
Königin Anna XIII
Mein Beitrag zum Schreibwettbewerb von eisbaerlady
Vorgegeben war das Genre: historisch, sowie Stichworte, die in der Kurzgeschichte mit maximal 3500 Wörtern eingebaut werden müssen. Diese sind: Bibliothek, alte Schrift, Ruinen, Geheimnis, König(in), (das) Erbe
**********
Ein wenig wehmütig bleibe ich auf dem Steg stehen und sehe zurück.
Waren werden über einen weiteren Zugang auf das Schiff geladen, Händler bieten schreiend ihre Waren feil, ein paar Bettler flehen um Almosen, Fischer laden ihre Kutter ab, Passanten laufen von Marktstand zu Marktstand.
Doch in all dem Treiben ist nichts zu sehen von meiner Familie.
Ich weiß, so ist es beschlossen worden, denn genaugenommen bin ich kein Teil der Familie mehr. Mein Gewicht in Silbermünzen aufgewogen, hat Artak meinen Eltern überlassen. Im Gegenzug haben sie keinerlei Anspruch mehr auf mein zukünftiges Erbe, meinen Titel oder jegliche weitere Zuwendungen.
Ich wurde verkauft.
Trotzdem hat sich die Hoffnung gehalten, wenigstens Marie würde mir zum Abschied winken. Aber offensichtlich kann sie es mir wahrhaftig nicht verzeihen, dass ich als jüngere Schwester bevorzugt wurde, vor ihr heiraten und sogar noch Königin werden würde.
Königin von Torika, an der Seite von König Mares.
„Kommt Fräulein Anna, es ist kühl und windig, Ihr werdet Euch hier draußen noch einen Husten einfangen."
Ranja redet ruhig aber bestimmt, legt mir einen Arm um die Schultern und schiebt mich weiter den Steg hinauf.
„In Torika wird Euch ein milderes Klima erwarten."
Noch einmal lasse ich den Blick über die Menschenmenge schweifen, bevor ich mich dem Schiff zuwende, um nicht zu stolpern.
Es ist groß, aus so dunklem Holz gefertigt, wie ich es zuvor noch nie gesehen habe, und hat die torikanische Flagge gehisst. Eine gelbe Insel auf hellblauem Grund, mittig auf der Insel ein Schloss, dahinter eine orangerot aufgehende Sonne, mit schwarzem Rand. Im selben Hellblau sind auch die riesigen Segel gehalten.
Ungefähr zwei Monate wird meine Reise dauern. Eine Reise in meine neue Heimat und eine ungewisse Zukunft.
Endlich sehe ich Land. Nach achtundfünfzig Tagen auf hoher See kann ich mich an diesem Anblick kaum sattsehen. Beiger Sand, grüne Wiesen, dunkle Wälder und ein paar Hügel. Kein Vergleich zu den Bergen in meiner alten Heimat, dennoch schmeichelhaft fürs Auge.
„Morgen gegen Abend, werden wir anlegen", versichert Artak, der mal wieder direkt neben mir an der Reling steht. Seit ich dieses Schiff betreten habe, kann ich außerhalb meiner Kajüte keinen Schritt allein machen. Ich denke, es liegt daran, dass mich außer Ranja und Artak keiner verstehen kann, ebenso wenig wie ich sie. Sicherlich wollen die beiden für mich die sprachliche Barriere überwinden, dabei machen die anderen Passagiere stets einen großen Bogen um mich.
Ob sie wissen, warum ich diese Überfahrt mache? Werden sie bald meine Untertanen sein?
Diese Frage hält auch mich davon ab, auf sie zuzugehen.
Ich will mir keinen Fauxpas erlauben und kenne mich am königlichen Hofe nicht aus. Schon gar nicht am torikanischen, denn ehrlich gesagt habe ich vor Artaks Ankunft in unserem Dorf noch nie etwas von Torika gehört.
Selbst Oberlehrer Lutz konnte mir nichts zu dem kleinen Inselkönigreich in der Südsee sagen.
Je näher wir Torika kommen, desto größer wird die Neugier und beim Anlegen steigt meine Aufregung.
Am Hafen hat sich eine Gruppe Menschen versammelt. Sie sind gekleidet in weiße, wallende Gewänder, selbst die Männer. Die untergehende Sonne wirft ein sanftes Licht auf die lächelnden Gesichter.
Im Zentrum der Gruppe sticht ein Mann heraus. Sein Gewand ist purpurrot. Ein gleichfarbiges Tuch ist um seinen Kopf gewickelt, darunter sind schwarze Haare zu sehen. Um seinen Hals hängen mehrer goldene Ketten. Auf seiner Stirn funkelt etwas Blaues.
„Fräulein Anna." Ranja strahlt mich an und reicht mir ihre Hand. „Willkommen in Torkia, Prinz Calvan erwartet Euch bereits."
Vor Nervosität leicht zitternd betrete ich den Steg und augenblicklich setzt ein melodischer, aber für mich unverständlicher Gesang ein. Kurz darauf höre ich rhythmisches Klatschen, passend zu der Melodie, aber nicht von der Gruppe vor mir ausgehend. Erst jetzt erkenne ich, dass sich um den Anlegesteg herum, in gebührendem Abstand, eine Menschenmenge versammelt hat.
Männer, Frauen, Kinder.
Die meisten von ihnen klatschen und bewegen sich tänzelnd zum Lied. Manche schwenken bunte Blumen. Einige rufen sogar meinen Namen.
Wackelig stehe ich da, endlich wieder festen Boden unter den Füßen, dennoch mit dem Gefühl, dieser würde schwanken. Zudem schnellt mein Blick von hier nach da, ich will alles um mich herum aufnehmen, kein Detail verpassen, bin aber überfordert und fühle mich schwindelig.
Ein süßlicher Duft mischt sich in die salzige Meeresluft. Bevor ich den Ursprung ausmachen kann, steht Artak neben mir. Am Gürtel um seine Hüfte ist ein Säbel befestigt, auf dessen Knauf seine rechte Hand liegt.
„Herrin, die Sitten fordern, dass Ihr den Prinzen sogleich als Euren Sohn anerkennt."
Überrascht sehe ich Artak an. Prinz Calvan ist älter als ich. Sicher zehn Jahre. Und ich soll ihn als Sohn anerkennen?
Gleichzeitig wird mir klar, dass ich nicht ihn, sondern seinen noch älteren Vater ehelichen muss.
„Aber...", will ich widersprechen.
„Er wird sich vor Euch niederknien", erklärt Artak weiter, ohne mich aussprechen zu lassen. Ich glaube, sein Griff um den Knauf des Säbels wird noch fester. „Ihr werdet Euch zu ihm hinabbeugen und den Dacla auf seiner Stirn küssen."
„Dacla?", frage ich irritiert.
„Den blauen Edelstein des Königshauses", erwidert Artak.
„Achtet auf Euer Kleid", flüstert Ranja mir zu. Weiterhin umfasst sie meine linke Hand und hält direkt auf Prinz Calvan zu. Artak weicht nicht von meiner rechten Seite.
Fest greife ich mit der freien Hand in den voluminösen Rock und hebe ihn ein Stück an, damit er nicht mehr über den sandigen Boden schleift.
Schweiß steht mir auf der Stirn, denn Wärme steigt vom erhitzten Boden auf und die feuchte Luft um mich herum wird noch immer von der untergehenden Sonne gewärmt. Milderes Klima scheint deutlich untertrieben gewesen zu sein.
Ich würde zu gerne mit den Frauen tauschen und statt des Kleides eines dieser leichten Gewänder tragen. Dabei wurde dieses Kleid extra für mich angefertigt, um den König standesgemäß gegenübertreten zu können.
Wie Artak mir zuvor mitgeteilt hat, geht Prinz Calvan vor mir auf die Knie und heißt mich willkommen. Dabei zieht er das O ungewöhnlich lang.
Um nicht in Ungnade zu fallen, beuge ich mich hinab und lege meine Lippen auf den blauen Edelstein. Seltsam kühl finde ich ihn, wo es doch so warm ist.
Außerdem komme ich mir unglaublich dämlich vor. In zwei Monaten werde ich achtzehn Jahre alt und Prinz Calvan sieht auch von Nahem nicht jünger als Mitte zwanzig aus. Wie soll ich ihm eine Mutter sein?
Noch ehe ich weiter darüber nachdenken kann, erhebt sich Calvan und lächelt breit.
Die Umstehenden brechen in Jubel aus, der mich irgendwie an das Gejaule von Bjarne erinnert, wenn er Indianer spielt.
„Komm."
Der Prinz deutet nach links und die Menge teilt sich. Mehrere Kutschen stehen hintereinander und die Pferde scharren ungeduldig mit den Hufen.
„Zum..." Calvan überlegt einen Moment. „Palast?"
Ich nicke, weiß nicht, was ich sagen soll. Vielleicht hätte ich die Zeit auf dem Schiff dazu nutzen sollen, die Sprache meiner neuen Heimat zu lernen. Wenigstens ein paar Worte. Immerhin scheint sich Calvan diese Mühe gemacht zu haben.
Ich sitze mit Ranja in der dritten Kutsche. Der Prinz mit Artak in der vor uns.
Aufmerksam beobachte ich die Umgebung, sehe ein paar Häuser, unbekannte Pflanzen und immer wieder Menschen in bunten Kleidern.
Bald schon kommt der Palast in Sichtweite und ich bin überwältigt. Er ist aus schwarzem Stein gebaut, mit Säulen und bauchigen Türmen.
Im Garten davor blühen exotische bunte Blumen. Ein weißer Springbrunnen steht im Zentrum einiger Steinbänke.
Neben dem Palast, ein wenig nach hinten versetzt, liegen Geröllhaufen, die nicht in den prächtigen Anblick passen.
„Was ist dort?", will ich von Ranja wissen.
„Die Bibliothek", antwortet sie seufzend. „Das war sie zumindest. Ein Erdbeben hat zu ihrem Einsturz geführt. Die Arbeiter versuchen noch immer Bücher aus den Ruinen zu retten. Alte Schriften aus längst vergangenen Zeitaltern. Torikas Geschichte."
Ich sehe von Ranja zu der Ruine. Die Bibliothek muss groß gewesen sein. Gehören Torikaner zu den Gelehrten?
Ich war in der Schulzeit schon von Oberlehrer Lutz' Bücherregal fasziniert. So viele Bücher hatte ich weder zuvor noch danach auf einem Fleck gesehen. Aber das konnte kein Vergleich zu dem sein, was in dieser Bibliothek einmal zu bestaunen gewesen sein musste.
Nachdem ich durch den Palast geführt wurde, mein mehr als großzügiges Gemach bewundert und ein paar von den exzellent schmeckenden Häppchen probiert habe, bin ich im Zimmer des Königs ehrlich bestürzt.
König Mares liegt in einem breiten Bett. Eine junge Frau steht neben ihm und fächert ihm mit einem Palmwedel kühlere Luft zu. Sein Körper und vor allem sein Gesicht wirken eingefallen und ausgezehrt. Sein dunkler Teint erscheint fahl, wie mit einer Schicht Puder überzogen. Das rechte Auge ist trübe und er starrt die hohe Decke über sich an.
Ich kann sein Alter nicht schätzen, vielleicht ist er fünfzig, vielleicht auch schon über sechzig. Aber was mir sofort klar ist, ist sein miserabler Gesundheitszustand.
Was Artak zu ihm sagt, kann ich nicht verstehen, dass der König ihm zuhört, bemerke ich nur an dem Blick, den er mir zuwirft, kurz nachdem Artak meinen Namen erwähnt.
Höflich verbeuge ich mich vor ihm. Zumindest bei uns im Norden ist dies eine standesgemäße Begrüßung eines Königs. Aber sobald ich ihn wieder ansehe, sind seine Augen erneut zur Decke gerichtet.
Das also soll mein zukünftiger Ehemann sein? Ich habe erst in zwei Monaten Geburtstag, wird er bis dahin denn überleben?
Abends spukt noch immer die Frage durch meinen Kopf, was genau ich hier eigentlich mache. Gewiss ist mir klar, dass diese Vorstellung zu verträumt war, doch in meiner Fantasie hat sich das alles ganz anders abgespielt. Märchenhafter, mit einem Mann in Calvans Alter, der mich sehnsüchtig erwartet, mir das Leben in Torika zeigt und mit dem ich schließlich eine liebevolle Familie gründe.
Das alles beschäftigt mich so sehr, dass ich schließlich Ranja danach frage.
„König Mares ging es viel besser, bevor wir aufgebrochen sind." Seufzend setzt sie sich auf einen Stuhl neben meinem Bett. „Allerdings waren seine gesundheitlichen Probleme absehbar."
„Warum habt ihr euch dann auf die Suche nach einer Frau für ihn begeben?", frage ich ungläubig.
„Weil der König eine Königin braucht. Stirbt er, ist Torika ohne Führung. Erst nach dem Ableben von König Mares kann Prinz Calvan zu seinem Nachfolger ernannt werden. Selbst wenn dies direkt nach des Königs letztem Atemzug geschieht, wird Prinz Calvans Amtszeit unter keinem guten Stern stehen, denn für mindestens einen Wimpernschlag, läge unsere Insel nicht in der Hand der Königsfamilie."
Ranja hat den Blick gesenkt und reibt sich die Hände. Ich glaube, sie ist nervös. Hätte sie mich nicht darüber aufklären dürfen?
Ich verstehe zwar noch immer nicht, warum dann gerade ich ausgewählt wurde und nicht eher eine Frau, die bereits im heiratsfähigen Alter ist. Aber ich kann jetzt nachvollziehen, warum der König überhaupt noch einmal heiraten will.
„Macht Euch nicht zu viele Gedanken. Ich bin mir sicher, Ihr werdet Torika in eine wundervolle Zukunft führen."
Energisch klatscht Ranja in die Hände und steht schwungvoll auf.
„Das Abendessen wird gleich aufgetragen. Prinz Calvan erwartet Euch hierfür auf der Terrasse."
Die Tage vergehen und mein Geburtstag nähert sich. Damit auch meine Hochzeit und der Zeitpunkt meiner Krönung. Alles an einem Tag, der ganz im Zeichen der Feierlichkeiten stehen soll.
Morgens werde ich gleich nach dem Aufwachen von Lanea eingekleidet, dabei wickelt sie mehrere Lagen der bunten, leichten Stoffe um meinen Körper. Die Mahlzeiten nehme ich zumeist mit Calvan und seiner Verlobten Yasemin ein.
Ihre Hochzeit soll nur eine Woche nach meiner stattfinden, weshalb nicht nur ich stundenlang den Schneiderinnen Modell stehen muss.
Wir beide sollen Brautkleider bekommen, die einer königlichen Vermählung angemessen sind. Denn zu solchen Anlässen reichen die gewickelten Gewänder nicht aus.
Nachmittags werde ich von Artak in der Sprache und den gesellschaftlichen Gebräuchen Torikas unterrichtet.
Ranja sehe ich kaum noch und wenn, dann von Weitem, wie sie durch die langen Flure des Palasts hetzt. Laut Artak hat sie sehr viel mit den Vorbereitungen des Festtages zu tun.
Ich will ihm glauben und schiebe die Überlegung ganz weit von mir, in denen ich einen Zusammenhang zu unserem Gespräch über König Mares herstelle.
Abends verbringe ich oft Zeit im Stall und bekomme sogar Reitunterricht von Renko. Wir verständigen uns zwar mit Händen und Füßen, dennoch mache ich täglich Fortschritte.
Wenn ich dann später im Bett liege, kann ich mich immer mehr mit meinem Leben hier anfreunden, selbst wenn die Zeit als verheiratete Frau wohl eher kurz sein wird.
Mein hellblaues Hochzeitskleid umschmeichelt meinen Körper und der Blick in den Spiegel verursacht eine Gänsehaut auf meinen Armen. Ich kann kaum glauben, dass ich das bin und in wenigen Minuten meinem Ehemann gegenüberstehen werde.
Fehlt nur noch der rote Schleier, den Lanea bereits in Händen hält.
Lächelnd nicke ich ihr zu, bin bereit, diesen Schritt zu gehen und mein neues Leben anzunehmen.
Zögerlich tritt sie an meine Seite. Wirken alle Bediensteten im Palast hoch erfreut ob dieses Festtages, blicken mir ihre Augen traurig entgegen.
Sie legt mir den leichten Schleier aufs Haupt, streicht ihn glatt und greift dann nach meinen Händen.
„Pandak böses Geheimnis", murmelt sie leise und gebrochen. „Anna Gefahr."
Verwirrt starre ich sie an. Pandak heißt König, das weiß ich bereits.
„Keine Hochzeit", spricht sie weiter. „Wieder gehen."
Abrupt ziehe ich meine Hände zurück. Ich soll wieder gehen? Vielleicht damit Lanea den König heiraten kann und selbst Königin wird?
Welche Gefahr soll schon von König Mares ausgehen, einem Mann, der sich nicht einmal allein auf den Beinen halten kann?
Aber ich werde mir das nicht mehr nehmen lassen. Von niemandem.
Glücklicherweise klopft es an der Türe und Artak kommt herein. Laneas flehenden Blick ignoriere ich, darüber wie ich zukünftig mit ihr umgehen soll, werde ich mir später den Kopf zerbrechen.
Nun nehme ich Artaks Arm, den er mir anbietet und lasse mich erhobenen Hauptes von ihm in den Thronsaal führen.
Die Zeremonie dauert lange, aber endlich soll ich mich vor König Mares knien.
Er sitzt auf einem Stuhl und bekommt von Prinz Calvan ein Samtkissen gereicht. Darauf liegt mein eigener Dacla, der mich zur Königin von Torika macht.
Ich bemerkte König Mares' Zittern noch bevor er mir den dunkelblauen Edelstein gegen die Stirn drückt. Trotzdem steckt eine gewisse Kraft in seinen Händen, die ich ihm nicht zugetraut habe.
„Anna, Pero dell trekant", sagt er laut, woraufhin Applaus einsetzt.
„Königin Anna die dreizehnte", übersetze ich für mich selbst und erhebe mich.
Alle Augen sind auf mich gerichtet. Ich bin Königin.
Es war ein unglaubliches und unvergessliches Fest. Dass mein Gemahl sich gleich nach dem Essen in sein Zimmer zurückzog, hat mich nicht gestört und auch jetzt hege ich nicht gerade den Wunsch, die Hochzeitsnacht mit ihm zu verbringen.
Doch sollte ich einen Fauxpas begehen, weil ich in meinem eigenen Bett liege und nicht an der Seite meines Mannes, ist es mir heute schlichtweg egal.
Berauscht vom Wein, der Musik, dem Tanz und der Aufmerksamkeit schlafe ich ein.
Es ist dunkel und ich kann das Geräusch nicht augenblicklich einordnen. Aber da war etwas, da bin ich mir sicher. Ich bin nicht allein.
Unbehagen kriecht meine Wirbelsäule hinauf, die feinen Härchen in meinem Nacken stellen sich auf und mein Herz schlägt so fest, als wolle es ausbrechen.
Eine Hand legt sich auf meinen Mund und unterdrückt meinen überraschten Angstschrei. Etwas süßlich riechendes wird mir ins Gesicht gepustet. Gleich darauf werde ich an den Armen und Beinen gepackt, versuche, mich aus den Griffen zu winden, werde aber angehoben.
Immer höher und höher, bis ich fliege.
Farben und Lichter kreisen um mich, ein disharmonischer Gesang dringt an meine Ohren. Nur langsam wird der Wirbel um mich herum langsamer und ich finde mich wieder, gefesselt an einen Pfahl und bewegungsunfähig. Unter mir ist Holz aufgeschichtet, wie bei einem Scheiterhaufen.
Die Farben und Lichter stehen nun in einem Kreis um mich herum. Personen in bunten Gewändern, verschleiert und mit Fackeln in der Hand. Sie alle sind in diesen Singsang verfallen, der sich langsam in mein Bewusstsein schiebt.
„Anna, Pero dell trekant."
Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin und was das zu bedeuten hat. Aber es macht mir Angst.
Eine Person tritt hervor, noch einmal erschallt ein kollektives „Anna, Pero dell trekant", dann wird es schlagartig still.
„Die Zeit ist gekommen, Königin Anna."
Ich weiß schon, wer sich unter dem grünen Schleier verbirgt, bevor Artak ihn von seinem Kopf zieht. So oft habe ich seine Stimme gehört, hatte fast nur ihn, um mich überhaupt mit jemandem unterhalten zu können.
„Ihr habt Eure Zukunft als Königin von Torika angenommen und seid die dreizehnte Eures Namens. Wie jede dreizehnte Königin wird Euer Opfer die Zukunft von Trokia sichern."
Mein Opfer? Habe ich das richtig verstanden? Spinnt Artak? Das kann doch nicht sein Ernst sein.
„Welches Opfer?" Meine Stimme klingt verwaschen und irgendwie rede ich ungewohnt langsam.
„Seit der Besiedelung der Insel und Gründung Torikas werden die Götter mit jungem, frischem Blut besänftigt. Für jede dreizehnte Königin endet die Ära ihres Namens mit dieser Besänftigung. Dir gebührt die Ehre, Torika reiche Ernten, gutes Wetter und eine ruhige See zu bescheren."
Ich höre Artak, verstehe, was er sagt, denn er redet in meiner Muttersprachen, trotzdem kann ich ihm nicht folgen.
Junges, frisches Blut, ein Opfer für die Götter, eine Ehre für mich.
Ein Blitz zuckt über den Nachthimmel und der Donnerschlag explodiert in meinem Kopf. Der Kreis aus Menschen öffnet sich vor mit.
Von Prinz Calvan und Yasemin gestützt, kommt König Mares auf mich zu. Ein tattriger Greis, doch mit Feuer im Blick.
So aufgeregt habe ich ihn selbst bei unserer Trauung nicht wahrgenommen.
Nur wenige Schritte vor mir bleibt er stehen. Die Flamme der Fackel, die Artak ihm in die Hand drückt, spiegelt sich in seinem Dacla.
„Anna, Pero dell trekant!"
Sobald König Mares die Worte ausgesprochen hat, stimmen die Anwesenden in den Singsang ein. Dabei kommen sie langsam, aber stetig, Schritt für Schritt weiter auf mich zu.
Immer enger zieht sich der Kreis um mich herum.
Gleichzeitig setzt sich ein Kloß in meinem Hals fest, der meine Kehle im gleichen Takt enger schnürt.
Ich glaube, die Hitze der Fackeln spüren zu können, als die Menge erneut verstummt und stehen bleibt. Zu meiner Überraschung fallen nun die Schleier und ich erkenne ein paar der Anwesenden.
Renko, eine der Schneiderinnen und der Koch.
Haben sie alle von Anfang an gewusst, was mein Schicksal ist? Waren sie nur deshalb so nett zu mir?
Prinz Calvan und Yasemin, damit Yasemin die erste Königin ihres Namens werden kann? König Mares weil er lang genug überlebt hat, um seinem Sohn eine gesegnete Zukunft zu bieten?
Ich sehe Ranja mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Wie konnte ich nur auf ihre Geschichte hereinfallen, warum der König noch einmal heiraten muss? Ich hatte sogar ein schlechtes Gewissen, weil ich dachte, sie mit meiner Frage in eine unangenehme Situation gebracht zu haben.
Dann treffe ich Laneas Blick. Tränen schwimmen in ihren Augen und mein Herz zieht sich schmerzvoll zusammen.
Sie hat versucht, mich zu retten, und ich habe ihr unterstellt, meinen Platz einnehmen zu wollen. Ich habe dieses Leben geschnuppert und wollte es mir nicht mehr nehmen lassen.
Nun wird mir dieses Leben zum Verhängnis und ich kann nicht mehr entkommen.
„Pas Torika", stößt Artak aus und ein weiteres Mal kommt Bewegung in die Gruppe. Sie alle strecken ihren Arm aus und senken ihn. Die Fackeln entzünden das Holz.
Rauch steigt auf, reizt meine Nase und die Augen. Tränen laufen mir über die Wangen.
Meine Gedanken gelten meiner echten Familie. Mama, Papa, Marie und Bjarne. Niemals hätte ich sie verlassen dürfen. Ich sollte bei ihnen sein, jetzt gerade. Mamas Eintopf essen, Bjarne eine Gutenachtgeschichte vorlesen und mich danach kichernd mit Marie über die jungen Männer im Dorf und der Umgebung unterhalten.
Doch dann schnappen die Flammen nach mir, züngeln an meinem Nachthemd hinauf und bedecken schnell meinen ganzen Körper. Heiß, schmerzhaft, alles verschlingend und ich schreie. Laut, qualvoll und anhaltend, bis zu meinem letzten Atemzug.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro