Kapitel Zwanzig: Hunter James
H E A T H
Vor zwei Jahren
Sobald die Tür zu geht, wende ich mich meinem besten Freund zu. Die ganze Zeit über haben wir so getan, als ob alles in Ordnung ist. Faith hat zwar etwas mitbekommen, jedoch wird sie nicht erfahren, wieso Hunter so schlecht gelaunt war. Außerdem bezweifle ich es, dass sie überhaupt etwas in diese Richtung denkt. Viel mehr vermutet sie, dass er frustriert darüber ist, dass es mit Haylee noch nicht geklappt hat. Was nur einen kleinen Funken der Wahrheit entspricht. Wir sind Meister darin, Sachen zu verbergen. Aber jetzt wird mein bester Freund nicht drumherum kommen, sodass ich mich auf den Stuhl fallen lasse und ihn mit erhobenen Augenbrauen ansehe.
»Willst du dich nicht setzen? Wir haben noch einiges zu bereden, Kumpel.«
Hunter stöhnt laut auf und fährt mit der Hand durch seine Haare. Er weiß genau, dass er nicht davon kommen wird, weswegen er sich mir gegenüber setzt und mich aus traurigen Augen anblickt. Sie zeigen mir eine Leere, die ich nur allzu gut kenne und die mir mehrere kalte Schauer den Rücken hinab jagen.
Irgendetwas Grausames muss geschehen sein, weshalb er so geknickt ist. Dieser Anblick schmerzt mich. Hunter hat es verdient, glücklich zu sein. Er hat es verdient, dass seine Augen um die Wette strahlen, sich Lachfalten in seinem Gesicht bilden, sodass er allen zeigen kann, wie gut es ihm geht. Wie glücklich er ist. Ich habe geglaubt, seine Zimtschnecke wird ihm dabei helfen, nur scheint es wirklich nicht gut zwischen den beiden zu laufen. Was mich ehrlich gesagt überrascht, da jeder sehen kann, wie stark die Gefühle sind, die sie füreinander hegen.
»Was ist passiert?«
Seine Hände ballen sich zu Fäusten, versuchen das Zittern vor mir zu verbergen, jedoch habe ich es bereits bemerkt. Ich habe zwar gesagt, dass er ein Meister ist, seine Emotionen hinter einer Fassade zu verstecken, nur gilt das nicht für mich. Ich kenne Hunter viel zu gut und durch unser Kennenlernen habe ich mir einige Tricks angeeignet. Aus diesem Grund ist es schwer für uns beide, etwas vor dem anderen zu verheimlichen.
»Ich habe ihr weh getan«, flüstert er niedergeschlagen.
In seiner Stimme spiegelt sich der Schmerz wider, den ich in seinen Iriden erkennen kann. Seine Anspannung fällt von ihm ab, sodass er in sich zusammen sackt. Er schließt seine Augen und versucht mit seinen Händen die verräterischen Tränen zu verdecken. Etwas, das er nicht tun muss. Ich habe ihn bereits in viel schlimmeren Situationen erlebt.
»Was hast du getan?«
Meine Stimme ist ruhig und sanft, auch wenn in meinem Inneren jegliche Alarmglocken zu läuten beginnen. Ich will ihn aber nicht verschrecken und hoffe, er übertreibt es nur und meint es nicht so ernst. Das wäre eine Katastrophe und etwas, was ihn aus der Bahn werfen wird. Was bereits geschehen ist, wenn ich ihn mir ansehe.
»Es gibt keine Zukunft für uns. Ich hätte nicht hierherkommen sollen, Heath. Dadurch ist alles nur schlimmer geworden und sie wird mir das nie verzeihen können.«
Seine Stimme ist nur ein Hauch, jedoch trifft es mich wie ein Schlag, da sie nur von Schmerz gekennzeichnet ist. Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich und ich hoffe sehr, dass ich mich dieses Mal täusche. Trotzdem frage ich nach, weil ich nicht anders kann.
»Was hast du getan, Hunter?«, will ich wissen und blicke ihn eindringlich an. Er soll endlich den Mund aufmachen und nicht um den heißen Brei herumreden.
»Ich hatte …« Seine Stimme bricht, während er seinen Kopf hängen lässt. Er wirkt wie ein verlorener Junge, der nach seiner Mama verlangt. Nur hat er niemanden mehr, mit dem er reden kann, außer mich.
»Was hattest du?«
»Ich hatte einen schlimmen Alptraum.«
Das ist alles? Nein, oder? Da muss mehr passiert sein. Uns verfolgen ständig diese grausamen Alpträume, lassen uns nicht schlafen und jedes Geräusch versetzt uns in Alarmbereitschaft. Sie wollen nicht verschwinden und mit jeder Nacht, die vergeht, versuchen wir damit zu leben. Sie zu akzeptieren. Wir wissen, dass wir das Ganze falsch angehen, aber niemand von uns will, das nochmals durchleben müssen. Das würde uns in den Abgrund stürzen lassen.
»Es war mehr eine Erinnerung als ein Traum, Heath. Eine Erinnerung von der Gefangenschaft.«
Meine Augen weiten sich. Er hat mir nur vage darüber erzählt, da er nicht wollte, dass ich mir noch mehr Vorwürfe als sonst mache. Er hat immer behauptet, er könnte sich nicht daran erinnern. Ich wusste, dass er mich anlügt, nur war es für mich in diesem Augenblick okay und besser, weil mir klar war, dass mich das durchdrehen lassen wird.
»Was genau hast du geträumt?«
Sein Blick gleitet durch den ganzen Raum, nur mich lässt er aus, da er mir nicht in die Augen sehen kann. Er denkt, dass ich ihn als schwach betiteln würde, jedoch stimmt das nicht. Er ist durch die Hölle gegangen, hat Sachen erlebt, die ich nur erahnen kann. Ich war zu langsam und konnte ihn nicht vor den Qualen bewahren, die er zwei Monate durchleben musste. Jeden einzelnen Tag. Es ist meine Schuld und diesen Fehler werde ich mir niemals verzeihen.
Seine Miene ist leer. Er hat einen Punkt an der Wand fixiert und wenn ich ihn mir so ansehe, dann habe ich das Gefühl, dass er im Moment nicht bei mir ist. Sondern in den Fängen seiner Entführer.
»Ich habe dir nie wirklich erzählt, was genau sie mit mir gemacht haben. Als ihr mich befreit hattet, habe ich deinen Blick gesehen und wie dich die Schuldgefühle zerfressen haben, aber dich trifft hier keine Schuld. Ich war euer Sergeant und es war meine Aufgabe euch in Sicherheit zu wissen.«
Er betont jedes Wort und für einen Augenblick sieht er mich an. Jedes einzelne meint er vollkommen ernst. »Also bitte ich dich, wenn du das hören willst, dich nicht damit zu quälen. Ich hab es nicht umsonst so lange für mich behalten.«
Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Eine innere Anspannung lässt jeden meiner Muskeln fast platzen. Und doch nicke ich ihm zu, da meine Neugier größer ist und ich genau weiß, dass es ihm besser gehen wird, wenn er es endlich ausspricht.
»Sie haben mich hungern lassen, Heath. Ich habe in den zwei Monaten fast nichts zu essen bekommen. Ich war schwach und ausgelaugt, aber sobald ich meine Augen schließen wollte, haben sie mich mit eiskaltem Wasser wachgehalten. Und damit sie ganz sicher sein konnten, haben die Peitschenhiebe mir jeglichen Schlaf geraubt. Von den anderen Foltermethoden will ich gar nicht anfangen.«
Kurz holt er Luft, während er seine Augen schließt. Sein ganzer Körper ist zum Zerreißen angespannt. Ich sollte ihm eine Pause gönnen, bevor er gänzlich zusammenbricht.
»Hunter«, flüstere ich gequält. »Lass mich ausreden, Heath. Lass mich, bitte.«
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Auf der eine Seite tut es ihm wahrscheinlich gut, endlich darüber sprechen zu können. Endlich alles von der Seele zu reden, damit die Last von seinen Schultern fällt. Nur versetzt er mir mit jedem Wort einen Stich in die Brust. Er darf nicht sehen, wie die Schuldgefühle mich in meinem Inneren auffressen. Wie sie mich zerfleischen.
»Einen Tag bevor ihr mich da rausgeholt habt, prügelten sie auf mich ein. Sie haben mich zusätzlich mit Steinen beworfen. Ihnen war es egal, welche Körperstelle sie dabei trafen.«
Ruckartig stehe ich auf. Ich muss mich bewegen, mich mit irgendetwas beschäftigen, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Diese verdammten Mistkerle. Ich reiße mich jedoch zusammen, zumindest versuche ich es. Es würde Hunter im Moment nicht helfen, wenn ich ausrasten würde, auch wenn ich am liebsten alles zu Brei schlagen will.
Hunter bleibt kurz still, beobachtet meine Bewegungen. Er lässt mich alles sacken, bevor er weiter erzählt. Ich weiß nicht, wie lange ich hier auf und ab tigere, jedoch beruhige ich mich irgendwann wieder und mein bester Freund fährt fort. Ich brauche meine gesamte Willenskraft, um ihm den Halt zu geben, auch wenn es mich innerlich zerstückelt.
»Sie haben mich wochenlang an diesen Ketten hängen lassen und auf einmal habe ich die Kälte des Bodens fühlen können. Jemand hat mich an den Haaren gepackt und da habe ich instinktiv reagiert. Ich habe meine Hände um seinen Hals geschlungen und …«
Das Ende vom Satz lässt er im Raum stehen. Ich kann mir denken, was danach passiert ist. Er muss es nicht laut aussprechen, ich verstehe ihn auch so. Ich hätte sehr wahrscheinlich dasselbe getan, um mich aus den Fängen dieser Mistkerle zu befreien.
»Und genau das habe ich letzte Nacht geträumt und dabei unwissentlich Haylee gewürgt.« Abrupt bleibe ich stehen. Was hat er da gerade gesagt? Verdammt! Das muss übel sein. Er gibt sich jetzt die Schuld daran, jedoch kann er nichts dafür. Das ist nicht seine Schuld.
»Wie geht es ihr?«, will ich wissen und lasse mich auf dem Stuhl ihm gegenüber fallen.
»Wie soll es ihr gehen? Ich hab ihr weh getan und mir die Chance vergeigt, alles wiedergutzumachen. Ich bin ein Idiot, der sie nicht verdient hat«, brüllt er mich an, bevor er komplett zusammenbricht und schmerzvoll aufschreit. Tränen kullern ihm über die Wange, jedoch wischt er sie nicht weg.
»Wie geht es ihr?«, wiederhole ich meine Frage, weil er mir keine Antwort darauf gegeben hat. Eindringlich mustere ich ihn. Ich muss wissen, wie stark ihre Verletzungen sind und ob sie eine Behandlung benötigt.
»Ist sie im Krankenhaus?«, hake ich weiter nach, da er noch immer den Mund hält. »Nein, ist sie nicht. Sie ist zu Hause, Heath.«
Also ist die Verletzung äußerlich nicht so verheerend, wie ich dachte. Wie es innerlich bei ihr aussieht, kann ich mir aber denken. Jedoch habe ich eine Frage und auf diese Antwort bin ich gespannt. »Wie konntest du dich aus deinem Alptraum befreien?«
Auch wenn sein Blick nur aus Schmerz, Kummer und Schuldgefühlen besteht, zuckt sein rechter Mundwinkel in die Höhe.
»Kuschelbär. Sie hat mich Kuschelbär genannt. Ihr ganz spezieller Kosename für mich.«
Mir tut das alles im Herzen weh, jedoch muss ich trotzdem bei dieser Aussage lächeln. Hunter sieht es wohl nicht, da er von der ganzen Situation geblendet ist. Nur zeigt mir diese Tatsache, dass Haylee Lane die Rettung für meinen Freund ist. Sie wird es schaffen, ihn wieder aus diesem elenden Loch zu befreien.
Das weiß ich ganz genau.
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