Kapitel 5 - Wie Feuer und Wasser
Isaia
Es war mehr die Ahnung einer Berührung, die Isaia aus einem Albtraum voll ihn würgender Wurzeln riss, die ihn, ungeachtet seiner Versuche sich zu wehren und trotz seiner heiseren Schreie von niemandem gehört, Stück für Stück in den kalten, moderigen Boden zogen. Es war wie das Negativbild seiner Erinnerungen. Der gleiche feste Druck, der ihm den Atem aus den Lungen presste, die gleiche Hilflosigkeit und schließlich die Dunkelheit, die sich über ihm zusammen zog wie ein trübes Gewässer, als die Erde sich schloss und ihn lebendig begrub. Bewegungsunfähig und dazu verdammt zu ersticken. Da waren Angst, Verzweiflung, Einsamkeit. Gefühle, die bei einem Toten doch gar keinen Sinn hatten. Einem wie ihm, Isaia...
Doch da plötzlich dieses warme Prickeln auf seiner Haut, kein angenehmes, aber immerhin etwas, was ihn für einen Moment ablenkte. Ihm endlich bewusst machte, in einem Traum gefangen zu sein. Und während dieser warme, fast heiße Schauer seine Adern durchlief tauchte er auf, kam zurück an die Oberfläche seines Bewusstseins. Sein Körper schrie Alarm, riss an ihm mit Unruhe und zwang ihn dazu die Augen zu öffnen. Blinzelnd bemerkte er eine Bewegung in der Nähe seines Halses, doch außer verschwommenen Schatten aus Licht und Schatten konnte er nichts erkennen. Er blinzelte noch ein paar Mal und ließ seine Hand nach vorn schnellen, um dieses Etwas zu packen.
Das Handgelenk, welches er im nächsten Moment mit hartem Griff gefangen hielt zuckte zurück, und ließ den kleinen Kompass fallen. In dem Moment, als Isaia die Haut des anderen berührte, branndete eine Welle von Gefühlen an seine Haut und elektrisierten die Umgebung im Bruchteil einer Sekunde, sodass Isaias Blick sich instinktiv schärfte. Die Härchen auf seinen Armen und in seinem Nacken stellten sich auf, als Welle um Welle an seine Haut brandete und ihn ganz kirre machte vor Verwirrung, Faszination und Angst pulsierten in der Luft und brandeten an seine Nervenden. Wie ein Tier schoss Isaia vor, packte den Kragen des anderen und schmiss ihn zu Boden. Seine großen Hände legten sich um den Hals des zappelnden, erstickt keuchenden Anderen. "Was sollte das werden, wenn's fertig ist?", hörte er seine eigene Stimme knurren. Ein Klang, der ihm beinahe fremd vorkam, solange hatte er ihn nicht mehr gehört. War sie rauer geworden? Vielleicht, aber eigentlich war es wahrscheinlicher, dass er nur nicht mehr gewohnt war, viel mehr zu sagen, als ja, nein und andere kurzweilige Laute.
Der junge Mann unter ihm hielt plötzlich inne, als müsse er seine Kraft aufsparen. Seine Augen brannten sich in Isaias Blick. Furchtlos, kalt. Ein Augenaufschlag wie ein Einblick in die Hölle. Isaia schnaubte, rührte sich jedoch nicht. "Wer bist du?", fragte er in dem gleichen Tonfall wie zuvor. Sein Gegenüber stieß ein hartes Lachen aus und bleckte die perlweißen Zähne wie ein Wolf. "Immer so freundlich?" Seine Stimme war warm, umrahmt mit einem unfehlbar spanischen Akzent, doch die kalte Drohung unter dieser sanften Fassade war unmissverständlich. Isaia verdüsterte seinen Blick, lockerte aber den Griff seiner Hände. "Ich frage dich noch einmal; Wer bist du? Und wie kommst du hier her?" Der junge Mann unter ihm hielt dem Angriff Isaias mit kühler Distanz stand und ließ die Worte noch eine Weile verklingen, ehe er antwortete. "Mein Name ist Hristo Alonzo De Dios. Und mit wem habe ich die Ehre?" Bei seiner Frage zuckte der Hauch eines provozierenden Grinsens um seine geschwungenen Lippen, der sich jedoch mit dem dunklen Blick seiner Augen paarte und mehr wie Sarkasmus wirkte, als die tatsächliche Amüsans, die Hristo zu verspüren schien. Isaia presste die Lippen aufeinander und atmete tief durch.
Das brennend heiße Gift in seinen Adern, welches zuvor bei der Berührung seiner Haut mit der des Fremden durch seinen Körper geschossen war, ebbte ab. Die Härchen in seinem Nacken legten sich wieder und die Wellen an ungebändigten Emotionen brachen ab. Nun war Isaia wieder allein in seiner Haut. Es war erfrischend kalt und still, als würde man aus einem gefüllten Fussballstadion während der Sommersaison, in einen einsamen Wald irgendwo in Sebirien wechseln.
Verwirrt von dem Erlebten, zog er seine Hände zurück und stand auf. "Mein Name ist Isaia.", antwortete er nun und raufte sich das Haar. Was war nur passiert? Es war, als wären die Gefühle eines anderen auf ihn übergegangen und hätten sein ganzes Wesen verändert. Hätten ihn böse gemacht. Aber das war doch nicht möglich, oder? Konnte Isaia sich soetwas eingebildet haben? Vielleicht lag es einfach an dem Albtraum, versuchte er sich zu erklären und warf einen misstrauischen Blick auf Hristo. Dieser rappelte sich gerade auch wieder hoch und betastete mit einer Hand seinen Hals, während er kurz das Gesicht verzog und dann zu Isaia hochschaute. "War mir eine Freude deine Bekanntschaft zu machen. Lieber nicht aufwecken, ist notiert.", murmelte Hristo mit Galgenhumor vor sich hin und stand auf. Isaia seufzte und klopfte sich den Staub von der Kleidung. Fast nebenbei tastete er nach dem Kompass unter seinem Shirt und atmete erleichtert auf, als er ihn deutlich spürbar fand. "Tut mir leid, normalerweise bin ich nicht...", fing Isaia an Hristo gewandt an zu erklären. "... ähm... Normalerweise mache ich sowas nicht. Ich schätze, meine Nerven sind noch etwas überstrapaziert." Es war eine lahme Ausrede für einen Gefühlsausbruch, den er sich selbst kaum erklären konnte, aber er machte sich nicht die Mühe, weiter zu suchen. Er würde so oder so keine besseren Worte zusammen kratzen.
Hristo zuckte mit den Schultern und sah sich mit abwesender Miene um. "Halb so wild.", meinte er, als würde es ihn schon gar nicht mehr interessieren. Isaia musterte ihn irritiert und versuchte etwas mit diesem 'Halb so wild' anzufangen. Suchte nach einer möglichen Botschaft, doch es schien nichts zu geben, was daran vielleicht zweideutig hätte gemeint sein können.
Unzufrieden mit dem Stand der Dinge zwischen ihnen folgte er Hristos Blick und er schauderte kurz darauf. "Unser größeres Problem ist das da.", hauchte Hristo in dem Moment, als Isaias Augenmerk auf die Tatsache reagierte, dass die beiden Wege, die am Abend zuvor noch da gewesen, nun verschwunden waren und das der einzige Weg, der nun geblieben war und der sich zweifellos neu aufgetan hatte, nach Westen führte. Doch das, was Isaia wirklich erstarren ließ, war die Schleifspur aus getrocknetem Blut, welche den Boden bedeckte und zum neuen Weg führte, ehe sie hinter der nächsten Biegung verschwand. Keine kleine Schleifspur, es war eine breite, große, nicht Übersehbare. Also war irgendwer oder irgendwas in der Nacht durch das Labyrinth geschlichen.
Isaia bekam unwillkürlich eine Gänsehaut, und sein Mund wurde staubtrocken. Der Anblick des Blutes warf ihn völlig aus der Bahn, und das nicht nur, weil sie ganz offensichtlich nicht allein in der Nacht gewesen waren, sondern auch des Blutes an sich wegen. Isaia spürte, wie sich sein Margen zusammen zog und ein Würgen ihn erfasste. Hristo schüttelte sich gerade den Staub aus dem Haar, als er Isaias bleiches Gesicht wahrnahm. "Du kannst kein Blut sehen?", fragte er mit seiner sanften Stimme, die jedes Wort auf fremdartige Weise umschmeichelte. Es lag kein Spott in seiner Frage, nur aufrichtige Verwunderung, als wäre es ihm völlig unklar, wie jemanden bei dem Anblick von Blut schlecht werden konnte.
Isaia biss die Zähne auseinander und wandte den Blick vom Boden ab. "Offensichtlich nicht.", meinte er mit trockenen Mund und schluckte mehrere Male, um den pelzigen Geschmack loszuwerden. Hristo zog die dunklen, geschwungenen Augenbrauen hoch und musterte Isaia einen kurzen Moment lang. Seine schwarzen Augen ließen keinen Zentimeter in Isaias Gesicht aus, als suchten sie nach etwas. Isaia räusperte sich, schluckte noch mal und straffte dann die Schultern. Ihm gefiel der Blick des anderen nicht. Er war zu intensiv, zu undurchdringlich, zu dunkel. Selbst wenn Isaia gewollt hätte, er hätte nicht sagen können, was er hinter dem Blick des anderen vermutete. Hristo war schlank, atlehtisch gebaut und von einer Aura, die zugleich Sympathie wie auch Misstrauen verband. Wie eine Raubkatze, die noch nicht entschieden hatte, ob sie angreifen, oder weiter lauern sollte.
"Wir sollten gehen. Mir ist wohler, wenn ich so viel Abstand wie möglich zwischen mich und diesem Ort bringen kann." Und zwischen dir und mir... "Bist du dabei?", fragte Isaia, obwohl er innerlich nichts sehnlicher wollte, als allein weiter zu gehen. Aber die Aufgabe, die er bekommen hatte, und die eins der wenigen Ziele waren, die er momentan verfolgte, lautete; Finde die anderen! Und Hristo war einer dieser anderen. Ob Isaia das gefiel oder nicht. "Bin dabei", antwortete Hristo mit einem Nicken und wandte den Blick ab. Isaia seufzte lautlos, nickte ebenfalls, auch wenn er wusste, Hristo sah es gar nicht und begann mit energischen Schritten ins Unbekannte zu gehen. Irgendwie würde er seinen Nord-Kurs wieder bekommen, dass nahm er sich fest vor.
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