Kapitel 16
Ruhig und gelassen stand Chou ungefähr einen Meter von mir entfernt und schien gar nicht zu bemerken, was für eine Wirkung er auf mich hatte. Komplett in Schwarz gekleidet verstärkte er dadurch nur das Bild des Entführers, dass ich seit gestern von ihm im Kopf hatte. Meinen ersten Impuls einen Schritt zurück zu weichen, unterdrückte ich mit eisernem Willen. Ich würde ihm die Genugtuung nicht gönnen.
"Kelya", seine Stimme war nichtssagend und auch in seinen Augen konnte ich keine Spur einer Gefühlsregung finden. "Du siehst gut aus."
Ich zog die Augenbrauen hoch und fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen. In meinem Inneren loderte trotz des Kompliments eine erste sanfte Flamme des Zorns auf. "Das ist alles?! Du siehst gut aus?! Erwartest du jetzt ein Danke oder was?"
Leicht legte mein Gegenüber den Kopf schräg und schien zu versuchen mich zu analysieren. "Also im Normalfall bedanken sich Menschen wenn man ihnen ein Kompliment macht."
Was bitte?! "Im Normalfall wird man nicht von einem Psychopathen entführt!" Seine Antwort hatte die Flamme in mir nur wachsen lassen und obwohl eine Stimme in meinem Kopf mir immer wieder zurief, wie gefährlich er eigentlich sein konnte, war die Wut im Moment stärker als die Angst.
Entspannt lehnte er sich nun gegen die Kücheninsel, ließ mich jedoch keine Sekunde aus den Augen. "Sonnenkrieger."
"Was?", irritiert sah ich ihn an. Was wollte er denn mit Sonnenkrieger?!
"Ich bin Sonnenkrieger und nicht Psychopath." Dann stieß er sich wieder von der Kücheninsel ab und kam langsam auf mich zu bis er direkt vor mir stand. "Kleiner Unterschied."
Nun sah er auf mich herab, was mich jedoch nicht davon abhielt all meine Wut in meinen Blick zu legen und ihm somit entgegen zu schleudern. Dabei fiel mir auf, dass seine Haare verschwitzt waren und er recht müde wirkte. Ganz anders als gestern. Im Moment hatte er mehr etwas von einem trägen Kater, doch ich wusste ganz genau, dass dieser Kater ohne Probleme zum wilden Tiger werden konnte.
"Du stehst im Weg", kurzerhand schob er mich beiseite und trat an den Kühlschrank. "Füchschen."
Wie hatte er mich gerade genannt?!!! "Füchschen?! Was ist eigentlich dein Problem? Du hast mich ENTFÜHRT! Kapierst du eigentlich gar nichts?"
Ich war außer mir. Nicht nur, dass er scheinbar kein bisschen Reue für das verspürte was er mir angetan hatte, nein er machte sich auch noch lustig über mich! Zudem hatte er nicht das Recht mich einfach so beiseite zu schieben! Ich war kein verdammter Gegenstand den man aus dem Weg räumen konnte!!
Doch meine Wut schien spurlos an ihm abzuprallen. Anstatt weiter mit mir zu reden, öffnete er den Kühlschrank, holte eine Wasserflasche heraus und schloss ihn wieder. Als hätte er alle Zeit der Welt schraubte er dann den Verschluss auf und nahm ein Paar tiefe Schlucke.
Ganz tief in mir drin spürte ich eine Kraft, die durch meinen Zorn langsam erwachte. Etwas Wildes, Ungezügeltes und ich wusste es war das selbe Ding was gestern aus mir herausgebrochen war. Tief atmete ich durch, denn zeitgleich bekam ich Angst, dass es wie gestern enden könnte. Ich wollte nicht schon wieder was auch immer freilassen.
"Chou", schaltete sich nun auch Sidera in das Gespräch ein und mahnte ihn mit einem Blick seine Spielchen nicht weiter zu treiben. Ich hatte total vergessen, dass sie ebenfalls im Raum war, doch sie schien bemerkt zu haben was in mir gerade vorging und wie kurz ich davor stand wieder die Kontrolle über diese Kraft zu verlieren.
"Schon gut", beschwichtigend hob er die Hände und stellte die Flasche neben mir auf die Kücheninsel. Dann sah er wieder mich an und es war als hätte er das Schutzschild, das sämtliche Emotionen verborgen gehalten hatte, verschwunden war.
Auf einmal war sein Blick voller Gefühle, die mich allesamt sprachlos werden ließen. Ich sah Mitleid, ein Funkeln an Selbsthass und die Reue, von der ich vorher dachte, dass er sie nicht spüren würde. Ohne weiteres nahm er mir damit den Wind aus den Segeln und ließ meinen Zorn kleiner werden.
"Glaub mir, ich wollte das nicht. Doch es war meine Aufgabe dich in die hohe Welt zu bringen, was bedeutete dich zu kidnappen. Es tut mir leid, aber so sind die Vorgaben für die Einführung der Erben schon seit Jahrhunderten."
Seine Entschuldigung überraschte mich und ließ die Kraft in mir, die mit dem Zorn einher ging, endgültig verstummen. So gerne ich ihm auch nicht geglaubt hätte und von ihm weiter das Bild des rücksichtslosen Kidnappers im Kopf behalten hätte, so sah ich in seinen Augen, dass er die Wahrheit sprach und es ehrlich bereute. Nach und nach realisierte ich, dass er doch anders war als das was ich auf den ersten Blick dachte.
Aus Ermangelung einer Antwort schwieg ich, was ihn jedoch nicht zu überraschen schien. Stattdessen sagte er noch etwas, was mich fast das was er getan hatte vergessen ließ. "Ich erwarte nicht, dass du mir verzeihst und ich würde es auch verstehen, wenn du es nicht tun würdest. Ich will einfach, dass du weißt, dass ich das nicht wollte Füchschen."
Und schon hatte er es geschafft seine an sich recht schöne Entschuldigung kaputt zu machen. Skeptisch zog ich eine Augenbraue hoch und sah ihn an. "Füchschen? Dein Ernst?"
Gegen den Spitznamen Füchschen hatte ich noch nicht einmal was, aber dagegen, dass er ihn mir gegeben hatte schon.
Ein freches Grinsen stahl sich auf seine Lippen und er zuckte mit den Schultern. "Was denn? Wenn du wütend bist wirst du eben fuchsteufelswild. Von daher passt das doch gut."
Irritiert schnappte ich nach Luft. Er machte sich immer noch über mich lustig! Eben hatte er sich noch ehrlich entschuldigt und jetzt trieb er schon wieder seine Spielchen mit mir.
"Pass bloß auf!", drohte ich ihm mit dem Wissen, dass ich so oder so gegen ihn verlieren würde und das von daher meine Drohung so schon wirkungslos war.
Herausfordernd hob er das Kinn und ein faszinierendes Funkeln zierte seinen Blick. "Sonst was?"
"Das wirst du dann schon sehen!" Um meine Worte mit Taten zu unterstreichen schnappte ich mir seine Flasche vom Tisch und schmiss sie ihm entgegen. Dummerweise hatte der Typ Reflexe wie eine Schlange und fing die Flasche ab bevor sie ihn wirklich treffen konnte.
Perplex sah er erst auf die Flasche in seiner Hand und dann zu mir. Sein Gesichtsausdruck war so überrascht, dass es mir ein kleines Lachen entlockte.
Gespielt böse funkelte er mich an, ehe wieder ein Grinsen auf seinem Gesicht erschien.
"Sag ich doch: Füchschen!"
Nun war ich diejenige, die ihn böse anfunkelte. Er jedoch, drehte sich nur um und lief die Treppe zur Tür wieder hoch. Oben angekommen drehte er sich nochmal kurz um, nickte Sidera knapp zu und bedachte mich dann mit einem Blick, der mir sagte, dass er so schnell nicht mehr aufhören würde mich so zu nennen. Dann war er auch schon aus der Tür.
Kopfschüttelnd wandte ich mich Sidera zu, welche mich jedoch aufs genaueste musterte.
"Was?", fragte ich, da ich nicht verstand warum sie mich so ansah.
"Das war sehr interessant", kommentierte sie und stopfte sich ein Stück Waffel in den Mund.
"Was genau meinst du?" Mit meinen Blaubeeren setzte ich mich neben sie an die Kücheninsel und begann die Beeren auf meinem Teller zu verteilen.
"Dein Verhalten Chou gegenüber. Erst warst du total abweisend und standst quasi kurz davor zu explodieren. Wortwörtlich. Und ich verstehe auch absolut deinen Zorn. Als ich damals von einem Sternenkrieger entführt wurde, habe ich ihn noch Monate danach gehasst. Auch als ich in alles eingeweiht war, habe ich seine Gesellschaft gemieden. Aber dann, als Chou sich gerade entschuldigt hat, schien es als wärst du komplett ausgetauscht worden. Als hätte sich ein Schalter umgelegt ist dein Zorn verschwunden und ihr habt euch auf Anhieb verstanden."
Nachdenklich nahm ich einen Bissen von der Waffel. "Ich weiß. Eigentlich müsste ich ihn och immer hassen und ihn anschreien oder so. Aber als er sich entschuldigte, war es als ob er mir einen Blick in seine Seele gewährt hätte. Er meinte er hätte es so gemacht, weil es schon seit Jahrhunderten so wäre. Aber warum eigentlich?"
Tief seufzte mein Gegenüber und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. "Die Kraft, die in dir ist, ist ein kleiner Teil dessen was du haben wirst wenn du erst wirklich dein Erbe antrittst. Jedoch muss diese Kraft in dir erst einmal erwachen. Dafür braucht es eine Situation, die dich emotional und körperlich so stark belastet, dass diese Kraft alarmiert wird. In der Vergangenheit hat es sich leider gezeigt, dass die Entführung der Erben eine der geeignetsten Arten ist um diese Kraft aufzuwecken."
Anhand ihrer Stimme konnte ich hören, wie sehr sie diese Tatsache belastete. Ich erinnerte mich daran, wie auch Aron gestern sagte, dass er diese Prozedur hasste.
"Zudem besteht das Problem, dass man nur die hohe Welt betreten kann, wenn auch eine Verbindung zu ihr besteht. Das heißt, wäre deine Kraft noch nicht erwacht und Chou hätte versucht dich in die hohe Welt zu bringen, hätte es nicht geklappt", erklärte sie weiter, wobei sie die ganze Zeit betroffen auf den Tisch schaute.
Überwältigt von den Informationen aß ich schweigend weiter. Das bedeutete, so oder so hätte Chou keine andere Möglichkeit gehabt. Er hatte es tun müssen, egal ob er wollte oder nicht.
"Aber was hat es dann mit diesem Traum auf sich, den ich währenddessen hatte? Der den auch Aron gestern erwähnt hat?", fragte ich weiter.
"Das ist eine Nebenwirkung des Weltenwechselns. Wechseln Erben zum ersten Mal die Welt spricht die Kraft in ihnen darauf an und sorgt für ziemlich seltsame Träume. "
Das klang alles viel zu fantastisch um logisch zu sein aber auch wiederum viel zu logisch um nur ausgedacht zu sein. Aber vielleicht war es jetzt einfach so, dass das die Wahrheit war.
Plötzlich stand Sidera auf und räumte, da wir beide fertig gegessen hatten unsere Teller weg.
"Wie wäre es wenn du deine Fragen dem jetzigen noch Erben der Sonne stellst und wir jetzt mal zu Aron gehen. Er wartet bestimmt schon auf uns", schlug sie nun vor.
Da ich die Chance sah noch etwas mehr über mich und meine Aufgabe hier herauszufinden nickte ich und folgte ihr eilig aus der Küche.
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