Kapitel 31
Vollkommen erschöpft ging ich einen der langen Flure entlang, ohne wirklich zu wissen, wohin ich musste. Entgegen meinen Erwartungen war Chou nach meinem Training nicht aufgetaucht, um mich zu eskortieren. Jeder Zentimeter meines Körpers war ausgelaugt und ich war so müde, dass ich beinahe im Gehen einschlief. Wer hätte gedacht, dass das Training mit der Sonnenkraft so anstrengend werden würde?
Aron hatte mich bis aufs Äußerste gefordert. Immer wieder musste ich die Kontrolle aufgeben, mich wieder von der rohen Macht der Sonnenkraft durchfluten lassen, nur um dann erneut die Kontrolle durch meine Erinnerungen aufzubauen. So lange bis er halbwegs mit meiner Leistung zufrieden war und endlich zu anderen Dingen überging. Kurz vor Ende unseres Trainings hatte er mir gezeigt, wie ich meine Macht formen konnte, und zwar nicht nur geistig, sondern wirklich mit den Händen. Erst hatte er eine leuchtende Kugel geformt, die sich aber weder fest noch flüssig verhielt. Als er mir die Kugel übergab, fühlte ich wie sie sich mit mir, meiner Macht, verband und es war verrückter als alles, was ich bisher erlebt hatte. Wie Sand hatte ich sie durch meine Finger gleiten lassen und doch behielt sie ihre Form. Laut Aron ist das nur der Anfang der Dinge gewesen, die man mit unserer Macht schaffen konnte und ich spürte auch jetzt Neugier in mir aufkommen, bei dem Gedanken welche Möglichkeiten sich daraus noch ergaben.
Gleichzeitig spürte ich das enorme Gewicht der Verantwortung auf meinen Schultern lasten. Auch wenn ich mich bemühte, nicht daran zu denken, so bereitete es mir doch Unbehagen. Wie sollte jemand wie ich etwas so großes wie das schaffen? Aron hatte gesagt man kann mit der Kraft erschaffen und zerstören. Erschaffen war mir eindeutig lieber als zerstören, doch was, wenn ich die Kontrolle verlor? Was wenn ich den Erwartungen nicht gewachsen war? Auch wenn sich Sonne und Mond angeblich nie irrten, könnte ich doch die Ausnahme sein. Ausnahmen gab es schließlich immer, oder nicht? Ich könnte nicht damit leben, wenn ich mit dieser Macht Schaden anrichten würde. Das würde ich-
„Hast du dich verlaufen Mylady?", ertönte plötzlich eine bekannte Stimme dicht neben mir und ich fuhr erschrocken zusammen. Ich war so in Gedanken vertieft gewesen, dass ich Mo gar nicht bemerkt hatte.
„Bitte entschuldige Mylady, ich wollte dich nicht erschrecken." Ein spitzbübisches Lächeln trat auf die Züge meines plötzlichen Begleiters.
Entrüstet schnaubte ich. „Natürlich nicht. Und hör auf mich Mylady zu nennen!" Auch wenn ich mir sicher war, dass er nicht damit aufhören würde, war es doch befremdlich zu hören.
„Ganz wie du willst Mylady", entgegnete er und ich verdrehte die Augen. „Wie war dein Training?", wechselte er elegant das Thema.
Matt stieß ich die Luft aus. „Verdammt anstrengend. Dabei ging es nur um Kontrolle." Bei dem Wort nur malte ich kleine Gänsefüßchen in die Luft.
Verständnisvoll nickte Mo. „Die Anfangszeit ist echt hart. Ich war auch jedes Mal nach solchen Trainings am Ende meiner Kräfte. Aber glaub mir, wenn du den Bogen erstmal raus hast, ist es nicht mehr ganz so schlimm." Aufmunternd nahm er meine Hand und drückte sie kurz.
Die Art wie seine Finger, die meinen umschlossen, ließ mich kurz stocken. Seine Haut war warm und weich unter meinen Fingern und seine plötzliche Berührung sandte ein seltsames Kribbeln über meine Haut. Es war nichts unangenehmes an seiner Berührung und ich ertappte mich dabei, wie ich ihm ein zaghaftes Lächeln schenkte, ehe er meine Hand wieder losließ.
Woher kam das denn jetzt auf einmal? War das nur eine Geste der Freundschaft? Warum reagierte ich dann so seltsam darauf? Vielleicht lag es an der Verbundenheit zwischen den Erben. Ganz bestimmt sogar. Anders konnte ich es mir nicht erklären.
„Und du? Hattest du auch Training?", lenkte ich das Gespräch weiter, um nicht weiter über das eben nachdenken zu müssen. Bevor ich noch zu viel in diese simple Geste hineininterpretierte.
„Nein, mein Training findet seltener statt, da ich um einiges früher damit beginnen konnte als du." Kurz zuckte sein Blick zur Seite, doch ich meinte einen düsteren Ausdruck in seinen Augen gesehen zu haben. Auch wenn mich noch immer brennend die Frage interessierte, warum er schon so viel länger hier zu sein schien als ich, hielt ich mich zurück. Offenbar war das ein sehr privates Thema für ihn. Ich erinnerte mich, dass selbst Sidera nicht mit mir darüber sprechen wollte.
„Und was machst du stattdessen?", hakte ich weiter nach.
Eine von Mos Augenbrauen wanderte in die Höhe und er sah mich von der Seite aus an. „Da ist jemand aber sehr neugierig."
Unbekümmert zuckte ich mit den Schultern. Wenn er mich zu meinem Training befragen durfte, durfte ich auch fragen, was er den ganzen Tag trieb. Vielleicht konnte ich dadurch noch etwas Spannendes erfahren und meinen Horizont erweitern.
„Hauptsächlich studiere ich verschiedene Schriften in der Bibliothek. Du weißt schon, der ganze theoretische Teil, der zu unserem kommenden Job dazu gehört. Ich kann dir versichern, nichts ist langweiliger als stundenlang auf altes Pergament zu starren und zu versuchen die unleserliche Handschrift eines vorherigen Erben zu entziffern." Gequält seufzte er auf, während wir weiterliefen, und ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Für ihn mochte es nichts langweiligeres geben, aber ich liebte es zu lesen. Meine Neugier stieg mit jedem Tag, den ich in der hohen Welt verbrachte und Bücher würden mir endlich einen Zugang zu ihr geben.
„Meistens löst sich meine Konzentration aber nach drei bis vier Stunden in Luft auf. Dann erkunde ich zum ungefähr zweihundertsten Mal den Palast und die Umgebung."
Überrascht sah ich ihn an. Das hieß ja, dass er frei entscheiden konnte, wo er hinging. Ohne einen Leibwächter, den er nicht los wurde. „Du darfst den Palast verlassen?"
Rasch nickte er und ein winziger Hauch von Neid umspielte mein Herz. „Ich darf theoretisch gehen, wohin ich will. Praktisch wird es aber nicht gern gesehen, wenn ich mich zu weit vom Palast entferne, um in die Hauptstadt vor dem Palast zu gehen. Da sind die Sternenkrieger immer wieder nicht gerade begeistert und Aron und Sidera erst recht nicht." Aus seiner Stimme klang Gleichgültigkeit, was mir verriet, dass er es mit den Regeln nicht so genau nahm.
Die Stadt, die er erwähnte, hatte ich vorhin von oben gesehen. Sie schien sehr schön zu sein und in mir keimte der Wunsch ebenfalls dorthin zu gehen. Was bei meiner derzeitigen Lage aber ziemlich unmöglich erschien. „Wie ist eine Stadt der hohen Welt so? Unterscheiden sich die Städte hier sehr von denen zu Hause?"
Für einen winzigen Moment lang huschte ein irritierter Schatten durch seinen Blick, ehe sich ein hinreißendes Lächeln auf seine Lippen schlich. Was würde ich nur dafür geben, um zu verstehen, was in seinem Kopf vorging, um so schnelle Emotionswechsel in ihm hervorzurufen.
„Es gibt schon einige Unterschiede, da wir hier Zugang zu Sternenmacht haben. In den Städten zum Beispiel wird ein Tag- Nachtrythmus durch Magie erzeugt, weil wir durch die freie Position im Universum so etwas nicht auf natürlichem Weg haben." Kurz hielt er inne und sein Mund verzog sich nachdenklich, bevor er fortfuhr.
„Das Sternenvolk unterscheidet sich nicht großartig von den Menschen. Sie haben ähnliche Bedürfnisse, auch wenn die meisten Jobs hier anders aussehen als auf der Erde. Den Tag über gehen sie ihren Beschäftigungen nach, was die hellen Stunden denen auf der Erde recht ähnlich macht. Aber die Nächte," ein süffisantes Funkeln erleuchtete seinen Blick, „die sind unbeschreiblich. Im Vergleich wirkt jede Nacht auf dem blauen Planeten eintönig. Hier ist die Nacht freier, leidenschaftlicher, sinnlicher."
Seine Stimme wurde mit jedem Wort dunkler und Hitze kroch mir den Hals hinauf. Sein Blick war einnehmend und schien sich zu weigern den meinen freizugeben. Mein Herz klopfte wie wild gegen meine Rippen und ich kam nicht umhin meine Lippen mit der Zunge zu benetzen. Ich wünschte mir, dass er erneut meine Hand nahm, wollte ihn wieder berühren. Seine angenehme Wärme spüren und herausfinden, ob seine Berührung erneut dieses Kribbeln in mir auslöste. Doch Mo bewegte sich nicht, wohl wahrnehmend welche Wirkung er auf mich hatte.
„Man weiß erst, wie es wirklich ist, wenn man es selbst erlebt hat. Keine Worte sind fähig genug, um eine Nacht der hohen Welt zu beschreiben." Von seinen Augen gefangen gehalten war ich unfähig meinen Blick zu senken oder die Hitze in mir zu bekämpfen. Da war nur er und ich hing an seinen Lippen. Jeder Satz klang genauso verrucht wie aufregend und weckte ein bis dahin ungekanntes Interesse in mir.
„Ich wünschte das könnte ich", antwortete ich ihm mit belegter Stimme. Verflucht was machte er nur mit mir?!
„" Er blieb stehen und wandte sich mir ganz zu.
„Lass dir mein Angebot durch den Kopf gehen, während du dich ausruhst." In einer raschen, fließenden Bewegung flog seine Hand zu meiner, hob sie an und seine Lippen strichen sanft meinen Handrücken. „Ich werde auf deine Antwort warten."
Damit schenkte er mir ein letztes Lächeln und ließ mich sprachlos zurück.
Vollkommen verdutzt starrte ich auf meine Zimmertür.
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