Kurzgeschichte
Für einen Schreib-Wettbewerb habe ich eine Kurzgeschichte geschrieben. Ich bin offen für euer Feeback. :)
Inspiriert hat mich die "Dark Piano" Version von "Carol of bells".
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Das Geschenk
Weihnachten ist die Zeit der Besinnlichkeit, der Freude und manchmal auch die der Wunder. Nicht für mich. Nicht in diesem Jahr.
Der Duft von Zimt, Kerzen und Räuchermännchen liegt in der Luft. Das Wohnzimmer ist wie üblich weihnachtlich geschmückt. Die Krippe steht in der Ecke auf einem Tischchen. Weihnachtsmänner, Sterne und Rentiere hängen an den Scheiben über den mit künstlichem Schnee bedeckten Fensterbänken. Vor drei Wochen hatte ich meinen Eltern fleißig dabei geholfen. Es kommt mir jedoch vor wie eine längst vergangen Zeit, in der ich fröhlich Kugeln an den Weihnachtsbaum gehangen habe.
Von draußen erklingen kaum wahrnehmbar, aber dennoch deutlich, die Glocken der Kirche. Zum ersten Mal bedeuten sie für mich Kummer und Verlust. Keine Hoffnung, keinen inneren Frieden. Seit der Beerdigung glaube ich weder an das eine noch an das andere. Eigentlich müsste ich im Gottesdienst mit meiner Familie sitzen. So wie jedes Jahr. Aber ich verdiene den Segen nicht. Oder brauche ich ihn gerade deswegen?
Der Weihnachtsbaum stellt die einzige Lichtquelle in dem sonst düsteren Raum dar. Eine Kette aus leuchtenden Sternen schmückt seine Zweige. Die Dunkelheit passt zu meiner Gefühlslage. In meinem Inneren herrscht eine bedrückende Schwärze, die all meine positiven Empfindungen auffrisst. Nicht mehr lang und sie wird mich vollkommen verschlingen. Ein Teil von mir will das verhindern. Doch der andere Teil, der stärkere, hat den Kampf bereits aufgegeben.
Langsam gehe ich auf den Tannenbaum zu, unter dem bisher nur ein einzelnes Päckchen liegt. Gut versteckt unter den tief hängenden Ästen. Seit sechs Tagen bewahre ich es dort auf, um es an Heiligabend zu öffnen. Bekommen habe ich es von ihren Eltern. Sie geben mir nicht die Schuld daran, dass ihre Tochter es mir nicht mehr selbst überreichen kann. Keiner tut das. Jedenfalls nicht in meiner Anwesenheit. Hinter meinem Rücken sieht es wahrscheinlich anders aus.
Gibt sie mir die Schuld daran? Und wenn ja, wird sie mir verzeihen können, wenn wir uns eines Tages wiedersehen?
Mit jedem Schritt kämpfe ich gegen das Verlangen an, aus dem Raum zu rennen. Hinaus in die kalte Dezemberluft. Ich will mir auf einem verlassenen Feld die Seele aus dem Hals schreien. So lange, bis die Schwärze meinen Körper verlassen hat und die eisigen Temperaturen meine Gliedmaßen betäubt haben. Alles ist besser als diese erdrückende Traurigkeit.
Ich bücke mich nach dem Päckchen mit dem schlichten, roten Geschenkpapier. Als ich es hervorziehe, rieseln Tannennadeln auf den Boden hinab. Unwirsch wische ich die Nadeln beiseite und sinke neben dem Baum auf die Knie. Vorsichtig drehe ich das Geschenk in meinen Händen und begutachte es von allen Seiten. Ich möchte es öffnen, aber gleichzeitig will ich es nicht. Ich befürchte, dass dann das Unvermeidliche geschehen wird: Tränen, die den Tod meiner besten Freundin besiegeln.
Seit es passiert ist, habe ich nicht eine einzige Träne vergossen. Ich spüre, dass es heute Abend dazu kommen wird. Und dann gäbe es kein Zurück mehr. Damit wäre der Verlust real und kein Albtraum, aus dem man aufwachen kann. Ein Albtraum, dessen Auslöser ich selbst war. Ich könnte ein Wunder gebrauchen. Aber es wäre kindisch, an so etwas zu glauben. An vergebliche Hoffnung, die in solch einer Situation alles nur noch schlimmer macht. Nichts und Niemand wird meine Freundin zurückbringen. Sie ist fort. Für immer.
Meine bebenden Finger fummeln an dem Geschenkpapier herum, bis ein kleiner Riss entsteht. Nun fällt es mir leicht das Papier abzulösen. Achtlos werfe ich es auf den Boden. Meine Aufmerksamkeit gilt sofort dem hübschen Schächtelchen. Flach, quadratisch, verziert mit silbernen Sternen. Sachte hebe ich den Deckel ab und lasse ihn zu dem Geschenkpapier fallen. Das Innere ist mit einer weichen Füllung ausgelegt. Und dazwischen ruht ein schwarzes Buch auf dessen Einband Memories steht.
Mit zitternden Händen schlage ich es auf. Die erste Seite hat meine Freundin bereits beschrieben und auf der zweiten klebt ein Foto, auf dem wir in die Kamera grinsen. Meine Augen beginnen zu brennen. Ein dicker Kloß in meinem Hals bereitet mir Schwierigkeiten beim Schlucken. Ich blinzle und richte den Blick an die Decke, um die Tränen am Laufen zu hindern.
In dem kurzen Text teilt sie mir mit, dass in diesem Buch unsere gemeinsamen Erlebnisse festgehalten werden sollen. Wir kannten uns seit dem Kindergarten und hatten in all den Jahren viel zusammen erlebt. Über solch eine Sammlung von Bildern und Texten, die Ereignisse beschreiben, dachten wir schon lange nach. Die Gewissheit, dass dieses Buch sich niemals füllen wird, schmerzt in meinem Herzen.
Auf den nächsten drei Seiten kleben weitere Fotos von uns. Darunter befindet sich eines aus unserer Kindheit. Arm in Arm stehen wir auf dem Balkon zuhause bei meiner Freundin und strahlen um die Wette. Plötzlich schießen mir Erinnerungen an den Vorfall vor fast zwei Wochen in den Kopf.
Meine Freundin und ich hatten uns einen gemütlichen Abend gemacht. Bis spät in die Nacht hatten wir über Gott und die Welt geredet. Ich liebte solche Nächte. Doch dieses Mal kamen wir auf ein unangenehmes Thema zu sprechen. Für mich war es das zumindest. Sie eröffnete mir, dass sie im Sommer nach dem Schulabschluss in eine Wohnung gemeinsam mit ihrem Freund ziehen wollte. Ich weiß nicht mehr, warum ich das so furchtbar verletzend fand. Vielleicht, weil wir als Kinder beschlossen hatten, später zusammen zu ziehen und das bis vor ein paar Monaten auch fest vorhatten. Jedenfalls von mir aus. Aber das war noch lange kein Grund, ihr vorzuwerfen, dass ich ihr weniger bedeuten würde, als ihr Freund.
Je länger wir darüber stritten, desto wütender wurde ich. Ich kramte Dinge aus, die mich schon lange an ihrer Beziehung und an ihrem Freund störten. Außerdem warf ich ihr Vorfälle aus der Vergangenheit vor, die ich bisher noch nie angesprochen hatte. Ich hasse mich dafür, dass ich mich so sehr in den Streit hineingesteigert hatte.
Meine Freundin wollte die Sache vernünftig klären. Ich aber nicht. Wütend, verletzt und traurig stürmte ich aus dem Haus. Ich hatte überreagiert. Doch die Tatsache, dass sie und ihr Freund bereits Wohnungen besichtigt hatten, während ich extra in ihrer Wunsch-Stadt nach einem Studienplatz recherchiert hatte, brachte das Fass zum Überlaufen.
Wenig später saß ich im Auto. Die Scheiben waren zugefroren und von innen beschlagen. Für die paar Meter nach Hause lohnt sich das Freikratzen nicht, dachte ich und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Kaum hatte ich den Gang eingelegt, gab ich wutentbrannt Gas und fuhr rückwärts die lange Hofeinfahrt hinaus. Ein dumpfer Aufprall ließ mich bremsen. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, während sich mein Magen vor Angst schmerzhaft zusammen zog. Im Seitenspiegel sah ich einen Schuh liegen. Den Schuh meiner Freundin.
Von da an kann ich mich nur an Bruchstücke erinnern. Daran, dass ich erst nach einigen Minuten aus dem Auto steigen konnte, weil ich wie gelähmt war. Daran, dass meine Knie nachgaben, als mein Blick auf den reglosen Körper meiner Freundin fiel. Daran, dass ich den Notarzt anrief und sich kurz darauf der Inhalt meines Magens auf den frisch gefallenen Schnee entleerte.
In den folgenden Tagen existierte ich nur in einem Strudel voller dunkler Gedanken. Warum habe ich nicht besser aufgepasst? Warum habe ich diesen unnötigen Streit provoziert? Warum ist sie mir bloß gefolgt? Warum muss ich mit dieser Schuld leben? Und warum darf sie nicht mehr leben?
Ich drücke das Buch meiner Freundin an meine Brust. Heiße Tränen fließen meine Wangen hinab und hinterlassen einen salzigen Geschmack auf meinen Lippen. Meiner Kehle entweichen Schluchzer. Ich weine. Der Tod meiner Freundin ist endgültig und schreckliche Realität. Und das ist allein meine Schuld. In diesem Buch wird es keine neuen Fotos und Erinnerungen mehr von ihr geben. Niemals.
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