Entscheidung
Ich trete aus dem finsteren Gerichtsgebäude hinaus in strahlenden Sonnenschein und laues Frühlingswetter. Die Vögel singen um die Wette und die ersten Blüten schwängern die Luft mit ihren Wohlgerüchen. Eigentlich sollte es nicht so schön sein, ich nicht so fröhlich und mein Schritt nicht so beschwingt, als ich mich zu Fuß auf den Weg mache. Es sollte regnen, stürmen, kalt sein und mir zum heulen zu Mute, oder nicht? Immerhin war das da gerade mein letzter Verhandlungstag im Scheidungsverfahren Diaz gegen de la Vega. Unweigerlich wandern meine Gedanken zurück zu dem Tag, als wir uns kennen lernten. Der Tag damals war genauso schön wie heute und rundum positiv.
„Mit dieser Unterschrift gehört das Haus ihnen, ich gratuliere ihnen, Herr Diaz." Ich strahlte den Makler an und schüttelte ihm zum Abschied die Hand. In Gedanken bereits dabei, die Räume und Ecken in die Plätze zu verwandeln, in denen ich meine Kunstprojekte je nach Lust und Laune bearbeiten oder liegen lassen könnte machte ich mich auf, die Nachbarschaft zu erkunden und stieß schon bald auf das kleine 'Café Italiano' mit einer durch Blumenkübel eingegrenzten Terrasse vor dem Haus und einer hübschen Einrichtung aus Bistrotischen und passenden aber bequemen Stühlen im Inneren. Helle Farben und frische Blumen rundeten das einladende Bild ab.
„Einen Latte Macchiato mit Amaretto und einen Schoko-Donut mit bunten Streuseln," bestellte ich wie immer und überall bei der Kellnerin, ohne vorher in die Karte zu gucken. Es ist ein Test den jedes Lokal bestehen muss, damit ich wieder komme. Ein „tut mir Leid, das haben wir nicht" wäre schade aber ein „Ham wa nich" oder ein „is aus" wäre ein absolutes No-Go und würde mich veranlassen direkt wieder zu gehen und nie wieder zu kommen. Doch die nette Kellnerin lächelte mir scheu zu, nickte und verschwand, ein gutes Zeichen.
Meine Blicke wanderten zur Tür, als die kleine Glocke darüber anschlug und mit einem lustigen Bimmeln einen neuen Gast willkommen hieß. Sein Eintritt glich eher einem Auftritt, er war ein schöner Mann, sonnengebräunte Haut, schwarzes lockiges halblanges Haar und die schönsten blauen Augen die ich jemals gesehen hatte und – wie wunderbar – sie landeten auf mir. Für einen Moment tauchte ich in dieses atemberaubende Azurblau ein. Sein Blick wurde skeptisch als erwarte er eine Reaktion von mir, weshalb ich ihm freundlich zunickte bevor die Kellnerin wieder meine Aufmerksamkeit und kurz darauf meine gelieferte Bestellung meine volle Konzentration forderte. Meine Finger prüften die fluffige Beschaffenheit des Donuts, meine Augen erkannten, dass es sich hierum frisches und liebevoll dekoriertes Gebäck handelte. Meine Nase wurde von dem Duft des frisch gebrühten Kaffees umschmeichelt und als ich von beidem kostete entwich mir ein leises Stöhnen voller Genuss. Bingo – ich hatte mein neues Stamm-Café gefunden.
„Ist hier noch frei?" Überrascht fand ich die blauen Augen plötzlich direkt vor mir und dabei, mich interessiert anzustrahlen. Für einen Moment stürzte ich mich erneut in ihre Tiefen. „Sicher," lächelte ich schließlich und freute mich, weil er offensichtlich meine Nähe suchte. Sein Megawatt-Lächeln bestehend aus blendend weißen und makellosen Zähnen umrahmt von vollen, geschwungenen, rotbraunen Lippen in einem sonnengebräunten Gesicht wirkte wie ein Sonnenaufgang, als er sich mir gegenüber nieder lies.
„Ich hab dich hier noch nie zuvor gesehen." Ich lachte auf, weil er den langweiligsten Anmach-Spruch überhaupt verwendete um ein Gespräch in Gang zu bringen, doch seine belustigt funkelnden Augen unter verdammt langen schwarzen Wimpern machten die fehlende Schlagfertigkeit wieder wett. „Ich ziehe von Café zu Café auf der Suche nach dem Mann meines Lebens," kontere ich frech.
Ich sah nicht halb so glamourös aus wie er, weniger sportlich obwohl durchaus gut in Form, weniger aufregend mit kurzen braunen Haaren, dunkelbraunen Augen und schmalen, blassen aber weichen Lippen. Meine Haut ist etwas heller und versucht die fehlende Bräune mit Sommersprossen auszugleichen,sobald die ersten warmen Strahlen auf mein Gesicht treffen. Zusammen mit einer Stupsnase wirke ich wie ein Frechdachs und die Geister streiten sich seit meiner Geburt darüber, ob ich so aussehe, weil ich ein geborener Lausbub bin oder ob ich aufgrund meines Aussehens einfach so frech werden musste.
„Oh, dann bin ich froh, dass ich heute hier bin und deine Suche beenden kann." Na also, er konnte auch anders. Er bestellte ebenfalls und ignorierte die anhimmelnden Blicke der Kellnerin und anderer Gäste stoisch. „Ich bin übrigens Marco" stellte ich mich vor und reichte ihm mit einem fragenden Blick die Hand. Er ergriff sie überrascht und suchte zögerlich in meinem Gesicht nach etwas, dass offensichtlich nicht da war, denn schließlich erhellte ein weiteres strahlendes Lächeln die Atmosphäre. „Silvio."
Während mich meine gedankenverlorenen Schritte zu dem Park führen, dessen Wege mich zur Stadtgrenze bringen werden, an der mein Wohnviertel liegt, spüre ich erneut das Kribbeln in meinem Bauch das dort in diesem Café zum ersten mal einsetzte und seit dem immer wieder auftaucht, wenn ich ihn sehe oder auch nur an ihn denke. Unsere Chemie stimmte von Anfang an und wir konnten über vieles Reden und sogar miteinander schweigen. Wir waren beide künstlerisch interessiert, auch wenn er sich mehr für Theater, Film und Fernsehen interessierte, während meine Liebe der bildenden Kunst gehörte, Malerei, Bildhauerei und Möbeldesign. Dass ich in meinem ganzen Leben vielleicht fünf mal im Kino war und zuletzt in meiner Schulzeit und nicht mal einen Fernseher besaß konnte er kaum glauben, es schien ihn aber auch nicht zu stören.
Ich lasse mich auf einer Bank im Park nieder um die Sonne zu genießen und lehne mich an. Mein Bein wippt dabei nervös auf und ab wie es das immer tut, egal wie entspannt ich bin. Meine Blicke sind auf die große Eiche mitten auf der Liegewiese fixiert, unter der wir mehr als ein Picknick gehalten haben und neue Erinnerungen strömen auf mich ein. Die Arme vor der Brust verschränkt versuche ich, die widersprüchlichen Gefühle von Freude und Trauer zu bändigen. Unser erstes Picknick war ein echter Augenöffner. Mir entkommt ein Lachen bei der Erinnerung daran, wie blind ich damals war und bereit das Leben zu genießen ohne es zu hinterfragen.
Er hatte Urlaub und somit natürlich viel Zeit und selbstverständlich darum keine Lust, über seine Arbeit zu reden. Ich war bezaubert von den romantischen Plätzen, zu denen er mich führte, abseits vom Mainstream und mit viel Privatsphäre um mich für sich allein zu haben. Seit einem Monat trafen wir uns fast täglich, verbrachten mal mehr mal weniger Zeit miteinander und näherten uns immer weiter an. Sein Interesse an mir tat mir gut und so bemerkte ich nicht, dass er die Gespräche immer wieder von sich weg lenkte. Doch an diesem Tag wollte er mir was wichtiges sagen und ich war gespannt.
„Marco, mein Urlaub ist fast zu Ende und, na ja, ich muss dir etwas gestehen." Er war so nervös und lauerte fast ängstlich auf meine Reaktion. Der Picknickkorb, der auf der Decke zwischen uns stand, enthielt jede Menge köstliches Bestechungsmaterial, um mich gnädig zu stimmen. Doch er zögerte zulange, druckste zu sehr herum. Bevor er zum Punkt kommen konnte,sorgte eine Gruppe von Teenagern für sein Outing. Sie umringten uns plötzlich kichernd und flüsternd, bis einer den Mut fand, meinen Freund um ein Selfie mit ihnen zu bitten.
Ich ging auf der Suche nach Inspiration in die Natur statt ins Kino, ich hasste es, über Kritiken zu meiner Kunst zu stolpern und las daher keine Zeitungen, aber die Filmplakate mit seinem Konterfei, die bereits am nächsten Tag das Stadtbild veränderten, wären sicher nicht unbemerkt von mir geblieben. Er war Silvio de la Vega, berühmter Schauspieler und Star der Unterhaltungs-Shows. Sein langer Urlaub war der Pause zwischen abgeschlossenem Dreh und Beginn der Promotion-Touren und Premieren-Feiern geschuldet. Routiniert stellte er seine Fans zufrieden, bevor er sich nach deren Abgang wieder nervös und unsicher mir zuwendete.
„Marco?" Seine ängstliche Frage holte mich aus meinen Gedanken zurück, während derer ich ihn nur angestarrt hatte. „Ich liebe dich," sagte ich leise und ergänzte sofort: „Dachte ich zumindest. Aber im Grunde kenne ich dich nicht." Meinen Worten war mein Schmerz sicher anzuhören, doch mein Gegenüber bemerkte ihn nicht, weil er zu sehr in seine eigenen Sorgen verstrickt war. „Ändert es etwas an unserer Beziehung?" Ich entziehe ihm die Hand, die er ergriffenen hatte um meine Aufmerksamkeit zu bekommen, als ich den leisen Vorwurf hinter seiner Befürchtung erkenne. Mein Fuß übernimmt das Wippen und zeigt meine innere Unruhe, die plötzlich wieder da ist.
„Was bitteschön für eine Beziehung? Was willst du von einem Mann, der nicht mal fähig ist eine Stunde still zu sitzen um einen Film zu sehen? Was zur Hölle erwartest du von mir? Das ich mich ändere und zu deinem Fan mutiere?" Ich sah verärgert dabei zu, wie er bei meinen Worten aus allen Wolken fiel und hart auf dem Boden der Tatsachen aufschlug. „Was? Ich hatte solche Angst, dass du mich mit anderen Augen sehen würdest sobald du wüsstest wer ich bin, doch stattdessen hinterfragst du mich und meine Gefühle zu dir?"
Wir stritten noch eine ganze Weile weiter. Er befürchtete, sein Ruhm und Geld würden meine Gefühle für ihn verändern. „Ich kann mir ja nicht mal mehr sicher sein,ob es immer noch ich bin, mit dem du ins Bett willst, wenn du mich endlich ran lässt." Das tat weh. Ja, es ist wahr, wir hatten einen Monat nach unserem Kennenlernen noch immer kein Sex miteinander. Wir hatten gekuschelt, uns geküsst, gestreichelt und aneinander gerieben, doch die Hosen blieben immer zu. Ich wollte das nicht. Ja,ich bin schwul, aber warum glauben deshalb gleich alle, dass ich meinen Sextrieb nicht im Griff haben kann? Nicht dass ich ein Anhänger von „kein Sex vor der Ehe" war, ich war auch nicht unberührt und hatte meine Erfahrungen gesammelt, als ich jung war. Aber ich wollte nie bedeutungslosen Sex ohne Gefühle, ich wollte das ganze Paket, eine Liebe, eine Beziehung und als Krönung Sex mit meinem Partner.
An diesem Tag, in diesem Moment, ließ ich ihn wortlos stehen und beschloss, mich wieder zu entlieben. Wir sahen uns einen ganzen Monat nicht, weil er auf seine Tour musste, um den Film zu vermarkten und ich mich weiterhin weigerte, seinen Film oder seine Fernsehauftritte anzusehen oder die Berichte über ihn in den Zeitungen zu lesen. Dennoch wurde mir nun sein Bekanntheitsgrad endlich bewusst, weil sein Name immer und überall zu lesen und zu hören war. Wieso war mir Name und Gesicht nie aufgefallen, bevor wir uns kennen lernten?
Ich erhebe mich und schlendere weiter durch den Park, sehe ein paar Hunden beim spielen zu und lache übereine Frau, die ihrem unerzogenen Terrier hinterher rennt und immer wieder seinen Namen ruft, was dieser geflissentlich ignoriert. Am anderen Ende des Parks finde ich erneut eine Bank voller Erinnerungen, auf der ich es mir bequem mache und die Augen schließe. Nur mein wackelndes Bein verrät, dass ich nicht schlafe. Damals hätte alles bereits sein Ende finden können, doch sobald er zurück in der Stadt war, um sich auf eine neue Rolle vorzubereiten, meldete er sich wieder und machte mir, wie meine Oma gesagt hätte, den Hof.
„Ich war ein Idiot, ich hätte es besser wissen müssen. Geld hat dich noch nie interessiert, nicht mal dein eigenes. Du bist vermutlich der einzige auf der Welt, der nicht zusammen brechen würde, wenn er plötzlich ohne da stände." Da eins meiner Kunsthandwerke die Verwandlung von Müll in etwas nützliches und schönes war, hatte er damit durchaus recht. Niemand geht unter, wenn er genug Kreativität und Liebhaber seiner Werke hat um mit Abfall Geld zu verdienen.
Da ich ihm nicht nachgelaufen war und auch sonst nicht versucht hatte, aus meiner Verbindung zu ihm Kapital zu schlagen musste er wohl auch einsehen, dass ich genauso wenig an seinem Ruhm interessiert war. Nicht einmal meinen Freunden hatte ich erzählt wer er war. Stattdessen hatte er begonnen mich zu vermissen.Er genoss es, durch mich ein normales Leben außerhalb des Showbizz zu haben und ich glaubte ihm dass es ihm gefiel, dass ich nur ihn und nicht seine gespielten Charaktere kannte. Statt mich erfolgreich zu entlieben stand mein Herz schon bald wieder in Flammen für ihn und seine kleinen Aufmerksamkeiten.
Das ich weiterhin seinen sexuellen Annäherungsversuchen, die mit der Zeit immer drängender wurden, widerstand war wohl ein weiterer Beweis für ihn, dass ich es ernst mit ihm meinte, Doch selbst als er mir seine Liebe gestand, sperrte ich mich noch, unsicher, ob er wirklich der Mann fürs Leben für mich war, bis er mich schließlich bat, ihn zu heiraten. Sein Antrag war klassisch romantisch mit Essen bei Kerzenschein, Sekt und einem Kniefall, aber er fand bei ihm zuhause statt, denn er wollte nicht,dass dieser Antrag bei der Presse landete, schon gerade gar nicht,wenn ich womöglich ablehnte.
Doch ich lehnte nicht ab, ich freute mich und hob meine Sex-Sperre auf, denn auf keinen Fall wollte ich,dass er mich heiratet um mich ins Bett zu kriegen. Als wir schließlich diese letzte Grenze überschritten, war es eine Offenbarung. Wir harmonierten wunderbar im Bett, er lernte meine Blowjobs zu lieben und ich genoss es, ihn toppen zu dürfen.
Von da an waren wir auch offiziell ein Paar, was jedoch weniger harmonisch verlief. Zu den Problemen mit Vertragspartnern, die Sorgen um sein Image als Liebhaber in den Filmen hatten, kam ein Aufschrei der Fans, als er sich als schwul outete und seine Verlobung verkündete. Seine Bettszenen waren ein weiterer Grund, warum ich seine Filme nicht sah, denn er war ein zu überzeugender Schauspieler, obwohl ich wusste, dass er nicht an Frauen interessiert war. Leider hatte ich nun ebenfalls die Presse am Hals, die sich schlüpfrige Details von mir erhoffte und diese, als sie sie nicht bekam, einfach erfand und irgendwann fanden wir uns auf eben dieser Bank für eine ernste Aussprache zusammen.
„Ich kann das nicht mehr, Vio, ich halte das nicht mehr aus. Ich weiß nicht, wieso du jemals geglaubt hast, ich könnte an diesem Ruhm interessiert sein, er ängstigt mich und er behindert mich in meiner Arbeit." Er seufzte verstehend,aber es gab nicht viel was er dagegen tun konnte. „Lass uns in die Offensive gehen. Geh mit mir in eine Fernsehshow und zeig dich meinen Fans, sie werden dich lieben." Doch ich wurde wütend denn ich war an Wildfremden nicht interessiert. „Sie sollen mich in Ruhe lassen und mich nicht lieben," echauffierte ich mich und er runzelte die Stirn und wurde jetzt selbst böse. „Du hast auch nicht schlecht von dieser Werbung profitiert, oder? Du hast mehr Anfragen nach deiner Kunst als jemals zuvor." Ich sah ihn ungläubig an. „Also was? Muss ich jetzt glücklich sein, weil ich noch mehr Geld verdiene das ich nicht brauche? Mal abgesehen davon, dass ich nur zwei Hände habe die jetzt damit beschäftigt sind, Absagen zu schreiben statt Kunst zu schaffen?" Er greift nach meiner Hand und drückt sie und ich erwidere den Druck. „Silvio, ich will, dass wir uns wieder entloben."
Anders als bei unserem ersten Rückschritt gingen wir diesen gemeinsam. Der offiziellen Verkündung folgten ein paar Sichtungen meines Freundes in 'Situationen mit Frauen' und schon bald war ich vergessen und alle davon überzeugt, dass ich nur eine 'Phase' war.
Erneut hieve ich meinen Körper wiederauf die Füße um meinen Weg fortzusetzen. Am Ausgang des Parks gibt es eine kleine Kirche die ich jetzt auf meiner Reise durch die Vergangenheit besuche und die mir eine meiner schönsten Erinnerungen des Lebens zurück bringt, denn hier haben Silvio und ich vor genau zwei Jahren geheiratet. Die Zeit nach unserer Entlobung war wunderschön. Ab und zu übernachtete Silvio bei mir und lachte über mein Chaos und hin und wieder ließ ich alles stehen und liegen, um ihn in seiner Penthouse-Wohnung zu besuchen, doch nach wie vor unternahmen wir vor allem viel gemeinsam, soweit es unsere Freizeit zuließ.
Es war nicht einfach, einen Ort zu finden, in dem wir unsere Hochzeit auch im Glauben zelebrieren konnten. Unsere Eltern waren nicht sehr gläubig und Silvio war sogar aus der Kirche ausgetreten, ich selbst jedoch glaubte an eine größere Macht und war nicht bereit mir von engstirnigen Menschen einreden zu lassen, dass Gott mich nicht so liebt wie er mich geschaffen hat.In einer evangelischen Gemeinde hatte ich schon vor Jahren meinen Platz gefunden, doch auch dort waren Trauungen für Homosexuelle nicht möglich. Aber hier hatten wir einen Pfarrer gefunden der bereit war uns in einer kleinen privaten Zeremonie zu segnen. Es war uns auch gelungen, die Hochzeit geheim zu halten und so konnten wir sie mit unseren besten Freunden und engsten Familienangehörigen feiern. Dieser Tag war der schönste meines Lebens und hätte unser„sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende" sein sollen denn man kann sich schließlich nicht einfach entheiraten, wenn es zu Problemen kommt, und die Probleme kamen.
Mein Weg führt mich jetzt an meinem Haus vorbei, in dem ich seit genau einem Jahr nicht mehr war. Am Ende war es der gemeinsame Alltag, der uns an die Kette legte und unsere Liebe mehr und mehr erstickte. Silvio hatte aufgehört, um mich zu werben und ich hatte aufgehört, mir für ihn Zeit frei zu schaufeln und mich in meiner Spontanität einzuschränken. Mein chaotischer Lebenswandel stieß auf seinen straff organisierten Terminplan und sorgte immer öfter für Streit. Ich wollte nicht immer springen müssen, wenn sein Plan es zuließ und er war enttäuscht, weil ich an seinen freien Tagen keine Zeit für ihn erübrigen konnte.
Auch das Zusammenleben in meinem Haus klappte nur bedingt. Meine überall herumstehenden, unvollendeten Gemälde, Skulpturen, Designs und Projekte sowie die Materialien und Werkzeuge, die ich dafür brauchte, störten Silvio immer mehr. Meine Art immer gerade daran zu arbeiten, woran ich Lust hatte, war Teil meines Erfolgs. „Seine Arbeiten sind leidenschaftlich, frisch, neu und passen in die Zeit" - so verkauften meine zuständigen Händler meine Werke, doch für Silvio war es nur Chaos, dass sich immer weiter im Haus ausbreitete. Ich hatte Kompromisse geschlossen und akzeptiert, dass das große Bad und Schlafzimmer für mein Kunsthandwerk tabu waren und einen Raum für ihn frei geräumt, für den dasselbe galt. Doch es gab noch genügend andere Schnittstellen,an denen er über mein Chaos stolperte, besonders im Wohnzimmer, am Esstisch und in der Küche.
„Marco, wirklich, wenn du noch eine weitere Baustelle aufmachst, zieh ich wieder aus. Mach doch wenigstens eine Sache mal zu Ende." Er schrie mich an und ich schrie genauso wütend zurück. „Wenn du öfter hier wärst wüsstest du, wie viele Projekte ich in letzter Zeit fertig gestellt habe. Was kann ich dafür, dass du ein Gemälde nicht von dem anderen unterscheiden kannst?" Der glückliche Zustand am Anfang unserer Ehe hatte schon bald rapide nachgelassen. „Wo gehst du hin,Silvio?" - „In mein Zimmer." Er knallte die Tür zu, wie so oft in letzter Zeit und schloss mich aus.
Verletzt floh ich zu meiner besten Freundin um mich auszuheulen, mir eine Portion Verständnis und einen Arschtritt abzuholen und bei ihr auf der Couch zu übernachten. Am nächsten Tag war unser erster Hochzeitstag und meine Freundin machte mir erneut klar, dass zum streiten immer zwei gehören. „Hört auf,euch gegenseitig Vorwürfe zu machen, nehmt den Ärger des anderen ernst und sucht nach einer Lösung." Deshalb nahm ich mir vor ihm endlich einmal wieder meine Zeit zu schenken und in aller Ruhe mit ihm zu reden.
Es war bereits 10 Uhr als ich heim kam,aber im Haus war alles still. Kein Silvio der mich erwartete und wissen wollte, wo ich war. Ich ging ins Wohnzimmer und fand mehrere leere Flaschen Wein und zwei benutzte Gläser vor, die ich umgehend weg räumte. Ich war ein Chaot aber nicht unordentlich und mochte Dreck und Durcheinander nur, wenn sie mit meiner Arbeit zu tun hatten. Außerdem war ich alles andere als faul und hielt mein Haus und meine Arbeitsplätze immer sauber.
Auf der Suche nach Silvio ging ich schließlich nach oben und klopfte an die Tür seines Raumes –nichts. Ich lauschte an der Tür, totenstille. Meine Hand drückte leise die Türklinke hinunter und langsam schob ich die Tür einen Spalt auf um meinen Kopf hindurch zu stecken und einen Blick hinein zu werfen. Der Raum war leer. Ich war enttäuscht. Entweder hatte er unseren Hochzeitstag vergessen oder nicht für wichtig befunden. Ich beschloss zu duschen und mich umzuziehen und dann die Wohnung für ein Friedensgespräch vorzubereiten. Ohne zu zögern riss ich die Tür zu unserem Schlafzimmer auf, stürmte hinein und .... erstarrte. Mein Mann lag noch im Bett und er war nicht allein. Neben ihm machte ich die blonden Locken eines mir wohl bekannten und mir sehr verhassten jungen Mannes aus.
Der Schock und der Schmerz hatten mich augenblicklich im Griff und ich machte die fünf Phasen der Trauer bei Trennung oder Verlust in Rekordgeschwindigkeit durch. Es begann mit dem Leugnen.
Ausgerechnet Paolo? Das kann nicht sein ernst sein. Der Kellner aus unserer Stammkneipe hatte es vom ersten Tag an auf meinen Mann abgesehen und versucht, ein Keil zwischen uns zu treiben, Schamlos flirtete er mit ihm wann immer er ihn sah und nichts hielt ihn davon ab, weder dass er vergeben war noch dass ich daneben stand, noch nicht mal unsere Hochzeit. Ich hatte Vio vor ihm gewarnt und ihm gesagt, was ich von ihm hielt, doch der freundete sich mit ihm an und verlangte von mir, ihn ebenso zu akzeptieren, wie er meine beste Freundin akzeptierte. Wenn Silvio nach unseren Streitereien das Haus verließ wusste ich immer, wohin er ging, doch jetzt wusste ich auch, zu wem.
Dann kam der Zorn. Als Paolo sich bewegte um sich näher an meinen Mann zu kuscheln kam wieder Leben in mich. Ich besorgte einen Eimer, füllte ihn mit kaltem Wasser und so vielen Eiswürfeln wie der Gefrierschrank her gab und ging zurück um ihnen mit einem Ruck die Decke weg zu ziehen und den Inhalt über die beiden auszukippen. Sie sprangen aus dem Bett und fluchten laut und fragten mich, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte doch mein Blick ließ sie verstummen.
Zeit zu verhandeln. „Ich kam heim um mit dir zu reden und Frieden zu schließen. Ich wollte unser zweites Ehejahr mit besseren Vorzeichen beginnen lassen." Mein Mann starrte mich völlig verwirrt an, bevor er meinem folgte, der nun Paolo erdolchte, der die Frechheit besaß mich siegessicher anzugrinsen. „Raus aus meinem Haus." Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich herausfordernd an. „Sonst was?" Ich ließ mich jedoch auf keine Diskussion mit ihm ein und fragte stattdessen die Auskunft nach der Telefonnummer seines Chefs. „Was hast du vor?"Frage mein Mann doch Paolo war schlau genug zu verstehen, klaubte seine Sachen in aller Eile zusammen und verschwand.
Dann folgte die Depression. Die verdammte Erkenntnis, dass es hoffnungslos ist. Ich dachte er sieht einfach nur nicht, welches Spiel Paolo mit ihm spielt, doch jetzt musste ich erkennen, dass er es mitgespielt hat. Tränen rannen mir über die Wangen und ich wich zurück, als er sich mir zu nähern versuchte.
„Ich fahre zu Sandra. Wenn ich morgen wieder komme bist du verschwunden und nur damit du es weißt, ich lasse mich scheiden, wir sehen uns vor Gericht." Ich hörte nicht auf seine gestammelten Worte, ließ mich nicht aufhalten, war nicht bereit seinen Worten, das alles anders sei als es aussah, Glauben zuschenken. Ich war bereits in Phase fünf – Akzeptanz – und trennte mich von ihm an unserem ersten Hochzeitstag.
Langsam zwinge ich meine Blicke weg von dem geliebten Haus dass ich mit meinem geliebten Mann hatte teilen wollen und meine Schritte zurück zu den Café wo alles begann, um diesen Lebensabschnitt passenderweise auch dort enden zu lassen. Auf den letzten paar Metern erinnere ich mich an alles, was im Trennungsjahr geschehen ist.
Silvio, der versucht hat, mit mir zureden. Er hätte zu viel gebechert und könne sich nicht mal mehr daran erinnern, wie Paolo in seinem Bett gelandet sei. „Er war in MEINEM Bett und hat sich an dich gekuschelt als gehöre er dahin." Ich hatte ihn so oft vor ihm gewarnt, aber seine Freundschaft war ihm am Ende wohl wichtiger als unsere Ehe.
Paolo, der versucht hat mir zu erklären, dass er Silvio nur als Freund habe trösten wollen und mir schwor, dass nichts passiert sei. „Aber es ist etwas passiert Paolo, du sägst an unserer Beziehung seit wir dich kennen und jetzt hast du gewonnen."
Ich, wie ich mich tagelang im Haus verkrochen und geweint habe, bis ich es nicht mehr ausgehalten habe und in eine kleine Pension umgezogen bin.
Die Termine beim Rechtsanwalt. Wir wollten uns einen teilen denn ich wollte mich nicht um Geld oder Güter streiten. Doch er nutzte diese Gelegenheiten um mich von dieser Scheidung abzubringen. Er sei nicht fremd gegangen und er liebe mich doch. Stück für Stück hörte ich so doch noch seine Geschichte und erinnerte mich an die Details, die sie bestätigten,wie zum Beispiel die Tatsache, dass beide nach meinem Eiswasser-Angriff noch ihre Boxer anhatten.
Aber es änderte nichts daran, dass ich mich verraten und verkauft fühlte, weil es ausgerechnet Paolo war, zu dem er gerannt war und dem er sein Herz ausschüttete, wohl wissend, was dieser von ihm will und wie ich über ihn denke. Deshalb habe ich mir doch irgendwann meinen eigenen Anwalt gesucht. Silvio legte der Scheidung daraufhin keine weiteren Steine mehr in den Weg und stimmte auch allem zu, was ich über meinen Anwalt verlangte,auch wenn er deutlich machte, dass er sich nur fügt. „Wenn es das ist was du willst?" Das waren auch seine letzte Worte vorhin vordem Scheidungsrichter.
Ich erreiche das Café zur selben Uhrzeit wie damals vor fünf Jahren und gehe zielstrebig auf denselben Tisch zu, gebe die selbe Bestellung ab, und sehe mich um. Viel hat sich nicht geändert, seit damals, und das ist gut so. Mit diesem Café verbinde ich keine schlechten Erinnerungen, mir ging es immer gut, wenn ich hier war, egal ob alleine, mit Freunden oder mit Silvio de la Vega.
Meine Blicke wandern zur Tür, als die kleine Glocke darüber anschlägt und mit einem lustigen Bimmeln einen neuen Gast willkommen heißt. Sein Eintritt gleicht einer Erscheinung, denn der Mann ist so schön wie der aus meiner Erinnerung, auch wenn seine Haut deutlich blasser ist und seine blauen Augen weniger strahlend, so suchen sie doch ebenfalls den Kontakt mit meinen. Sein Blick ist skeptisch und fragend, als ob er eine Reaktion von mir erwartet, weshalb ich ihm freundlich zunicke bevor die Kellnerin, die meine Bestellung bringt, wieder meine Aufmerksamkeit fordert. Meine Finger zupfen nervös an dem Donut während ich die Blicke des Mannes meide, bis dieser vor mir steht.
„Ist hier noch frei?" Vorsichtig und fast schüchtern sehe ich auf und in die schönsten, azurblauen Augen die ich je im Leben gesehen habe. Für einen Moment stürze ich mich in ihre Tiefen. „Sicher" erkläre ich schließlich nervös. Er schenkt mir ein hoffnungsvolles Lächeln, während er sich mir gegenüber nieder lässt. „Ich habe eine Weile gebraucht deine Erklärung zu verstehen, dass du dich ent-scheiden lassen willst." Erklärt er sanft bevor er fragt: „Wollen wir jetzt endlich mit den Friedensverhandlungen beginnen, die du vor einem Jahr geplant hattest?" Ich nicke. „Ach ja, und alles Liebe zum 2.Hochzeitstag."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro