Kapitel Vierzehn: Im Kerker
Ruhig hatte sie sich ohne große Gegenwehr abführen lassen, obwohl es in ihr drinnen tobte. Ein Sturm, ein Feuer. Was aber noch viel weniger für sie zu ertragen war, war der Schmerz, den Loki ausstrahlte. Unsanft wurde sie von den Destroyern in vollkommene Dunkelheit gestoßen. Mit einem lauten quietschen schloss sich die Tür. Nun stand sie in der Finsternis und schlang die Arme um sich, wie um nicht auseinanderzubrechen. Die Kälte, die vom steinernen Boden ausging, kroch allmählich in ihren Körper, was sie erzittern ließ. Irgendwo war ein stetiges Tropfen zu hören, was den Kerker noch ein wenig mehr Kälte verlieh.
Wie hatte sie nur in diese Lage kommen können?
Plötzlich überkam sie das Gefühl der Schwäche, was sie auf die Knie sinken ließ. Die Härte des Bodens würde auf ihren Knien Blutergüsse hinterlassen. Doch das war nun nebensächlich. Wer wusste schon, wann sie das nächste Mal die Sonne sehen würde? Diese Erkenntnis ließ sie sich auf den Boden wie ein Embryo zusammenrollen. Sie war allem beraubt worden, sogar ihrer Würde. Endlich bahnten sich die lange zurückgehaltenen Tränen ihren Weg über ihre Wangen, wo sie am Boden zersprangen. Die gefürchtete Furcht, das Misstrauen zerfraß sie, um einen bitteren Beigeschmack zu hinterlassen.
,,Du hast Loki verzaubert", hörte sie eine Stimme aus der Dunkelheit.
Woher diese kam konnte sie nicht sagen, doch das war auch egal. Diesem Mann, diesem König hatte sie nichts zu sagen. Sie selbst wusste, dass es unmöglich war Loki zu verzaubern, schließlich hatte sie dies bereits versucht. Es blieb still, also war die Stimme fort. Gequält schloss sie die Augen, um ein wenig Ruhe zu finden. An Schlaf war nicht zu denken, denn das Tropfen trieb sie in den Wahnsinn. Sie begann sich an den Gedanken zu klammern, dass es bald aufhören würde, wenn sie der TVA übergeben worden wäre. Beinah ein tröstlicher Gedanke.
,,Sylvie."
Jene Stimme, sie musste träumen. Eine Handfläche berührte ihre feuchte Wange, was sie aufschrecken ließ. In der Dunkelheit stieß sie gegen die harte Mauer des Kerkers, was sie kurz nach Luft schnappen ließ. Ihr Puls raste, während ihre Augen verzweifelt versuchten etwas in der Dunkelheit auszumachen. Spielte ihr Verstand ihr bereits Streiche?
,,Loki", fragte sie in die Dunkelheit.
,,Ich bin hier. Ich wollte dich nicht erschrecken."
Allmählich kam er näher und als sie endlich seine Konturen ausmachen konnte, umklammerte sie seine Schultern. Er war wirklich hier... hier bei ihr. Neuerliche Tränen sammelten sich in ihren Augen, während sie ihr Gesicht an seiner Brust verbarg. Es war wirklich Loki. Der Geruch, der seiner Haut anhaftete, war unverkennbar. Die Furcht wurde ein bisschen weniger. Eine Weile streichelte er behutsam über ihren Rücken.
,,Wenn ich gewusst hätte, wie all das endet, ich hätte dich nicht hergebracht."
Jedes Wort, dass seine Lippen verließ, war ehrlich gemeint.
Sylvie brachte ein wenig Abstand zwischen ihre Körper.
,,Wie bist du hierhergekommen?"
,,Ich hatte ein wenig Hilfe von Thor und meiner Mutter."
Das war ihr Antwort genug. Sie wollte nicht mehr reden. Ihre Finger suchten sein Gesicht, um es zu umfassen. Ein, zwei Herzschläge ließ sie vergehen, bevor sie ihre Lippen auf seine presste. In der ersten Sekunde wirkte Loki ein bisschen überrumpelt, bevor er den Bewegungen ihrer Lippen folgte. Es war, als würden zwei Präsenzen verschmelzen, als würden ihre Lippen perfekt zueinander passen. Die Luft knisterte vor Begehren, als sich Sylvie ruckartig zurückzog. Sie lächelte in der Dunkelheit, denn sie wusste, dass Loki über den Verlauf des Kusses enttäuscht war.
,,Wofür war der?", fragte er atemlos.
,,Wer weiß, wie viele Gelegenheiten ich noch bekomme dich zu küssen", neckte sie ihn.
Sanft, aber dennoch fest umfasste Loki Sylvies Schultern.
,,Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert. Thor und ich werden einen Weg finden."
,,Ich weiß", entgegnete sie. ,,Aber wie du einmal sagtest, wir Lokis gewinnen nicht immer."
,,Aber, wir überleben."
Seine Worte erwärmten ihr Herz und ließen sie die Kälte für den Moment vergessen.
,,Wenn du möchtest bleibe ich bei dir."
Es war ein großzügiges Angebot. Loki wollte die Schmerzen und die Dunkelheit mit ihr teilen, obwohl er wusste, dass sie sein Angebot nicht annehmen konnte. Bis jetzt hatte Odin seinen Sohn verschont, weil da doch ein Fünkchen Liebe für den Gott des Schabernacks da war. Das sollte Loki nicht ihretwegen verspielen.
,,Ich bin stark, ich werde das schaffen."
Das war zwar gelogen, doch Loki brauchte das nicht zu wissen, wenn er es nicht bereits schon ahnte. Ein letztes Mal umfasste sie seine Hände, um sie sanft zu drücken.
,,Geh."
Es fiel ihm mehr als schwer Sylvie in der Dunkelheit, der Kälte zurückzulassen. Aber sie hatte Recht. Die Möglichkeiten waren gering. Er dachte an den Kuss, um sich abzulenken. Es würde kein Abschied sein, daran klammerte er sich mit allem, was er hatte.
Seine Schritte verklangen in der Dunkelheit und ließen Sylvie mit Sehnsucht und dem Gefühl der wiederkehrenden Furcht zurück. Die plötzliche Stille machte ihr zu schaffen, während sie die Knie mit ihren Händen Umschlag, begann ihr Geist abzudriften. Es waren Erinnerungen an Gespräche mit Loki.
,,Liebe ist dann Unfug?"
,,Nein, Liebe ist etwas, an das ich vielleicht noch etwas trinken muss, um darüber nachzudenken."
Liebe war noch immer Unfug, dachte Sylvie. Aber ein schöner Unfug.
Nenne mich nicht Variante.
Es tut mir leid, aber ich nenne keine verblasste Fotokopie von mir „Loki"
Gut. Denn das bin ich nicht mehr. Ich bin jetzt Sylvie.
Oh, du hast deinen Namen geändert. Brillant.
Es wird Deckname genannt.
Es ist nicht sehr Loki-artig.
Ja? Was genau macht einen Loki zu einem Loki?
Unabhängigkeit, Autorität, Stil.
Das Gespräch über seine Mutter war ihr besonders in Erinnerung geblieben.
Sie war eine Königin von Asgard. Sie war gut. Rein anständig.
Bist du sicher, dass sie deine Mutter war?
Oh nein, das ist sie eigentlich nicht. Ich wurde adoptiert. Ist das ein bisschen ein Spoiler für dich? Das tut mir leid.
Nein, ich wusste, dass ich adoptiert wurde.
Was? Sie haben es dir gesagt?
Lokis Mutter war wirklich so, wie er sie beschrieben hatte. Es stimmte einfach alles.
Als ich klein war, hat sie diese kleinen Zaubersprüche für mich gemacht. Verwandelte eine Blume in einen Frosch oder warf ein Feuerwerk über das Wasser. Es schien alles unmöglich, aber sie sagte mir, dass ich es eines Tages auch schaffen würde, weil ... ich alles tun könnte. Sie war die Art von Person, die man möchte, dass sie an einen glaubt.
Klingt so, als würde sie es tun.
Glaubst du, was einen Loki zu einem Loki macht, ist die Tatsache, dass wir dazu bestimmt sind zu verlieren?
Nein. Wir können verlieren. Manchmal schmerzhaft. Aber wir sterben nicht. Wir überleben.
Wir überleben, wiederholte sie im Geist. Das würde zu ihrem Mantra werden. Sie rollte sich auf dem Boden zusammen. All die schönen Erinnerungen ließen sie irgendwann erschöpft einschlafen.
Währenddessen wartete Thor auf Lokis Rückkehr.
,,Bist du schuldig oder nicht schuldig?", fragte er neugierig seinen Bruder.
Erschöpft ließ Loki sich auf das Bett fallen. Seine rechte Seite fühlte sich wund an und schmerzte wie die Hölle.
,,Schuldig, der Gott des Unfugs zu sein? Jawohl. Schuld daran, all das unglaublich langweilig zu finden? Jawohl. An einem Verbrechen gegen die Heilige Zeitlinie schuldig? Absolut nicht, Sie hatten die falsche Person."
,,Oh, wirklich? Und wen sollten sie haben?"
,,Ich vermute, die Avengers. Weißt du, ich bin nur in den Besitz des Tesserakts gekommen, weil sie durch die Zeit gereist sind, zweifellos in dem letzten verzweifelten Versuch, meinen Aufstieg zum Gottkönig zu verhindern."
,,Das ist eine ziemliche Anschuldigung", lachte Thor, wobei er sich zu Loki aufs Bett fallen ließ.
,,Glaub mir, ich kann das Eau de Cologne von zwei Tony Starks riechen. Du hast keine Ahnung, wozu ich fähig bin!"
Eine Weile betrachtete Thor Loki von der Seite, bevor er sagte: ,,Es ist jemand in Asgard eingetroffen, der gerne mit dir sprechen möchte."
Loki ahnte schon von wem Thor da sprach, also war es keine Überraschung für ihn, als Mobius durch die Tür trat, während Thor den Raum verließ.
,,Bist du gekommen, um sie zu holen?"
Mobius setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke. ,,Nein. Ravonna weiß hiervon nichts."
,,Ihr lächerlichen Bürokraten werdet mir nicht diktieren, wie meine Geschichte endet!"
,,Es ist nicht Ihre Geschichte, Mr. Laufeyson. Das war es nie. Warum seid ihr beiden verwaisten Halbgötter so nervig?"
Stur blickte Loki die Wand an. Er würde Mobius auf diesen Quatsch keine Antwort geben.
,,Zwei Varianten desselben Wesens, bilden diese kranke, verdrehte romantische Beziehung. Das ist pures Chaos. Das könnte die Realität zerstören. Es bricht gerade meine Realität. Was für ein unglaublicher seismischer Narzisst. Du hast dich in dich selbst verliebt", fuhr Mobius fort.
,,Ihr Name ist Sylvie", blaffte Loki zurück.
Noch immer wirkte Mobius gleichgültig, als er entgegnete: ,,Gut, nennen wir sie Sylvie. Was hat sie dir erzählt?"
Ach darum war er hier. Er wollte wissen, was Sylvie herausgefunden hatte. Das konnte er haben.
,,Ihr seid alle Varianten! Alle, die bei der TVA arbeiten. Die Zeithütter haben dich nicht erschaffen. Sie haben dich entführt. Sie haben dich aus der Zeitlinie entführt und deine Erinnerungen gelöscht. Erinnerungen, auf die sie durch Verzauberung zugreifen kann. Davor hattest du also eine Vergangenheit, vielleicht hattest du eine Familie, ein Leben."
Für den Bruchteil einer Sekunde brachten ihn Lokis Worte aus der Fassung, bevor er sich schnell wieder fasste und ein neutrales Gesicht aufsetzte.
,,Netter Versuch. Das war gut. Ihr zwei, was für ein Paar. Meine Güte! Nicht zu glauben. Wohin du auch gehst, da ist nur Tod, Zerstörung, das buchstäbliche Ende der Welten. Also glaubst du wirklich, ich würde den Worten der zwei Lokis vertrauen?"
,,Wie wäre es mit dem Wort eines Freundes?"
Waren sie Freunde?
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