Der letzte König
Schreibwettbewerb Januar von eisbaerlady (pünktlich wie immer, ich weiß xD)
Hier ging es darum, eine Kurzgeschichte von max. 3.500 Wörtern im Genre "Historisches" zu schreiben und dabei bestimmte Begriffe zu verwenden. Normalerweise schreibe ich nicht so viel Historisches, weil die Recherche einfach zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Aber ich dachte mir, warum nicht für eine Kurzgeschichte?
Die Geschichte basiert teils auf historischen Ereignissen, teils auf (vermutlich) Sagen und natürlich meiner eigenen Fantasie. Wenn ihr genau so ein Fan vom antiken Rom seid wie ich, dann viel Spaß mit Lucius Iunius Brutus und co.!
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Noch einmal sah Brutus auf sein Gepäck herab. Der Inhalt war ihm nur zu gut bekannt und obwohl er alles akribisch geplant hatte, fühlte er sich unvorbereitet. Das war eine einzigartige Chance, die er nicht wegwerfen durfte.
Wenn alles nach Plan lief, würde das die wichtigste Reise seines Lebens werden. Und nicht nur sein Leben oder die seiner Familie könnten für immer verändert werden, auch die Leben aller Römer und ihrer Nachkommen! Er wusste zwar, was ihn am Ende der Reise erwartete, dennoch war nichts vorhersehbar.
"He Brutus, wo bleibst du? Wir haben einen langen Weg vor uns, also komm raus!" Er stöhnte genervt auf, als er die Worte seines Vetters Titus hörte. Doch damit musste er die nächsten Tage leben, danach hoffentlich nicht mehr lange. In seinem letzten Augenblick der Ruhe schloss er noch einmal die Augen und atmete tief durch.
Draußen angekommen erwarteten ihn seine beiden Vettern angespannt. Sie nannten ihn Brutus – der Trottel, so wie ihn alle nannten. Auch wenn er diesen Namen nicht mochte, so wusste er, dass der ihm das Leben rettete. Nachdem sein Bruder von dem König, seinem eigenen Onkel, ermordet wurde, bewahrte ihn seine scheinbare Dummheit vor dem gleichen Schicksal.
Anfangs hatte er nur so getan, um nicht aufzufallen und dem Tod zu entkommen. Je mehr Zeit er allerdings mit dieser Familie verbrachte, desto mehr wuchs der Hass in ihm. In seinem Kopf reifte ein Plan, denn sie vertrauten dem "Dummkopf". Es musste eine Änderung her, egal was es kostet.
Sein Blick wanderte zu seinen Reisegefährten. Wenn auch aus anderen Gründen, auch sie freuten sich auf das, was sie am Ende erwartete. Oder besser gesagt: wer sie erwartete. Denn das Ziel, das so viele Meilen von ihrer Heimat in Rom entfernt war, war kein anderes als das Orakel von Delphi.
Nachdem das Königshaus von einer Schlange aufgesucht wurde und sogar den skrupellosen König erschrocken hatte, suchte dieser Antworten. Und diese glaubte er durch das Orakel zu finden. Dafür wählte er seine beiden Söhne, Titus und Arruns, sowie seinen Neffen Brutus aus.
Sobald Brutus davon erfuhr, wusste er, dass das die Chance war, auf die er schon immer gewartet hat. Bereits zuvor hatte er unbemerkt viel Zeit in der Bibliothek durch seine Privilegien als königliches Mitglied verbracht, doch in der kurzen Zeit bis zu ihrem Aufbruch, durchsuchte er jede der alten Schriften, die er finden konnte, über das Orakel.
Zuversichtlich setzte er sich neben die Brüder auf den Wagen. Bis er in Delphi ankommen würde, gab es nur eine Aufgabe in seinem Plan und dafür hatte er reichlich Zeit. So eine Reise war selbst für die Reichsten unter den Römern nicht alltäglich, deswegen lehnte er sich zunächst entspannt zurück und lauschte den Gesprächen seiner Mitreisenden.
Sie waren aufgeregt, das war nicht zu übersehen. Doch wer würde das nicht sein auf einer solchen Reise? Vorsichtig klinkte er sich in das Gespräch der beiden ein.
"Ich habe überlegt und-", fing er an, doch Arruns unterbrach ihn. "Du hast mal überlegt? Das ist ja mal was ganz Neues. Vielleicht darüber, was es heute zum Abendessen gibt?" Sein Bruder fiel in das Gelächter ein, doch Brutus blieb unbeeindruckt. Sie lachten ihn aus und machten daraus kein Geheimnis, aber das war es auch, was ihn schützte.
Er wagte einen neuen Versuch. "Darüber auch, aber viel spannender: Wir sind bald beim Orakel, bei dem Orakel, und wir können es alles fragen! Ist das nicht aufregend?" Diesmal schwiegen seine Vettern und schienen tatsächlich darüber nachzudenken.
Brutus wusste genau, was er damit tat. Die beiden fragten sich schon seit langer Zeit, wer das Erbe ihres Vaters – die Herrschaft über Rom – antreten würde, und diese Frage könnte vom Orakel beantwortet werden. Aber Brutus wusste auch, dass das Orakel keine eindeutigen Antworten gab, und sah darin eine günstige Gelegenheit.
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Immer näher kamen die drei jungen Männer und ihre Begleiter dem Ziel. Dabei fuhren sie über holprige Straßen, durch dunkle, gefährliche Wälder und kamen an viel zu vielen zerstörten Dörfern und Ruinen vorbei. Je länger es andauerte, desto schweigsamer wurden alle. Die begeisterte Anfangszeit war vorbei, der monotone Alltag der Reise und die Realität setzten ein.
Auch Brutus hatte seine erste Aufgabe erledigt, die Brüder hatten sich darauf geeignet, nachdem sie die Frage des Vaters gestellt haben, wer der nächste König Roms werden würde.
Doch bei der Ankunft in Delphi kam wieder Leben in die Gesichter der Reisenden. Nur einmal im Monat sprach das Orakel und die Reise ist so geplant gewesen, dass sie kurz zuvor ankommen sollten. So konnten sie sich bereits am dritten Tag nach ihrer Ankunft mit den anderen Ratsuchenden sammeln und auf den Priester warten. Dieser musste zunächst eine Ziege mit kaltem Wasser besprengen, sollte sie ruhig bleiben, gab es diesen Monat kein Orakel.
An diesem Tag warteten wohl die drei jungen Römer am gespanntesten auf das Verhalten der Ziege, schließlich hing das Schicksal Rom von ihnen ab. In dem Moment, in dem das eiskalte Wasser die Ziege berührte, sprang diese meckernd hoch und versuchte zu entkommen. "Ein gutes Omen", murmelte Brutus vor sich hin, während er die heftige Reaktion der Ziege beobachtete.
Nach einer kurzen Wartezeit wurden die Männer zum Orakel gelassen. Nicht viele konnten sich die genaue Beratung leisten, die meisten Leute mussten sich mit einfachen Ja/Nein Antworten zufriedengeben. Doch der König von Rom hatte genug Geld und hatte damit auch nicht bei dieser Reise gespart.
"Geld, an dem das Blut von meinem Bruder und so vielen römischen Adligen klebt", dachte Brutus frustriert. Die erste Frage nach dem Schlangen-Omen interessierte ihn kaum und er hörte nur mit einem Ohr hin. Doch als Titus sich räusperte und zur zweiten Frage ansetzte, war er vollkommen konzentriert.
"Orakel von Delphi, wer wird der nächste König Roms werden?", klang seine Stimme klar durch den Raum. Sekunden, die sich wie Stunden anfühlten, blieb der Raum still.
"Dem, junge Männer, der zuerst die Mutter küssen wird, wird in Rom die höchste Macht zufallen."
Brutus wiederholte den Satz andauernd in seinem Kopf auf dem Weg nach draußen. Sofort hatte er bemerkt, dass das Orakel nicht das Wort "König" verwendete, sondern nur "die höchste Macht Roms".
Draußen angekommen wandte sich Arruns sofort an seinen Bruder: "Also wer von uns zuerst unsere Mutter küsst, wird also der neue König! Wir müssen uns sofort auf den Weg nach Hause machen."
"Aber wer von uns soll das machen, du oder ich? Und was ist, wenn Sextus auch noch den Thron besteigen will?", warf Titus ein. "Ganz einfach, wir losen es auf dem Weg aus. Und Sextus wird dafür kein Sterbenswörtchen erfahren. Wir verraten ihm nichts. Das gilt auch für dich, Brutus!"
Schweigend nickte dieser. Konnte es wirklich so einfach sein? Wer zuerst seine Mutter küsst, wird König? Brutus durchforstete sein Gehirn. Das Orakel würde nie so eine Antwort geben, zumindest hat es das bisher noch nicht getan. Irgendetwas anderes musste es bedeuten.
Er setzte sich auf sein Pferd und dachte weiter nach. Die Mutter – das waren die Worte, an denen er andauernd hängen blieb. Das Orakel hat nicht "eure Mutter", nicht "seine Mutter" gesagt. Er sah sich um und zuckte so plötzlich zusammen, dass er fast vom Pferd fiel.
Natürlich, die Mutter, unsere Mutter, die Mutter von allen und allem: Gaia, die Erde.
Er musste die Erde küssen. Geschmeidig ließ er sich von seinem Pferd auf den Boden gleiten und täuschte ein Stolpern vor. Dabei ließ er sich auf den Boden fallen und streckte seine Lippen vor. Dann küsste er die Erde.
Schnell rappelte er sich mit einem "Verflucht!" auf und schwang sich wieder aufs Pferd. Seine Vettern waren inzwischen stehen geblieben, dabei sahen sie stirnrunzelnd an. "Selbst du fällst normalerweise nicht vom Pferd, sind dir auch die ganzen Delphi-Dämpfe zu Kopf gestiegen?"
Verlegen kratzte er sich am Kopf, doch innerlich war er glücklich wie nie zuvor. Er hat es geschafft. Die Reise hatte ihr Ziel erfüllt.
Sein Onkel ist der letzte König Rom, seine Tage sind gezählt. Dann kommt er, Lucius Iunius Brutus, und wird eine neue, eine bessere Ära einleiten.
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