Kapitel 35
Verwundert schoben sich Chous Augenbrauen zusammen. „Sie haben dir noch nichts davon erzählt?"
Verneinend schüttelte ich den Kopf. Generell wurde mir sehr wenig erzählt, was seltsam war in Anbetracht dessen, dass ich bald den Laden hier schmeißen sollte. Bisher hatte ich noch keine Ahnung, worin meine Aufgabe als Erbin bestand. „Bis jetzt erfahre ich scheinbar immer nur das nötigste, anstatt mir alles zu sagen."
Aus meiner Stimme konnte man klar heraushören, wie sehr mir das missfiel. Ein leidgeprüfter Zug huschte um Chous Mundwinkel, als müsste er sich zurückhalten nicht laut aufzuseufzen. „Ich weiß, vieles läuft nicht gerade optimal. Aber dafür bist du gerade erst hier angekommen. Hab einfach Geduld."
Unzufrieden mit seiner Antwort wollte ich ihm widersprechen, doch er kam mir zuvor. „Und versuch gar nicht erst mich fragen zu wollen. Selbst wenn ich über das Wissen verfügen würde, ich dürfte es dir nicht sagen. Du darfst nicht vergessen, dass ich Sonnenkrieger bin und somit direkt Aron unterstellt. Ihm gebührt das Vorrecht dich zu unterrichten, nicht mir."
Ärger wuchs in meinem Bauch während Chou mich mit der stummen Bitte es auf sich beruhen zu lassen ansah. Doch den Gefallen wollte ich ihm nicht tun.
„Ich bin auch eine Sonnenerbin. Somit bist du auch mir unterstellt", erinnerte ich ihn und er verzog das Gesicht. Seine Reaktion befeuerte meinen Ärger nur noch.
„Du irrst dich." Sein Ton war ruhig und kontrolliert, aber ich konnte trotzdem den Hauch von Feindseligkeit hören. „Ich bin nur Sonnenerben unterstellt, die auch regieren. Und wir beide wissen, dass du davon noch weit entfernt bist."
Vor den Kopf gestoßen starrte ich ihn entgeistert an. Wo kam das denn auf einmal her? Klar, er hatte Recht, aber das konnte man auch anders sagen.
„Kann es sein, dass du ein Problem damit hast? Oder macht es dir einfach Spaß mir immer wieder vor Augen zu führen, dass ich keine Ahnung habe? Denn das weiß ich bereits selbst!"
Was dachte er sich denn bitte?! Warum war er im einen Moment noch charmant und nett und im nächsten verhielt er sich wie ein Arsch? Erst die Sache mit dem Ring und jetzt das. Wie sollte ich da jemals aus diesem Typen schlau werden?
„Hör einfach auf mir Fragen zu stellen, die ich nicht beantworten darf. Dann haben wir nie wieder eine Diskussion wie diese." Sein Blick war stechend und hielt den meinen gefangen. Es war ein stummes Duell, dass Chou sich sicher war zu gewinnen. Das zornige Funkeln in den tiefen seiner dunklen Augen verriet ihn. Doch so leicht würde ich mich nicht zurückweisen lassen.
Gnadenlos hielt ich meinen Blick erhoben und spiegelte seinen erzürnten Gesichtsausdruck. Herausfordernd hob ich eine Augenbraue und ein abwertendes Schnauben verließ seine Lippen, ehe er kopfschüttelnd den Blick abwand.
Es war ein Sieg, den ich nicht genießen konnte, denn ich verstand ihn einfach nicht. Seine Gründe, die zweifelsohne zu dieser erneuten Auseinandersetzung geführt hatten, wollten sich mir nicht erschließen. Damit verstand ich auch nicht wieso es so weit kommen musste. Ich wollte mich eigentlich nicht mit ihm streiten. Im Gegensatz zu ihm, der es offenbar zu brauchen schien.
„Darfst du mir dann wenigsten sagen, worum es bei diesem Ball geht, oder muss ich dafür auch zu den aktuell regierenden Erben rennen?" Spott schlich sich ohne mein Zutun in meine Worte und sorgte dafür, dass er freudlos auflachte.
„Solange du mich danach mit weiteren Fragen verschonst", erwiderte er bitter und ich fragte mich, womit ich diesen Tonfall verdient hatte.
„Glaub mir, du hast sehr deutlich gemacht, dass du nichts mehr damit zu tun haben willst. Aber da du angefangen hast Grenzen aufzustellen, kommt jetzt eine von mir: Wenn du es lieber bevorzugst bei jedem unserer Gespräche dicht zu machen und Streit zu suchen, dann bevorzuge ich lieber gar keine Gespräche mehr mit dir. Ich will meine Energie nicht mit Zorn und Ärger verschwenden." Jedes Wort war genauso gemeint, wie ich es sagte.
Meine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Erkenntnis trat in seine Augen, zugleich straffte er die Schultern und verfiel wieder in die Rolle des stoischen Beschützers, den ich langsam wirklich leid war. Warum machte er es uns beiden so schwer?
„Wie du wünschst." Kälte schlug mir entgegen und traf mich härter als erwartet.
„Der Ball findet immer eine Woche nach der Ankunft beider Erben statt um sie dem Volk und höheren Würdenträgern zu präsentieren", informierte er mich kurz angebunden. Keine weiteren Erklärungen, keine weiteren Kommentare. Warum auch? Es wurden schließlich genug Worte gewechselt.
Schweigen breitete sich zwischen und aus und ließ die Temperatur im Raum sinken. Unwohlsein kroch meine Wirbelsäule entlang während weder er noch ich wussten, wie es nun weitergehen sollte. Die Stille wurde einzig von dem leisen metallischen Klirren der Dolche durchbrochen, die Chou wieder sicher verstaute. Keinen Moment später schritt er auf die Tür zu und ich erwartete, dass er mich einfach hier stehen ließ. Scheinbar konnte er nicht schnell genug von mir weg kommen.
„Dein Training wird ab heute jeden zweiten Tag stattfinden, wobei ich in Absprache mit Aron abwechselnd das Training übernehmen werde." Ohne sich nochmal umzudrehen, verließ er den Raum und ließ mich damit zurück.
In mir herrschte Chaos. Mein Blick klebte förmlich auf der Tür und mein Kopf wollte nicht begreifen warum. Warum konnten wir uns nicht einmal, wie normale Erwachsene unterhalten? Warum blockte er meine Fragen sofort ab, kaum dass ich sie ausgesprochen hatte? War er so in die Hierarchie und die damit verbundenen Regeln vernarrt, dass er jede Frage als Angriff empfand? Aber als so jemanden kam er mir einfach nicht vor. Woran lag es dann? Ich glaubte nicht daran, dass Aron oder Sidera sauer wären, wenn mir jemand anderes außer ihnen etwas über die hohe Welt und meine Rolle erklären würde. Wieso versteckte er sich also hinter einer so offensichtlichen Ausrede? Was wollte er mir damit verschweigen?
Missmutig schweifte mein Blick über die Matten an den Wänden auf der Suche nach einer Erklärung, die ich hier sicher nicht finden würde. Meine Arme schlang ich um meinen Oberkörper. Er sagte, dass er es mir nicht sagen dürfte und ließ es damit klingen, als würde er es mir ansonsten gerne sagen. Damit rückte er sich selbst in eine Licht der Unschuld an das ich nicht glauben konnte. Es war keine Frage des Dürfens für ihn, sondern eine Frage des Wollens. Und wie er recht deutlich gezeigt hatte, wollte er nicht.
Wie gerne ich jetzt mit Mya sprechen würde. Sie wüsste bestimmt, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Das wusste sie schließlich immer. Doch genauso unmöglich wie ein normales Gespräch mit Chou für mich war, konnte ich nicht mit Mya reden. Frust baute sich in mir auf und lag schwer auf meiner Brust. Auch das sanfte Glühen meiner Kraft, das ich in meinem Herzen spüren konnte, half nicht dagegen an.
Wenn ich alles nüchtern und rational betrachtete, war ich allein hier. Allein in einer Welt, aus der ich nicht kam und von der ich keine Ahnung hatte. Diese Tatsache wurde mir überdeutlich bewusst und sie schmerzte. Natürlich waren Aron und Sidera da, doch ich kannte sie nicht. Ich kannte keinen und wusste auch nicht, wem ich vertrauen konnte. Auch wenn mein Kopf es besser wusste, fühlte ich mich gefangen. Gefangen in diesem Palast, gefangen in Unwissenheit, aber vor allem gefangen in Unisicherheit.
Oh, das kannst du Mylady. Denn ich lade dich zu einer atemberaubenden Nacht ein, die alle Nächte vorher in den Schatten stellt. Mos Stimme erfüllt ungewollt leise meine Gedanken und führt mich zu seinem ungewöhnlichen Angebot. Im Gegensatz zu Chou hat er nicht versucht mir Grenzen zu setzen, sondern mir ganz offen vorgeschlagen die Grenzen, die mir gesetzt wurden zu durchbrechen. Ein Weg aus meiner gefühlten Gefangenschaft.
Auf einmal wusste ich ganz genau, was ich tun würde.
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