Das Verhör
Das Verhör währte ziemlich lange und die Fragen waren mitunter ziemlich schlau gestellt; er beantwortete sie jedoch alle offen und bestimmt und erzählte den Vorgang zwischen ihm und dem Oberförster ziemlich der Wahrheit gemäß, bis auf das Ende, das er geratener fand für sich zu behalten.
Die schwarze Gestalt vor ihm schaute ihn streng an. “Sei ehrlich,” tadelte er und zog eine imaginäre Augenbraue hoch. “Bin ich,” protestierte der Verhörte entrüstet und verschränkte schmollend die Arme vor der Brust. “Mmhm,” meinte der Tod und beugte sich in seinem Plastikstuhl vor und stützte die spitzen Ellenbogen auf seinen Knien ab. Seine schwarze Kutte fiel ihm in Falten über den skelettartigen Körper.
Der Mann starrte ihm in die leeren, dunklen Augenhöhlen und obwohl sie leer waren, meinte er darin ein Funkeln zu sehen; ob erschöpft, misstrauisch oder belustigt vermochte er nicht zu sagen. Um sich von diesem Anblick abzulenken, wandte er, wie schon so oft in den letzten Minuten, seine Aufmerksamkeit der berühmt berüchtigten Sense zu, die neben dem Tod an dessen Plastikstuhl lehnte. Die Klinge glänzte in dem spärlich beleuchteten Raum silbern metallisch und die scharfe Schneide zog ihn in seinen Bann.
Den Anblick des Todes konnte er ertragen; den der Sense nicht.
Plötzlich hörte er den Tod vor sich seufzen. Als er zu ihm blickte, sah er, wie dieser sich im Stuhl zurück lehnte und gleich darauf wieder aufsprang und im Raum hin und her lief. Der Verhörte verfolgte ihn mit seinem Blick. Links rechts, links rechts, links rechts. “Wir brauchen unbedingt neue Stühle,” hörte er den Tod missmutig brummen und blinzelte verwirrt. “Warum hast du denn Plastikstühle,” fragte er neugierig und strich über das weiße Plastik. “Sie sind nur Ersatz. Als die Anderen kaputt gegangen sind, habe ich bereits Neue bestellt, aber der Möbelbauer verspätete sich offenbar, so wie immer,” winkte der Tod ab, verzog aber bei den letzten Worten missmutig das Gesicht.
Dazu wusste er nichts zu erwiedern.
Plötzlich klopfte es an der Tür. In der Hoffnung auf neue Stühle, öffnete der Tod die schwarze Wand mit einer Handbewegung. Einen Wimpernschlag später ertönte ein genervtes “Was?” “Sie haben einen neuen Kunden,” drang eine fremde Stimme in den Raum. “Bitte,” stöhnte der Tod jammernd. “Ich bin doch noch nicht mal mit dem hier fertig.”
“Ähmm, er wünscht, sie sofort zu sprechen,” erklärte die Stimme formell und er konnte sich förmlich vorstellen, wie der Bote sich verbeugte. “Er nervt mich jetzt schon gefühlte Stunden damit.”
Der Tod seufzte. “Na gut, hol ihn rein.”
Der Bote verschwand und die schwarz bekleidete Gestalt drehte sich um. “Wer das jetzt wohl ist, dass er so ungeduldig ist?” fragte er sich und der Verhörte zuckte mit den Schultern.
“Hier ist er,” ließ der Bote von vorhin sich wieder vernehmen und schob einen kräftig aussehenden Mann mit Filzhut an dem Tod vorbei, welcher ruckartig seinen bleichen, mit einer Kapuze behangenen Schädel aus seiner knochigen Hand nahm.
“Ich klage ihn an,” brüllte der Oberförster sofort und zeigte mit ausgestrecktem Finger wütend auf dem im Stuhl sitzenden Mann, welcher unbemerkt schluckte. "Was soll ich denn bitte getan haben?" fragte er, bemüht, seine Fassade aufrecht zu erhalten. “Du hast mich getötet,“ brüllte der Förster erzürnt. "Hab ich nicht, du bist selber gestorben." “Aber du hast dafür gesorgt.“ "Wenn ich dich getötet hätte, wärst du früher als ich hier gewesen. Du hast mich getötet!" “Aus Notwehr.“ "Lüge!"
“RUHE,” brüllte der Tod plötzlich, der die Situation bisher, still, fast schon hilflos verfolgt hatte und mit einem Mal hatte er seine Sense in der Hand. Der Oberförster und der Angeklagte, die schon ganz rot im Gesicht waren, verstummten und starrten ihn verschreckt und nach Luft ringend an. “Hat denn niemand Mitleid mit MIR?” jammerte der Tod müde und breitete verzweifelt seine Arme aus. “Immer kommen sie zu mir, betteln, flehen, diskutieren mit mir, wollen, dass ich ihnen nichts tue und sagen, sie wollen nicht hier sein. Ich hab' schon Kopfschmerzen deswegen. Wer sagt denn, dass ich es will? Ich bin doch auch nur jemand, dessen Pflicht es ist, über die Toten zu richten. Wisst ihr, wie anstrengend das ist? Viel lieber würde ich jetzt auch am Strand liegen.”
Sie verzichteten, ihm zu sagen, dass die Leute bei seinem Anblick wohl schreiend davon gelaufen wären. Oder ob sie im Totenreich einen Strand hatten?
“Okay,” meinte der Tod mit einem Mal und hob einen Richterhammer. Die Männer wunderte sich, woher dieser jetzt plötzlich den Richterhammer hatte.
"Nach eurer Diskussion nach zu urteilen habt ihr euch gegenseitig selber umgebracht. Du," er deutete auf den Angeklagten, "bist als erstes gestorben. Du," er deutete auf den Oberförster, "hattest schwerere Wunden. Doch du," sein Finger wanderte wieder zurück, "hast angegriffen. Als erstes. Wieso?" “Er war ein verdammter Wilderer," knurrte der Oberförster. Der Wildere schluckte abermals. Eine Mischung aus Wut und Verzweiflung stieg in ihm hoch. Sein Alibi war doch perfekt gewesen und jetzt kam dieser verdammte Wicht daher und zerstörte alles.
"Also daher kam meine Ahnung vorhin, dass er nicht alles preisgegeben hat," murmelte der Tod nachdenklich.
"Wie dem auch sei…, Wilderer, dessen Name ich nicht mal kenne, ich verurteile dich zu einem Leben im Reich der dunklen Seelen."
Er stampfte einmal mit seiner Sense auf dem Boden auf und der Mann fand sich plötzlich in einem dunklen Raum wieder, in dem lauter einzelne Teile verstreut rumlagen. Hier konnte eine Lehne ausmachen und da ein Stuhlbein. Da dämmerte ihm, was seine Strafe beinhaltete.
Das Kursive ist vorgegeben aus "die Judenbuche" von Annette von Droste-Hülshoff
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