Kapitel Fünfundzwanzig: Anwalt
F A I T H
Kennst du das Gefühl, wenn du am liebsten deine Realität zu einem Traum machen willst? Du kannst nicht der Wahrheit ins Auge sehen, da es für dich so überraschend und schmerzlich ist, sodass du dir sehnlichst wünschst, dass das alles nur ein Hirngespinst ist. Dass dein Verstand versucht, die Tatsache mit einer Illusion zu verwechseln, weil der Schmerz zu groß ist und du diesem entfliehen willst. Jede Sekunde kann es so weit sein, dass diese überdimensionale Katastrophe über dich hereinbricht und dir nicht nur den Boden unter den Füßen wegziehen wird, sondern auch das Herz aus der Brust reißt, um es in tausende Teile zu zerstückeln.
Es liegt blutend auf dem Boden, während der Mensch, der dafür verantwortlich ist, darauf herumtrampelt, um es endgültig zu zerstören. Ob er es bewusst oder unwissentlich tut, ist egal. Trotzdem ist der Schmerz überwältigend und unaufhaltbar. Der Schrei, der über unsere Lippen kommen will, ist stumm. Niemand hört uns und egal wie sehr wir versuchen dagegen anzukämpfen, wir fallen immer weiter hinab in das elend schwarze Loch und können nichts dagegen unternehmen.
Genau so fühle ich mich, während ich meinen baldigen Ex-Ehemann mit großen Augen und schmerzverzerrtem Gesicht anstarre. Unfähig etwas darauf zu erwidern, weil der Schock darüber zu groß ist und meine innere Kämpferin es nicht verstehen will oder kann. Heath hat noch immer seinen Blick auf mich gerichtet, mustert mich genau und durch den dunklen Schatten in seinen Augen, weiß er ganz exakt, was er mit diesen Worten in meinem Inneren verursacht hat.
Trotzdem sagt er nicht weiter dazu, als er sich langsam erhebt und mich mit einem leeren Blick ansieht, sodass mir ein unangenehmer Schauer den Rücken hinabläuft. Es ist, als würde alles um uns herum still stehen und auf die bösartige Explosion warten, die bald kommen wird.
Verwirrt, verletzt und unglaublich wütend wende ich mein Gesicht ab und fixiere diese langweilige Wand vor mir. Alles ist mir in diesem Moment lieber, als in seine ozeanblauen Iriden schauen zu müssen. Sie versuchen mir etwas zu sagen, dass ich nicht verstehe. Sie sprechen eine andere Sprache, als seine Lippen, die mir einen gigantischen Stoß verpasst haben, den ich nicht habe kommen sehen.
»Es tut mir leid, Faith«, dringt seine emotionslose Stimme zu mir durch. Er hat seine Gefühle hinter seiner dicken Mauer verschlossen und doch konnte ich vor einigen Sekunden, einen undefinierbaren Ausdruck in seinen Augen erkennen.
»Nicht«, hauche ich, als ich mich zu ihm wende und erschrecke mich selbst, nachdem ich diesen erdrückenden Schmerz in meinem gesagten Wort hören kann.
Heath zuckt zusammen, als hätte ich ihm einen Schlag ins Gesicht verpasst. Was eigentlich nicht der Fall ist, da es seine Worte waren, die eine Schlucht zwischen uns verursacht haben. Er allein hat entschieden, dass er die Scheidung und mich somit aus seinem Leben bannen will. Er allein hat diese Tiefe zwischen uns ausgelöst und beschlossen, dass wir getrennte Wege gehen und nicht um unsere Liebe kämpfen. Das war alles er und nicht ich.
»Es ist besser so, Faith. Lass mich meine Vergangenheit verarbeiten, damit wir später irgendwann wieder zueinander finden können.«
Bitter lache ich auf, da ich nicht glauben kann, was ich da höre. Glaubt er wirklich, dass es so einfach ist? Er kann doch nicht meinen, dass ich Däumchen drehend auf ihn warten soll.
»Ich soll auf dich warten, bis du endlich das Gefühl hast, dass es dir wieder besser geht?«, kontere ich scharf und schüttle dabei ungläubig meinen Kopf. »Und wie lange denkst du, dass das dauern wird? Wochen, Monate oder gar Jahre?«
Wieder zuckt er bei meinen Worten zusammen. Doch ich bin noch nicht fertig und ich hoffe, dass er genug Mumm hat und hier bleibt, bis ich alles gesagt habe. Wir wissen alle, dass er sonst nur allzu gerne die Flucht ergreift, um sich der Auseinandersetzung zu entziehen. Etwas, dass wir leider beide in letzter Zeit getan haben, schießt es mir durch den Kopf. Aber dieses Mal wird er nicht so leicht davonkommen. Das werde ich nicht zulassen.
»Wir könnten zusammen dadurch, Heath. Ich könnte für dich da sein und deine Hand halten, wenn du jemanden brauchst. Ich könnte dir zuhören und dich auffangen, wenn du das Gefühl hast zu fallen. Wieso lässt du mich nicht, wenn ich gerne all diese Dinge für dich tun würde?«
Sobald ich das letzte Wort gesprochen habe, beginnt Heath auf und ab zu laufen. Ich kann die Zerrissenheit in seinem Inneren sehen. Wie er mit sich selbst hadert und weiß, dass ich ihm guttun könnte. Und doch ist er sich unsicher. Mir ist klar, dass ich ihm nicht bei allem behilflich sein kann, wie ich es gerne wollen würde. Immerhin sind es seine eigenen Dämonen, aber wenn er alles in sich hineinfrisst, wird ihn das am Ende endgültig vernichten.
Vielleicht sollte ich für den Anfang Rick anrufen. Er hat bereits seinem Neffen mit Gesprächen und seinen Erfahrungen unterstützt. So könnte Heath sich wenigstens mit einem Teil seiner schrecklichen Vergangenheit auseinandersetzen und damit abschließen. Komplett.
Mich würde es aber wirklich interessieren, warum er glaubt, dass er allein durch dieses Trauma gehen muss. Er hat Menschen um sich herum, die ihm gerne helfen wollen. Heath hat selbst Hunter in allem beigestanden. Wieso verwehrt er seinem besten Freund und mir dieselbe Hilfestellung?
»Du verstehst das nicht, Faith«, sagt er voller Verzweiflung und lässt seinen Kopf in den Nacken fallen.
»Ich will dich aber verstehen, Heath. Ist das so schwer zu begreifen? Stoß mich nicht weg, sondern erkläre es mir!«
Mit meinen Händen fuchtle ich vor mir herum und versuche meine Worte, mit allen Mitteln die mir zur Verfügung stehen, in seinen Dickschädel zu bekommen. Auch wenn er mich nicht ansieht, so weiß ich ganz genau, dass er jede meiner Bewegung registriert.
»Und dann was, Faith? Was, wenn es sich wiederholt und dir meinetwegen etwas passiert? Was dann? Das würde mir den Rest geben«, brüllt er mich an und lässt mich erstarren.
Mit großen Augen blicke ich ihn an und kann kaum glauben, was ich da höre. Seine Schuld? Gibt er sich selbst die Schuld an dem Tod von Rachel?
»Du hast richtig gehört, Faith. Nur durch meinen Fehler ist Rachel gestorben. Willst du wirklich mit einem Mann zusammen sein, der alles um sich herum in den Abgrund reißt und zerstört?«
Mein Mund öffnet sich und bevor ich auf sein Gesagtes eingehen kann, klopft es an der Tür. Das kann doch nicht wahr sein!
Mit einem Ruck wird sie geöffnet und ein Mann mittleren Alters kommt zum Vorschein. Seine dunklen Haare haben bereits einige graue Strähnchen bekommen. Um seine Augen kann ich Falten erkennen, die auf sein Alter schließen und ein geschniegelter Anzug schmückt seinen Körper. In der Hand hält er eine Aktentasche und eine böse Vorahnung lässt mich laut aufatmen. Ich weiß genau, wer vor mir steht, auch wenn ich diesen Menschen noch nie in meinem Leben gesehen habe.
Das ist der Anwalt, von dem Heath gesprochen hat.
»Ah, Mr. Thompson. Mit Ihnen habe ich gar nicht gerechnet. Ich bin nur zufällig in der Gegend und habe gerade Zeit, um Mrs. Thompson die Papiere auszuhändigen.«
Heath nimmt die Hand von dem Mann entgegen und begrüßt ihn mit einem Nicken, nachdem er mir einen entschuldigenden Blick geschenkt hat. »Ich wollte gerade gehen. Wir sehen uns die nächsten Tage, Mr. Scott. Bis dann, Zuckerdöschen«, verabschiedet sich Heath und dreht sich abrupt um, um fluchtartig dieses Krankenzimmer zu verlassen.
Ein humorloses Lachen entwischt meinen Lippen, als ich ihm nachsehe. Wie kann er es wagen, diesen Kosenamen auszusprechen, wenn er gerade die Scheidung von mir will? Das ergibt für mich überhaupt keinen Sinn.
Mr. Scott schaut mich aus ruhigen Augen an und sagt kein Wort. Er hat bestimmt bemerkt, dass er in einem ungünstigen Zeitpunkt hier hereingeplatzt ist. Vielleicht hätte ich Heath noch überzeugen können, diese beschissene Idee zu verwerfen.
Anstatt dass mich der Schmerz überrollt, so wie ich anfangs dachte, bin ich fuchsteufelswild. Am liebsten würde ich diese blöde Infusion aus meinem Arm reißen und ihm hinterherrennen, um diese Diskussion zu beenden. Wie ein Feigling ist er davon geflüchtet und hat den einfacheren Weg gewählt. Nur ist ihm nicht klar, dass das für ihn bedeutet, allein zu sein, weil seine inneren Dämonen es nicht zulassen würden, jemanden an seiner Seite zu sehen.
»Tut mir leid. Ich wollte Sie beide auf keinen Fall unterbrechen«, durchbricht der fremde Mann die Stille und zuckt entschuldigend mit den Schultern. Es ist ihm unangenehm, jedoch lässt er sich das nicht anmerken. Trotzdem bemerke ich das an seinen Worten.
»Alles gut. Sie konnten es ja nicht wissen.«
Mit einem dumpfen Geräusch lässt er seine Aktentasche auf meinen Beistelltisch fallen und öffnet diese gekonnt. Gezielt holt er eine Mappe hervor und hält sie mir hin. Schnell überfliege ich das geschriebene und halte ihm erwartungsvoll die Hand entgegen. Auch wenn ich weiß, dass ich gerade einen riesigen Fehler begehe, so treibt mich meine Wut an und will es jetzt beenden.
Verwirrt runzelt Mr. Scott die Stirn und sieht mich fragend an.
»Haben Sie einen Stift, damit ich die Papiere gleich jetzt unterschreiben kann?«
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