen.
Bei so vielen Leuten war es immer schwierig jemanden zu finden, doch ich hatte ausnahmsweise Glück und fand ihn recht schnell auf einem der Sofas im Wohnzimmer sitzen. Vor ihm auf dem Tisch stand ein halbleerer Becher und er beobachtete aufmerksam das Treiben um ihn herum. Als er mich sah hellte sich sein Gesicht auf und er lächelte mir zu. Mit einer Handbewegung bedeutete er mir mich neben ihn zu setzten.
Ebenfalls lächelnd ließ ich mich nieder.
"Hey, wir haben uns ja eine Ewigkeit nicht gesehen. Wie geht's dir?", fragte er und sah mich interessiert an.
"Mir geht's gut. Wie geht's dir? Was macht die Musik so?"
"Mir geht's super. Die Band und ich haben mittlerweile drei Auftritte die Woche im Club. Im Moment läufts echt gut."
In seiner Stimme lag dieser begeisterte Unterton und ich konnte nur hoffen, dass er vielleicht irgendwann mal von mir mit diesem Unterton reden würde.
Kurz strich er sich mit der Hand durch seine blonden Locken. Sein Blick ruhte noch immer auf mir, was kleine Schmetterlinge in meinem Bauch tanzen ließ.
"Sag mal wer war eigentlich der Typ gerade?", fragte er nun und ich war wirklich überrascht. Scheinbar hatte er uns in der Küche gesehen.
"Ich hab keine Ahnung, war das erste Mal dass ich ihn gesehen habe. Er sagte er heißt Chou.", kurz zuckte ich mit den Schultern.
"Was wollte er von dir?", fragte er weiter. Konnte ich da etwa einen Anflug von Eifersucht in seiner Stimme hören?
Mein Herz hüpfte höher und ich musste mir ein Grinsen verkneifen.
"Nichts besonderes. War eigentlich nur Smalltalk. Keine Ahnung was er eigentlich wollte."
Kritisch sah er mich an.
"Du solltest lieber aufpassen. Typen wie ihn kenne ich. Die sind definitiv nicht von der guten Sorte."
Seine Besorgnis rührte mich ehrlich und ließ mich komplett vergessen wie lange es her war seit wir das letzte Mal Kontakt hatten.
"Danke, aber ich kann schon auf mich selbst aufpassen. Bin ja schließlich schon groß."
Ich wollte jetzt nicht mehr über Chou reden, stattdessen wollte ich mehr von ihm hören.
"Wann ist dein nächster Auftritt? Ich würde gerne zusehen und vor allem zuhören."
Aus seinem Lächeln wurde ein Grinsen und es bildeten sich kleine Grübchen.
Verdammt, jetzt bloß nicht anfangen zu schwärmen!
"Du bist jederzeit willkommen. Ich wollte dich sowieso fragen ob du Lust hättest mal zu kommen. Unser nächster Auftritt ist Mittwoch Abend."
Kurz überlegte ich ob das passen könnte. Doch da wir zum Glück im Moment noch Ferien hatten, dürfte das kein Problem werden.
" Klingt super! Ich werde da sein"
"Cool", antwortete er und ich spürte, wie die Schmetterlinge größer wurden.
"KEL!", rief plötzlich jemand von irgendwo aus der Menge heraus und ich zuckte kurz zusammen.
"KELYAAAAAA!", ertönte ein weiterer Ruf über die Musik hinweg und ich wollte im Erdboden versinken.
Nur ein paar Sekunden später stand eine besonders heitere Mya vor mir und stemmte die Hände in die Hüften. Von Ben war mal wieder keine Spur. Scheinbar musste sie ihm in der Menge entwischt sein.
"Da bis u ja!", lallte sie laut vor sich hin. Neben mir konnte sich Kilian nur schwer ein Lachen verkneifen.
"Das hädde isch mir denken könne, dass u hier mit deine Lover sitzt und misch toootal vergischt.", redete sie weiter und ich starrte sie nur noch geschockt an. Vor Scham wurde ich rot wie eine Tomate.
Nun lachte Kilian wirklich und ich konnte seinen Blick förmlich auf mir spüren." So, so, dein Lover also? "
Bitte! Konnte sich nicht einfach ein Loch auftun und mich verschlucken!?
"Jap und sie-", schnell sprang ich auf und packte Mya am Arm bevor sie noch mehr sagen konnte.
"Wir gehen jetzt Ben suchen!", entschied ich und zog sie von Kilian weg.
Eine tolle Freundin hatte ich da!
"Bis später Kelya!", rief mir Kilian hinterher und ich wurde noch röter, wenn das überhaupt noch möglich war.
"Was hast du dir dabei nur gedacht!?", zischte ich meine so genannte Freundin an als wir weit genug weg waren.
"Wash denn? Du stehst doch totaaal auf ihn."
"Das ist nicht der Punkt! Du hast ihm das gerade direkt ins Gesicht gesagt und ihn auch noch meinen Lover genannt!", böse funkelte ich sie an. Gott was musste Kilian jetzt nur von mir denken?!
Kurz schien sie darüber nachzudenken, wenn das überhaupt mit ihrem alkoholisierten Gehirn möglich war. Den Kater den sie morgen haben würde, gönnte ich ihr gerade sehr.
" Ups", war das einzige was ihr dazu noch einfiel. Dann kicherte sie.
Ups?!! Ich konnte mich jetzt nie wieder bei Kilian sehen lassen. Das war eine Katastrophe!
"Wo ist Ben?", fragte ich sie mit einem Anflug von Ärger in der Stimme. So hatte ich mir den Abend bestimmte nicht vorgestellt.
"Isch weiß nisch", nuschelte Mya, sodass ich sie kaum verstehen konnte.
Nur mühsam zog ich sie durch die Menge. Im Flur blieb sie plötzlich stehen. Genervt rollte ich mit den Augen und drehte mich zu ihr um.
"Warum bleibst du stehen?!", fuhr ich sie an.
Doch Mya blieb von meiner Reaktion ungerührt. Stattdessen fixierte sie, wenn auch ziemlich angestrengt, mit ihrem Blick jemanden am anderen Ende des Flurs. Als ich ihrem Blick folgte, stockte ich. Es war wieder der Typ aus der Küche und er schaute in unsere Richtung.
Oder besser gesagt, mir direkt in die Augen.
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