16.02.23 - diesmal kein Thriller :)
Ich strahle in die Kamera. Strahle die Wut und Frustration weg, dass ich seit einer Stunde die perfekte Story aufnehmen will und es nicht passt. Mal stimmt das Licht nicht, mal verhaspel ich mich oder schlimmer noch, ich bin unvorteilhaft zu sehen! Oder mein Kind macht es nicht richtig. Diesmal klappt es!
«Lara, bist du bereit? Wie wir es geübt haben?», rufe ich meiner Tochter zu.
«Jaaa», mault sie. Sie ist genervt, aber auf ihre Befindlichkeit kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Schliesslich muss ich von unserem Content unser Leben finanzieren.
«Wann, Mami?», ruft sie.
«Jetzt!», ich drücke den Auslöser für die Kamera.
«Hallo ihr Lieben, ihr seht, heute scheint die Sonne, nur für euch...»
«Mami, mami, lass uns in den Pool springen», Lara kommt angerannt, wie wir es 1000 Mal geübt haben.
«Jaaa», quietschen wir beide und strahlen in die Kamera. Ich pausiere die Aufnahme und stelle mein Handy ins Stativ. Dann drücke ich wieder auf play und wir reissen und beide die Kleider vom Leib.
«Leute, unser Bikini ist von» - «Calvin Klein», endet Lara perfekt. Wir greifen nach unseren Händen und springen in den Pool, wo ich Lara festhalten muss, da die Kleine noch nicht schwimmen kann. Prustend tauchen wir auf und rufen: «Mit dem Code Lenalara bekommst du sagenhafte 30% Rabatt. Worauf wartest du?
Unser lächeln erlischt danach direkt, da klar ist, dass ich das Ende rausschneiden werde.
«Mama, kannst du bitte mit mir spielen?», quengelt Lara.
«Mensch, ich habe dir doch gesagt, dass ich keine Zeit habe! Ich muss arbeiten!», herrsche ich sie an.
«Mama, kalt!», mault sie. Genervt hebe ich sie an den Poolrand. Dann schwinge ich mich selbst aus dem Pool und gehe zum Handy, nehme es und beginne direkt, die Storys zu bearbeiten, die Verlinkungen zu aktivieren und poste sie. Mit dieser Kooperation bin ich bereits in Verzug, da Lara eine Trotzphase hatte und sich geweigert hat, mitzuspielen.
«Mama», sie steht neben mir.
Ich knie zu ihr runter.
«Maus, Mama muss arbeiten. Damit wir Geld haben zum Leben, verstehst du?»,
Sie nickt, ihre Kulleraugen sehen mich unendlich traurig an.
Mir bricht es das Herz.
Ich gebe ihr einen Kuss auf den Kopf.
«In zwei Wochen machen wir einen Ausflug in den Zoo, versprochen», sie strahlt.
Ich lächle beruhigt.
Dann setze ich mich mit dem Handy und dem Laptop an den Pool, wo ich Mails beantworte und nebenbei mein Youtubevideo schneide.
Ich fluche. Ich hasse diese Aufgabe. Nur zu gerne würde ich jemanden dafür anstellen. Aber dann müssten wir noch mehr Videocontent produzieren, um das Geld wieder reinzuholen. Meine Lara soll ja auch noch Kind sein dürfen. Ich reibe meine müden Augen.
Mein Handy vibriert. Ich beantworte eine Nachricht, dann gehe ich wie automatisch auf Instagram und scrolle durch den Feed. Bei einem Post bleibe ich hängen. Auf dem Foto ist ein weinendes Kind. In der Überschrift steht: Meine Eltern haben meine Kindheit gestohlen.
Die Tränen kommen so und fliessen meine Wangen hinab.
Ich hoffe, ich stehle Lara nicht die Kindheit. Klar muss sie hin und wieder ein Video drehen. Aber dafür leben wir im Luxus. Ich hingegen musste bereits als Kind hart arbeiten.
«Von nix kommt nichts», murmle ich und ershcrecke. Das hat meine verhärmte Mutter immer gesagt. Ich wollte nie so werden wie sie, und doch falle ich in ihre Muster. Mit der Ausnahme, dass ich nun zur Oberschicht gehöre und sie immer noch zur Unterschicht.
Aber zu welchem Preis? Mich schaudert es, trotz der Wärme, während ich die Caption zum Post lese. Ich hoffe wirklich, meine Lara empfindet nicht so, wie es hier stellvertretend für die Kinder beschrieben wird.
Dann schüttle ich energisch den Kopf, lege das Handy weg und arbeite weiter. Diese Menschen haben keine Ahnung. Ich habe keine Wahl. Ohne Schulabschluss bekäme ich höchstens einen Aushilfsjob, wenn überhaupt. Und dann wäre ich den ganzen Tag weg und könnte mich nicht um Lara kümmern. So sind wir wenigstens zusammen, ich hebe den Blick und sehe, wie sie alleine spielt. Mein Herz wird von Liebe erfüllt.
Mit erschrecken höre ich immer mehr von schwer traumatisierten Kindern, deren Eltern Blogger sind. Content mit Kindern ist sehr beliebt. Leider zieht er auch verschiedene Menschen mit besonderen Vorlieben für Kinder an...
Ausserdem ist es oft Kinderarbeit. Seit ich selbst auf diversen sozialen Medien poste weiss ich um den grossen Aufwand hinter den Kulissen. Und meine Posts sind bei weitem nicht perfekt, da ist viel Luft nach oben...
Gesetzlich gibt es hierfür kaum Schutz.
Ich bin sonst ein Mensch mit der Grundhaltung "Leben und Leben lassen". Doch dies hört für mich auf, wenn andere, vor allem hilflose Menschen, allg. Lebewesen leiden.
Darum mache ich auf die für mich aktuell einzige, mögliche Art darauf aufmerksam und nutze meine kleine Reichweite dafür :)
Wie stehst du zu Kindern auf social Media?
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