Kapitel Siebzehn: Renslayer
Sylvie hatte keine Gelegenheit über Lokis Worte nachzudenken, denn ihr Kinn wurde abrupt nach oben gerissen. Nun sah sie sich einem verhassten Augenpaar ausgesetzt.
,,Schön dich wiederzusehen Variante."
Das brennende Gefühl des Hasses überdeckte alle anderen Gefühle. Es schaffte es sogar die Angst wegzuwischen. Der Hass war Härte. Er war real und ein Gegenmittel gegen Gefühle der Unwirklichkeit. Hass holte Sylvie auf den Boden zurück. Hass und Himmel passten nicht zusammen. Hassen war ein starkes Gefühl. Sein Geschmack war bitter in ihrem Mund, sein Geruch war, der von verbrannter Erde, seine Farbe war schwarz und rot, wie ein Schleier vor ihren Augen.
Der hasserfüllte Blick, mit dem die Variante sie bedachte, brachte Ravonna dazu nur müde zu lächeln. Das Gefühl des Triumphs machte sich in ihr breit. Sie war da, wo sie hin gewollt hatte. Der Griff um Sylvies Kinn wurde noch ein wenig fester, während Ravonnas Nägel über Sylvies Haut kratzten.
Dort wo die Nägel die Haut berührten brannte es wie Feuer. Doch es war nicht dieses Brennen, dass sie gefangen hielt. Es war der Hass, der sie in den Bann zog und gefangen hielt. Es war nicht leicht, den Hass aufzugeben. Hass war einseitig, denn man sah nur noch ihn. Lässt man den Hass los, kamen andere Gefühle, die sich furchtbar anfühlten. Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht, Verzweiflung, Schmerz und Trauer.
Hass saß tief in ihrem Herzen. Ihre Stirn war wie ein gezwungen in ein Band, die Muskeln am unteren Rücken, am Kreuz, verkrampften sich. Das Gefühl ließ sie erstarren und verbittern. Hass war unflexibel. Hass glühte in ihren Augen. Hass war ein Ganzkörpergefühl. Er brannte wie Feuer in den Venen. Und wollte zerstören.
,,Sieh dich an! Wie erbärmlich."
Das Universum wollte sich befreien, also manifestierte es Chaos.
,,Die Time Variance Authority und du, ein und dasselbe. Betrunken vor Macht, blind für die Wahrheit. Diejenigen, die du unterschätzt, werden dich verschlingen."
Ravonna lachte über Sylvies Worte auf, während Mobius still in einer Ecke stand, um die Szene zu beobachten. Sein Blick war nur auf Sylvie gerichtet, die einen majestätischen Stolz auszustrahlen schien, obwohl ihre Lage verloren schien. Ihr Kinn war trotzig nach oben gereckt, obwohl Ravonna verbissen versuchte es nach unten zu drücken. Es war offensichtlich, was Ravonna damit bezwecken wollte. Sie wollte die Variante demütigen. Warum hasste sie diese Variante so?
Endlich machte er einen Schritt auf die Szene zu.
,,Ravonna findest du nicht, dass das reicht."
Ruckartig zog sie die Finger um das Kinn zurück, um zu Mobius herumzuwirbeln. Ihr Blick sprach Bände. Er hatte eindeutig eine Grenze überschritten. Ihre Nasenflügel bebten verdächtig. Sie nahm ein zwei tiefe Atemzüge, bevor sie sich einem der Minutemen zuwandte.
,,Nehmt sie mit!"
Darauf hatte Loki nur gewartet. Nun presste er sich ein wenig dichter an die Wand. Eine Nervosität machte sich in ihm breit. Es gab nur diese eine Chance. Sein Blick huschte zu seinen zitternden Fingern. Er schaffte das, er schaffte das. Jede Sekunde würden sie aus der Zelle kommen. Loki begann sich auf seine Finger zu fokussieren, sodass sie zu kribbeln begannen. Da war sie, die Magie. Er konnte es deutlich pulsieren fühlen. Alle Muskeln in seinem Körper waren zum Zerreißen angespannt. In seinem Kopf begann er leise bis drei zu zählen. Eins... Zwei... Drei...
Seine Finger umfassten den Kopf des Minutemen und kleine grüne Funken sprühten aus seinen Fingerspitzen. Der Griff um Sylvie lockerte sich, sodass sie ihm entschlüpfen konnte. Sie versetzte dem Minutemen einen präzisen Schlag gegen den Nacken, der verdrehte kurz die Augen nach oben und sackte schließlich in sich zusammen.
,,Sag mir nicht, dass das dein Plan war."
,,Nicht fragen, rennen!"
Da war ihre verdammte Antwort, als Loki ihre Hand ergriff, um sie mit sich zuziehen. Wie hatte sie eine Sekunde denken können, dass er einen anständigen Plan mit Hand und Fuß hatte? Loki folgte immer seinem Bauchgefühl. So wie jetzt. Es sollte ihr nicht egal sein, doch in dieser Sekunde war es ihr gleichgültig. Seine Finger umschlossen fest ihre und das war, dass was zählte. Er war bei ihr, so wie er es versprochen hatte. Dieser Gedanke erwärmte ihr Herz.
Zielstrebig führte Loki sie durch die verwinkelten Gänge des Palastes, die seltsam verwaist erschienen. Sylvie begann sich zu fragen, wo all die Wachen waren. Unauffällig ließ sie ihren Blick umherschweifen, doch nirgendwo war eine Spur von Leben zu entdecken. Die Frage des Verbleibs der Wachen lag ihr auf der Zunge, aber sie verkniff sie sich, als sie Lokis ernste Miene erkannte. Seine Kiefermuskeln waren angespannt und sein Blick fokussiert, als ob hinter jeder Ecke Gefahr lauern würde. Sanft drückte sie seine Finger, sodass sein Blick kurzzeitig zu ihr glitt. Er schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln. In dieser Sekunde wurde ihr klar, dass sie später reden mussten. Über all die unausgesprochenen Dinge zwischen ihnen, doch nun mussten sie einfach in Bewegung bleiben um, aus Asgard zu entkommen. Sie konnte sich schon denken, was ihr Ziel war. Midgard. Viel zu einfach, viel zu schnell schlugen sie sich zur Regenbogenbrücke durch, wo sie Heimdall und Thor bereits erwarteten. Auf Thors Gesicht breitete sich ein breites Grinsen aus, wobei er Loki auf die Schulter klopfte. Der Klopfer ließ Loki ein wenig taumeln, bevor er sich wieder fing, um Thor einen missbilligenden Blick zuzuwerfen.
,,Ich wusste, dass du es schaffst."
Von den Worten seines Bruders unangenehm berührt starrte Loki zu Boden. Selbst Sylvie anzusehen wagte er nicht, als er nuschelte: ,,Wir sollten uns beeilen."
Wie aufs Stichwort zog Thor eine Karte hervor, die er Loki in die Hand drückte.
Erst jetzt auf den zweiten Blick kam Sylvie der Gedanke, dass Thor sie begleiten würde, denn er trug Midgard übliche Kleidung. Sie wusste nicht, ob sie darüber glücklich oder traurig sein sollte. Bevor sie auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, standen sie wie aus dem Nichts in Lokis Loft. Sylvies Hand wanderte zu ihrer Schläfe, denn die Welt wankte für den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie das Schwindelgefühl abschütteln konnte. Kurz blinzelte sie verwirrt, da Thor, der eben noch da gewesen war - und das wusste sie mit absoluter Sicherheit - verschwunden war. Loki starrte irgendeinen Punkt an der Wand an, während sich ein Unheil verheißendes Schweigen über sie legte. Nach einer Weile wagte Sylvie den ersten Vorstoß.
,,Renslayer wird fuchsteufelswild sein", sagte sie leichthin in die Stille, aber von Loki kam keine Reaktion.
Er wirkte wie erstarrt an Ort und Stelle. Allmählich bekam Sylvie Angst. Zaghaft lief sie auf ihn zu, um ihn an der Schulter zu berühren. Kaum hatte sie das getan, schoss er förmlich zu ihr herum und seine Lippen lagen auf ihren. Sofort spürte sie die ersten Begleiterscheinungen. Herzklopfen, Schmetterlinge im Bauch und weiche Knie. Bei der sanften Berührung ihrer zweier Münder entbrannte ein wahres Gefühlsfeuerwerk, bis Sylvie auf ihren Lippen einen salzigen Geschmack bemerkte. Langsam entzog sie sich, um mit Entsetzen festzustellen, dass er weinte. Mit ihrer Fingerspitze wischte sie eine Träne aus seinem Augenwinkel fort. Einen Moment starrte sie wie paralysiert auf das glitzernde Nass an ihrer Fingerspitze.
,,Warum weinst du?", fragte sie sanft.
,,Allein der bloße Gedanke"... er schluckte schwer, bevor er fortfuhr. ,,Der bloße Gedanke dich zu verlieren, dich nicht retten zu können."
Ihre Mundwinkel hoben sich ein wenig, wobei sie mit der Fingerspitze die feuchte Linie auf seiner Wange nachfuhr. ,,Du hast es geschafft, du warst großartig. Loki, du hast Magie eingesetzt, die du zuvor noch nie benutzt hast."
Unwillkürlich wandte er sich von ihr ab, um den Raum zu durchqueren, sodass ihre Hand ins Leere fasste. Es schien beinah so, als wollte er Abstand zwischen ihnen.
,,Und doch willst du noch immer kämpfen und am Ende wirst du mich verlassen."
Er sagte es mit solch einer harten Überzeugung, dass Sylvie das Herz in tausend Teile zerbrach. Ihr Blick wurde leer, den sie auf seinen Rücken gerichtet hatte. Es war so furchtbar still, dass Sylvie es nicht wagte die Stimme zu erheben. Ihre Kehle fühlte sich staubtrocken an. Erneut wandte er sich ihr zu, doch diesmal waren seine Gesichtszüge hart.
,,Sag mir, warum du nicht einfach ein neues Leben an meiner Seite beginnen kannst? Wir könnten glücklich sein und vielleicht irgendwann ein Kind haben."
Die Vorstellung, die seine Worte zeichneten, war schön, aber tief in ihrem Innersten wusste Sylvie, dass sie das nicht war. Es war eine Vorstellung, die nicht der Realität entsprach. Sie schluckte den Kloß, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte, hinunter, als sie Loki die Worte an den Kopf warf, die ihn verletzen würden.
,,Du bist ein Träumer."
Ein Dolch flog nur Millimeter an ihrem Gesicht vorbei, um sich tief in die Wand hinter ihr zu bohren. Das hatte sie nicht kommen sehen, doch war sie nicht einmal zusammengezuckt.
,,Und du bist eine Lügnerin, die niemandem traut."
,,Ja, das bin ich."
Sie war des Lügens satt. Noch immer rannte sie vor ihren Dämonen davon. Fürchtete sich nach vorne zu blicken, denn sie konnte die Vergangenheit nicht loslassen. Fest war sie darin gefangen und was kaputt war, konnte man nicht mehr reparieren.
,,Hör endlich auf nach meiner Hand zu greifen, denn es wird dich zerstören. Loki, lass mich gehen."
Gerade, als er den Mund öffnen wollte weiteten sich seine Augen. Etwas, dass Sylvie nicht sah, denn es spielte sich hinter ihr ab. Das Nächste, was sie spürte war ein Schlag, der sie quere durch den Raum beförderte, wo sie am Ende unsanft durch die Wand gestoppt wurde. Benommen sah sie vom Boden auf, um noch zu sehen, wie Loki sich auflöste. Panik ergriff ihr Herz, als sie schrie:
,,Loki!"
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