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Der erste Stein (Thriller, politisch)

Diese Kurzgeschichte war mein Beitrag zum Thema "Stein" beim Spacenet Award 2024.

***

Eine hauchdünne Schicht Pulverschnee überzuckert aufgerissene Müllsäcke und Hundekot an der Hauswand. Eiskristalle blitzen im Schein der einzigen Straßenlaterne. Ein klarer Nachthimmel spannt sich über den geschlossenen Hinterhof, eine Stunde vor Sonnenaufgang. Der keuchende Atem und die hämmernden Schritte eines Mädchens durchbrechen die Stille. Gerade noch rechtzeitig bremst sie vor dem toten Ende ab und wirbelt herum.

Conrad folgt ihr mit pumpendem Atem und kommt schlitternd am Hofeingang zum Stehen. Nacheinander folgen ihm vier seiner Klassenkameraden, bremsen ab und blockieren den Ausgang. Ein Schweißtropfen kribbelt über seiner rechten Augenbraue und droht für einen Moment hineinzukriechen. Mit einem Zwinkern lässt er ihn in den zerstampften Schnee fallen, bevor er die Flüchtende am anderen Ende des Hofes mit seinen Blicken durchbohrt.

Elenora. Sie drückt sich mit dem Rücken und weit ausgebreiteten Armen flach an den vereisten Stein. Ihre Augen suchen nach einer Fluchtmöglichkeit, die es nicht gibt. Hofft eventuell auf Hilfe, die nicht kommen wird. Fragt sich sicherlich, wie sie aus dieser Nummer rauskommt. Doch es würde vergebens sein, denn sie muss bestraft werden.

»Fickt euch ihr feigen Arschlöcher!«, kreischt sie. Ihre olivfarbene Mütze fällt achtlos auf den Boden und entblößt eine blonde Lockenpracht, die aus der unrasierten Hälfte ihres Schädels sprießt. Ruckartig tritt sie einen Schritt vor, wirft ihre Arme in die Luft und zieht sich wieder zurück. »Traut euch nicht allein an ein einzelnes Mädchen ran, hä? Ihr Flachwichser!« Geräuschvoll spukt sie in den aufgewirbelten Schnee.

Conrads Herz hämmert, als wäre er einen Marathon gelaufen, und das rauschende Blut in seinen Ohren übertönt den Verkehr der nahen Autobahn. Kein Wort kommt über seine Lippen. Wozu auch? Er muss ihr nicht erklären, warum sie hier ist.

Vorhin hatten sie Elenora auf dem Schulweg abgepasst und wie ein Jagdrudel hierhergetrieben. In den Hinterhof der alten Ziegelei, dessen Betrieb mit der Wende aufgegeben wurde. Weit weg von Nachbarn oder zufälligen Passanten. Hier stehen sie jetzt in einer Reihe wie beim Jüngsten Gericht. Entschlossen tritt er zwei Schritte zurück zu einem mannshohen Schutthaufen und greift sich einen der Ziegelsteine. Die anderen folgen seinem Beispiel. Die Eiseskälte des Backsteines, der seit Jahrzehnten auf dem Haufen hinter ihm gelegen hat, beißt sich durch das Futter seines Handschuhs.

»Was ist jetzt ihr Pisser? Wollt ihr es nicht endlich erledigen? Los kommt her – ich mach euch alle platt! Ha!« Erneut täuscht sie einen Ausfall an, nur um wieder an die Mauer zurückzuspringen.

Noch vor zwei Wochen war es seiner Freundin Saliha ähnlich ergangen: Elenora hatte der Gleichaltrigen mit zwei älteren Schlägerfreunden aufgelauert. Hatte sie beschimpft und brutal ins Gesicht geschlagen. Als Saliha blutend zu Boden ging, trat die Blonde so lange mit ihren Springerstiefeln nach, bis das Mädchen sich nicht mehr rührte. Saliha solle mit ihrer Familie endlich aus Deutschland verschwinden und nach Hause fahren, hatte sie noch geschrien. Als wenn seine Freundin und ihre Eltern nicht genauso in diesem Land geboren und aufgewachsen wären, wie Elenora.

Saliha war danach nicht zur Polizei gegangen und hatte ihren Eltern eine erfundene Geschichte erzählt. Conrad war der Einzige, dem sie es anvertraut hatte. Der Einzige, der sie hätte schützen können. Seine Saliha, in deren braunen Augen er sich bei jedem ihrer Pausengespräche in der Endlosigkeit verlor. Mit ihren langen, gelockten Haaren, die nach einer Mischung aus Kräutern und frischer Seife dufteten.

Und was hatte er Idiot getan? Hatte Elenora zur Rede gestellt. Versucht, sie mit Worten zu überzeugen. Sie am Ende angebrüllt. Hatte er ernsthaft geglaubt, sie mit Worten bekehren zu können? Sie dazu zu bewegen, sich selbst zu stellen? Am Ende hatte er nichts als ihr gehässiges Schweigen geerntet.

Und genauso schweigt jetzt auch er. Die Zeit für Worte ist vorbei. Kurz wirft er einen Blick nach hinten. Halb im Schatten verborgen, neben dem Haufen mit den alten Ziegeln, steht Saliha und nickt ihm zu.

»Wartest du auf Verstärkung oder was?«, höhnt Elenora, die seine Bewegung sieht. »Seid ihr noch nicht genug, um es mit mir alleine aufzunehmen?«

Einen Moment wiegt er den schweren Backstein in der Hand. Schweigt weiterhin, als könne ein einziges Wort seine Entschlossenheit ins Wanken bringen. Betrachtet die glitzernden Eiskristalle und die Flechten, die an der Unterseite des Ziegels kleben. Die moosartige Pflanze war dort über Jahre gewachsen und hatte sich unbarmherzig in die Fugen und Ritzen des porösen Materials hineingefressen. So, wie das braune Geschwür, das sich in ihrer Stadt, in ihrem Land, immer weiter ausbreitete. Aber war nicht er es gewesen, der in jeder politischen Diskussion betont hatte, dass man sich mit Worten auseinandersetzen solle? Dass man trotz der Gewalt der Rechtsextremen, diese Menschen ernstnehmen und überzeugen müsse? Dass man ein gewisses Verständnis zeigen und die Ursachen, nicht die Symptome bekämpfen solle? Und hatte er sich nicht an seine Prinzipien gehalten? Vergeblich.

»Ha! Ihr Weicheier traut euch nicht, hä? Na, ich geh dann mal ...« Damit drückt sich Elenora von der Wand ab und kommt mit erhobenen Schultern und starrem Blick auf ihn zumarschiert.

Nein. Worte reichen nicht. Es muss ein Ende haben. Jetzt. Dafür ist er hier. Nie wieder wird Elenora einer Unschuldigen etwas antun. Daher es ist mehr als nur gerecht, wenn er den ersten Stein werfen würde. Im Namen Salihas.

Elenoras Augen weiten sich und sie schreckt zurück, als sie erkennt, dass er ausholt. Sein Arm schwingt nach hinten und aus dem Augenwinkel nimmt er die spiegelbildlichen Bewegungen seiner Mitstreiter wahr.

»Du Wichser glaubst wohl, dass du dich für die Ausländerschlampe rächen musst, hä?«, schreit Elenora in einem letzten Aufbäumen. »Dabei habe ich der Welt einen Gefallen getan und die Zecke zerquetscht! Keine Bälger, die wir durchfüttern müssen und die uns später die Arbeit wegnehmen! Schau doch mal ins Internet – da steht es! Die Mehrheit ist auf meiner Seite! Du hast echt keine Ahnung!«

Wie ein Meteor verlässt der Backstein seine Fingerkuppen und zieht einen Schweif winziger Eiskristalle hinter sich her. In Zeitlupe folgt er einer perfekten Parabel und dreht sich um die eigene Achse. Mit einem dumpfen Schlag kracht das steinerne Geschoss in Elenoras Antlitz. Genau über dem Auge. Die Kante zerschlägt Haut und Knochen. Blut spritzt im Bogen heraus. Kreischend hebt sie ihren Arm. Zu spät. Der zweite Stein hämmert gegen ihren Kiefer. Zertrümmert ihre Lippen und Schneidezähne. Der dritte ...

Ihm wird schlecht. Saure Übelkeit bahnt sich den Weg in seiner Speiseröhre nach oben. Schnell presst er die Augen zusammen und die Handballen auf seine Ohren. Will nichts mehr sehen, hören, spüren. Verdrängt die Bilder aus seinem Kopf. Warum nur hatte er damals mit Elenora reden müssen? War es alles seine Schuld gewesen? Warum war er nicht zur Polizei gegangen? Und würde wirklich er es sein, der den ersten Stein wirft? Würde Saliha das wollen?

Von hinten rammt jemand gegen seine Schulter und lässt ihn vorwärts taumeln. Erschrocken reißt er seine Augen auf und nimmt die Hände runter. Schreie, Feuer, Sirenen, Rauch, Blaulichter und gehässiges Lachen prasseln auf ihn ein. Eiskalte Luft strömt in seine Lungen. Zieht ihn in letzter Sekunde an die Oberfläche der Wirklichkeit, bevor ihn der Malstrom seiner Hilflosigkeit verschlingen kann.

Im Pyjama, nur mit Turnschuhen an den Füßen, steht er wie festgefroren in der Nacht. Oranges Flackern durchbricht schwarze Rauchschwaden und hämmert ihm Hitze entgegen. Lodernde Flammen schlagen aus den Fensterhöhlen eines lindgrünen Siebzigerjahre-Hauses vor ihm, als wäre es mit trockenem Stroh gefüllt gewesen. Die Feuerwehr schießt breite Wasserfontänen gegen die leckenden Feuerzungen, die das Reihenhaus verzehren. Der Dachstuhl, in dem sich Salihas Zimmer befunden hatte, ist eingefallen. Verkohlte Balken ragen wie Leichenrippen nach der Einäscherung zwischen Feuer und Rauch in den Nachthimmel. Aufstäubende Funken fliegen zum pechschwarzen Firmament. Die glühenden Seelen der Verbrannten, die dort nur wenige Sekunden später verlöschen.

Der Rettungssanitäter, der ihn angerempelt hat, drängt sich an Schaulustigen vorbei. Nachbarn und Fremde halten ihre leuchtenden Displays hoch, um Fotos zu schießen und sie stolz mit ironischen Sprüchen im Netz zu teilen. Nahe dem Brandherd steht eine Truppe kahlköpfiger Männer und prostet sich mit Bierflaschen zu. Der Helfer mit seiner neongelben Weste rennt zu einem Häufchen Geretteter, die abseits im flackernden Blaulicht mehrerer Krankenwagen sitzen.

Eine der Silhouetten mit langen, lockigen Haaren, erhebt sich in diesem Moment aus der Gruppe und dreht sich zu ihm. Details kann er in der Dunkelheit nicht ausmachen – aber ihr Kopfschütteln, das ist glasklar zu erkennen. 

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