Kapitel2, Teil 2
Nachdem ich das Pferd selbst versorgt hatte und nach einer ausgiebigen Streicheleinheit, fiel mir kein Grund mehr ein, sich noch länger im Stall zu verstecken. Denn Seans Wut stieg linear mit meiner Abwesenheit. Plötzlich erschien mir das Haus so klein.. So als könnte ich nirgends sicher sein. Wie kam ich bloß auf den Gedanken, wegzulaufen? Ich wollte diesen Fremden nicht heiraten, aber wahrscheinlich bestärkte ich Sean mit meinem Verhalten geradezu in seiner Entscheidung. Wie Vieh gab er mich weiter. Trotzdem ließ ich mich schwer gegen die Tür fallen und sie ging quietschend auf. Das hier war mein zuhause. Ich konnte nirgends anders hin.
Sean wartete in der Eingangshalle auf mich und ich spürte die Welle seiner Wut ich bis hierher ans andere Ende der Halle. „Verzeiht mir, Mylord", war alles, das ich herausbrachte, doch er schüttelte nur den Kopf. Ich senkte meinen Kopf und trat näher zu den beiden. Mir wurde abwechselnd kalt und heiß und ich wog nochmal ab, wie gut meine Chancen standen, diese Ehe noch abzuwenden.
Sean stürmte auf mich zu und das erste, das ihm einfiel, war mich zu ohrfeigen. Meine Chancen standen äußerst schlecht. „Sean, bitte", rief Ophelia, doch er ignorierte sie. Er packte mich an der Hand und sah mir tief in die Augen. Ich begann zu zittern. Die Angst überwältigte mich. Konnte er nicht verstehen, dass ich mich fürchtete? Das ich nicht fort Ophelia wollte? Zu einem fremden Mann? „Was fällt dir ein wegzulaufen?", zischte er und seine Hand schnellte wieder nach oben. Nun spürte ich den Schmerz kaum noch und auch wenn, es war egal. Wenn es Sean gezeigt hatte, dass er mich nicht endgültig beherrschte, war es mir diese Tortur wert. „Wenn es nicht anders möglich ist, werde ich dir meine Pläne auch aufzwingen. Also wage es nicht, mir in die Quere zu kommen", fauchte er und hob mein Kinn an, damit ich gezwungen war in seine dunklen Augen zu blicken.
„Ich glaube, das reicht", unterbrach eine Stimme Sean. Egal wer es war, er musste Sean ziemlich erschreckt haben. Ich trat einige Schritte zurück und Sean setzte sofort sein freundliches Lächeln auf. „Lavinia, führen Sie unseren Gast doch in die Bibliothek", herrschte er mich an.
In der Bibliothek
Ich schloss erleichtert die Tür hinter mir, ich wollte gar nicht daran denken, was jetzt noch alles hätte geschehen können. „Ich danke Ihnen", flüstert ich und deutete dem Mann platz zunehmen, doch er trat langsam auf mich zu. „Darf ich einmal?", fragte er und zeigte auf meine Wange. Ich nickte leicht und der Mann legte seine Hand auf mein Gesicht. Seine Haut war angenehme kühl und er hatte große Hände. Seine Hand bedeckte fast meine ganze Wange und meine Haut begann unter seiner Berührung zu prickeln. Viel zu schnell zog er sie zurück. Ganz vorsichtig hob ich den Blick. Immerhin wusste ich nichts über diesen Fremden.
„Mein Name ist Lord Manches", stellte er sich nach einem kurzen Schweigen vor. Ich knickste und er nahm behutsam meine Hand, um einen Kuss darauf zu hauchen. Er behandelte mich, als wäre ich etwas Kostbares, etwas Filigranes. „Ich befürchte, ich war an dem Desaster gerade nicht ganz unschuldig", behauptet er und mir huschte ein Lächeln über das Gesicht. Schließlich sah ich ihn direkt an und mein Lächeln wurde breiter. Er hatte dunkelbraune, volle Haare und haselnussbraune Augen. Er war im Vergleich zu mir riesig, doch seine vollen Lippen schmunzelten, dass ihn sofort sympathisch wirken ließ. Er legte den Kopf schräg und hob eine seiner Augenbrauen, ein faszinierender Anblick.
„Ihr dürft mich ruhig beschuldigen", beruhigte er mich lachend und ich sah ihn perplex an. Mist! Ich hatte noch nicht geantwortet. „Nein, nein, Mylord", brachte ich schnell hervor und überlegte mir, wie ich ihm die Situation erklären könnte. Immerhin konnte ich ihm nicht in Gesicht sagen, dass ich ihn nicht heiraten wollte. „Ich war trotzig. Ihr tragt keine Schuld daran", erwidert ich und es war nicht einmal gelogen. Trotzdem hatten seine Züge plötzlich etwas Trauriges an sich.
„Setzt Euch doch", ich hatte keine Ahnung wer er war, doch irgendetwas vermittelte mir das Gefühl, das er der war, den ich heiraten musste. „Ich habe nicht die Absicht, über Sie herzufallen« beruhigte er mich und lies sich mir gegen über nieder. Er sah mich so intensiv an, dass mich ein Schauder überlief. „Ich möchte Sie kennenlernen", erklärte er schließlich und ich nickte benommen. Seine Augen strahlten förmlich und ich musste mich wirklich zusammenreisen, um klar denken zu können.
„Wie viel Zeit habe ich noch?" – „Sie klingen ja so als wolle man Sie vor Gericht führen" Er schmunzelte ein wenig, doch damit konnte er mich nicht vom Thema abbringen. Ich musste es einfach wissen, daran führte kein Weg vorbei. Denn trotz seiner Vorzüge würde er mich zu einer Hochzeit zwingen. Er sagte es nicht laut, aber sein entschlossener Blick sprach Bände. Aber Sean würde es ihm abnehmen. Mir blieb keine andere Wahl, als diesen Mann zu heiraten. Alleine um Sean zu entkommen.
„Zeit ist etwas sehr Relatives, aber sagen wir drei Wochen? Wäre das für Sie in Ordnung?" Ich nickte und sah ihn wieder an. Es war mir einfach unmöglich, es nicht zu tun. Alleine durch seine Anwesenheit fühlte ich mich sicherer vor Sean. Er hatte Respekt vor Lord Manches zu haben und dieser wiederum schien mich beschützen zu wollen.
„Wie kann ich Sie überzeugen, dass ich Ihnen nichts Böses will?" – „Sie müssen mich von gar nichts überzeugen, Mylord" Sein Selbstbewusstsein geriet ein wenig ins Schwanken und er starrte mich einen Moment lang perplex an. „Ich dachte nicht, dass Ihr mir so wohlgesonnen seid", erklärte er schließlich sein seltsames Verhalten und ich musste lächeln. Es gab nur diesen Ausweg für mich. Und er gefiel mir. „Ihr habt mich in Euren Bann gezogen", erwiderte ich lachend, doch ich verstummte schlagartig als nach meiner Hand griff. „So? Habe ich das?", bohrte er nach und seine Augen sahen mich wieder so intensiv an, dass mein Gehirn für einen Moment aussetze. Benommen nickte ich und sah, wie er zu Schmunzeln begann. Wenn ich mir vorstellen könnte, zu einer Heirat gezwungen zu werden, dann mit ihm. „Sie wollten mich kennenlernen?", fragte ich und er nickte und ließ meine Hand los. Ich ärgerte mich über meine Ungeschicktheit, doch er schien dankbar über den Themenwechsel zu sein.
Die Zeit verflog, während wir über Pferde sprachen, von meiner Leidenschaft zum Sticken. Doch er wich meinen Versuchen mehr über ihn herauszufinden, geschickt aus. Außer seiner Vorliebe für die Jagd und seiner Liebe zu Kinder, blieb er über seine Beschäftigung wage. Das mich neugierig machte.
„Ich sollte aufbrechen, Lady Lavinia", verabschiedet er sich schließlich und ich konnte nicht verhindern, dass mein Herz schneller schlug. Sean würde Fragen stellen, wenn sich seine erste Wut gelegt hätte. Ich wollte nicht ihm reden. Falls in den letzten Wochen so etwas wie eine Bindung zwischen uns entstand, hatte er heute alles zerschlagen.
Ich fühlte mich von ihm angegriffen, bedrängt. Mein Herzschlag wollte sich nicht beruhigen, deshalb nickte ich nur stumm. „Soll ich mit Sean sprechen, Lavinia?", fragte er besorgt und nahm wieder Platz. Ich hatte nicht bemerkt, dass er sich erhoben hatte. „Nein, es ist ... alles in Ordnung", brachte ich hervor und sprang auf. Lord Manches zog verwundert die Augenbrauen nach oben. „Wenn er wüsste, dass Ihr wisst, dass Ihnen sein Verhalten missfällt, bringt mich das in noch größere Schwierigkeiten", erklärte ich und er rang sich ebenfalls ein Lächeln ab.
„Dann lasst mich Euch wenigsten hinausbegleiten", erwiderte er.
In der Bibliothek
„Erwarte keine freundlichen Wort von mir", fuhr ihn Ophelia an und Sean zuckte mit den Schultern. Sie rauschte an ihm vorbei und stellte sich kampfbereit neben die Sitzgruppe. „Wie hättest du an meiner Stelle reagiert? Du und ich wissen, dass sie Lord Manches heiraten wird und desto schneller sie sich damit anfreundet, desto besser", erwidert er und Ophelia seufzte. Wenn er bloß im Unrecht wäre. „Schläge werden sie nicht öffnen. Merkst du nicht, wie sie sich zurückzieht?" – „Sie beherrscht sich lediglich endlich" Ophelia schnaubte verächtlich und goss sich einen Whisky ein. Das Sean mit einer hochgezogenen Augenbrauen bedachte.
„Bitte hör auf sie zu schlagen", versuchte sie es ruhiger und trat näher auf ihn zu. Ohne das Whisky Glas. „Wieso bist du ständig auf ihrer Seite?", fragte er verzweifelt und fuhr sich über sein Gesicht. Ophelia sagte nichts, sondern legte ihre Hände an seine Wangen. Sie war nicht gegen ihn. Niemals. „Lord Manches missfällt es", wandte sie ein und Sean schnaubte abfällig. „Er hätte sie selbst erziehen können. Dann wären wir an diesem Punkt nie aneinandergeraten" – „Ich finde lediglich, dass Seine Lordschaft deine Leistung zu würdigen weiß und dass Lavinia glücklich wird"
Ophelia musterte ihn. Suchte nach einem Fünkchen Mitleid in seinem Blick, da sie fand nichts. Wie konnte er bloß so kalt gegenüber Lavinia sein? Sie war doch mehr als ein Projekt, das er leitete. Sie war Ophelias Cousine. „Lord Manches ist ein guter Mann. Lavinia ist ein kluges Mädchen, die beiden werden sich arrangieren", beruhigte er sie und Ophelia nickte widerwillig. Sie war nicht überzeugt, denn sie wusste, wie sehr sich Lavinia Liebe wünschte. Wie sehr sie Liebe begehrte. Doch bei ihm stießen ihre Zweifel auf taube Ohren.
In der Kutsche
„Nun, wie findest du ihn?", fragte Ophelia und lehnte sich entspannt zurück. Meine Wangen röteten sich. Ich sprach nie über Männer. Aber Ophelia wollte immer alle Details wissen. Automatisch musste ich ihn mit Dorian vergleichen und er schnitt wirklich gut ab. Zu gut, wenn man die Umstände miteinbezog. Ich sollte mich nicht so leicht geschlagen geben. Sollte gegen Sean kämpfen.
„Er ist freundlich, ich mag ihn", erwiderte ich trotzdem knapp und Ophelia seufzte genervt. So einfach ließ sie mich nicht aus ihren Fängen. Aber ich wusste, dass sie jedes Wort an Sean weitertragen würde, deshalb blieb ich verschlossen.
Lord Manches war ein Gentleman, das stand außerfrage, aber da war noch Fünkchen Widerstand in mir, der sich Sean nicht unterordnen wollte. Lord Manches konnte mich retten. Dafür würde ich mein restliches Leben an einen Fremden gebunden sein. Es gab so viele Dinge, die er mir jetzt nicht gesagt hatte, Vertraulichkeiten die beim ersten Gespräch wahrscheinlich nicht erwähnt wurden, aber trotzdem. Ich war neugierig, wem ich mein restliches Leben schenken sollte.
Dorian stand bereits vor der Tür, als wir ankamen. Er strahlte. Früher nannte ich ihn immer meinen Liebhaber, aber das war er eigentlich nie gewesen. Er war nichts weiter als ein Brieffreund, dem ich, ich liebe dich, schrieb. Redete ich mir jetzt zumindest ein.
„Ich freue mich, Sie endlich wiederzusehen", begrüßte er mich und küsste mich auf beide Wangen. Er griff so fest zu, dass ich mich nicht befreien konnte. Ich stimmte ihm zu, flüchtete aber so schnell es mir möglich war, auf mein Zimmer. Lady Flynt zeigte es Ophelia und mir umgehend und ich kleidete mich um. Ich ließ mir absichtlich sehr viel Zeit.
In Dorians Räumen
Die Tür knarrte als ich sie öffnete und in das alte, aber gemütliche Zimmer trat. Dorian saß auf einem orange gepolsterten Stuhl an einem hölzernen Tisch und las Zeitung. Es dauerte einen Moment, bis er mich bemerkte und ich ihn beobachten konnte. Eine Haarsträhne hing ihm ins Gesicht, das ihn viel jünger aussehen lässt. Er trug ein dunkles Jackett und die goldenen Knöpfe glitzerten im Licht. Ich spürte einen dumpfen Schmerz in meiner Brust, wenn ich mir vorstellte, ihn nie mehr wieder zu sehen. Aber es wäre nicht gerecht von mir, mehr von ihm zu fordern.
»Lavinia« rief er aus und erhob sich schwungvoll. Ich stockte. Wie sollte ich ihm bloß erklären, dass ich Lord Manches heiraten sollte? Wie konnte ich ihm dabei in die Augen blicken und ihm gestehen, dass ich aufgegeben hatte? Ich stand wie ein jämmerliches Häuflein elend vor ihm.
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