Kapitel Zwölf: Verkorkst
H E A T H
Vor zwei Jahren
Völlig unsicher stehe ich vor der Werkstatt und weiß nicht so recht, was ich tun soll. Am liebsten würde ich flüchten und mich irgendwo verstecken, da ich keine Lust habe einen Kinnhaken von meinem besten Freund zu kassieren. Das hatte ich schon mal durch und es tat unfassbar weh, weswegen ich keine Wiederholung davon möchte.
Na ja, zugegeben, ich hatte es verdient, da ich im Sudan mal wieder auf eigene Faust gehandelt habe. Auch wenn er mir viel Spielraum gegeben hat, so war das wirklich eine äußerst heikle Situation, in der ich mich befunden habe. Trotzdem habe ich es durchgezogen und bin noch heil herausgekommen. Ein Andenken habe ich wegen dieses Einfalls trotzdem bekommen. Eine fingerlange Narbe auf meiner linken Seite des Unterbauches.
Total in Gedanken versunken, tigere ich auf und ab, gehe alle Optionen in meinem Kopf durch, bevor ich Hunter unter die Augen trete. Ich muss logisch vorgehen, sodass er nicht komplett ausflippt. Auf eine weitere Auseinandersetzung würde ich liebend gern verzichten. Leider nimmt mein ehemaliger Sergeant diese Warnungen sehr ernst. Er hat mir nicht ohne Grund gesagt, dass ich mich von meinem Zuckerdöschen fernhalten soll. Er kennt mich und meine verkorkste Art, auch weiß er, wieso ich so bin.
»Wie lange willst du noch hier herumtigern?«, dringt eine Stimme zu mir durch, weshalb ich erschrocken zusammenzucke. Heilige Scheiße. War ich so tief in meinen Gedanken versunken, dass ich die öffnende Tür nicht gehört habe? Wie es aussieht, ja. Etwas, dass sehr untypisch für mich ist. Nach so vielen Jahren im Sudan ist mein Körper immer auf Abruf bereit und hört das leiseste Geräusch. Erkennt die Gefahr und jede Bewegung in meinem Umkreis.
»Hunter«, rufe ich aus und lege überrascht die Hand auf mein Herz. Mein bester Freund zieht nur seine Augenbraue in die Höhe, verschränkt seine Arme vor der Brust und lehnt sich am Türrahmen an.
»Hat dich Faith so um den Finger gewickelt, sodass du mich nicht mal bemerkt hast?« Er hört sich verblüfft an, als könnte er nicht glauben, was er da gerade sagt. Ich eigentlich auch nicht, jedoch sieht es leider so aus und dafür könnte ich mich selbst ohrfeigen.
Wie kann ich mich so gehen lassen?
Ich war nie so unaufmerksam. Nicht mit ihr und auch sonst nie. Eine Eigenschaft, die ich immer an mir mochte, obwohl sie negativ aufgefasst werden kann. Mein Stimmungsumschwung ist Hunter nicht entgangen, weshalb er vorsichtig, als wäre ich ein ängstliches Reh, einen Schritt näher kommt. Gleichzeitig hebt er seine Hände in die Luft. »Dreh jetzt nicht durch, Heath.«
Seine Worte nehme ich nicht ganz wahr, da ich mich gerade selbst verfluche, weil ich nicht stark genug war, diese hübsche und bezaubernde schwarzhaarige Frau von mir fernzuhalten. Zudem ist der verdammte Flashback noch immer präsent und macht mir mehr zu schaffen, als ich möchte.
Ungünstigerweise kann ich diese Gedanken nicht abschalten, die mir den Boden unter den Füßen wegziehen wollen. Schwarze Punkte tauchen in meinem Sichtfeld auf, versperren mir die Sicht, sodass mein Kopf mir all die Bilder zeigen kann, die ich sonst in einer Schublade versteckt habe. Im hintersten Teil meines Gehirns.
Alles prasselt wie eine eisige Welle auf mich ein, versucht mich in den Abgrund zu ziehen und das bloß wegen dieser einer Erkenntnis. Es fühlt sich an, als würden meine Lungen mit Wasser gefüllt werden, während ich vergebens nach Luft japsen.
Meine Hände greifen um mich, wollen sich an irgendetwas festhalten, damit ich oben bleibe und nicht in all diesen Emotionen ertrinke.
Etwas Rotes blitzt auf. Blut. So viel Blut.
Es riecht metallisch. Eisen. Meine Hände sind mit dieser karminroten Flüssigkeit bedeckt, wollen es abwaschen, aber es bleibt an ihnen haften. Nicht mal das Wasser, welches mich umgibt, spült es fort. Es verfärbt sich, lässt es mich überall sehen, weswegen ich meine Augen schließe.
»Verdammt nochmal, Heath! Bleib bei mir! Wir stehen das zusammen durch. Ich bin da.«
Die Stimme meines besten Freundes nehme ich nur am Rande wahr. Die Verzweiflung und der Schmerz sind viel zu groß, sodass ich mich auf nichts anderes konzentrieren kann. Wenn ich doch nur Luft holen könnte! Mein Körper will mir nicht gehorchen, verbietet mir, etwas dagegen zu unternehmen, als wären mir die Hände gebunden. Nichts funktioniert und ich weiß genau, dass ich es zulassen sollte, damit ich endlich meine Scheiße aus der Vergangenheit verarbeiten kann. Ich will das aber nicht, weil ich nicht bereit dafür bin.
Immer stärker kämpfe ich dagegen an, bis ich plötzlich in die Gegenwart katapultiert werde und auf die Knie sinke. Meine Wange brennt und sobald ich meinen Blick hebe, weiß ich auch wieso. Hunter steht mit erhobener Hand vor mir und schaut mich aus besorgten Augen an. Wir beide sagen kein Wort.
Gierig hole ich tief Luft und fülle meine Lungen mit dem Sauerstoff, den sie bitter nötig haben.
Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.
Schnell sauge ich alles ein und schließe dabei die Augen. Gleichzeitig wische ich meine Hände an meiner Jeans ab, auch wenn ich weiß, dass sie nicht mit Blut befleckt sind. Langsam verschwindet auch das Wasser, lässt mich an die Oberfläche gelangen, bis ich wieder komplett trocken bin.
Verdammt.
Eine solch heftige Panikattacke hatte ich schon lange nicht mehr.
»Danke«, stoße ich gepresst heraus.
Ich bin viel zu erschöpft, um mich wieder auf die Beine zu stellen, weswegen ich mich komplett fallen lasse und auf dem Boden sitzen bleibe. Hunter sieht mich nur aus unruhigen Augen an. Sie suchen eine Antwort darauf, um zu verstehen, was soeben passiert ist. Ich bin mir jedoch sicher, dass er sie bereits kennt.
»Was hat es diesmal ausgelöst?«, will er wissen, da er nicht zum ersten Mal bei einer solchen Situation dabei ist. Ein Grund, weshalb ich es ihm erzählt habe. Ich konnte ihn nicht länger im Unwissen lassen. »Faith hat die Kette berührt«, gebe ich zu und blicke hinab auf seine Schuhe. Ich will den Ausdruck in seinem Gesicht nicht sehen.
»Verdammt. Ich dachte echt, dass es besser wird«, ruft mein ehemaliger Sergeant laut aus.
»Leider nein. Vielleicht hat der Kuss es noch verstärkt«, denke ich laut nach und halte mir eine Sekunde später die Hand vor dem Mund.
Mit schock geweiteten Augen, blicke ich Hunter an. Das wollte ich nicht preisgeben, weil er jetzt schon das Gefühl hat, dass ich die Finger von ihr lassen soll. »Kuss? Du hast Faith geküsst?«, will er erstaunt wissen. Ich kann, zu meiner Verwunderung, keine Wut oder ähnliches in seinem Gesicht ablesen. Viel mehr spiegelt sich reine Neugier wider, die mich verwirrt die Stirn runzeln lässt.
»Bist du nicht sauer deswegen?«, hake ich vorsichtig nach. Es ist mir noch immer schleierhaft, wie Hunter so ruhig bleiben kann.
»Nein, wieso sollte ich? Du hast nach Jahren eine Frau näher an dich herangelassen. Irgendwie bin ich glücklich, auch wenn du es heute bei ihr richtig verkackt hast.«
Bei seinen Worten lege ich meinen Kopf schief und denke darüber nach. Er hat recht. Eigentlich habe ich immer gedacht, dass ich sie von mir wegstoßen sollte. Das wäre noch immer mein erster Gedanke, wenn ich bemerken würde, dass ich wieder verletzt werden könnte. Aber ich weiß, was mir mein bester Freund sagen will, auch wenn es für mich noch ein sehr steiniger Weg sein wird. Ich kann meine Vergangenheit nicht einfach so hinter mir lassen. So simpel funktioniert das leider nicht. Trotzdem habe ich für diese Frau einen kleinen Teil meines Herzens geöffnet. Eventuell schafft sie es sogar, es ganz für sich zu gewinnen.
Eine Erkenntnis blitzt in mir auf, weswegen ich ruckartig aufstehe, nur um mich sofort an Hunter festzuhalten. Das war wohl eine zu schnelle Reaktion für meinen Körper, da sich alles in meinem Kopf dreht.
»Was ist? Alles okay bei dir, Kumpel?« Hunter umfasst mit seinen Händen meine Schultern, um mir Halt zu geben. Sonst hätte ich wieder Bekanntschaft mit dem Boden gemacht.
»Ich muss mich bei ihr entschuldigen«, platzt es aus mir heraus.
Auf die Frage von meinem besten Freund gehe ich gar nicht erst ein. Viel mehr muss ich mir überlegen, wie ich es bei Faith wiedergutmachen kann. Sie hat eine Entschuldigung meinerseits verdient und noch viel mehr. Es sollte nicht wegen meiner Unfähigkeit alles ruiniert sein. Dafür ist sie mir in dieser kurzen Zeit schon zu wichtig geworden.
»Ja, das solltest du«, pflichtet er mir bei und macht ein nachdenkliches Gesicht. »Wie willst du das aber anstellen? Ich bin mir nicht sicher, ob sie noch mit dir reden will. Du könntest es ihr nicht mal verübeln.« Nein, das könnte ich wirklich nicht. Jedoch formt sich eine Idee langsam in meinem Kopf.
»Ich habe bereits eine Idee«, murmle ich leise und will mich umdrehen, um sie in die Tat umzusetzen. Nur hindert mich mein bester Freund daran. »Das muss bis morgen warten. In diesem Zustand lasse ich dich nirgendwo hin. Also rein mit dir, Kumpel.«
Ergeben seufze ich auf und lasse mich von ihm in das Innere der Werkstatt ziehen. Er hat recht. Aber sobald ich morgen früh die Augen öffne, muss ich los, um meinen Plan zu verwirklichen.
Ich hoffe nur, dass Faith mir verzeihen wird.
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