Kapitel 4, Teil 2
Ich blätterte gelangweilt eine Seite in meinem Buch um. Nur am dann wieder zurückzublättern, weil ich nicht wirklich begriffen habe, was da stand. Ich strich mir eine Strähne hinter mein Ohr und fuhr mit meinen Fingern über den Buchrücken. Italienisch war einfach unglaublich langweilig.
„Es scheint nicht so, als würdest du sonderliche Fortschritte machen",
Ich zuckte zusammen. Warum konnte Paget nicht klopfen? In seinem Haus. Natürlich klopfte er nicht in seinem Anwesen an die Türen. „Ich mag Italienisch einfach nicht!" – „Lord Hawkins hat mich gebeten deine Studien zu überwachen" Ich blies Luft aus. Warum konnte Paget italienisch sprechen? Gab es etwas, dass dieser Mann nicht beherrschte? „Wenn du die meiste Zeit in Frankreich bist, brauche ich kein Italienisch sprechen", erwiderte ich und er lachte auf. Er zog sich einen Sessel zu dem kleinen Tisch heran und nahm mir das Buch aus der Hand. Er sah sich den Einband an und überflog einige der Seiten.
„Weißt du, worum es hier geht?", fragte er und ich schüttelte verdrossen den Kopf. Für mich ergab es von der ersten Seite weg keinen Sinn. „Gut", murmelte er und schlug das Buch zu. „Das kann ich kaum verstehen und lerne bereits mein halbes Leben lang italienisch. Ich bringe dir etwas Besseres", versprach er und erhob sich. „Ich finde mich schon zurecht", stoppte ich ihn und rang mir ein Lächeln ab. Sean würde nicht begeistert sein, wenn ich seine Lektüren nicht las. Oder die des Lehrers, dass eigentlich auf dasselbe hinauskam. „Du solltest etwas lesen, dass du verstehen kannst und dass dir Freude macht", widersprach er und ging zielstrebig auf die Tür zu. Mein perfektes Bild von diesem Mann bekam Risse. Es betraf ihn nicht, welche Bücher ich studieren sollte.
Gelangweilt starrte ich in die Gartenanlage.
Es regnete.
Warum musste ich in England leben?
Frustriert sah ich mich um Raum und mein Blick fiel wieder auf das Stickkissen. Wo blieb Paget bloß? Der Diener, der mich gestern verraten hatte, brachte mir meinen Lunch herauf und entschuldigte Seine Lordschaft. Er hätte in einer dringenden Angelegenheit das Haus verlassen müssen. Das hielt ich für eine Lüge, aber meinetwegen soll Paget mir aus dem Weg gehen. Immerhin hatte ich keinen Anspruch darauf, dass er seine Zeit mit mir verbrachte. Obwohl ich mir das wünschen würde. Aber wahrscheinlich wurde ihm diese Hochzeit genauso aufgezwungen wie mir. Nur das er nicht so offen dargelegt hatte, wie ich. Wobei ... vielleicht hat er sich ebenfalls gesträubt, als es ihm ... Wer hat es ihm gesagt? Sein Vater oder seine Mutter? Wie sollte ich zu diesem Fremden vertrauen fassen, wenn er mir immer aus dem Weg ging?
Dieses Mal klopfte er an der Tür. Aber er riss noch im selben Moment auf und sah sich suchend um. Als er mich entdeckte begann er zu lächeln. „Tut mir leid, Lavinia", er schloss die Tür verhältnismäßig langsam hinter sich und blieb unschlüssig vor mir stehen. Ich legte mein Stickkissen weg und erhob mich ebenfalls. Ich hätte ihn gerne gefragt wo er gewesen war, woher von unserer Verlobung wusste und warum er mir nichts erzählte. Aber ich biss mir auf die Zunge. Er sollte nicht wieder die Flucht ergreifen.
„Hast du mir eine andere Lektüre mitgebracht?", fragte ich, nachdem er mich mehrere Minuten lang einfach angestarrt hatte. Uns trennten unzählige Geheimnisse. Es war irrsinnig gewesen an Liebe zu denken. Immerhin verband uns nichts außer einem Dokument. „Ich werde dir alles erzählen", versprach er schließlich und ließ sich auf die Sitzgruppe fallen. Der Stoff gab knarzend unter ihm nach. Aus seinen braunen Augen sah er mich flehend an. Er wollte nicht, dass ich nachbohrte. „Wann?" – „Es wird noch eine Weile dauern"
Eine Weile? An wen hatte mich Sean da verkauft. Ich schlang die Hände um meine Mitte und nickte stumm. Mir blieb auch nichts anderes übrig. Bei Paget war ich sicher und ich mochte ihn. Vielleicht nicht so sehr, wie anfangs gehofft hatte, aber ich durfte nicht undankbar sein. „Lavinia", seine Stimme wurde sanft und er zog mich an seinen Händen zu sich auf die Bank. Die Polsterung gab auch bei mir nach. „Stimmt es, dass ich dir versprochen bin?", fragte ich schließlich, nachdem die Stille zu erdrückend wurde. „Ja, meine Kleine", er strich mir eine Strähne hinters Ohr und zog mich näher zu sich. „Mein Bruder ist seit einiger Zeit das Familienoberhaupt", erzählte er plötzlich, „Sobald er es mir gestattet werde ich dir jede Frage beantworten" Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust. Sein Bruder war also das Familienoberhaupt. Das bedeutete, dass sein Vater tot war. Und es gab ein Geheimnis. Gott, wo wurde ich da hineingezogen?
„Lord Manches ist abgereist", erklärte mir derselbe Diener, dessen Antlitz ich mittlerweile hasste. Ich zog meine Augenbrauen nach oben. „Ist er zum Dinner wieder hier?" – „Nein, Mylady" Der Mann starrte stur an mir vorbei und ich war versucht ihm zu zuwinken. Aber ich beherrschte mich.
„Wann kommt er denn zurück?"
„Ich weiß nicht, Mylady"
„Aber Ihr wisst, dass es nicht heute Abend sein wird?"
„Genau, Mylady"
Ich blies frustriert Luft auf aus und wandte mich wieder der Zeitung zu, die am Frühstückstisch lag. Wohin verschwand Paget bloß ständig? Wieso hinterließ er mir keine Nachricht? Wahrscheinlich hatte sein Bruder nach ihm geschickt und Paget ist zu ihm geeilt. Ganz gewiss war das so. Ich blinzelte meine Tränen weg und flüchtete aus dem Speisezimmer.
Es war langweilig alleine in diesem riesen Gebäude festzusitzen. Vor allem da mich die unterschiedlichsten Diener ständig von meinen Räumen im 1. Stock hinunter zum Speisesaal, manchmal in Bibliothek, aber sonst immer wieder nach oben brachten. Dieses Haus schien mehr Geheimnisse zu haben als ich in meinem ganzen Leben besessen hatte.
„Mylady es ist Besuch für sie da", der Diener verneigte sich tief vor ihr und um seinen Mund lag ein eigenartiger Zug. Nicht die übliche Gleichgültigkeit. Neugierig und Dankbar für die Abwechslung folge ich ihm den breiten Treppenabgang hinunter. Als ich Seans stimmte hörte schrumpfte ich zusammen. Ohne genauso zu wissen was ich tat, blieb ich stehen. „Mylady?", der Diener trat besorgt auf mich zu. Doch ich konnte nur Seans laute Stimme aus Bibliothek hören, die mir signalisierte, dass ich da nicht hineingehen konnte. „Soll ich Lord und Lady Flynt abweisen?" – „Nein!" Sean würde mich dem Erdboden gleichmachen. „Bleibt nur bitte im Raum", flüsterte ich.
„Mylord", ich knickste zaghaft und blieb wenige Schritte hinter der Tür stehen. Der Diener folgte mir tatsächlich. „Lavinia. Es war eine böse Überraschung zu hören, du würdest dich wie eine Prostituierte im Haus eines fremden Mannes aufhalten!" seine Stimme wurde immer lauter und sein Kopf war bereits hochrot. Ophelia schlug eine Hand vor dem Mund. Sie sah furchtbar müde aus. Unter ihren Augen lagen tiefe Falten und obwohl ihr dunkelgrünes Kleid reich verziert war, wirkte sie schäbig. Was hatte Sean bloß mit ihr getan? „Lord Hawkins wollte mich nicht länger in seinem Haus" – „Lavinia, ..." Er zwickte sich kurz in den Nasenrücken und atmete tief durch. Es schien fast so, als versuchte er sich zu beruhigen. „Das ist noch lange kein Grund Lord Manches aus seinem Haus zu vertreiben" Ich schnappte entsetzt nach Luft! Niemanden hatte ich vertrieben. Immerhin war ich auf die Einladung Pagets hier hergekommen.
„So war das nicht, Mylord" – „Auf jeden Fall kommst du jetzt mit uns nachhause" Ophelia legte Sean die Hand auf die Schulter und er schien sich zu entspannen. Ich wollte protestieren. Sagen, dass das hier jetzt mein zuhause ist, aber das wäre gelogen. Das hier ist Pagets Haus und er war fort. Mir fiel nichts ein, womit ich Sean überzeugen könnte mich hier zu lassen.
„Wir Ihr wünscht, Mylord"
Ich verstand nicht warum er gegangen war. Lord Hawkins strafte mich mit seiner Nichtachtung. So gut es ging hielt ich mich von ihm fern. Ich wollte mein Glück nicht herausfordern. Schweigen tat weh, aber gehässige Kommentare schmerzten viel mehr. Sean lebte in seiner Rolle als inoffizieller Hausherr förmlich auf. Das Ophelia daran fast zugrunde ging, schien er nicht weiter zu beachten. Wobei sich ihre Launen ständig abwechselten. Manchmal schien sie wirklich der glücklichste Mensch zu sein, denn ich kannte und dann verschloss sie sich wieder in ihren Räumen.
Seufzend sah ich aus dem Fenster. Der Italienischlehrer würde bald eintreffen. Doch wenigstens hatte mir Sean gestattet das Buch zu lesen, dass mir Paget gegeben hatte. Da verstand ich zumindest zwei Drittel von den ganzen Wörtern.
Es hatte zu schneien begonnen. Erneut. Sollte Paget am Ende der Woche auffindbar sein, dann würde unsere Hochzeit im Schnee stattfinden. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich mich darüber freute. „Mylady?", ein Diener steckte den Kopf zu Tür herein und ich rang mir ein Lächeln ab. Also eine weitere Stunde voller fremder Wörter und eigenartiger Grammatik.
Warum war Paget bloß abgereist?
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