Kapitel 33
Von weitem konnte ich gleich mehrfach laute Rufe und dumpfe Schläge hören, während ich hinter Chou in Richtung Trainingsräume lief. Nach unserem Gespräch in der Bibliothek war er von seinem Sessel aufgesprungen, wie um sicherzugehen, dass ich auch ja keine Fragen mehr stellte. Kurz angebunden hatte er mir erklärt, dass wenn ich ihn irgendwann loswerden wollen würde, wir jetzt trainieren müssten. Seitdem hatte er nichts mehr gesagt.
Seine Schritte vor mir waren sowohl lauter, als auch länger als meine, sodass ich unweigerlich schneller laufen musste, wenn ich mit ihm Schritt halten wollte. Immer wieder flog mein Blick über seinen kräftigen Rücken hinauf zu seinem dunklen Haarschopf und fixierte ihn. Was war passiert, dass er sich auf die Seite der Sonne gestellt hatte? Als Schlussfolgerung musste einer der Monderben ihm etwas angetan haben. Aber Chou wirkte nicht wie der Typ, dem man leicht etwas antun konnte. Zudem schien er sich mit Sidera ganz gut zu verstehen, was bedeutete, dass es nichts mit ihr zu tun gehabt haben kann. Möglicherweise hatte es ja mit Lucile zu tun?
„Sag Bescheid, wenn du es schaffst durch bloßes anstarren meine Gedanken zu lesen", riss mich Chou aus meinen Gedanken und mir fiel erst jetzt auf, dass wir neben den Matten standen.
„Vielleicht habe ich das bereits? Du weißt schließlich nicht, wozu ich noch fähig bin."
Ein sanftes Lachen erhellte den Trainingsraum und in meiner Brust wurde es warm. Er hatte ein durchaus schönes Lachen. Fast so schön wie Mos.
„Netter Versuch, aber bis jetzt hatte noch kein Erbe unvorhergesehene Nebenkräfte. Es sei denn du willst mir sagen, dass du etwas ganz besonderes bist." Herausfordernd zog er eine Augenbraue in die Höhe während seine Schuhe unweit neben der Matte auf dem Boden aufkamen.
„Ich weiß nicht. Sag du mir, ob ich etwas ganz besonderes bin." Eilig tat ich es ihm gleich, wobei ich mir ein freches Grinsen nicht verkneifen konnte.
Chous Blick wurde gefährlich dunkel und ein provokatives Grinsen teilte seine Lippen. In diesem Moment erinnerte er mich mehr denn je an einen Panther. Er besaß diese unbeschreibliche Stärke, gepaart mit gefährlicher Eleganz, die ihm eine düstere Schönheit verlieh.
Über meine Arme zog eine Gänsehaut.
„Wir wissen beide, dass diese Frage überflüssig ist. In der hohen Welt ist jeder Stern etwas ganz besonderes und du bist der hellste unter ihnen."
Sprachlos öffnete ich den Mund, nur um ihn dann wieder zu schließen. Nicht ein Wort wollte sich formen lassen. Mein Herz klopfte so laut gegen meine Rippen, dass ich mir fast sicher war, dass er es auch hören konnte. In meiner Brust bildete sich ein seltsamer Gefühlsknoten, der mir das Atmen schwer machte. Ich versank in der schier endlosen Dunkelheit seiner Augen.
„Lass uns loslegen", brach er plötzlich den Augenkontakt abrupt ab und wandte sich in Richtung des Waffenschrankes. Seine Stimme klang rau und mir entwich ein leises Keuchen. Da war etwas an ihm, dass ich nicht verstand. Etwas, dass mich in seinen Bann zog und mein Herz dazu brachte einen ungewöhnlichen Rhythmus zu schlagen.
Wenige Augenblicke später trat er wieder zu mir, wobei mein Herz erneut durch seine Nähe ins Stolpern geriet. In seinen Händen hielt er zwei schwarze Dolche, deren Griffe beide mit grauem Leder umwickelt waren. Ohne Umschweife hielt er mir einen von ihnen entgegen und ich nahm ihn unsicher in die Hand. Mein Blick zuckte zu seinem Gesicht, doch er vermied es mich direkt anzusehen.
„Da du mit Mo bereits einige Grundlagen geübt hast, fangen wir heute mit dem Kampf mit Waffen an. Ich habe in der Schmiede für dich gleich mehrere solcher Dolche geordert, denn sie sind praktisch und leicht unter der Kleidung zu verstecken."
Aufmerksam hörte ich ihm zu und wollte mir gar nicht vorstellen wieso ich einen Dolch an meinem Körper tragen sollte. Die Vorstellung war irgendwie surreal.
Kaum hatte ich den griff umfasst, trat er auch schon von mir weg an eine der Wände in der Nähe der Tür. Kurz drückte er gegen einen Wandabschnitt, woraufhin sich dieser öffnete und den Blick auf mehrere Trainingsdummys standen. Bei einigen von ihnen entdeckte ich tiefe Einkerbungen und ich musste schlucken.
Chou zog einen von ihnen heraus, lief an mir vorbei und stellte den Dummy ungefähr drei Meter von mir entfernt auf. Dann stellte er sich neben mich, sein Blick glitt zu meiner noch immer erhobenen Hand mit dem Dolch.
„In erster Linie ist es wichtig für dich einen Gegner auf Abstand zu halten. Mit Dolchen geht das nur, wenn du sie wirfst. Leg den Dolch auf deine offene Handfläche und schließ dann deine Finger darum, dein Daumen muss dabei oben sein."
Folgsam gehorchte ich ihm und er nickte.
„Gut. Jetzt musst du dich richtig hinstellen. Dein starkes Bein nach vorne. Dann hebst du deinen Arm über den Kopf, den Ellbogen gebeugt."
Unsicher folgte ich seinen Anweisungen, wobei sein eindringlicher Blick alles wahrzunehmen schien. Meinen flatternden Puls eingeschlossen.
„Versuch den Dummy zu treffen."
Mir selbst Mut machend, nickte ich. Mein Arm bewegte sich nach vorne, der Dolch glitt aus meinen Fingern. Doch er traf nicht den Dummy.
Klirrend landete er auf dem Boden, weit entfernt von den Matten und dem Dummy.
„Du bist zu angespannt. Woran auch immer du denkst, hör auf damit. Deine Konzentration muss zu hundert Prozent in diesem einen Moment liegen. Sieh zu!"
Er stellte sich direkt neben mir auf, wobei sein linkes Bein nach vorne wanderte, gefolgt von seinem linken Arm, der sich über seinen Kopf hob. Einen winzigen Augenblick lang verharrte er in dieser Position.
Ich wusste ich sollte mich konzentrieren und ich wusste, dass es für mich besser wäre sein Beispiel genau nachmachen zu können. Aber in diesem Moment konzentrierte ich mich nur auf ihn. Auf seinen Anblick, der sich in mein Gehirn brannte und eine unerklärliche Verbundenheit zu ihm erzeugte. Als hätte ich ihn schon einmal so gesehen.
Meine Kraft erwachte mit einem Schlag zum Leben und ließ ein heißes Feuer in meiner Brust entstehen. Es war, als könnte ich zum ersten Mal hinter die Maske schauen, die er immerzu trug. Ich sah einen gezeichneten Krieger, der ganz in seinem Element war. Sein Kiefer spannte sich unmerklich an, ehe sein Arm nach vorne schnellte und den Dolch mit tödlicher Präzision fliegen ließ.
Zeitgleich zum dumpfen Eindringen der Klinge in den Dummy, explodierte etwas in mir. Als wäre ich an eine Grenze meiner Kraft gestoßen, die ich noch nicht bereit war zu durchbrechen.
Innerhalb einer Sekunde zuckte ein goldener Blitz, dem Dolch nachjagend, durch den Raum und schlug mit einem ohrenbetäubenden Knall in das schwarze Metall ein.
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