Kapitel 23
"Du hast keine Ahnung wie gefährlich die hohe Welt wirklich ist!", warf er mir vor und sah mich mit festem Blick an. Alles an ihm schrie mir förmlich entgegen, dass er ganz genau wusste wovon er sprach.
Mein Blick fiel auf seine Hand, die mich noch immer am Arm festhielt. "Lass mich los."
"Du magst zwar gehört haben was mit den vorherigen Erben passiert ist, aber du hast nichts davon gesehen! Ich schwöre dir bei meinem Leben ich werde mich nicht in dein Leben drängen und mich aus allem raushalten, aber es ist zu deiner eigenen Sicherheit das Beste", sein Ton war unbeugsam und seine Hand umschloss noch immer meinen Arm.
In mir spürte ich tief den Zorn brodeln. Energisch riss ich mich los und sah ihn fassungslos an. "Du willst dir anmaßen zu wissen was das Beste für mich ist?! Du kennst mich nicht einmal! Und ob du es glaubst oder nicht, bis jetzt habe ich es auch geschafft alleine zu überleben."
"Du weißt, dass das nicht das selbe ist. Die Erde ist bei weitem nicht vergleichbar mit der hohen Welt! Hier bist du jemand von Bedeutung, dort warst du niemand!" Auch in ihm wurde langsam Wut erkennbar, denn er stand auf und sah mit verschränkten Armen auf mich herab.
Seine Worte trafen mich wie ein Schlag. Automatisch spürte ich die Kraft in mir erwachen und etwas in meinem Inneren schien zu zerreißen. "Pass auf was du sagst. Auch wenn du schon dein ganzes Leben hier verbracht hast, bist trotzdem nicht du einer der Erben! Du hast kein Recht darüber zu entscheiden wer ich zu Hause war und wer ich jetzt sein soll! Du bist nur mein Leibwächter, ein Übel mit dem ich gezwungener Maßen leben muss. Auch wenn ich noch nicht lange hier bin, eins habe ich verstanden: DU stehst in der Hierarchie unter mir. Also sag mir nie wieder was ich zu tun habe!"
Meine Stimme wurde mit jedem Stück Wut, das ich aussprach, ein kleines bisschen lauter. Er hatte mich wirklich verletzt, denn entgegen seiner Aussage bin ich zu Hause jemand gewesen. Für meine Eltern war ich jemand. Für meine Freunde war ich jemand. Aber allen voran war ich für mich selbst jemand. Ich hatte genau gewusst wer ich war und was mich ausmachte. Seit ich hier war hatte sich das jedoch geändert. Auch wenn ich hier eine große Rolle zu spielen hatte, so war ich hier eigentlich ein Niemand.
Auch Chou begriff langsam was er mir gerade ins Gesicht gesagt hatte und Schuld zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Ich hatte ihn mit meinen Worten zurechtweisen und sogar genauso verletzten wollen, wie er mich. Doch scheinbar hatte ich mein Ziel verfehlt. Meine Worte hatten ihm nur etwas mehr verdeutlicht was für einen Fehler er gerade gemacht hatte.
"Kelya so war das nicht gemeint." Seine Augenbrauen schoben sich fast schon besorgt ein kleines Stück zusammen und er wollte wieder nach mir greifen. Bewusst ging ich einen Schritt zurück und sah ihn mahnend an.
"Fass mich nicht an. Und wenn ich sage du sollst mich loslassen, dann lässt du mich los! Kenne deinen Platz Chou!"
Da! Ein verletzt-wütender Ausdruck huschte über sein Gesicht. Jedoch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann straffte er die Schultern und sah mich kalt an. "Nur wenn Ihr endlich Vernunft annehmt." Aus seiner Stimme hatte er sämtliche Emotion verbannt, sodass sie eisig und schneidend die kleine Distanz zwischen uns überwand und gleichzeitig sämtliche vorsichtig geknüpften Bande zwischen uns durchtrennte. Auch, dass er plötzlich wieder meine Hoheitsform benutzte statt einem einfachen du ließ eine tiefe Kluft zwischen uns entstehen.
"Wie schade, dass wir scheinbar zwei unterschiedliche Auffassungen von Vernunft haben", schleuderte ich ihm entgegen und wandte mich zum gehen. Hinter mir hörte ich Schritte die mir folgten.
In mir drängte die Kraft wieder an meine Grenzen. "Hör auf mir folgen zu wollen. Selbst wenn ich wöllte, könnte ich wahrscheinlich keinen Weg aus diesem verdammten Palast finden!"
Damit ließ ich ihn stehen und folgte mit schnellen Schritten irgendeinem beliebigen Gang. Es war mir egal wohin er führte, Hauptsache ich kam weg von Chou. Wie hatte er das nur verlangen können?! Ich verstand es ja, aber es reichte doch, wenn ich ihn mit Hilfe des Rings rufen konnte. Warum hatte das kommen müssen? Es lief doch gut zwischen uns und jetzt waren wir wieder ganz am Anfang. Wobei, eigentlich hatte ich das Gefühl wir waren uns noch fremder geworden als wir es am Anfang gewesen sind.
Seufzend verlangsamte ich meine Schritte und sah mich zum ersten Mal richtig um. Zu meiner Überraschung wirkte der Gang nicht erhellt und war auch nicht geschmückt wie die anderen Gänge es bis jetzt immer waren. Die helle Farbe an den Wänden wirkte verblichen und schien von Schatten durchzogen sein, obwohl die filigranen Lampen, die von der Decke hingen mehr als genug Licht spendeten.
Neugierde regte sich in mir und überlagerte die Wut, wofür ich im Moment sogar ziemlich dankbar war. Ohne großartig darüber nachzudenken lief ich weiter. Je mehr ich von dem Gang erforschte, desto mehr fielen mir die Unterschiede zu anderen Teilen des Palastes auf. Risse, die sich in gezackten Linien über Teile der Wände zogen, ein Wandteppich der halb zerfetzt war und dessen Überreste bunte Muster zierten. Ein zerbrochener und dick mit Ruß verschmierter Spiegel auf dem ich, zu meinem Entsetzen, Fingerabdrücke und tief dunkle Flecken entdeckte, welche ich als getrocknetes Blut identifizierte.
Als ich die erste Tür auf meinem Weg erreichte, blieb ich stehen. An dem hellen Holz zeichneten sich dunkle Brandspuren ab, die von etwas Schlimmen zeugten. Vorsichtig legte ich meine Hand auf die Klinke und drückte sie runter. Überraschenderweise ließ sie sich ganz leicht öffnen, als wollte sie mich willkommen heißen. Bedacht trat ich ein und wurde von schwerer Stille empfangen.
Das erste, das mir auffiel, war der Geruch nach Rauch. Er war zwar nicht stechend oder aufdringlich, doch eine sanfte Note davon hing im Raum. Wie eine mahnende Erinnerung. Im Kontrast dazu war der Raum von weichem, goldenen Licht erfüllt, welches von einer Art Fenster in der Decke ausging. Das Fenster war eine Art Relief aus Glas und Metall und zeigte Sonne und Mond, verbunden durch eine Brücke. Hinter dem Glas befand sich eine mir fremde Substanz, welche sich bei genauerer Betrachtung zu bewegen schien. Jedoch schien es kein Tier oder etwas ähnliches zu sein sondern war mehr wie eine leuchtende, sich bewegende Wolke.
Staunend sah ich mich weiter um und entdeckte mehre Bilder, die an der Wand hingen wie in einer Galerie. Interessiert trat ich an eines heran und musste feststellen, dass es sich wirklich um Gemälde handelte. Es zeigte eine ausgedehnte Wiese, auf der Blumen in den schönsten Farben wuchsen. Vom linken Bildrand bis in die Mitte des Hintergrunds erstreckte sich ein majestätischer Wald aus hellgrünen Bäumen, welcher von goldenen Strahlen erleuchtet wurde, sodass es wirkte, als würden die Bäume selbst von Innen heraus leuchten. Nahe des Waldes entdeckte ich zwei Personen, eine Frau und rechts daneben einen Mann. Beide hatte der Maler jedoch nur von hinten gemalt, sodass man ihre Gesichter nicht sehen konnte. Sie trugen dunkle Kleidung, die schlicht war und neben dem hellen Wald besonders ins Auge stach.
Mein Blick zuckte höher und ich sah das gleiche Symbol mit der Sonne und dem Mond im Himmel über der Landschaft in einem besonders hellen Blau. War das möglicherweise so etwas wie ein Wappen für die Erben? Waren die zwei Personen auf dem Gemälde dann sogar vielleicht Erben? Aber welche Erben? Sidera und Aron konnten es nicht sein, denn die Frau auf dem Bild hatte blonde, lockige Haare, während Sidera lange schwarze Haare hatte. Auch die Größenverhältnisse zwischen Mann und Frau passten nicht mit Sidera und Aron zusammen, denn Aron war gut einen Kopf größer als Sidera, während die Beiden auf dem Bild ungefähr gleich groß waren. Als ich nach einem Schild suchte, das mir hätte Auskunft über das Bild geben können, wurde ich jedoch nicht fündig.
Verdrießlich schritt ich weiter zum nächsten Gemälde. Jedoch wurde meine Laune sofort wieder angehoben, als ich die selben zwei Personen ebenfalls auf diesem Gemälde sah. Diesmal waren nur die Beiden gemalt worden, wie bei einem Portrait. Sie standen nebeneinander, wobei sie gegen seine Schulter gelehnt stand, die Arme vor der Brust verschränkt und ihn mit einem frechen Funkeln in den grünen Augen ansah. Ihre Haare lagen wild über ihren Schultern und sie trug ein atemberaubendes Kleid, dass so wirkte als sei es aus flüssigem Silber gewebt worden. Der Mann neben ihr hatte ihr das Gesicht halb zugewandt, seine rotbraunen kurzen Haare hingen ihm halb in die Stirn, während seine dunkelblauen Augen ihren Blick erwiderten. Eine feine Narbe zog sich von seiner linken Schläfe über die Hälfte des Wangenknochens. Er trug eine genauso atemberaubende Robe aus Gold und stand entspannt neben ihr, sodass das Bild eine positive Ausstrahlung bekam. Sie wirkten so vertraut als würden sie sich schon lange kennen, so als würde sie ein tiefes Band miteinander verbinden.
Gleichsam wie bei dem Bild davor suchte ich auch hier nach einem Schild und entdeckte diesmal tatsächlich eines. Als ich jedoch die Worte darauf las, stockte ich.
Lucile und Argon ~ 92. Erben des Zweigestirnsthrons
Geschockt zuckte mein Blick erneut über das Bild. Das waren sie?! Mos und meine Vorgänger?! Diejenigen, von denen mir Sidera und Aron erzählt hatten? Ihre Geschichte spielte sich nach den Erzählungen in meinem Kopf ab, nur dass ich jetzt Gesichter zu den Namen hatte. Mit Schrecken haftete mein Blick an Argon. Ich suchte unbewusst nach Hinweisen in seiner Mimik, die zeigten was in ihm vorging. Doch das Bild musste einige Zeit davor gemacht worden sein, sonst würde man bestimmt-
"Was machst du hier?!", ließ mich eine verärgerte Stimme plötzlich erschrocken zusammenzucken.
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