Waldhonig und Schneekristalle.
Eiskalter Wind hüllt mich in eine Wolke aus Schnee und Kälte, lässt mich zittern. Ich sehe zum Himmel und beobachte Schneeflocken, die sich auf Wasserburgs Straßen legen, als würden sie die Kleinstadt zudecken und in den Schlaf singen wollen.
Der Inn rauscht langsam, aber beständig unter der Brücke durch auf der ich stehe und mischt sich mit dem leisen Knistern der aufkommenden Schneeflocken auf meiner Jacke.
Als ich durch das Inntor trete, werden die Geräusche des Christkindlmarktes lauter, als hätte jemand den Regler für die Lautstärke verstellt.
»Luise!« Eine glockenhelle Stimme durchdringt das Meer an Geräuschen und weckt mich aus meiner Starre. Es ist meine Freundin Vroni, die sich gerade durch die kleine Gruppe junger Männer kämpft, um zu mir zu gelangen.
Ich gehe ihr entgegen und mein Herz macht einen freudigen Hüpfer. Wir haben uns schon zu lange nicht mehr gesehen.
Vor Freude springe ich ihr entgegen und rutsche auf dem Neuschnee aus. Unsanft lande ich auf dem kalten Boden und traue mich nicht, meinen Blick zu heben. Die Gruppe der Männer hat aufgehört zu reden und ich weiß, dass mich alle ansehen.
»Oh nein. Ist dir was passiert?« Vroni kniet sich vor mich hin und kann sich das Lachen kaum noch verkneifen.
Ich rolle mit den Augen.
»Nein.«
Ehe ich aufstehen kann, wird mir eine Hand gereicht, die ich greife – ohne großartig darüber nachzudenken. Als ich wieder sicher auf beiden Beinen stehe, sehe ich meinem Helfer ins Gesicht und versuche mich an einem Lächeln.
»Danke dir«, sage ich so leise, als wäre meine Stimme aus Schneekristallen.
»Nichts zu danken.« Seine Stimme ist dunkel und sanft. Wie Waldhonig. Seine Augen sind grün, wie ich im Licht der Laterne erkennen kann. Seine Haare sind unter einer Mütze versteckt. Er grinst verschmitzt und auf seinen Wangen bilden sich Grübchen. Sein Lächeln ist so einladend, dass ich nicht anders kann, als auch zu grinsen.
»Ich bin Max«, dunkler Honig schmiegt sich um mein Herz.
»Luise.« Er hält noch immer meine Hand fest, wie mir bewusst wird.
»Ja, und Luise muss jetzt leider los.« Vroni tritt neben mich und zieht mich mit. Ich drehe mich im Laufen um, winke und lächle entschuldigend. Innerlich ärgere ich mich sehr, dass Vroni uns unterbrochen hat, bevor wir Nummern austauschen hätten können. Aber ich sage nichts, denn Vroni würde das nicht verstehen. Sie flirtet für ihr Leben gerne, aber alles was über ein kurzes Gespräch geht, ist ihr zu viel.
Den ganzen Abend bekomme ich Max nicht aus dem Kopf. Die ganze Zeit verfolgen mich seine grünen Augen und seine Waldhonigstimme, von denen ich so fasziniert war. Und den ganzen Abend halte ich nach ihm Ausschau, aber ich sehe ihn nicht mehr. Mein Herz sticht, als würde jemand ein Messer darin wenden.
***
Zwei Wochen später stehe ich mit Vroni am Glühweinstand, eine Tasse heißen Wein in der Hand, der meine kalten Hände etwas wärmt. Vroni flirtet mit dem Typen, der die Getränke ausschenkt und ich starre in den Himmel, in derHoffnung, Sterne zu sehen. Der Himmel ist klar, aber die Lichter um mich herum erschweren mir die Sicht. Aus den Lautsprechern schallen Weihnachtslieder und umschmeicheln mich, hüllen mich in Wolken. Ich nehme einen Schluck von meinem Wein und beobachte das kunterbunteTreiben. Wir stehen am Marienplatz und um mich herum irren Menschen durch die Gassen, auf der Suche nach Geschenken oder ihren Freunden.
Mein Blick wandert zu Vroni, die sich hervorragend mit dem jungen Mann zu verstehen scheint. Ich trinke einen Schluck Glühwein, beiße mir nachdenklich auf die Lippen und sehe in den Himmel.
Zu spät bemerke ich, dass ich mitten im Weg stehe.
»Entschuldigung, dürfte ich hier mal durch?« Waldhonig. Mein Herz tanzt und springt. Ich sehe ihn an und da steht er. Max. Erstaunt sieht er mich an und mustert mich kurz. Mein Herz tanzt.
»Luise.«
»Max.« Ich freue mich, dass er meinen Namen noch weiß und lächle ihn an. Er erwidert mein Lächeln. Und ich bin nervös, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll.
»Es ist so schön, dich wieder zu sehen«, sagt er sanft.
»Ja, das finde ich auch,Max.«
Sanfter Waldhonig mischt sich mit dem leisen Flüstern der Schneekristalle.
»Wohnst du in Wasserburg?« Seine Augen lodern im Schein der Lichter um uns. Obwohl es eiskalt ist, ist mir warm. Ich habe das Gefühl, dass meine Wangen glühen.
»Ja. Und du?« Verlegen fahre ich mit meinen Fingerspitzen über den Saum meines Wintermantels.
»Nein, aber nicht weit weg. Hey, hast du vielleicht Lust-«
Aber er wird unterbrochen, als ihn jemand am Arm packt.
»Max, Mensch. Komm! Wo bleibst du denn?« Der Typ, der ihn am Arm packt, hat kurze Haare und ist einige Köpfe kleiner als er. Wenn ich Max ansehe, muss ich meinen Kopf in den Nacken legen. Bei dem anderen nicht.
»Luise, ich muss los. Unser Taxi zum Bahnhof wartet und fährt gleich. Sehen wir uns wieder?«
Ich nicke.
»Nächstes Wochenende, freitags?« Er klingt bittend und seine Augen ziehen mich an wie ein schwarzes Loch.
Ich nicke erneut, als wäre ich ein Wackeldackel.
»Ich werde dich suchen.«
Die Kälte hat mich eingehüllt und ich bin zu sprachlos um irgendetwas zu sagen. Also lächle ich nur vorsichtig.
Als er geht, dreht er sich noch einmal um und winkt, was ich ihm gleich tue. Mein Herz liegt schwer in meiner Brust und kurz habe ich das Gefühl, an der ganzen Luft um mich herum zu ertrinken.
***
Es ist Freitagabend und ich stehe auf der Innbrücke. Die Dunkelheit taucht Wasserburg in schwarze Farbe, in der vereinzelt Lichter aufblitzen und die schwarze Masse durchbrechen. Ich beobachte den Inn in der Dämmerung und hadere mit mir. Ein Teil meines Herzens wünscht sich, Max wiederzusehen. Ein anderer Teil hat Angst.
Heute bin ich allein unterwegs, ich möchte nicht, dass Vroni mich wieder von ihm wegzieht. Ich möchte einfach nur mit ihm sprechen, seine Stimme hören und in seinen Augen ertrinken.
Einen Moment zögere ich noch, aber dann überwinde ich mich und schreite durch das Inntor. Kurz darauf umhüllt mich wieder die Wolke an Gerüchen und Geräuschen, wiegt mich in Sicherheit und Weihnachtsstimmung. Verloren stehe ich inmitten der sich ständig wogenden Menschenmasse und weiß nicht, wo ich anfangen soll zu suchen. Ich sehe in den Himmel und bemerke, dass es anfängt zu schneien. Die ersten Schneeflocken berühren mein Gesicht und erinnern mich vorsichtig an eine wackelige Verabredung. Er sagte, er würde mich suchen. Also stelle ich mich wieder zum Glühweinstand und bestelle einen Kinderpunsch.
Der junge Mann, der heute ausschenkt, ist der, mit dem Vroni geflirtet hat. Er zwinkert mir zu, als er mir das Wechselgeld in die Hand drückt und ich lächle ihn kurz an. Heute ist es voll, gut besucht und kurz habe ich Angst, dass wir uns nicht finden. Aber es schneit und es ist kurz vor Weihnachten und ich weiß einfach, dass wir uns finden – dass er mich findet.
Der Kinderpunsch ist inzwischen leer und ich bestelle mir einen weiteren. Wartend stehe ich am Tisch und wärme meine inzwischen wieder abgekühlten Hände an der Tasse. Leise Musik dringt zu mir und ich spüre eine gewisse Vorfreude – aber eine noch größere Aufregung. Inzwischen bin ich seit zwei Stunden hier und ich habe ihn noch nicht gesehen. Schreiende Verzweiflung pflanzt sich zwischen meine leisen Gedanken. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob wir uns hier finden. Es ist zu voll. Menschen quetschen sich an mir vorbei, durch die dunklen Gassen. Kinder flitzen durch die Beine der Erwachsenen und bringen Stehtische erschreckend schnell zum Wackeln.
Ich schließe die Augen und versuche, ein Zittern zu unterdrücken. Mir ist kalt. Und ich bin mir sicher, dass wir uns nicht mehr sehen werden. Gerade als ich den zweiten Becher zurückgebe und das Pfandgelb erhalte, höre ich seine Waldhonigstimme.
»Luise.« Waldhonig hüllt mich ein. Mein Herz tanzt in meiner Brust und ich bekomme keine Luft mehr.
»Hallo Max«, sage ich nur leise, wie Schneekristalle, und starre ihn an.
Und da steht er. Inmitten des Schnees, umgeben tanzender Schneeflocken und strahlt mich an, als wäre ich die Sonne und er die Erde. Als wäre er von meinem Licht abhängig. Und ich kann nicht anders und lächle ihn an. Er sieht mein Lächeln und seines wird noch breiter. Unserer beider Stimmen tanzen einen ewigen Tanz aus Waldhonig und Schneekristallen. Mit zwei Schritten ist er bei mir und ich kann seinen Duft wahrnehmen. Er riecht nach Wald und nach Nacht. Nach Kälte, nach Schnee und nach Leben. Er riecht nach Leben und ich wünsche mir nichts mehr, als für immer in diesem Geruch zu ertrinken.
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