Kapitel 29
Als Aron mir sagte, dass mein Unterricht im Umgang mit der Kraft heute beginnen würde, hatte ich mit vielem gerechnet. Doch ganz sicher nicht damit.
Der aktuelle Sonnenerbe und ich standen auf einer Art riesigem Balkon hoch oben am Palast. Der Boden schien aus goldenem Glas zu bestehen, in den verschiedene Muster eingearbeitet waren und ich konnte bis nach ganzen unten in den Palasthof schauen. In diesem Moment war ich mehr als überglücklich, dass ich keine Höhenangst hatte, denn dann wäre das hier der absolute Horror gewesen.
Als ich mich weiter umblickte, stockte mir der Atem, denn ich konnte nicht glauben was ich sah. In einiger Entfernung befand sich tatsächlich die Runde Kugel, die ich bis vor kurzem noch meine Heimat nannte. Still und wunderschön schwebte die Erde im dunklen All. Noch weiter weg bannte das helle Glühen der Sonne meinen Blick und ich spürte eine starke Wärme in meiner Brust. Es schien, als würde die Kraft in mir nach der Sonne rufen, was absolut verrückt war. Apropos verrückt....
„Wir befinden uns im Weltall? Aber müssten wir dann nicht sterben, weil die Kälte uns umbringt und es keine Luft gibt?" Mein Gehirn wollte einfach nicht realisieren, dass das hier gerade wirklich passierte. Nie und nimmer stand ich gerade wirklich auf einem Balkon an einem Palast im Weltall.
Aron trat weiter nach vorne an die Balustrade. Sein Gesicht wurde von goldenem Licht erhellt und er sah mich schief an. „Wir sind in der hohen Welt. Die meisten Gesetze der Erde gelten hier nicht!"
Absolut überwältigt trat ich neben ihn und konnte meinen Augen noch immer nicht trauen. Mein Blick glitt nach unten in die Tiefe und ich entdeckte in der Nähe des Palastes eine Stadt. Überall liefen Leute herum und ich meinte leise die Stimmen vernehmen zu können. „Aber wieso?"
„Ganz einfach: Wir befinden uns nicht mehr in deiner Dimension. Du musst wissen, es gibt eure Dimension und unsere und beide Dimensionen sind durch Brücken miteinander verbunden. Das Volk der hohen Welt kann hier überleben, weil sie direkt von den Sternen abstammen und wir können überleben, weil wir die Kraft in uns tragen und somit ein Teil dieser Dimension werden. Jedoch kann man nur von unserer Dimension in die eure sehen und nicht umgekehrt und somit können für gewöhnlich auch nur Menschen von den Sternen die Brücken benutzen um in eure Welt zu gelangen." Er machte eine winzige Pause, ehe sein Blick in die Tiefe glitt. „Sieh mal nach da unten."
Automatisch folgte ich seiner Anweisung und blickte in die Richtung, in die er mit dem Finger zeigte. Ich musste mich ein wenig weiter über die Balustrade beugen um zu sehen, was er meinte.
„Sind das...Pfeiler?", verwirrt sah ich wieder Aron an. Wenn ich schräg unter die Häuser der Stadt schaute, konnte ich bei gutem Lichteinfall verschiedene längliche Gebilde entdecken, die sich in der Tiefe des Alls zu verlieren schienen. Sie wirkten wie lange, silberne Fäden, die jedoch mehr durchsichtig als farbig waren.
„So etwas in der Art. Die gesamte hohe Welt wurde auf diesen Pfeilern, wie du sie nennst, errichtet und sie tragen alles. Wir nennen sie Valouris, was soviel wie Weltenträger bedeutet."
Verblüfft sah ich ihn an. Das klang unglaublich. „Aber wer hat sie errichtet? Und sind sie unzerstörbar?"
Mit den Unterarmen stützte Aron sich auf die Balustrade und ließ seinen Blick ähnlich wie ich über die Landschaft schweifen. „Niemand weiß mehr, wie die Valouris entstanden sind oder wer sie errichtet hat. Je nachdem in welche Region der hohen Welt du kommst, erzählen sich die Menschen unterschiedliche Geschichten und es heißt, dass in jeder von ihnen ein Funke Wahrheit stecke. Mal entstanden sie durch den Willen der Sterne, mal soll ein besonders mächtiger Sternenkrieger sie mit seiner Kraft aus dem Nichts erschaffen haben. Aber egal welcher Geschichte du nun Glauben schenken willst, eins ist immer sicher: Die Valouris halten allem stand, dass sie versucht zu zerstören und auch die Zeit selbst kann ihnen nichts anhaben."
Gebannt nahm ich seine Worte in mich auf und kam mir vor wie in einem meiner Bücher. Das alles klang bei weitem zu fantastisch um real zu sein. Und doch stand ich hier, unterhielt mich mit dem Sonnenerben der hohen Welt, spürte die Wärme der Kraft in mir und blickte auf Säulen herab, die es gar nicht geben dürfte.
„Wo enden sie?", fragte ich und versuchte auszumachen, worauf die Valouris fußten. Jedoch konnte ich nichts sehen.
Ein belustigtes Schnauben entkam Aron und er sah mich mit einem Funkeln in den Augen von der Seite aus an. „Die Valouris haben kein Ende. Zumindest keines von dem wir wüssten. Es heißt sie seien mit dem Herzen des Universums verbunden und erst wenn das bricht, werden auch die Valouris brechen. Da dem aber niemals der Fall sein wird, brauchen wir uns keine Sorgen machen." Ein verschmitztes Lächeln zog über seine ebenen Züge und ich konnte sehen, wie viel ihm die hohe Welt bedeutete. Aus seinen Worten wehte immer ein leichter Hauch von Stolz mit.
Je mehr ich über die hohe Welt erfuhr, desto mehr verstand ich Sideras und Arons Verbundenheit zu ihr, obwohl sie von der Erde kamen. So langsam empfand auch ich selbst die ersten zarten Triebe der Zuneigung zur hohen Welt, obwohl ich bis vor kurzem noch alles darum gegeben hätte von hier verschwinden zu können.
Wie gerne hätte ich jetzt meine Eltern oder Mya bei mir um diesen Moment mit ihnen zu teilen. Diese einzigartige Schönheit hätten sie sehen müssen. Ich vermisste sie, dabei war ich noch gar nicht so lange weg. Gerade mal drei Tage, wenn man den Tag meiner Entführung mitzählte. Und doch kam es mir schon jetzt wie eine halbe Ewigkeit vor, in der ich sie nicht mehr gesehen hatte.
„Na dann!" Aron klatschte einmal kurz entschlossen in die Hände und sah mich mit einem motivierten Glanz in den Augen an. „Fangen wir mit deinem Unterricht an."
Skeptisch zog ich eine Augenbraue hoch. Was wollte er denn jetzt machen? Er sagte, wir würden meine Kraft trainieren. Aber wie? Es würde doch nicht so ablaufen wie in den Büchern und Filmen, in denen der Protagonist seine Kraft erst zu kontrollieren wusste, wenn er eine extrem lebensgefährliche Aktion durchmachte. Oder doch?
Sicherheitshalber ging ich gleich mehrere Schritte weg vom Geländer, für den Fall, dass Aron vorhatte mich dort runter zu stoßen damit ich mich durch die Kraft selbst retten konnte. Ich glaubte es zwar nicht, aber Vorsicht war besser als Nachsicht.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, sah er von mir zur Balustrade und dann hinunter, als würde er die Distanz zum Boden ausmessen wollen. Unruhig spannten sich meine Muskeln an. Doch dann fing er an zu lachen und ich verzog die Mundwinkel.
„Keine Sorge, solche Trainingsmethoden nutzen wir nicht." Für einen Moment atmete ich erleichtert durch, aber er hatte andere Pläne.
„Zumindest nicht mehr", hing er noch an.
„Nicht lustig", presste ich hervor. Dafür, dass er so eine Art Mentor für mich sein sollte, nahm er die ganze Sache ziemlich locker.
„Entspann dich!", entgegnete er frech. Er konnte das leicht sagen! Für ihn war das hier ja auch nicht neu!
„Spürst du die Kraft jetzt gerade?", fragte er und begab sich endlich in die verantwortungsbewusste Rolle des Lehrers.
Kurz hielt ich inne, doch ich musste mich nicht einmal anstrengen um sie zu fühlen, denn noch immer durchströmte ihre Wärme mein Herz. Ich nickte.
„Gut. Und spürst du auch dieses Verbundenheitsgefühl zur Sonne?"
Ohne, dass er es weiter ausführen musste, wusste ich was er meinte. Dieses sanfte Rufen, dass von der Kraft ausging, war nicht zu ignorieren. Erneut nickte ich.
„Wunderbar. Die Kraft, die in dir ruht ist ein Teil der Sonne selbst, aber später mehr zur Theorie. Jetzt üben wir die Praxis!"
Auffordernd sah er mich an. Überfordert schaute ich zurück. „Was soll ich machen?", hakte ich nach, denn er schien etwas bestimmtes von mir zu erwarten.
„Ruf die Kraft wach. Lass sie fließen. Auch wenn du versuchst die Kontrolle zu behalten, gib sie für den Moment ab. Du musst lernen auf deine Kraft vertrauen zu können, denn ihr seid eine Einheit, die perfekt harmonieren muss. Anfangs mag es beängstigend sein, aber du wirst dich daran gewöhnen, glaub mir."
Kritisch musterte ich ihn, aber ich wollte es immerhin versuchen. Um mich besser konzentrieren zu können, schloss ich die Augen. Mit jedem Atemzug bemühte ich mich ein Stückchen mehr der Kontrolle abzugeben und damit verbunden spürte ich die Kraft wachsen. Sie schien zu wissen, was ich vorhatte und eine ungeahnte Vorfreude breitete sich in meinem Bauch aus. Ein sanftes Knistern zog über meine Haut und ich ließ sämtliche Gedanken los. Es gab nur noch mich und die Kraft in mir.
Wärme stieg in mir auf. Mein Körper glühte, doch nicht auf unangenehme Weise. Ich fühlte die Sonne, die mich rief und es war als würde jeder Sonnenstrahl, der auf meine Haut traf, meine Kraft verstärken. Niemals zuvor hatte ich so viele Gefühle auf einmal verspürt und niemals zuvor hatte ich mich so frei gefühlt wie in diesem Moment. Ich war mir meiner Umgebung und meines Körpers noch bewusst, aber ich war plötzlich viel mehr als nur ich.
Ich war die Kraft, ich war Glück, ich war meine eigene Freiheit, aber vor allem war ich eines. Macht.
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