Kapitel 24
Wachsam drehte ich mich um und stellte mich instinktiv in die Ausgangsposition, die mir Mo beigebracht hatte. Zwar konnte ich noch nicht wirklich kämpfen, doch ein Gefühl sagte mir, dass ich mich auf die Kraft in mir verlassen konnte auch wenn ich sie noch nicht verstand.
An der offenen Tür stand ein älterer, ein wenig untersetzter Mann. Er war ungefähr so groß wie ich und trug eine braune Schürze mit bunten Farbklecksen über einem weißen Hemd und einer schwarzen Hose. Seine grau-weißen Haare trug er im Nacken zusammengebunden und ein nicht ganz so sauber gestutzter Bart zierte sein Gesicht. Irgendwie erinnerte er mich an Gibbs, den Freund von Jack Sparrow aus Pirates of the Caribbean. Misstrauisch musterte er mich aus dunklen Augen, wobei seine Erscheinung durchaus als Respekteinflößend gelten konnte.
"Ich hab dich was gefragt Mädchen!", sagte er und kam einen Schritt näher. Ihm war gewiss nicht entgangen, dass ich in Kampfposition stand, doch es schien ihm vollkommen egal zu sein. In mir spannte sich alles an, doch die Kraft blieb stumm. So als wüsste sie, dass keine Gefahr drohte.
"Ich bin Kelya. Die neue Erbin der Sonne", stellte ich mich vor und beobachtete ihn genau.
"Das war nicht die Frage Mädchen", kommentierte er trocken, dafür aber weniger verärgert als vorher.
"Ich bin durch Zufall hier her gekommen", erklärte ich. "Und wer seid Ihr?"
Kritisch betrachtete er mich, so als würde er abwägen ob ich die Wahrheit sprach oder nicht. Während er schwieg, verschränkte er die Arme vor der Brust. Erst da fiel mir etwas seltsames an ihm auf. Er trug die Ärmel hochgekrempelt, sodass ich sehen konnte, wie sein linker Arm ab dem Ellbogen bis einschließlich der Hand aus einem schwarzen Material zu bestehen schien. Ich war mir aber nicht sicher ob es sich hierbei um eine Prothese oder eine Art langen Handschuh handelte, denn er schien alles ganz normal bewegen zu können wie eine echte Hand.
"Meine Augen sind hier oben Erbin", riss er mich aus meiner Betrachtung und ich kam mir vor wie vor den Kopf gestoßen. Hatte er gerade wirklich diesen Spruch gebracht?
"Ich bin Hektor sal Kash. Und du kannst dich entspannen Mädchen. Ich bin keine Gefahr." Wie um seine Worte unter Beweis zu stellen, drehte er sich von mir weg und ging zu einem der Bilder. Als wäre ich nicht da, zog er ein Tuch aus seiner Schürze und fuhr damit vorsichtig über den Rahmen des Gemäldes.
"Welche Stellung habt Ihr hier im Palast?", fragte ich ihn und da mich bis jetzt noch niemand über Etikette in der hohen Welt aufgeklärt hatte, schob ich noch schnell ein "Sir" hinterher da ich nicht unhöflich sein wollte. Ich entschied mich dazu meine Abwehrhaltung aufzugeben, aber weiterhin wachsam zu bleiben.
Ein tiefes, grollendes Lachen ertönte und er drehte sich wieder halb zu mir um. "Sir? Mädchen sehe ich etwa wie einer dieser piekfeinen Aristokraten aus?"
War das jetzt eine Falle? Ich hatte doch keine Ahnung wer er wirklich hier im Palast war. Nein, er sah definitiv nicht so aus, aber konnte ich das auch genauso sagen?
Mit sichtbarem Vergnügen sah er meinen Inneren Kampf, nahm mir dann aber zum Glück die Antwort ab. "Zum Glück sehe ich nicht so aus. Lieber stürze ich mich von einem der höchsten Türme dieses Palastes als einen solchen Stock wie die im Arsch zu haben."
Ein befreites Lachen entkam mir. Mit dieser Antwort hatte er eindeutig Sympathiepunkte bei mir gesammelt. Vorsichtig traute ich mich näher. "Und wer seid Ihr dann?"
Kurz hielt er mit dem Tuch inne und sah mich aus schmalen Augen an. "Wenn du noch einmal diesen Höflichkeitsscheiß bei mir benutzt, schmeiße ich dich aus der Sammlung Mädchen. Hektor reicht vollkommen. Wir sind hier nicht bei irgendeinem Ball."
Damit zauberte er mir ein Lächeln auf die Lippen und ließ ihn in meiner Beliebtheitsskala der hohen Welt noch ein gutes Stück nach oben klettern. Wenn das so weiter ging würden wir noch beste Freunde werden. Gleichzeitig nahm er mir damit den Druck alles richtig machen zu müssen.
"Okay. Also was machst du hier im Palast Hektor?"
"Du meinst außer neue Erben dabei erwischen wie sie im verbotenen Teil des Palastes herumschnüffeln?"
Oh verdammt! "Das wusste ich nicht", versuchte ich mich zu rechtfertigen, woraufhin er nur wieder lachte.
"Entspann dich! Ich treibe nur meinen Spaß mit dir." Belustigt schüttelte er mit dem Kopf und lief weiter zum nächsten Bild um den Rahmen abzuwischen. "Dieser Teil des Palastes ist nicht wirklich verboten. Jeder verhält sich nur seit damals so als ob er es wäre."
"Seit damals?", hakte ich nach.
"Seit ihnen." Knapp nickte er in Richtung des Bildes von Lucile und Argon und auf einmal verstand ich. Die Brandspuren, die Risse, das Blut. Das alles stammte noch aus der Zeit in der die Dunkelkrieger in den Palast gekommen waren.
"Das klingt als wärst du dabei gewesen", stellte ich fest und er nickte.
"Ich war damals wie heute Maler in diesem Palast und werde es so lange ich lebe auch bleiben."
"Moment mal! Heißt das, all diese Bilder hier sind von dir?" Mit großen Augen sah ich ihn an und umging somit darauf einzugehen, dass er zu jener Zeit hier gewesen war. Es interessierte mich zwar, doch auch wenn er es versucht hatte zu verstecken, hatte ich trotzdem die Verbitterung und auch eine Spur Traurigkeit in seiner Stimme gehört.
"Aber natürlich!" Voller Stolz drückte er den Rücken durch und sah mich mit erhobenen Kinn an.
"Ich war, bin und werde immer der beste Maler der gesamten hohen Welt sein", lobte er sich selbst und sein Blick zog von einem Gemälde zum nächsten.
"Aber definitiv nicht der bescheidenste", rutschte es mir heraus wie ich es dachte. Seine Augen zuckten zu mir und er schnaubte abfällig.
"Bescheidenheit steht mir nicht, Mädchen. Und wenn ich mir dich so ansehe, steht sie dir wahrscheinlich genauso wenig."
Argwöhnisch zog ich die Augenbrauen hoch. "Woher willst du das wissen?"
"Ich habe in diesem Palast schon mehr Leute kommen und gehen sehen als du in deinem gesamten bisherigen Leben. Da entwickelt man ein Gespür dafür welche Art von Mensch man vor sich hat."
"Aha. Das klingt ja fast so als wärst du schon seit es den Palast gibt hier", sagte ich zum Spaß.
"Und seitdem nicht einen Tag gealtert!", konterte er und machte mich damit sprachlos. Meinte er das etwa ernst? Aber das konnte doch gar nicht sein, oder doch?
Als Hektor wieder anfing zu lachen, musste ich mir meine eigene Naivität vor Augen halten. Es war aber auch unfair, dass er so seine Spielchen mit mir trieb, denn ich wusste ja nicht was hier wirklich möglich war. Immerhin trug ich eine mysteriöse Kraft in mir, die mich zur Erbin machte. Also konnte es doch auch gut möglich sein, dass er so eine Art uralter Palastwächter oder sowas war.
"Oh Mädchen, du solltest dein Gesicht sehen!" Vor lachen hielt er sich den Bauch. Scheinbar war ich die Unterhaltungsnummer schlechthin. Ähnlich wie ein trotziges Kind verschränkte ich die Arme vor der Brust und wartete darauf, dass er sich wieder einkriegte.
Als sein Lachen endlich leiser wurde und schließlich ganz verstummte, sah er mich fast schon entschuldigend an. "Nimm das Ganze nicht persönlich. Ich finde es nur jedes Mal aufs Neue erfrischend, was neue Erben einem alles glauben. Außerdem kann ich aus Erfahrung sagen, dass diejenigen, mit denen ich meine Späße am häufigsten getrieben habe, nachher mit zu meinen engsten Freunden zählten und es größtenteils sogar noch sind. Und soll ich dir was sagen? Selbst einige, die in der hohen Welt geboren und aufgewachsen sind, fallen auf mich herein."
"Keine Sorge, im Gegensatz zu manch anderem was ich heute schon gehört habe, könnte das hier niemals persönlich genommen werden." Ich war keineswegs beleidigt oder böse auf ihn und wie könnte ich das persönlich nehmen, wenn ich doch wusste, dass es nur Spaß war. Im Vergleich zu dem von vorhin...
"Irgendwie habe ich das Gefühl hier haben wir den wahren Grund warum du hier bist", antwortete Hektor und musterte mich wieder. Doch im Gegensatz zu davor, war sein Blick mit Neugier und einer Spur Sorge durchzogen. Letzteres Verstand ich nicht wirklich, denn er kannte mich nicht. Wieso sollte er sich also sorgen?
Skeptisch sah ich ihn an. "Was meinst du? Ich sagte doch es war Zufall."
"Das denkst du vielleicht, aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen du wolltest vor irgendwas fliehen." Prüfend blickte er mir ins Gesicht und fand dort wohl die Bestätigung. "Dachte ich's mir doch. Nun weißt du, diese Gemäldesammlung hatte schon immer eine gewisse Anziehung auf solche Menschen. Dabei ist es egal wer es ist. Ich würde gerne behaupten, dass es an meinen Bildern liegt. Das sie die nötige Ruhe und den Raum um die Gedanken zu ordnen bilden, doch ich weiß wirklich nicht woran es liegt."
Ich ließ mir seine Worte durch den Kopf gehen, wobei ich ihn genau ansah, um sicher zu gehen, dass er nicht schon wieder versuchte mich zu ärgern. Doch sein Blick strahlte pure Ehrlichkeit aus und ließ mich ihm glauben.
"Willst du mir nicht erzählen wovor du geflohen bist, Mädchen?", fragte er nun überraschenderweise und wirkte dabei beinah wie der fürsorgliche Opa dem man einfach alles erzählen konnte.
Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich kannte ihn nicht gut genug und es war mein privates Problem. Würde er es überhaupt verstehen? Oder würde ich dadurch nur schwach wirken? Einer Erbin unwürdig?
"Erbin, du denkst schon wieder zu viel nach. Ich weiß wir kennen uns nicht und deswegen haderst du. Doch manchmal kann es helfen mit einem Fremden zu reden. Dass ich nichts über dich weiß kann also auch ein Vorteil sein. Zudem habe ich beschlossen dich zu mögen, was im Endeffekt so viel bedeutet wie, dass wir Freunde sind. Und meine Ehre verbietet es mir schlecht von Freunden zu denken zumal jedes Wort zwischen uns bleiben wird."
Verschwörerisch zwinkerte er mir zu und automatisch zuckten meine Mundwinkel nach oben.
Ach was soll's? Vielleicht hatte er Recht und irgendwann musste ich ja wohl anfangen mir hier Freunde zu machen.
"Ich bin vor Chou geflohen", ließ ich die Bombe schließlich platzen.
Diesmal war Hektor derjenige, dessen Augenbrauen überrascht in die Höhe schossen.
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