Kapitel Sieben: Hals über Kopf
Angst überkam sie mit einer Wucht, bevor sie anfing zu schreien. Der Albtraum drängte mit Macht in ihr Bewusstsein. Feuer, Blut und der Geruch von Rauch. Die Bilder nahmen sie gefangen, erstickten sie, bis Sylvie ihr Verstand zu Hilfe kam und sie daran erinnerte, dass dies nur ein Traum war. Nach einigen Sekunden öffnete sie mit flatternden Lidern die Augen. Ihre hektischen Atemzüge wurden langsamer. Sie musste vor Erschöpfung eingenickt sein, stellte sie erstaunt fest, während Sylvie sich aufsetzte und die Knie fest umschlang. Seit geraumer Zeit war Loki fort und bis jetzt auch noch nicht zurückgekehrt. Es gab also viel Zeit zum Nachdenken. Zeit war etwas, dass Sylvie dank ihm genug hatte. Noch immer saß sie untätig hier fest, ohne einen Funken Ahnung von seinen Plänen. Ihre Hand sank von ihrem Knie zum Laken, um es fest zu umschließen. Etwas bahnte sich seinen Weg an die Oberfläche. Ein wütender Schrei entfuhr ihr. Wut war ein Gefühl, das ihr nur allzu vertraut war. Es war er, der die Wut in ihr zum Vorschein brachte, doch im selben Atemzug faszinierte er sie. Es war etwas, dass sie hasste, aber es war doch etwas, das sie nicht verhindern konnte, eine Schwäche, die nicht abzuschütteln war. Das Chaos in ihrem Kopf war perfekt und so ungern sie es auch zugab das Gleiche galt für ihr Herz. Es ließ sie verwirrt zurück. Den Bruchteil einer Sekunde schlug sie die Lider nieder, bevor sie sich barfüßig auf den Weg zur Zimmertür machte. Erst umfasste sie zögerlich den Knauf, nur um ihn in derselben Sekunde fester und entschlossener zu umfassen. Ruckartig öffnete sie die Tür. Es waren alleine ihre Schritte und das Ticken einer Uhr, das zu hören war. Vorsichtig huschte ihr Blick umher. Beinah erleichtert davon, dass Loki nicht in der Nähe war, begann Sylvie sich genauer im Loft umzusehen. Bis jetzt hatte seine Nähe sie immer davon abgehalten. Durch das große Panoramafenster drang etwas Sonnenlicht. Sie lief auf die schweren Stoffvorhänge zu, um sie schwungvoll aufzureißen. Die Wärme der Sonnenstrahlen kitzelte auf ihre Haut. Selbst im hellsten Sonnenschein war diese Stadt wunderschön. Einen Moment ließ sie den Anblick noch auf sich wirken, bevor sie sich abwandte.
Was Loki wohl gerade tat?
Unentschlossen stand sie nun inmitten des Raumes. Ihr Ziel kam ihr in den Sinn. Das verdammte TemPad trug er sicher bei sich. Er wäre nicht so dumm es hier bei ihr zurückzulassen, also wäre eine Suche sinnlos. Ein tiefer Seufzer der Frustration entwich ihrer Kehle. Allmählich setzte sie sich in Bewegung, um das Loft noch ein wenig genauer zu inspizieren. Ihre Fingerspitzen fuhren über das glatt polierte Holz der Möbelstücke. Geschmack konnte man Loki nicht absprechen, wobei das Loft noch einen Touch von Asgard besaß. Ihr Blick fiel auf etwas in der Ecke. Das Gerät war ihr unbekannt, doch sie fand schnell heraus wie man es bediente. Flink huschten ihre Finger über die Knöpfe, bis aus einer Box Musik ertönte. Eine Weile lauschte sie den Klängen.
Was sollte sie nur tun?
Dieses durchaus reizvolle Loft war zu ihrem Gefängnis geworden. Selbst wenn sie jetzt flüchten würde, würde sie sich in den Straßen und Gassen New Yorks verirren. Ohne das TemPad und so sehr es ihr auch missfiel es zuzugeben ohne Loki, wäre sie verloren. Unwillkürlich verkrampften sich ihre Finger. Ein Geräusch ließ sie herumfahren. Allmählich öffnete sich die Tür zum Loft. Mit angehaltenem Atem wartete sie darauf, dass Lokis vertraute Gestalt durch die Tür trat. Doch es war nicht Loki, der sie nun betrachtete.
,,Thor", entfuhr es ihr.
Der Gott des Donners betrachtete sie amüsiert.
,,So wie du mich ansiehst hast du wohl auf meinen Bruder gewartet, also nehme ich an, dass Loki nicht hier ist."
Sylvies Wangen begannen vor Scham zu brennen, während sie sich hektisch von Thor abwandte.
,,Nein, er ist nicht hier. Loki ist schon eine Weile fort."
Wie selbstverständlich marschierte Thor auf die Couch zu, um sich darauf fallen zu lassen. Den Hammer positionierte er neben sich.
,,Wenn es dir nichts ausmacht werde ich hier auf ihn warten."
Eigentlich machte es ihr schon etwas aus, aber wer war sie, um ihn aus dem Loft seines Bruders zu schmeißen. Also zuckte sich lediglich mit den Schultern. In der Nähe von Thor fühlte sie sich unwohl in ihrer Haut. Er beobachtete jeden ihrer Schritte, als sie zurück zu den Boxen lief. Dort ließ sie sich an der Wand hinab sinken und schloss die Augen. Eine Weile blieb es Still. Es waren nur die melodischen Klänge aus den Boxen zu hören.
,,Er mag dich."
Eine Millisekunde blinzelte Sylvie.
,,Und wer sagt, dass ich ihn mag?"
Ein herzhaftes Lachen kam aus der Richtung der Couch.
,,Ihr zwei passt wirklich perfekt zueinander."
Seine unbedachten Worte brachten Sylvie dazu wütend aufzuspringen. Zorn funkelte in ihren Augen, während sie ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen gepresst hatte.
,,Ich suche nicht nach Liebe!" Ihre Stimme war einige Oktaven in die Höhe geschnellt, was Thor nicht zu beeindrucken schien.
Seine Hand umschloss Mjölnir, als er sich von der Couch erhob.
,,Dann sag mir, wonach du wirklich suchst. Du gehörst hier nicht her. Deine Anwesenheit birgt Gefahr, bringt Dunkelheit."
Sie gehörte nirgendwo hin. Das wusste sie.
Einen entschlossenen Schritt machte sie auf ihn zu.
,,Du hättest nicht hier herkommen sollen", zischte sie.
,,Fürchtest du dich etwa davor, dass ich etwas aus dir herauskitzeln könnte, was selbst mein Bruder ignoriert."
Allmählich begann Sylvie die Geduld zu verlieren. Thor war noch wesentlich nerviger als Loki im Bestreben die Wahrheit aufzudecken. Langsam wurde ihr klar, warum er wirklich hier war. Er wollte nicht zu Loki. Das Blut in ihren Venen begann zu kochen. Das Adrenalin schoss in die Höhe. Ihr Blick glitt zu seinem Hammer. Wenn er diesen nicht gegen sie benutzte war er gar nicht so gefährlich. Seine Muskelmasse verlangsamte seine Bewegungen. Das war ihr Vorteil. Sie leerte ihren Geist, während sie auf ihn zu lief. Ohne einen Funken ihrer Absicht erkennen zu lassen. In einer raschen Bewegung, die mit dem bloßen Auge nicht wahrnehmbar war, schlug sie Thor auf das Handgelenk. Fluchend ließ er Mjölnir fallen, um sich das Handgelenk zu reiben.
,,Du willst gar nicht zu deinem Bruder. Du hast gewusst, dass er nicht hier ist. Was willst du von mir?"
Sylvie versuchte ihre Gedankenkontrolle bei Thor einzusetzen, doch genau wie bei Loki schlug sie fehl. Er packte ihre Handgelenke, sodass es schmerzte. Eine angespannte Aura lag in der Luft. Noch immer lag sein Blick unverwandt auf ihr. Er war ein Fels, an dem sich ruhig die Wellen des Ozeans brachen, die Ruhe vor dem Sturm.
,,Eigentlich hättest du wissen müssen, dass dieser Trick bei mir nicht funktioniert. Ich bin kein einfältiger Narr und nicht geblendet von meinen Gefühlen", spielte er auf Loki an.
Stur erwiderte sie seinen Blick, doch ihre Lippen blieben verschlossen, was Thor aufseufzen ließ. Aus ihr würde er kein Sterbenswörtchen herausbekommen. Wenn er Antworten wollte müsste er sich diese mit Gewalt holen. Ob Thor dazu bereit war?
,,Seit ihr in diese Zeitlinie eingedrungen seid verändert sich etwas. Es fühlt sich an, wie das pure Chaos", plötzlich hielt er in seinem Redefluss inne. Sein Blick war auf etwas hinter Sylvie gerichtet. Kurz zuckten seine Mundwinkel.
,,Sie hat dich damit gebrandmarkt. Du versuchst so verzweifelt, die Vergangenheit ruhen zu lassen, doch sie machte es unmöglich."
In der Sekunde, als Thor seinen Satz beendete, erstarrte Sylvie. Schuldgefühle schlichen sich in ihr Herz und sie schluckte. In diesem Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher, als sich in Luft aufzulösen. Jetzt, hier, in diesem trostlosen Raum, drängten sich die Erinnerungen ihr auf wie eine Meute hungriger Wölfe. Sie spürte seinen Blick auf ihrem Rücken. Seine wütende Präsenz, die sich im Loft ausbreitete.
,,Sagte ich Heimdall nicht, dass du zur Hölle fahren sollst!", sprach Loki endlich in einem kühlen Tonfall.
Der Griff um ihre Handgelenke löste sich, was Sylvie verwundert zu Thor aufblicken ließ. Dessen Blick lag nur auf Loki, als würden sie sich stumm austauschen. Seine Braue schoss in die Höhe. Unwillkürlich schüttelte Thor mit dem Kopf, um sang- und klanglos zu verschwinden. Dieser Umstand verwirrte sie nur noch mehr. Was hatte Loki getan oder gesagt, dass Thor so leicht nachgab?
,,Sylvie?", flüsterte er. Seine Stimme war rau und hinterließen ein Kribbeln auf ihren Armen und in ihrem Bauch.
Ihr Herz machte einen unbeholfenen Satz, als sie sich langsam zu ihm umwandte. Ihre Blicke begegneten sich, wobei sie verschmolzen. Für eine Sekunde schien die Welt stillzustehen. Sie versuchte sich an einem unsicheren Lächeln. Auf seinen Zügen deutete sich der Hauch eines Lächelns an, bevor er die Augen schloss und den Kopf wegdrehte. Unerwartet spürte Sylvie einen Stich.
,,Wo warst du?", sagte sie unvermittelt.
,,Unbedeutend in Anbetracht dessen, was eben passiert ist."
Unbedeutend, dachte sie unzufrieden.
Eine vernichtende Stille breitete sich zwischen ihnen aus, während Loki erst jetzt die leisen Klänge zu bemerken schien, die noch immer aus den Boxen kamen. Langsam kam er auf sie zu, um nach ihrer Hand zu greifen. Ihr erster Instinkt war es sich ihm zu entziehen, doch aus irgendeinem Grund tat sie es nicht. Loki begann sie zu den Klängen zu bewegen.
,,Ich entschuldige mich für Thors Verhalten."
,,Unbedeutend." Diesmal war es sie, die das Wort benutzte und Loki unzufrieden zurückließ.
Sie war Elend gewöhnt und gerade das bereitete ihm Sorgen, dass sie sich vor ihm verschließen würde. All die Jahre hatte sie es verbergen müssen. Es- der Schmerz, das Leid, die Qual, die Pein, die Demut. Doch ein Fünkchen Hoffnung regte sich in ihm bei dem Gedanken, dass Sylvie erst wieder lernen musste, ihre Gefühle zu akzeptieren und zuzulassen, nachdem sie sie jahrelang unterdrückt hatte. Ein Flimmern in ihrem Inneren, ein Schmetterling, der aus dem Kokon schlüpfte. Ein Licht, nach der Dunkelheit am Nachmittag. Das war es, was er spürte.
Abrupt löste sie sich von ihm, um in derselben Sekunde zu sagen: ,,Ich sollte gehen."
Damit meinte sie zurück ins sichere Schlafzimmer, wo sie seiner verwirrenden Nähe entkommen konnte.
,,Bleib."
,,Bitte", setzte er sanft hinterher.
Unschlüssig huschte ihr Blick zwischen der Tür und Loki hin und her.
Was sollte sie tun?
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