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Sie hob ihre linke Hand. In ihren zitternden Fingern hielt sie eine Klinge. Alles Lügen! Die Hand mit der Klinge fuhr einmal über ihren rechten Arm. Du hast die ganze Zeit gelogen! Das Blut lief aus dem Schnitt den Arm hinunter. Lügner! Der Schnitt war nicht sehr tief, sodass das Blut nach wenigen Minuten bereits wieder getrocknet war. Auf dem Schnitt bildete sich eine dünne Kruste, doch ein Schück neben ihm tauchte wenig später eine neue rote Linie auf. Der neue Schnitt was etwas tiefer als der erste aber auch noch nicht wirklich tief. Von der Klinge tropfte etwas Blut in die sich mit heißem Wasser füllende Badewanne. Wie kontest du mir das nur antun?! Tränen liefen ihre Wangen hinab und blieben an ihrem Kinn hängen. Warum nur? Sie erhob die Hand erneut und fuhr mit mehr Druck über ihren Arm. Sofort quoll Blut aus dem Schnitt hervor und lief den Arm hinunter über ihre Hand und über ihr Bein, auf welchem sie den Arm abgelegt hatte. Fasziniert betrachtete sie, wie sich das Wasser rot färbte. Es war so eine schöne Farbe, so ein schönes Rot. Sie konnte nicht mehr. Sie wollte nicht mehr. Und das alles nur wegen ihm. Er hatte sie gebrochen. Hatte ihr das Herz aus der Brust gerissen und war dann noch darauf herumgetrampelt. Was hab ich dir getan? Was hab ich dir getan damit ich das verdiente?! Immer mehr Tränen liefen ihre Wangen hinunter und hinterließen eine salzig warme Spur.
Als die Wanne bis zum Rand mit bereits von Blut gefärbtem, heißem Wasser gefüllt war, streckte sie ihren rechten Arm um das Wasser aus zu stellen. Dabei schmierte sich das Blut von ihrer Hand auf den Wasserhahn und durch die Bewegung schwappte ein bisschen Wasser über den Rand, doch dem schenkte sie keinerlei Beachtung. Eher hatte sie ihren Arm wieder auf ihr rechtes Knie gelegt und war dabei zu den bereits bestehenden drei roten Linien noch eine hinzuzufügen. Den vierten Schnitt machte sie allerdings nicht parallel zu den anderen, sondern einmal quer drüber, die Schlagader am Handgelenk entlang. Sie verzog nur kurz das Gesicht doch dann nahm sie die Klinge in die andere Hand und schnitt ebenfalls entlang der Pulsader am linken Handgelenk. Mit der rechten Hand war sie etwas ungeschickt, sodass der Schnitt sehr tief war. Ihr sollte es recht sein. Sie wollte es nicht mehr herauszögern. Es gab doch keinen Grund.
Langsam bemerkte sie, wie ihre Sicht verschwommen wurde und sich ihre Gedanken verlangsamten. Sie lehnte sich nach hinten an den Wannenrand und rutschte dabei tiefer ins Wasser. Ihr Mund war nun unter der Wasseroberfläche und als sie weiter hinunter sank, stiegen kleine Luftbläschen aus ihrer Nase. Ein letztes mal Ausatmen.
Vollständig von Wasser umgeben fingen ihre Gedanken an zu rasen. Vor ihrem inneren Auge spielte sich ihr gesamtes Leben in Kurzfassung erneut ab. Es fing alles so gut an...
Alles ist so hell und bunt. Grün. Eine Wiese mit spielenden Kindern. Sie lachen. Der Himmel ist strahlend blau. So wunderschön.
Der Tag ihrer Einschulung. Die Blicke ihrer Eltern so voll mit Stolz und Liebe.
Ihre erste wirkliche beste Freundin. Sie lachen viel.
Der erste Streit. Regen. Das Reißen an den Haaren, das Gebrüll. Donner und Blitze. Die Wut und der Hass, von dem man glaubte er würde nimmermehr vergehen.
Der Tag danach. Versöhnung. Der Himmel wieder blau, die Sonne scheint. Eine Umarmung. Regenbogen. Sie lachen wieder. Alles ist gut.
Die weiterführende Schule. Immer noch mit ihrer besten Freundin. Alles toll. Die Mittelstufe. Neue Freunde.
Der erste Schwarm. Die ganzen Schmetterlinge im Bauch. Glücksgefühle. Die Mitternachtsgespräche mit ihren besten Freundinnen über Jungs. Das heimliche Geflüster. Alles so bunt.
Der erste Freund. Frische Liebe. Alles neu, ungewohnt. Alles ist perfekt. Rosa-rot.
Der erste Streit mit ihm. Ach das geht vorbei... Die Versöhnung. Alles gut. Alles ist voll in Farbe. Der zweite Streit. Warum schreit er so laut? Ein paar Tage Ruhe. Sie haben sich wieder vertragen. Die Rottöne verblassen, doch die Welt bleibt bunt.
Noch ein Streit. Er hebt die Hand, sie reißt die Augen auf. Angst. Es klatscht. Noch einmal. Noch einmal. Das Knallen einer Tür. Er rennt weg. Sie liegt auf dem Boden. Tränen in den Augen. Die Farben verschwimmen. Alles wird grau.
Sie fragt sich warum. Sie lieben sich doch, also warum? Sie will es wissen und rafft sich auf. Zitternd greift sie nach ihrem Handy. Sie wählt seine Nummer. Er nimmt ab. ,,B-baby?" Ihre Stimme zittert. Seine Antwort knapp. ,,Was willst du?" Wütend. ,,Ich hatte meine Stanpunkt doch deutlich gemacht?!" ,,A-aber wieso?" Ein Schluchzen. ,,Ich liebe dich." ,,Ich dich aber nicht! Ich habe dich nie geliebt, verstanden?! Ich habe dich benutzt um an deine Freundin zu kommen. Sie ist viel besser als du! Lass mich verdammt nochmal in Ruhe!" Er legt auf. Ein Tuten.
Ein dumpfer Ton. Das Handy liegt auf dem Boden. Das Display gebrochen.
So wie ihr Herz.
-
Die Haustür öffnete sich. ,,Oh, schau mein Schatz, unsere Tochter ist schon Zuhause." Der Mann deutete auf die hochhackigen schwarzen Stiefel, die ordentlich an ihrem Platz im Regal standen. ,,Dann ist sie aber früh zurück. Sie sollte doch erst in zwei Stunden kommen?" Fragend sah sie ihren Mann an, welcher nur mit den Schultern zuckte. Sie hängten ihre Mäntel an die Haken und gingen in die Küche. ,,Ich geh mir die Hände waschen und dann können wir gemeinsam kochen." Lächelnd nickte der Mann. ,,Hände waschen klingt gut." Er zwinkerte ihr zu und sie gingen in Richtung des Badezimmers.
Sie schrien. Die Augen vor Schreck und Unglauben weit aufgerissen. ,,Lissy-", hauchte der Mann. Seine Frau stand noch immer regungslos da. Ihn durchfuhr ein Ruck und er stürtzte nach vorn. Er griff nach den Schultern des Mädchens und zog sie nach oben. Voller Entsetzen und Schmerz zog er ihren Kopf an seine Brust und strich ihr die Haare aus dem leblosen Gesicht. ,,Nein", kam ein Hauchen von der Frau. ,,Wieso?" Sie sah ihren Mann an, doch dann fiel ihr Blick auf einen Zettel, der auf dem Boden lag. Von übergelaufenem Wasser nass und mit einzelnen Tropfen roten Blutes gefärbt, sollte er Gewissheit bringen über diese Frage.
~Mom, Dad, es tut mir leid. Ich kann nicht mehr. Lasst mich gehen. Ich hab euch lieb. Es ist vorbei~
~Who cares if one more light goes out,
in a sky of a million stars?
It flickers, flickers.
Who cares when someone's light goes out,
If a moment is all we have?
Or quicker,quicker.~
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