22. Türchen
von FlyingMonkey1004
Titel: Dumb Dare
Es war nicht meine beste Idee mit meinen Freunden diese Wette zu machen. Bewusst wurde mir das dann allerdings erst so richtig, als ich die Wette verlor. Das Verlieren an sich war kein Problem. Zwar war ich wie jeder lieber auf der Gewinnerseite, konnte aber auch ohne weiteres eine Niederlage akzeptieren. So machte man das halt im Sport. Wie oft hatte ich schon bei einem Kung-Fu Turnier verloren? Auf jeden Fall öfter als es sich an einer Hand abzählen ließ.
Doch jetzt wo mir eisiger Wind um die Beine strich und mir einige Männer geifernde Blicke zuwarfen, fiel es mir schwer an meinen guten Grundsätzen festzuhalten. Ich runzelte die Brauen und starrte jeden der es wagte länger als eine Sekunde in meine Richtung zu schauen eisig an. Und es funktionierte Großteils auch.
Ein Schauer der Abneigung lief mir über den Rücken als eine Gruppe junger Männer ihre Blicke prüfend an meinem Körper auf- und abwandern ließen. Ich war doch kein Stück Fleisch verdammt. Seufzend wandte ich den Blick von den Menschenmassen um mich herum ab und warf einen gepeinigten Blick auf die große Uhr, die festlich beleuchtet über dem Eingang des Eikaufzentrums hing.
Ich kannte den Platz hier gut. Nach der Schule hing ich hier oft mit meinen Freunden herum, ging essen und schlug die Zeit bis zu meinem abendlichen Training tot. Hier war immer viel los – jetzt so kurz vor Weihnachten noch mehr als sonst – doch normalerweise störte mich das auch nicht.
Normalerweise musste ich aber auch nicht als junge Frau verkleidet vier Stunden auf der größten Einkaufsmeile des Landes herumstehen. Doch das war eben die Strafe dafür, dass ich die Wette verloren hatte. Und das hatte mich zum dem Entschluss gebracht nie wieder auf eine Wette einzugehen.
„Ich weiß gar nicht warum du dich so aufregst. Siehst doch super aus. Wenn ich nicht wüsste, dass du 'n Kerl bist würde ich dich glatt selber aufreißen", waren die beruhigenden Worte meines Freundes Jinyoung gewesen.
Leicht angepisst erkannt ich, dass ich noch mindestens eine unsägliche Stunde hier verbringen musste. Noch nie in meinem Leben war mir Zeit so zäh vorgekommen und ich hätte mich am liebsten unter den schillernden Truck des Süßigkeiten verkaufenden Santas geworfen, bei dem Gedanken daran, dass das nur der erste Tag einer sehr langen Woche war, in der ich meine Strafe abstehen musste.
„Hey, alles in Ordnung bei dir?"
Eine heißere Männerstimme unterbrach den Strom meiner Gedanken und ich fuhr herum um ihm zu sagen, dass er sich seine Zuckerstange sonst wohin stecken konnte (normalerweise war ich ein ruhiger Typ, doch heute hatte ich eindeutig meine Grenze erreicht). Gerade noch rechtzeitig biss ich mir auf die Zunge und schluckte den Schwall an unflätigen Worten herunter, als ich erkannte wer da vor mir stand.
Jackson Wang.
Lieblings Rebell und Plappermaul der Schule. Mit aufgerissenen Augen und offenem Mund starrte ich ihn an. Das wars. Wer würde schon glauben wollen, dass ich die Frauenkleidung mit Perücke nicht zum Spaß trug. Ich würde zum Gespött der Schule werden.
„Uhm... tut mir leid, ich frag nur weil ich dich schon länger hier stehen sehe und da hab ich mir gedacht...", setzte er an, als sich das Schweigen in die Länge zog.
Ich stutzte. Konnte es ernsthaft sein, dass Wang mich nicht erkannt hatte? Sah ich so überzeugend aus, dass er mich ernsthaft für ein Mädchen hielt? Leise stieß ich die Luft aus, die ich bis eben angehalten hatte und musterte ihn nun von Kopf bis Fuß.
War Jackson Wang gerade ernsthaft peinlich berührt? Der Jackson Wang. Frauendompteur und Schulschwarm Nr.1. Es sah ganz so aus, denn er kratzte sich mit einer Hand den Nacken und trat von einem Fuß auf den anderen. Hätte mich meine Stimme nicht verraten, so hätte ich lauthals losgelacht, doch so konnte ich bloß mein Bestes tun die kühle äußere Fassade zu bewahren.
Was mich darauf brachte... ich war ihm immer noch eine Antwort schuldig und reden konnte ich ja wohl schlecht. Blitzschnell überlegte ich, wie ich mich weiterhin bedeckt halten und schleunigst aus der Situation fliehen konnte und hielt dann triumphierend einen Finger vor sein Gesicht.
Verwirrt runzelte er die Stirn als ich wie verrückt in meiner kleinen Handtasche (die Dinger hatten doch ihren Nutzen) zu kramen begann und dann mein Smartphone zutage förderte. Es war ein wenig schwer mit meinen kalten Finger den Code einzutippen und dann die Notizen zu öffnen, doch nach einigem Gefummel hatte ich es geschafft. Schnell tippte ich etwas ein und drehte dann das Display zu Wang.
„Oh", seine Augen weiteten sich ein wenig, als er die Worte las," tut mir leid, dass wusste ich nicht."
Ich freute mich diabolisch, als eine Röte seine Wangen färbte die nicht vom kalten Wind zu kommen schien. Als sein Blick wieder auf mich fiel zuckte ich gutmütig mit den Schultern und gratulierte mir innerlich zu meinem Geniestreich ihn glauben zu lassen, dass ich stumm war.
„Aber kann ich dir irgendwie helfen? Hat jemand auf euer Treffen vergessen? Soll ich wen anrufen?"
Verwundert ließ ich meinen Blick über sein Gesicht wandern. Zwar kannte ich Wang nicht wirklich, da er in meine Parallelklasse ging, aber ich wusste, dass er ein ziemlicher Idiot war. Ich war immer davon ausgegangen, dass er eine große Klappe und nichts im Hirn hatte. Wie die meisten Leute aus dem Fechtteam der Schule. Doch hier stand er und zeigte menschliche Züge, was mich zugegebenermaßen ein wenig überraschte.
Stumm schüttelte ich zur Verneinung den Kopf und hoffte, dass er jetzt endlich gehen würde, damit ich in Ruhe die letzte Stunde meiner Strafe hinter mich bringen konnte. Doch anstatt abzuhauen wie erhofft, blickte sich Wang kurz um und deutete dann zögerlich auf das weihnachtlich geschmückte Kaufhaus (es sah aus als hätte sich einer von Santas Elfen drauf übergeben).
„Willst du nicht lieber drinnen warten? Dort ist es sicher wärmer", und als er meinen wenig begeisterten Blick sah," Ich kauf dir auch etwas Warmes zu Trinken."
Und hier war der kritische Punkt. Wang schien eindeutig Interesse an mir zu haben was mich ebenso abstieß wie auch amüsierte. Doch da ich schon länger als drei Stunden in der eisigen Kälte draußen verbracht hatte und selbst meine Eingeweide zu zittern schienen, war die Aussicht auf etwas Warmes zu Trinken alles andere als schlecht. Außerdem hatte er angeboten zu Zahlen und wer sagte schon Nein zu gratis Getränken?
Ich seufzte lautlos und willigte widerstrebend ein. War ja nur für kurze Zeit und danach konnte ich meinen Freunden von der lustigen Begegnung erzählen.
2.Tag
Überrascht starrte ich in ebenso überraschte braune Augen. Fast wäre mir ein sehr unweibliches „Was machst du denn schon wieder hier?", entruscht doch ich erinnerte mich noch gerade rechtzeitig an die selbstauferlegte Schweigepflicht.
„Hey, was für ein Zufall. Wartest du wieder auf wen?"
Ich schüttelte wieder stumm den Kopf. Nachdem ich gestern eingewilligt hatte mit Wang etwas trinken zu gehen, hatte ich eine Zeitlang seinem Monolog (nicht wirklich-) gelauscht. Sobald meine Strafzeit um war, war ich verschwunden bevor Wang wirklich mitbekommen konnte was passierte. Und eigentlich hätte es das auch sein müssen. Eigentlich hätte ich ihm in der Aufmachung nie wieder über den Weg laufen müssen, doch hier stand ich. Inmitten der Einkaufsstraße, mit langen Haaren und Frauenklamotten und verfluchte meine Freunde einmal mehr.
„Ich bin übrigens Jackson Wang, aber nenn mich ruhig Jackson."
Weiß ich. Ich unterdrückte es mit den Augen zu rollen und überlegte mir innerlich seufzend ein passendes Pseudonym. Ob ein schrecklicher Name abschreckend genug für ihn wäre?
>>Marchiella<< (war das überhaupt ein Name?) stand dann schließlich auf dem Display. Jackson kniff kurz die Augen zusammen als er den Namen las und ich bereitete mich schon erfreut auf die Ablehnung vor, als sein Blick begeistert zu Funkeln begann.
„March! Das passt zu dir. Frühling ist meine Lieblingsjahreszeit."
Am liebsten wäre ich mit dem Kopf gegen eine Wand gerannt, aber mir blieb nichts anderes über als gute Miene zum Bösen Spiel zu machen und meine Deckung aufrecht zu erhalten.
Wie auch gestern schon wimmelte der große Platz vor Leuten mit gestressten Gesichtern, die volle Tüten hinter sich herschleppten. Jackson blickte mich weiterhin fröhlich an und – verdammt warum wurden seine Ohren rot? – setzte dann zögernd zum Sprechen an.
„Hättest du Lust mir bei meinen Weihnachtseinkäufen zu helfen? Ich brauche noch etwas für meine kleinen Schwestern und bin mir nicht ganz sicher, was ich kaufen soll?"
Lust hatte ich definitiv nicht. Aber Jacksons Worte riefen mir in Erinnerung, dass auch ich noch ein Geschenk für meine jüngere Schwester brauchte und ich versuchte mich zusammenzureißen.
>> Gerne, ich brauche auch noch was für meine Schwester^^ <<
Etwas wie Erleichterung huschte über Wangs Gesicht und ich bekam fast sowas wie Mitleid mit ihm. Wenn der wüsste...
Im Kaufhaus selbst war fast noch mehr los als draußen, was physisch gesehen unmöglich war. Wang bahnte mit seinem Körper einen Weg durch die Menge und ich musste ihm nur folgen. Was an Größe beim ihm fehlte machte er scheinbar mit Muskeln wieder wett. Vor einem Spielzeuggeschäft in dem eine Plüschtierbombe explodiert zu sein schien, machten wir halt und ich bekam einen fast schon unsicheren Blick geschenkt.
„Meine Schwestern sind noch nicht so alt, also hab ich mir gedacht, dass sie sich sicher über etwas Weiches freuen würden."
Ich nickte anerkennend. Etwas Besseres wäre mir selbst nicht eingefallen und ich warf Wang einen bewundernden Blick zu. Er schien tatsächlich mehr Köpfchen zu haben als ich ihm Anfangs zugemutet hatte.
Jeder Zentimeter des Geschäfts war mit einem Kuscheltier besetzt und ich realisierte, dass das Ganze mehr Arbeit werden würde als angenommen. Mein Schicksal akzeptierend zückte ich mein Smartphone und tippte Jackson auf die Schulter.
>> Wie alt sind deine Schwestern? <<
„Vier und sechs", etwas wie stolz schwang in Wangs Stimme mit und ich erwischte meine Mundwinkel beim Versuch zu Schmunzeln.
Was für Stofftiere wären für eine Vierjährige passend. Unwillkürlich fiel mein Blick auf einen Stand voller Einhörner und Wang der meinem Blick gefolgt zu sein schien, schüttelte mit lachend den Kopf.
„Nein, sie kommt eher nach mir. Lass uns zu den Hundewelpen schauen."
Wir kämpften uns einen Weg zu einer Kiste voll Hundewelpen in verschiedenen Größen, die alle mit glasigen Kulleraugen leer geradeaus starrten. Probeweise nahm ich einen mit braun gesprenkeltem Fell und langen Hängeohren in die Hand. Der Stoff gab unter meinen Fingern nach und ich strich bewundernd über das weiche Kunstfell. Ob sich meine Schwester auch über sowas freuen würde?
Nach und nach nahm ich kleine Welpen in die Hand und überlegte welcher davon Jacksons kleiner Schwester gefallen könnte. Fragend drehte ich mich mit einem Spitzartigen Hündchen in der Hand zu Wang und hielt überrascht inne.
Jackson war Ellenbogentief in dem Meer aus Plüschwelpen versunken und betrachtete sie mit demselben begeisterten Funkeln in den Augen wie das kleine Kind neben ihm. Plötzlich hielt er inne und zog einen Hund mit dunkelrotem Fell aus dem Haufen.
„Hey March, der hier schaut aus wie du!"
Ich betrachtete die dunklen Knopfaugen und das feine Gesicht und hoffte, dass ich trotz Verkleidung männlicher aussah. Da ich nicht wusste, was ich erwidern sollte schnappte ich mir einen Welpen mit schokobraunem Fell der mich an Wang erinnerte und hielt ihn ihm grinsend vor die Nase. Doch anstatt beleidigt zu sein, gab er einen Laut der Begeisterung von sich und nahm mir das Stofftier aus der Hand.
„Den Kauf ich ihr. Dann kann sie mit ihm Kuscheln, wenn sie mich wieder vermisst."
Stimmt, Wangs Familie lebte ja in China. Ich wusste das, aber Marchinella nicht, also zog ich fragend die Brauen hoch.
„Meine Familie lebt im Ausland und ich sehe sie nur ein paar Mal im Jahr", ein wenig Traurigkeit mischte sich in seinen Blick und ich spürte Mitleid in mir aufblühen.
Doch die traurige Stimmung war so schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht war und Jacksons Miene hellte sich wieder auf.
„Aber ich sehe sie zu Neujahr wieder, also ist es nicht mehr so lange... „
Kurz schlich sich die Frage, ob er dann Weihnachten mit seinen lauten Freunden verbringen würde, in meinen Kopf, doch Wang steuerte schon voller Elan ein Regal mit flauschigen Meerestieren an.
2 Stunden später...
„... und die reißen immer, deshalb kaufen wir immer die hier", Wang hielt mir eine Packung glitzernder Gummibänder unter die Nase.
Kritisch beäugte ich die Ringe und zog probehalber einmal fest daran. Sobald ich losließ schnalzte der Gummi in seine alte Form zurück. Beeindruckt wiederholte ich den Prozess ein- zweimal und erkannte dann schließlich an, dass es sich hierbei tatsächlich um gute Qualität handelte. Beeindruckt beäugte ich Jackson Wang, welcher nun ein Päckchen Haarspangen eingehend musterte. Ich tippte ihm kurz auf die Schulter.
>> Die sind echt super... woher wusstest du das? Die die ich bisher immer verwendet habe sind nach ein paar Mal benutzen immer gerissen...<<
Natürlich war nicht ich derjenige, der die Haargummis benutzte, sondern meine Schwester. Doch da ich ihr immer wieder beim Haare binden half hatte ich oft genug den Schmerz eines auseinanderreißenden Gummis gespürt.
Wang grinste stolz.
„Meine Schwestern machen mir manchmal Frisuren und erklären mir dann immer ganz genau was sie machen."
Aus seinem Tonfall konnte ich schließen, dass er seine Schwestern wirklich zu mögen schien. Einmal mehr revidierte ich meine Meinung über Jackson. Er war nicht annähernd so ein Arsch wie er immer in der Schule zu sein schien. Der Jackson Wang der mir gerade gegenüber stand und eine Bürste mit Katzenohren entgegenhielt, war ein netter großer Bruder. Während ich die Bürste dankend entgegennahm fragte ich mich, ob wir in einer anderen Welt zu einer anderen Zeit nicht Freunde hätten werden können.
Wir gingen noch durch ein paar Geschäfte und kauften das ein oder andere Geschenk. Jackson redete die meiste Zeit, doch ich hatte mich langsam daran gewöhnt und musste sogar feststellen, dass auch das ein oder andere Sinnvolle aus seinem Mund kam. Kurzum, ich hatte mehr Spaß als erwartet und ehe ich mich versah war meine Strafzeit für den Tag vorbei.
Als ich Wang schrieb, dass es für mich Zeit war zu gehen, huschte sowas wie Enttäuschung über sein Gesicht und ich schüttelte fast den Kopf. In meinen Augen war er den Hundewelpen von heute gar nicht so unähnlich. Fast hatte ich sogar Mitleid mit ihm. Fast.
„Danke, dass du die Geschenke mit mir gekauft hast. Hat so viel mehr Spaß gemacht als allein..."
Ich lächelte leicht und winkte ihm zum Abschied mit der Hand zu, ehe ich in die Kälte hinaustrat. Im Gegensatz zu Gestern war ich weder angepisst, noch deprimiert. Der Tag war viel besser verlaufen als erwartet und Wang war nicht annähernd so unerträglich wie ich immer gedacht hatte.
3.Tag
„Da du wieder da bist, habe ich mir gedacht, dass wir Eislaufen gehen könnten."
Mit großen Augen blickte ich auf Jackson Wang welcher von einem Moment auf den anderen neben mir erschienen war. Bevor ich auch nur an mein Smartphone denken konnte, hatte mich Jackson selbstsicher an der Hand gepackt und zog mich mit sanftem Druck Richtung Eislaufbahn.
Eigentlich war es eher ein großer Brunnen in der Mitte des Platzes. Im Sommer wurden am Abend immer bunte Lichter auf das Wasser gerichtet die den Wasserfontänen bunte Körper verliehen. Jetzt war alles vereist und Kinder und Pärchen rutschten und schlitterten, wo es vor ein paar Monaten noch tief und nass war.
Meine Freunde und ich gingen hier auch immer im Winter Eislaufen und machten uns einen Spaß daraus einander zu Fall zu bringen. Je länger ich beim Gehen meine Augen auf die sich drehenden und wankenden Formen gerichtet hielt, desto größer wurde die Vorfreude und ich lief etwas schneller, sodass ich neben Jackson ging. Als er merkte, dass ich nicht abhauen würde, ließ Jackson meine Hand los und deutete auf eine Bank beim Eis.
„Warte da. Ich hole uns Schuhe."
Kurz wollte ich protestieren. Ich konnte immerhin sehr gut selbst in der Schlange stehen und meine Schuhe holen, doch dann fiel mir ein, dass ich ja in meinem Kostüm herumlief und nickte still.
„Was hast du für eine Schuhgröße?"
Ich schrieb die Nummer aufs Handy und musste fast lachen, als er die Augenbrauen hob. Für eine Frau musste ich ziemlich große Füße haben. Doch er sagte nichts weiter und lächelte mir noch einmal kurz zu ehe er uns Karten und Schlittschuhe besorgte. Als wir aufs Eis traten leuchteten seine Augen vor Freude genau wie meine und wir mischten uns unter die Menge. Immer wieder musste ich mich daran erinnern, dass ich ja stumm war und nicht laut Lachen konnte.
Keine Ahnung wie lange wir herumglitten, uns anrempelten – wobei ich immer darauf achtete nicht zu viel Kraft in den Stoß zu legen und die Vermutung hatte, dass Jackson dasselbe, wenn auch aus einem anderen Grund tat – und zu kleinen Wettrennen herausforderten. Irgendwann aber hatte ich Jackson in der Menge verloren. Suchend bedachte ich die, unter Mützen versteckten, Köpfe, konnte ihn aber nirgendwo entdecken.
Ein wenig müde vom herumtollen stellte ich mich an den Rand der Eisbahn und lehnte mich an das kühle Metallgeländer. Es hatte leicht zu schneien begonnen und eine weiße Schichte begann Boden und Dächer um mich herum zu bedecken. Ich genoss schmunzelnd den Moment der Ruhe. Beobachtete den ganzen Trubel von außen und bemerkte, wie viel Spaß ich bis eben gehabt hatte. Der Jackson Wang, den ich hier kennen lernte, war ganz anders als der auffällige, vorlaute Jackson in der Schule. Oder?
Wie schon gesagt hatte ich mir nie Mühe gemacht Jackson kennen zu lernen oder mir näher zu ihm Gedanken zu machen. Ich hatte mich einfach auf meine Eindrücke und die Gerüchte in der Schule verlassen. Leise seufzte ich und beschloss noch einmal nach Jackson zu suchen. Es wurde langsam dunkel und die Weihnachtsbeleuchtung wurde eingeschalten.
„-rch! March!"
Ich brauchte einen kurzen Moment ehe ich mich erinnerte, dass ja ich so hieß und wandte mich in die Richtung aus der Jacksons heißere Stimme ertönt war. Die Menge teilte sich ein wenig und sein Gesicht kristallisierte sich aus dem Meer an anderen Gesichtern heraus. Er wirkte leicht verzweifelt, wie er da so stand und die Masse absuchte. Etwas daran erinnerte mich an ein verloren gegangenes Hundjunge und berührte etwas tief in meinem inneren.
Bevor ich ihm ein Zeichen geben konnte, fiel sein Blick auf mich und die Erleichterung war förmlich spürbar. Mit wenigen Schritten war er bei mir, außer Atem und mit zerrauften Haaren. Durch das warme Licht der Lichterketten funkelten seine Augen dunkel und aus irgendeinem Grund dachte mein Hirn bei seiner Hautfarbe an Honigmandeln.
„Da bist du ja... ich dachte...ich dachte du wärst..."
Ein taubes Gefühl legte sich um meinen Brustkorb, als mir klar wurde, dass Jackson gedacht hatte ich wäre verschwunden, hätte ihn zurückgelassen und fragte mich gleichzeitig, welcher Mensch kaltherzig genug wäre das zu tu.
Mit kalten Fingern tippte ich schnell etwas in die Notizen und hielt es Jackson so schnell unter die Nase, dass mir fast das Handy aus der Hand gerutscht wäre.
>>War müde und hab mich an den Rand gestellt... du warst plötzlich weg<<
Reuevoll schlug sich Jackson mit der Hand gegen die Stirn.
„Ah, tut mir leid. Ich hab mich zu sehr ablenken lassen... ich pass ab jetzt besser auf, versprochen."
Und Jackson hielt sein Versprechen. Er wich mir keinen Moment von der Seite und legte mir irgendwann einen Arm um die Taille und aus irgendeinem Grund ließ ich ihn machen.
Als wir schließlich wieder die Eisbahn verlassen hatten und langsam durch die schneebedeckten Weihnachtsstände zurück zum Kaufhaus schlenderten, drehte sich Jackson plötzlich mit einer unerwarteten Entschlossenheit zu mir.
„Ich liebe dich."
Verdutzt starrte ich ihn an. Runzelte die Brauen. Spürte wie mir erst kalt dann heiß wurde und starrte ihn unentwegt an. Jackson fixiert mich mit einem selbstsicheren Blick. Er meinte es ernst. Etwas, dass ich in einer anderen Situation lustig gefunden hätte (Einen ernsten Jackson Wang gab es einfach nicht). Im Endeffekt tat ich nichts. Was hätte ich auch tun sollen. Irgendein Typ aus der Schule, den ich bis vor ein paar Tagen noch nicht einmal wirklich gekannt hatte gestand mir plötzlich seine Liebe. Naja... meiner weiblichen Form zumindest und das machte das Ganze auch nicht besser.
Vollkommen verloren und überfordert mit der Situation wartete ich auf eine weitere Aktion von Jackson. Dieser schien bemerkt zu haben, dass von mir nichts kommen würde und fuhr sich seufzend mit der Hand über den Nacken.
„Ich weiß, dass kommt plötzlich und wir kennen uns kaum. Himmel... ich habe dich vor drei Tagen das erste Mal gesehen, aber ich habe mich einfach gleich in dich verliebt, ich...", er seufzte einmal und warf einen schnellen Blick in den schwarzen Himmel so als ob sich dort irgendeine Offenbarung zeigen würde, doch als ich ebenfalls kurz hochblickte rieselte mir bloß kalter Schnee ins Gesicht," Ich will dir keine Angst einjagen. Ich will auch keine Antwort von dir. Erlaube mir nur noch ein bisschen mehr Zeit mit dir zu verbringen."
4.Tag
Mit dem Klingeln der Glocke füllten sich die Gänge. Schüler drängten sich dicht an dicht und versuchten zu ihrer nächsten Klasse zu kommen. Mitten in diesem Gedrängel schob ich mich mit meinen Freunden im Schlepptau Zentimeter für Zentimeter vorwärts. Normalerweise waren mir diese Massen unangenehm. Wer mochte es schon einen fremden Ellenbogen im Bauch oder irgendjemandes Haare im Mund zu haben?
„Ich glaubs immer noch nicht... das kann der doch nicht ernst meinen", hörte ich Jinyoung zum wiederholten Mal hinter mir murmeln.
„Ich finds eher witzig. Wer hätte gedacht das unser Markie Mark hier gleich so einen Eindruck hinterlässt", lachte Yugjeom und wich einem suspekten Typen mit einem Stapel Bücher aus.
„Wie witzig es erst wird, wenn er rausfindet, dass seine Angebetete in echt n' Typ ist", Yugjeom lachte zustimmend bei Youngjaes Kommentar und mir verdrehte es unangenehm den Magen.
Ich fand das alles andere als lustig und spürte jedes Mal beim Gedanken an Jackson einen Anflug von Panik in mir hochkommen.
„Hey man. Nimm es dir nicht so zu Herzen. Das ist bloß ein „puppy crush". Er wird dich im null Komma nix wieder vergessen haben", beruhigte mich Jinyoung der meine zusehends bleicher werdende Hautfarbe bemerkt zu haben schien.
Leicht irritiert runzelte ich die Stirn. „Puppy Crush"? Irgendwie konnte ich nicht glauben, dass Jackson sowas hatte. Er hatte ernst gewirkt, als er mir gestern seine „Liebe" gestanden hatte. Zumindest hatte es alles andere als unseriös auf mich gewirkt...
Das schlimmste war allerdings, dass ich Jackson irgendwie abweisen musste. Immerhin konnte ich ja schwer mit ihm zusammen sein. Ich war vermutlich das genau Gegenteil von dem in das er sich verliebt hatte. Weder stumm, noch süß, noch ein Mädchen.
„Versteck dich einfach an einem anderen Ort oder geh ihm aus dem Weg, bis die Woche um ist. Problem gelöst."
Das war es für Yugjeom, nicht aber für mich.
Plötzlich endete der Strom an Schülern vor mir abrupt und ich wäre fast in die Person vor mir gerannt, hätte mich nicht Jinyoung am Kragen zurückgerissen.
„Man Mark, pass doch ein bisschen besser auf", wurde ich auch gleich gescholten.
Peinlich berührt aber immer noch zu sehr neben der Spur um wirklich Beschämt zu sein hob ich den Blick und hätte fast hysterisch zu Lachen begonnen.
Einen kurzen Moment blickte ich tief in Jacksons dunkle Augen und wandte dann schnell den Blick ab. Ich weiß es war dumm, aber was, wenn er mich erkennen würde? Besser kein Risiko eingehen. Auf eine Prügelei hatte ich keine Lust. Kurz herrschte betretene Stille zwischen uns sechs und ich verfluchte erneut den Tag an dem ich der Wette zugestimmt hatte.
„Hey, alles in Ordnung", drang Jacksons heisere Stimme auf einmal an mein Ohr und ich starrte ihn doch wieder an.
Meine Finger zuckten automatisch Richtung Hosentasche, um mein Handy herauszuholen, doch ich stoppte mich noch rechtzeitig. Ich war ja jetzt Mark. Ich konnte mit Jackson reden.
„Ja", ich räusperte mich leicht," alles in Ordnung. Tut mir leid wegen eben."
Jacksons Blick bohrte sich wie Stahl in mich und kalter Schweiß bildete sich auf meinem Nacken. Erneut verstrichen einige Sekunden in denen ich einen Punkt neben Jacksons Ohr fixierte und in denen er seinen Blick ausdruckslos über mein Gesicht wandern ließ. Dann zog er leicht die Brauen in die Höhe und grinste sein typisch breites Grinsen.
„Kein Problem. Muss jetzt los sonst werde ich gekillt. Ciao!"
Und damit war er verschwunden. Ich blinzelte ein paar Mal und nahm erstmals seit ich aufgewacht war meine Umgebung richtig war. Mein Herz hämmerte fast schon schmerzvoll gegen meine Brust und ich hatte das Gefühl keine Luft zu bekommen. Hatte ich etwa den Atem angehalten?
Ich schluckte und leckte mir über die trockenen Lippen. Mein Blick wanderte suchend über meine Schulter zurück über den Korridor, doch Jackson war schon längst fort, genauso wie die anderen Schüler.
„Schitt! Ich komm zu spät zu Englisch. See ya, Leute!"
Und damit rannte Yugjeom mit einem fluchenden Youngjae im Schlepptau den Gang entlang. Noch immer leicht mitgenommen von der Begegnung eben bemerkte ich nicht, dass Jinyoung auch noch da war, bis er mir eine Hand auf die Schulter legte. Erschrocken zuckte ich leicht zusammen und blickte ihn dann mit großen Augen an.
„Ist wirklich alles ok Mark? Du siehst aus als hättest du ein Gespenst gesehen", seine Stirn war besorgt gerunzelt.
Seufzend fuhr ich mir durch meine roten Haare und zog den Träger meines Rucksackes ein Stück höher. So gut ich konnte lächelte ich Jinyoung sorgenfrei zu und nickte.
„Alles klar, ich mache mir nur Gedanken, wie ich Jackson möglichst schmerzlos abweisen kann."
Jinyoung nickte verständnisvoll, sagte aber nichts mehr. Scheinbar hatte er ebenso viel Ahnung davon, was in solch einer Situation am Besten war, wie ich.
Den ganzen Tag über bekam ich meine Begegnung mit Jackson nicht mehr aus dem Kopf. Es war seltsam gewesen ihn in der Schule zu sehen. Noch seltsamer war es, ihm als unbekannter gegenüber zu stehen. Irgendwie irritierte mich das. Immerhin kannte ich Jackson nun ein wenig. Wir waren sowas wie Freunde... gewesen. Ich wollte mich weiterhin mit ihm treffen und Spaß haben. Weiterhin von ihm gemocht werden. Ok, nicht auf die Art, aber als enger Freund.
Die Tatsache, dass ich den ganzen Tag über an Jackson dachte verschlimmerte die Tatsache, dass Jackson nicht an unserem „üblichen" Treffpunkt auftauchte. Anfänglich versuchte ich mich davon nicht stören zu lassen. Immerhin hatten wir uns nie etwas ausgemacht. Doch je mehr Zeit verstrich, je unwahrscheinlicher es war, dass Jackson kommen würde, desto irritierter wurde ich.
Was bildete er sich auch ein? Erst seine Liebe gestehen und dann nicht kommen. Hatte er etwa Angst bekommen? Lief er vor mir weg?
Frustriert über mich und Jackson und allem an dieser Woche, schmiss ich mich, sobald ich wieder zu Hause angekommen war, auf Bett. Eigentlich hatte ich heute vorgehabt Jackson abzuweisen. Nett und freundlich. Seufzend rollte ich mich auf den Rücken und starrte die rissige Decke an.
Ich wollte Jackson nicht abweisen.
Ruckartig setzte ich mich auf. Woher kam denn das auf einmal? Erst war ich frustriert und plötzlich kam die Offenbarung. Verwirrt blickte ich in den Spiegel der auf dem Schrank direkt gegenüber befestigt war. Meine Haare waren leicht durcheinander und meine Wangen leicht gerötet vom Make-Up Entferner den Youngjaes Schwester benutzt hatte, um mich wieder in Mark zurück zu verwandeln.
Der Spiegel – Mark hob zögerlich eine Hand und patschte sie dann probehalber gegen seine Wange. Hm, fühlte sich ziemlich real an. Noch immer verwirrt starrte ich mir in die Augen, so als ob ich die Wahrheit in meiner Seele lesen könnte. Konnte es tatsächlich sein, dass ich Jackson ebenfalls mochte? Also so? So wie er mich?
Der Gedanke war komisch. Ich hatte nie darüber nachgedacht. Ich war alles andere als homophob oder so, aber mir hatte sich nie die Frage gestellt, ob ich mich in einen Jungen verlieben könnte. Es erschien mir einfach unmöglich. Doch wenn ich jetzt genau darüber nachdachte schien Jackson eine große Ausnahme zu sein. Wieso mochte ich ihn überhaupt?
Er war laut, hatte ne große Klappe und war ein kleiner Macho. Ich seufzte, faltete meine Hände übers Gesicht und ließ mich wieder zurückfallen. Jackson war auch nett, überraschend aufmerksam und alles andere als dumm. Ich seufzte erneut und nahm eine Hand von meinem Gesicht um nach meinem Handy zu greifen.
„Ich bin in Jackson verliebt", war das erste was ich sagte, als Jinyoung abhob.
Eine kurze Pause folgte in der ich die Verwirrung förmlich durch den Hörer schmecken konnte.
„Okkk", kam es dann schließlich gedehnt," Und was machst du jetzt?"
Ich gab ein unzufriedenes Schnauben von mir und massierte mir mit der freien Hand die Schläfen.
„Sag du es mir... ich habe absolut keine Ahnung."
„Mmmh", kam es bloß.
Ich schloss die Augen und zwickte mir leicht in die Nasenwurzel.
„Vermutlich sollte ich das Spiel dennoch bis zum Ende spielen und ihn taktvoll abweisen", gab ich monoton von mir, die rationale Seite am Steuerrad.
„Und du?"
Meine Stirn runzelte sich und ich ließ die eben noch massierende Hand auf die Matratze fallen und durch den Aufprall auf und ab hüpfen.
„Nichts. Er hat sich in das Mädchen und nicht in mich verliebt Jinyoung. Du hast ja selbst gesagt, dass ich heiß aussehe."
Ein zustimmendes Brummen kam durch die Leitung und ich konnte Jinyoungs nachdenklichen Gesichtsausdruck vor meinem inneren Auge sehen. In Wahrheit hoffte ich, dass er eine gute Lösung für das Problem hatte, was natürlich schwachsinnig war.
„Und...", kam es nach einer Weile zögerlich und ich lauschte aufmerksam," was, wenn du es ihm einfach sagst? Dass du Mark bist, dass mit der Wette... alles."
Erneut schoss ich in die Höhe.
„Bist du verrückt. Der erwürgt mich noch an Ort und Stelle."
„Du kannst Kung Fu."
„Das ist nicht der Punkt, Jinyoung. Es muss doch auch noch einen anderen Weg geben..."
Ich wusste was Jinyoung sagen würde, bevor er überhaupt zum Sprechen ansetzte. Plötzlich zu müde für alles, ließ ich mich wieder zurücksinken und schloss die Augen. Langsam ein- und ausatmen. Ein und aus.
„Ja, dass was du vorher eben gesagt hast."
Ein. Aus. Stille.
Ein paar Momente lang blieb ich ganz still liegen, bewegte mich nicht und sah meinen Gedanken beim Fliegen zu. Dann holte ich tief Luft und rollte mich zur Seite.
„Ich weiß nicht, was ich mache. Ich bin müde, Jinyoung. Ich leg mich jetzt hin, bis morgen."
Ohne auf eine Antwort zu warten legte ich auf und schmiss das Telefon auf einen Haufen alter Decken. Jinyoung würde mir das nicht übel nehmen. Wir kannten uns lange genug um uns genug in den anderen hineinversetzen zu können, sodass wir nicht immer alles ausdiskutieren mussten.
Blind streckte ich die Hand aus und machte die Lampe auf meinem Nachttisch aus. Ich wusste, dass ich sicher nicht viel Schlaf bekommen würde, doch manchmal tat es einfach gut komplett abgeschottet durch ein künstliches Nichts zu schweben.
5. Tag
„Hey, was machst du denn hier?"
Jacksons Augen waren zwei fragende Stück Kohle und ich kämpfte erneut meinen Instinkt nieder. Es wäre einfach nicht fair Jackson weiterhin anzulügen, auch wenn das für mich die angenehmere Variante gewesen wäre. Kurz nahm ich seine entspannte Haltung, den offenen neugierigen Blick in mir auf und brannte ihn in mein Gedächtnis. Wer weiß ob er mich jemals wieder so ansehen würde, geschweige denn überhaupt beachten.
„Ich muss mit dir reden. Wollen wir in ein Café gehen?"
Jacksons Stirn runzelte sich verwirrt und er zögerte kurz ehe er zum Sprechen anhob und mit einem leichten Stich in der Brust wusste ich erneut, was er sagen würde.
„Ich- ..."
„Sie wird heute nicht kommen."
Absolute stille herrschte. Jacksons Stirn runzelte sich weiter und er wirkte noch verwirrter als vorher, allerdings hatte sich auch eine gewisse Vorsicht in seine Haltung geschlichen. Jetzt gab es kein zurück mehr.
„Deine Freundin... sie wird nicht mehr kommen", ich hob eine Hand als Jackson ein weiteres Mal zu Sprechen anhob," und genau darüber will ich mit dir reden."
Am liebsten hätte ich mich im Boden vergraben oder mich unsichtbar gemacht. Jacksons Gesicht war durcheinander und misstrauisch und ich war mir sicher in die Hölle zu kommen, für das was ich ihm angetan hatte / noch antun würde.
Ohne zu warten drehte ich mich um und marschierte in das Kaufhaus. Unschlüssig verharrte Jackson noch ein paar Momente auf der Stelle, ehe er mir folgte. Ich wählte absichtlich ein Café, dass nicht allzu stark besucht war und setzte mich in eine ruhigere Ecke. Was auch immer Jacksons Reaktion werden würde, die Leute mussten es nicht mitbekommen.
Unwohl ließ ich meinen Blick über den kleinen runden Tisch und die fleckigen Getränkekarten wandern. Es dauerte einen Augenblick, ehe ich mich genug gesammelt hatte um Jackson, welcher sich auf den Platz mir gegenüber hatte fallen lassen, anzusehen. Seine Miene war nun neutral und ich konnte keine Regung ablesen. Ob das die Sache einfacher oder schwerer für mich machen würde wusste ich noch nicht so ganz.
„Also?", fragte er, als sich die Stille ein paar Sekunden länger als nötig in die Länge gezogen hatte.
Ich schluckte einmal und versuchte ebenfalls so neutral wie möglich auszusehen ohne gleichgültig zu wirken.
„Das Mädchen, dass du vor vier Tagen kennen gelernt hast, Marchinella", Jacksons Blick war scharf und schnitt mir regelrecht durchs Hirn" Es gibt sie nicht."
Kurz und prägnant. Ohne unnötigen Ausschmückungen. Ein klarer Schnitt. Jackson saß weiterhin still da. Fast schon ein wenig zu starr. Ich konnte an seinem Blick sehen, dass er versuchte dem eben gesagten einen Sinn zu verleihen und daran scheiterte.
„Was soll das heißen? Ich habe sie gesehen, mit ihr geredet... ich habe sie sogar angegriffen, Mark."
Wie sich Jackson meinen Namen merken konnte würde ich ein anderes Mal fragen. Auch, wieso es sich so gut anfühlte meinen Namen aus seinem Mund zu hören; es war als hätte er mich zum ersten Mal wahrgenommen.
Ich seufzte leise und schob einige widerspenstige rote Strähnen wieder zu den anderen Haaren zurück. Jacksons Augen folgten wie automatisch meiner Hand und irgendein Schalter in ihm legte sich um. Plötzlich saß er aufrechter, leicht vorgebeugt da und sah mich das scheinbar erste Mal richtig an.
„Was hast du mit ihr zu tun, Mark?"
Seine Stimme war leise und leicht bedrohlich. Ich war mir sicher, dass mein Wohlbefinden nun stark von meiner Antwort abhängen würde. Ich zwang mich dazu nicht unruhig herumzurutschen oder etwas Seltsames mit meinen Händen zu machen. Nervös Ticks könnten Jackson unterbewusst noch mehr irritieren.
„Nicht viel", wählte ich meine Worte vorsichtig," Ich kenne sie erst so lange wie du. Es war eine Wette unter Freunden."
Jacksons Gesicht war wieder blank, doch seine Augen ließen mich keine Sekunde außer Acht.
„Ich habe die Wetter verloren und musste deshalb eine Strafe machen."
Ich zwang mich Jacksons Blick stand zu halten um zu überprüfen, dass er auch verstand was ich sagte.
„Eine Woche als Frau verkleidet vor dem Einkaufszentrum stehen."
Jackson rührte sich nicht.
„Ich wusste nicht, dass du mich- ich meine das Mädchen, gerne haben würdest..."
Ich ließ den Satz unbeendet im Raum stehen. Was sollte ich jetzt machen? Das Geheimnis war gelüftet und Jacksons Herz gebrochen.
„Du hast mich verarscht?"
Jacksons Stimme war leise und ruhig, doch ich konnte die Angespanntheit und das Versprechen auf ein großes Gefühlschaos hinter der kühlen Fassade sehen. Schnell schüttelte ich den Kopf und fragte mich gleichzeitig ob mir Jackson überhaupt noch irgendwas von dem was ich sagte abkaufen würde.
„Nein. Am Anfang war es mir einfach zu peinlich etwas zu sagen und danach habe ich deine Gesellschaft angenehm gefunden... sehr sogar. Ich habe mich nie über dich lustig gemacht."
Jackson sagte nichts, sondern saß nur wie zum Zerreißen gespannt auf seinem Platz. Innerlich schien er wahrscheinlich mit sich zu kämpfen ob er mir gleich eine reinhauen sollte oder ob es die Mühe nicht wert war.
„Es tut mir leid Jackson", sagte ich nach einer Weile zögerlich," Ich weiß, dass ist nicht das, was du hören willst, aber ich habe dich auch... gemocht. Mir ist klar, dass du das Mädchen gemeint hast an dem Tag und nicht mich, aber was ich sagen will... ist, dass sie dich ebenso gemocht hat."
Jackson rührte sich immer noch nicht. Er starrte stumm auf den Boden, die Hände zu Fäusten geballt und die Schultern angespannt. Langsam erhob ich mich. Wenn mich Jackson jetzt oder später schlagen wollte, konnte er das von mir aus tun. Ich hätte es verdient. Doch selbst als ich an ihm vorbei aus dem Café lief rührte er sich nicht oder folgte mir.
Ich biss die Zähne fest zusammen und versuchte das prickeln in meinen Augen zu vertreiben. Mein Magen war ein kleiner Bleiklumpen und meine Füße fühlten sich unglaublich schwer an.
Als ich in die kalte Winterluft trat und an den Ständen vorbei lief, wurde ich plötzlich hart von hinten angerempelt. Jacksons blonder Haarschopf flog an mir vorbei und ich blickte ihm mit großen Augen nach, als er strammen Schrittes durch die Menge pflügte. Oh ja, er war sauer und das eben dürfte nur ein Vorgeschmack gewesen sein.
So also fühlte es sich an, das Herz gebrochen zu bekommen.
6. Tag
„... und keine Sorge, du kannst ja Kung Fu", schwadronierte Jinyoung weiter.
Ich starrte einfach mit ausdruckslos ins Leere und blendete seine Stimme aus. Er redete sowieso nur um die Stille zu füllen. Meine Augen brannten von der schlaflosen Nacht und ich hatte kontinuierlich das Gefühl mich übergeben zu müssen. Jeden Moment erwartete ich einen rasenden Jackson zu sehen oder eine Faust im Gesicht zu haben, doch es war schon fast die Hälfte des Schultags vergangen und ich sah Jackson nicht.
Kurz vor der letzten Stunde aber, erhaschte ich einen kurzen Blick auf einen blonden Schopf am Ende des Korridors und musste mich zwingen nicht geschockt stehen zu bleiben. Es kam mir so vor, als ob sich unsere Blicke kurz über die Köpfe der Menge hinweg kreuzten, doch was war unmöglich. Jackson war eine Spur kleiner als der Durchschnitt und es waren so viele Leute um uns herum, dass ich selbst mit ein paar Zentimetern mehr und roten Haaren glatt unterging.
Meine Freunde erließen mir die Strafe. So oder so hätte mich niemand mehr dazu bringen können diesen Zirkus auch nur eine Sekunde länger mitzumachen. Das erste Mal seit Beginn der Woche ging ich direkt nach Hause und das erste Mal freute ich mich nicht darauf.
7. Tag
Stimmen schwirrten laut durcheinander und versuchten einander zu übertönen. Auch meine Freunde veranstalteten ihr eigenes kleines Schreikonzert. Das Klassenzimmer war erfüllt von Leben. Überall stand oder saß wer. Manche aßen in Gruppen oder alleine; auf jeden Fall machte jeder Lärm. Stumm starrte ich auf mein Mittagessen ohne wirklich etwas zu erkennen. Zum Glück ließen mich meine Freunde nach einigen Versuchen in Frieden und so ließ ich das Geschnatterte und Geschreie zu einer Art Hintergrundrauschen werden. Es hatte etwas Einlullendes.
Irgendetwas störte aber die Monotonie plötzlich. Eine Verschiebung des Rhythmus, ein verstummen einiger Stimmen unter anderem auch die meiner Freunde. Das Schrille schaben von Stuhlbeinen holte mich aus einer Starre und als plötzlich eine weitere Person neben mir saß erwachte ich vollkommen.
Als ich den Blick hob sah ich, dass meine Freunde erstarrt in ihren Bewegungen die Person neben mir anstarrten. Meine Nackenhaare stellten sich auf und mit einer dunklen Vorahnung drehte ich den Kopf.
Jacksons Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem Entfernt, doch er wich nicht zurück als sich unser Atem vermischte. Wie Vorgestern auch, war sein Blick ausdruckslos. Allerdings war keine Spur von Zorn oder Trauer in seiner Haltung zu erkennen. Am Rande bemerkte ich, dass nun auch der Rest der klasse verstummt war und uns vermutlich neugierig beobachtete.
Es vergingen ein paar Sekunden in denen wir uns stumm in die Augen blickten. Er gefasst, ich eher weniger.
„Wo warst du gestern?"
Seine heisere Stimme jagte mir eine Gänsehaut über den Körper. Das war neu. Seine Frage lenkte mich dann aber schnell wieder auf das Wesentliche zurück. Was? Vollkommen verwirrt kniff ich die Augen zusammen und versuchte wie auch er vor zwei Tagen, Sinn aus dem gesagt zu machen.
„Du warst nicht da, an unserem Treffpunkt", stellte Jackson mit neutraler Stimme fest.
„Ich...", ich konnte den Satz nicht beenden, so verwirrt war ich.
„Sei bitte morgen da", und somit wandte Jackson sein Gesicht ab und gab mir Platz zu Atmen.
Genauso Perplex, wenn auch nicht ganz so verwirrt wie der Rest der Klasse, starrte ich Jackson an, welcher sich recht wohl zu fühlen schien und den Klassenraum musterte.
„Ach ja, Mark", sein Gesicht wandte sich wieder meinem zu, mein Blick heftete sich an seinen," du hast übrigens Blödsinn geredet, im Café."
Ich runzelte die Stirn. Hatte ich mich etwa doch nicht verständlich ausgedrückt? Und dann vor der ganzen Klasse, als würde er über das Wetter oder Hunde reden sprach Jackson weiter.
„Ich habe mich in dich und nicht in das Mädchen verliebt", betäubende Stille folgte, ein paar Leute schnappten nach Luft, Yugjeom klappte die Kinnlade runter und ich saß wie vom Blitz getroffen da.
„Isst du das noch?", Jackson deutete auf mein Essen und warf den anderen genervte Blicke zu.
Jetzt wo es still war, redeten die Stimmen in meinem Kopf weiter. Ein großes Wirrwarr an Wortfetzen und Gefühlen und ich schüttelte den Kopf um zumindest einen klaren Gedanken fassen zu können.
„Du... nein, du hast dich in das Mädchen- Jackson ich bin Mark, ich bin ein Junge, sieh mich doch an."
Mit einer ausladenden Geste deutete ich an meiner flachen Brust, der dünnen Hüfte, den langen muskulösen Beinen hinab. Jackson drehte sich seufzend zu mir und ließ seinen Blick langsamer als mir lieb war von meinem Gesicht über meinen Körper und wieder zu meinem Gesicht wandern.
„Dich stört ja auch nicht, dass ich kein Mädchen bin."
Da hatte er einen Punkt. Das tat es tatsächlich nicht, aber bei Jackson konnte ich einfach eine Ausnahme machen. Doch dass das umgekehrt genauso funktionierte bezweifelte ich.
Jackson zuckte mit den Schultern. Dann, so schnell, dass ich es kaum registrieren konnte packte er mich an der Schultern uns zog mich zu sich; doch anstatt zu stoppen zog er, bis sich unsere Lippen zu einem flüchtigen, nicht sonderlich eleganten Kuss trafen.
Noch mehr nach Luft schnappen (auch von meiner Seite) und Getuschel folgten. Ich spürte wie Röte in meine Wangen stieg und fasste mir ungläubig an den Mund, der nun kribbelte. Als ich den Blick hob sah ich direkt in Jacksons Augen und sobald er merkte, dass er meine Aufmerksamkeit hatte, schenkte er mir eines seiner breiten Lächeln.
„Habt ihr das alle gesehen? Das hier ist Mark und erst ist mein Freund und ich liebe ihn. Lasst also die Finger von ihm. Ja, mir ist egal, dass er ein Junge ist. Nein, ihr dürft keine Fotos von uns machen."
Nach und nach kehrte wieder Leben in die Meute. Ich hatte mein Gesicht auf dem Tisch geparkt und wusste jetzt schon, dass wir DAS Gesprächsthema der nächsten Monate sein würden. Doch das war mir im Moment ziemlich egal. Was genau ich fühlte konnte ich in der kleinen Supernova an Gefühlen noch nicht ganz feststellen, doch ich wusste, dass es war und blubbrig und durch und durch positiv war.
Und als ich zögerlich meine Hand ausstreckte nahm Jackson sie ohne mit der Wimper zu zucken, während er mein Mittagessen aß und meine Freunde kennen lernte. Sicher würden wir beide noch viel in dieser Beziehung lernen müssen, doch ein Blick auf ihn und sein Lächeln, sagten mir, dass das egal war.
Ein Mund an meinem Ohr holte mich in die Gegenwart zurück und ich konnte Jacksons funkelnden Blick aus dem Augenwinkel sehen.
„Ich hoffe du stehst auf Cosplay Markipooh."
Jap... das würden definitiv noch einige Hürden werden, dachte ich, während ich einen gackernden Jackson Kung Fu kickend durchs Schulgebäude jagte.
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