Kapitel Zweiundzwanzig: Freund oder Feind
Ihr Atem stockte den Bruchteil einer Sekunde bei dem Anblick, der sich ihr bot. Ohne darüber nachzudenken umgriffen ihre Finger den Türrahmen. Denn dort stand nicht die Person, die sie sich erhofft hatte. Es war Thor, der so weiß war, wie die Wand hinter sich. Der Gott des Donners wirkte wie ein Häufchen Elend, als er sich durchs Haar fuhr. Plötzlich fand Sylvie es schwer zu atmen, und ihre Augen schraken vor dem Anblick zurück. Wie von selbst öffnete sich ihr Mund und es kam nur ein Wort daraus hervor.
,,Loki?"
Endlich huschte sein Blick zu ihr, als würde er sie erst jetzt wirklich wahrnehmen. Kurz schloss er die Lider, was in Sylvies Augen gequält wirkte.
,,Er ist fort. Wohin er so abrupt aufgebrochen ist, sagte er mir nicht."
Plötzlich und ohne Vorwarnung gaben ihre Beine unter ihrem Gewicht nach. Wie betäubt sank sie auf die Knie. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Das konnte er nicht getan haben. So dumm konnte er nicht sein. Ihre Finger gruben sich in ihre Oberschenkel. Der Schmerz wich Wut und diese Wut traf sie mit einer Wucht. Unwillkürlich biss sie die Zähne zusammen. Sie würde ihn umbringen. Von dem Gefühl der Wut getrieben sprang sie auf die Füße. Ohne ein Wort an Thor zu verschwenden wollte sie an ihm vorbei, doch der Gott des Donners war schneller. Viel zu fest umfasste er ihr Handgelenk, um sie am fliehen zu hindern.
,,Du weißt, wohin er ist."
Ihr Blick kreuzte seinen.
,,Geh mir aus dem Weg."
Der Griff um ihr Handgelenk wurde noch ein wenig fester und begann zu schmerzen. Nach wie vor starrten sie sich in die Augen, während der Druck weiter zu nahm. Eine elektrisierende Spannung baute sich um die beiden auf, sodass die Luft zu flimmern schien. Keiner wollte nachgeben. Er wollte sie mit seiner Macht und Stärke zum Einknicken bewegen. Aber Sylvie hielt mit allem, was sie hatte dagegen. Wenn sie Loki schon nicht gänzlich vertraute, dann doch schon gar nicht Thor. Schon ein weiterer Blick in ihre Augen reichte aus. Ihm wurde klar, dass er keine Chance hatte eine Antwort zu bekommen.
,,Sylvie, du kannst momentan nicht klar denken", versuchte er es nun mit der sanften Masche.
Ihre Lippen waren fest zusammengepresst, als müsste sie sich davon abhalten, etwas zu sagen.
Aus unerfindlichen Gründen wurde sein Blick ein wenig freundlicher. Diesen Blick ertrug Sylvie nicht, sodass sie den Blick abwandt.
,,Es spielt keine Rolle, ob ich weiß, wohin er ist", presste sie zähneknirschend hervor. ,,Er hat seine Entscheidung getroffen."
Stur starrte sie vor sich hin und konzentrierte sich darauf, den Schrei, der in ihr tobte, nicht rauszulassen. Der Druck um ihr Handgelenk wurde wieder ein bisschen fester. Aus heiterem Himmel begann er sie durch den Flur zu ziehen. Dann traten sie durch eine Tür, hinter der sich ein Zimmer befand, das stark an einen Verhörraum erinnerte. Der Raum war leer, es gab keine Möbel. Wofür Loki dieses Zimmer wohl nutzte? Dieses Loft bot also noch einiges an Geheimnissen. Da traf sie die bittere Erkenntnis, dass sie aufgrund dessen, was sie gesagt hatte, jetzt für Thor auch eine von den Bösen war.
,,Ich nehme an, mit deinen übernatürlichen Kräften kämst du hier wohl raus", sagte Thor sehr leise, als rechnete er damit, dass sie jemand belauschte. ,,Du weißt, was du eben gesagt hast, ja?"
Sylvie nickte.
,,Das heißt, im Grunde verurteilst du Loki zum Tode."
Er sagte es nicht als Frage, aber sie antwortete trotzdem.
,,Ich trage nur die Konsequenzen für meine Taten."
Unerwartet zögerte er, schien noch etwas sagen zu wollen, aber dann zuckte er mit den Schultern und seufzte. Die Zeit zurückzudrehen war unmöglich.
,,Wenn du mir nicht helfen willst ihn zu finden, dann werde ich andere Mittel und Wege suchen."
Thors Worte ließen sie sich auf ihre Unterlippe beißen. Das bedeutete eindeutig, dass Alte Magie im Spiel war. Egal. Das Ergebnis blieb dasselbe. Sie atmete aus und stellte sich vor, die Energie strömte mit dem Atem aus. Den Bruchteil einer Sekunde blinzelte sie, als tauchte sie aus tiefem Wasser an die Oberfläche auf. Thor hatte sich vor ihr aufgebaut. Noch immer schien er auf ihre Entscheidung zu warten.
,,Loki ist zu dem Ort zurück, an dem sich der Zeithütter aufhält."
Verblüfft riss Thor die Augen auf.
,,Alleine?"
Was für eine blöde Frage. Woher sollte sie das wissen? Oder ... Nein, warte. Sicher hatte er Mobius bei sich, doch dieses Detail behielt sie besser für sich. Thor lief bereits quere durch den Raum, wobei er heftig fluchte. Das Wort Dummkopf war dabei noch eines der netten Worte, die er für Lokis Aktion fand. Seine Faust traf gegen die Wand, wobei er dort ein klaffendes Loch hinter ließ. Abermals setzte er sich in Bewegung, bevor er sich abrupt in Sylvies Richtung wandte. Sein Blick durchbohrte sie förmlich.
,,Was werden wir tun?"
Da war der Konflikt, den Sylvie vermeiden hatte wollen. Es passte nicht in ihre Pläne, dass Thor sich nun auch noch einmischte. Unentschlossen, was sie erwidern sollte, biss sie sich auf die Unterlippe. Nach wie vor ruhte sein Blick auf ihr. In seinen Augen spiegelte sich eine Dringlichkeit wieder. Sie hofft weiterhin, die TVA zu zerstören und das Universum aufgrund von Aktionen der TVA zu einem früheren Zeitpunkt in ihrem Leben von der Heiligen Zeitlinie zu befreien. Es war Zufall oder Schicksal, dass sie sich später gezwungen sah, sich mit einer Loki Variante aus dem Jahr 2012 zu verbünden, bevor sie romantische Gefühle für ihn entwickelte. Das war ein Detail, welches sie nie geplant hatte.
Loki war es gewesen, der dieses Feuer in ihr entfachte und ihr all diese erstaunliche Verletzlichkeit verlieh. Es waren der Unfug, die Verspieltheit, vielleicht ein bisschen innere Fragmentierung und einige gebrochene Emotionen ... die sie sich teilten, die sie zueinander hin zog, wie die Motten zum Licht.
Die Absicht, die das Schicksal verfolgte, schien zu sein, Sylvie eine Rolle in Lokis Selbstverwirklichung und Erlösung von der schurkischen Darstellung seiner Person spielen zu lassen. Wobei Sylvie selbst zum ersten Mal ein Spiegel vorgehalten wurde. Sie empfand Zuneigung zu sich selbst ... in Loki sah sie Dinge, die sie nie für möglich gehalten hatte. Sie führten diese widerstrebende Beziehung in der Hoffnung vielleicht zu lernen sich selbst weiterzuentwickeln, sich selbst zu verzeihen.
Sie war er, aber sie war nicht er. Sie hatten so unterschiedliche Lebenserfahrungen gemacht. So unterschiedliche Identitätsperspektiven.
Der Blick, den sie in dem Moment ihres Kennenlernens teilten, es begann als Zweckgemeinschaft, dann wurde es zu einer blühenden Freundschaft. Dann spürten beide zum ersten Mal den Stich: Oh, könnte da etwas mehr sein? Was oder wer waren sie? Gefühle?
Keinen Moment hatte Sylvie es Loki leichtgemacht ihre unglaublich hohen Mauern, die sie um sich herum errichtet hatte, um sich vor allem zu schützen - sowohl vor körperlichen Kämpfen als auch vor Gefühlen, einzureißen. Ein paarmal versuchte Sylvie selbst diese Mauern niederzureißen, während sie gleichzeitig den Fokus auf Rache gegen die TVA beibehielt. Aber Loki war es tatsächlich gelungen tiefer zu dringen. Er bemerkte die ultimative Traurigkeit. Sylvie wurde von Rache, Schmerz und Wut getrieben, ein Gegenstück zu Loki. Vor nicht allzu langer Zeit sagte Loki ihr: Du wirst nicht bekommen, was du willst.
Aber sie war noch nicht da. Auf ihrer Reise der Selbstheilung war sie nicht da, wo er war. Trotzdem waren all ihre Gefühle, die zwischen ihr und Loki festgehalten wurden, echt. Doch ihre anderen Gefühle überholten sie jedes Mal, was zu ihrem unbrechbaren Willen führte, die TVA ein für alle Mal zu besiegen.
„Ich sorge mich definitiv um ihn, aber ich interpretiere das, was er getan hat als Abschied. Ich denke nicht, dass es unbedingt ein kompletter Trick ist und ich glaube nicht, dass meine Gefühle ein Trick waren. Doch, wenn du es so sehen willst ist mein "glorreicher Zweck" diese Mission auf, die ich höllisch versessen bin."
Ohne jegliche Vorwarnung kam Thor näher. Es schien beinah so, als wäre er wie aus dem Nichts vor ihr aufgetaucht.
,,Ist das deine Antwort?"
Auf einmal wirkte er bedrohlich.
,,Du willst mich wohl verarschen", sagte er und verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust. ,,Du wirst Loki nicht im Stich lassen, denn er tut all das nur für dich. Und das weißt du."
Ja, das wusste sie, denn ihr Herz hämmerte wie wild. Sylvie wandte das Gesicht ab, ihr Kiefer zuckte.
,,Ich weiß nicht, wovon du redest", entgegnete sie mit fester Stimme.
Unwillkürlich tat Thor noch einen Schritt auf Sylvie zu und blinzelte, als könnte er nicht glauben, was er da hörte.
,,Du lügst", sagte Thor, allerdings mit Zweifel in der Stimme.
Sylvie begann sich zu fragen, wie sie sich möglichst schnell aus dem Staub machen konnte.
,,Wo immer du hin willst, ich werde mitgehen", sagte er leise, als könnte er ihre Gedanken lesen. Sein ruhiger Ton wirkte bedrohlicher, als die Wut zuvor, was Sylvie ein wenig vorsichtiger werden ließ.
Nach wie vor war sie in New York. Einen Ort, den sie nicht kannte. Selbst, wenn sie einen Ausweg aus dieser Situation finden würde, hätte sie keinen blassen Schimmer wohin. Plus, um zu dem Ort zu gelangen, der ihr die Befriedigung der Rache gab, bräuchte sie Friggas Hilfe. Und diese würde sie nur durch Thors Hilfe bekommen. Eigentlich könnte ihr der Gott des Donners noch von Nutzen sein. Wie sie ihn wieder los wurde konnte sie sich später überlegen. Widerwillig sprang Sylvie über ihren Schatten und streckte Thor die Hand entgegen.
Es war ein Angebot ...
Zwar ein trügerisches, aber es war ein Angebot. Thor starrte auf die Hand hinab. Misstrauen lag in seinem Blick, wegen des viel zu raschen Stimmungsumschwungs.
Was würde er tun?
Würde er die Hand ergreifen?
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