Manipulation
Lennox keuchte und ließ sich zu Boden sinken, als die Sonne langsam verschwand und den Himmel rot färbte. Seine Muskeln schmerzten von der harten Arbeit und er war völlig nass vor Schweiß. Zeirus trat einen Schritt näher und lehnte sich an die Steinwand neben Lennox. Der Oblivion blickte zu dem Darkoner empor, doch niemand redete, so wie es auch bereits die letzten Stunden gewesen war. Lennox schloss die Augen.
„Hey, steh auf!", ertönte plötzlich eine Stimme, die Lennox für den Rest des Tages am liebsten nicht mehr hören wollte.
Er seufzte und öffnete die Augen. Im nächsten Moment packte ihn bereits eine Hand im Nacken und zerrte ihn hoch. Lennox blickte in Jinx' kalte Augen.
„Der Tag ist noch lange nicht vorbei.", gab der Vennuit knapp bekannt und zerrte Lennox mit sich, doch dieser ballte die Hände zu Fäusten und schlug dem Mann mit voller Wucht ins Gesicht.
Jinx stürzte fluchend zu Boden und hielt sich die blutende Nase. Die Reaktion folgte auf der Stelle mit einem Schlag in Lennox' Magengrube, doch den Moment war es Wert gewesen. Knurrend führte der Mann ihn durch das Lager, bis sie Orions Labor erreichten.
Der Doktor stand an einem kleinen Tisch und mikroskopierte gerade irgendetwas. Auch Nelani war anwesend und schien Lennox Zustand zu scannen, als dieser von Jinx in den Raum geführt wurde.
„Ah, da bist du ja. Für heute brauche ich dich nicht mehr, Oblivion, aber ich wollte dir nur nochmal sagen, dass du die ganze Sache um einiges erleichtern könntest, wenn du einfach nachgeben würdest.", sagte der Doktor zur Begrüßung und wandte sich Lennox zu.
Der Oblivion hielt es nicht für nötig, etwas zu erwidern. Der kalte Blick, den er dem Doktor schenkte, verdeutlichte seinen Standpunkt mehr als genug. Orion zuckte mit den Schultern und ging auf Lennox zu. Er drückte einen Knopf auf einer kleinen Fernbedienung. Im selben Moment ging ein Darkoner neben Lennox in die Hocke und nahm ihm die Fußfessel ab, die der Doktor wohl soeben elektronisch deaktiviert hatte.
„Sie würde die morgigen Messwerte verfälschen.", gab Orion knapp bekannt und wedelte mit der Hand, als Zeichen, Lennox aus dem Raum zu bringen.
Doch gerade als Jinx und zwei Darkoner den Befehl ausführen wollten, nahm der Doktor seinen Mann näher in Augenschein, den er zuvor kaum beachtet hatte. Orions Gesicht verfinsterte sich auf der Stelle, als er das Blut sah.
„Wieso ist deine Nasenbein gebrochen?", fragte der Roix, der die Verletzung sofort haargenau erfasst hatte.
Jinx warf bloß einen abfälligen Blick auf Lennox, doch der Oblivion konnte genau die Wut in den Augen des Mannes erkennen, gepaart mit etwas, das wie Schadenfreude wirkte. Lennox vermutete, der Vennuit freute sich bereits darauf, was der Doktor nach dieser Erkenntnis mit ihm anstellen würde. Lennox bemerkte, wie sich der Körper seines Feindes anspannte und wich instinktiv zurück, als der Mann auf ihn zu kam. Lennox hatte Glück, dass Jinx ihn auf dem Weg hierher nicht gefesselt hatte. Orion zog einen Elektroschocker aus der Tasche seines weißen Laborkittels. In dem Moment entschied der Oblivion, nicht länger still zu stehen. Sein erster Schlag traf den Darkoner links von ihm, der darauffolgende hohe Tritt schickte einen weiteren zu Boden. Chaos kam auf und ein heftiger Kampf entbrannte, bei dem Lennox jedoch eindeutig die unterlegene Rolle einnahm. Sein Wille übertraf den jedes Darkoners und seine Kampfkünste waren ausgesprochen gut, allerdings durfte man nicht vergessen, dass er den ganzen Tag über harte körperliche Arbeit verrichtet und dabei mehrere Stromstöße erlangt hatte, zusätzlich zudem geschlagen worden war. Dazu kam der Mangel an Wasser und Nahrung sowie alles, was er bisher an diesem Ort hatte erleiden müssen. Außerdem besaßen die Darkoner eine übermenschliche Kraft und waren allesamt bewaffnet. Auch Orion und Jinx waren keinesfalls zu unterschätzen, insbesondere mit einer Waffe in der Hand.
„Darkoner, hierher!", schrie der Doktor plötzlich und nur ein paar Sekunden später stürmten ein Dutzend weitere Darkoner in das Labor.
Es war aussichtslos. Doch noch erlosch Lennox' Kampfgeist nicht. Selbst wenn der Ausgang dieses Kampfes bereits entschieden war, so hielt etwas in Lennox' Innerstem ihn vom Aufgeben ab. Wenn er schon verlor, dann wollte er wenigstens vorher so viel Schaden wie möglich bei seinen Feinden anrichten. Rache war keine Gerechtigkeit, doch Lennox sehnte sich nach beidem und momentan stand die Rache eindeutig an erster Stelle. Man sagte sich, Rache würde letztendlich bloß Leere hinterlassen, doch niemand dachte je darüber nach, dass Rache die Gerechtigkeit nicht ausschließen musste.
Der Doktor stieß den Elektroschocker in Lennox' Richtung. Mit einem gekonnten Fausthieb katapultierte der Oblivion das Gerät aus der Hand des Doktors, sodass es auf der anderen Seite des Raums landete. Orion stieß einen spitzen Schrei aus und taumelte einige Schritte rückwärts. Jinx nahm auf der Stelle den Platz seines Mannes ein und attackierte Lennox mit einem gezielten Schlag in die Rippen. Der stechende Schmerz ließ tanzende Flecken in seinem Sichtfeld entstehen und für einen kurzen Moment war Lennox unkonzentriert. Seine Feinde nutzten die Chance und konzentrierten sich auf seine Beine um ihn zu Boden zu bringen. Schließlich knickten seine Beine unter ihm weg, als Jinx ihm so heftig gegen sein Schienbein trat, dass Lennox kurz befürchtete, der Mann hätte ihm etwas gebrochen. Ein gequältes Stöhnen entrang sich Lennox' Kehle, als er hart auf dem Boden aufkam und sein Kopf auf die weißen Fliesen schlug. Ein lautes Dröhnen machte sich in seinem Kopf breit und sein Sichtfeld verschwamm noch mehr. Unklare Gestalten bewegten sich auf ihn zu. Lennox fühlte in sich hinein, versuchte jeden Muskel in seinen Körper mit purer Willenskraft dazu zu zwingen, sich anzuspannen. Er drückte sich ein Stück in Richtung Wand, weg von den Angreifern. Er erspähte undeutlich etwas einen Meter entfernt auf dem Boden liegen. Der Elektroschocker! Lennox ächzte, als er sich mühsam weiter bewegte.
„Du lernst es wohl nie!", vernahm der Oblivion eine Stimme, die durch das Dröhnen in seinen Ohren gedämpft wurde.
Lennox konnte die Stimme nicht zuordnen. Als ihm jemand seinen Fuß in die Seite rammte, wurde der Oblivion in seinem beschwerlichen Vorankommen gestoppt. Ein Keuchen entkam ihm und er kniff die Augen zusammen, kämpfte gegen die Schwärze in seinem Sichtfeld an. Er wollte den Schmerz ignorieren, allerdings wurde er eine Sekunde später erneut getroffen. Dann nochmal. Und nochmal. Und nochmal. Lennox tastete blindlings um sich, die Dunkelheit wurde immer dichter. Er meinte, die Gestalt des Doktors über sich ausmachen zu können, der seine Wut über Lennox Gegenwehr durch brutale Attacken äußerte. Der Körper des Oblivions zuckte unter den Angriffen und seine Muskeln verkrampften sich. Doch Orion schien noch immer nicht genug zu haben. Er traf den am Boden liegenden Krieger gegen die Brust und jagte ihm die Luft aus den Lungen. Lennox versuchte keuchend und hustend an Sauerstoff zu gelangen.
Bevor der Doktor ein weiteres Mal zutreten konnte, berührten Lennox' Fingerspitzen plötzlich etwas kühles. Er griff danach, ballte die Faust um das Gerät und ertastete einen Knopf zum Aktivieren. Als er ihn gefunden hatte, sammelte der Oblivion all seine verbliebene Kraft und riss seinen Arm hoch. Er stieß den Elektroschocker gegen das Bein des Doktors und nahm nur noch wahr, wie dieser zu Boden ging. Lennox wusste nicht, ob der Mann einen Laut vom sich gegeben hatte. Das Dröhnen in Lennox' Kopf erfüllte den Raum und verursachte das Gefühl, sein Körper würde vibrieren. Dann ließ er sich endlich von der Dunkelheit übermannen. Erleichterung durchflutete ihn, als der Schmerz für kurze Zeit verschwand, als sein Geist in die Bewusstlosigkeit fiel und sein Körper erschlaffte.
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Der Schmerz kehrte bedauerlicherweise schneller zurück, als Lennox lieb war. Jemand rüttelte sanft an seinen Schultern und eine leise Stimme drang an die Ohren des Kriegers. Er verstand keines der Worte, doch er meinte, die Stimme zu kennen. Noch immer war sein Kopf wie in Nebel gehüllt, der sich allerdings langsam lichtete.
„Ihr seid doch allesamt krank! Ihr hättet ihn umbringen können!", schrie jemand, offenbar wuterfüllt, nahe bei Lennox.
Ein Schnauben erklang auf Lennox' anderer Seite.
„Du bist wirklich viel zu zimperlich, werte Kollegin. Er hat eine viel härtere Strafe verdient! Außerdem würde ich meinen Oblivion doch niemals töten, ich bin doch kein Unmensch.", erwiderte eine zweite Person.
Lennox öffnete langsam die Augen, versuchte sich an das helle Licht zu gewöhnen, welches das Labor erhellte. Ein langgezogener Schmerzenslaut entkam seinen Lippen und schon lag die Aufmerksamkeit aller auf ihm. Ein bereits vertrautes Bild bot sich dem Oblivion: er war im Labor, gefesselt an einen Tisch und umgeben von Orion und seinen Leuten. Der einzige Unterschied war, dass der Doktor diesmal kein Lächeln im Gesicht trug, sondern eine Wut, die Lennox nur selten bei dem Mann sah. Auch wenn der Oblivion wusste, dass jeder Fluchtversuch von diesem Mann vorsorglich verhindert wurde, zerrte Lennox dennoch an den Ketten, die seine Arme und Beine jeweils an die Enden des Tisches banden.
„Ah, endlich wieder wach, Lennox!", sprach der Doktor.
Wäre er nicht gefangen, würde Lennox es wahrscheinlich faszinierend finden, den Doktor in seiner unkontrollierten Form zu sehen, das Antlitz des Monsters, das er in Wahrheit war.
„Du hast mich ganz schön erwischt. Wirklich außerordentlich frech von dir, mich mit meinen eigenen Werkzeugen anzugreifen.", tadelte Orion ihn wie ein ungezogenes Kind.
Lennox brachte es nicht zustande, etwas zu erwidern. Er fühlte sich bloß unendlich erschöpft. Ausdruckslos blickte er dem Mann in die Augen, der beinahe eine gesamte Spezies ausgelöscht hatte und dem Meer Tag für Tag mehr schadete.
„Bist du okay? Hörst du ein Pipsen oder ist dir schwindelig?", fragte Nelani besorgt und ignorierte den Doktor.
„Nicht mehr.", antwortete Lennox wahrheitsgemäß, wobei seine Stimme sich anhörte wie die eines Verdurstenden.
„Weißt du Lennox", ergriff der Doktor erneut das Wort und ließ dabei das Thema Wohlbefinden unter den Tisch fallen, „eigentlich wollte ich dich heute Nacht in Ruhe lassen, aber jetzt habe ich das Gefühl, dass du noch nicht ganz verstehst, wie die Regeln hier sind."
„Ich verstehe deine Regeln, sie kümmern mich nur einen Scheißdreck.", murrte Lennox und schloss die Augen, wodurch er Orions Hand nicht kommen sah, bevor sie seine Wange traf.
Lennox öffnete die Augen seufzend wieder.
„Was? Willst du mich wieder von deinen Handlangern verprügeln lassen? Oder lässt du sie lieber unschuldige Menschen bedrohen, um mich zu bestrafen?", fauchte Lennox und ließ seine Wut nach außen dringen, verbarg aber die Verzweiflung und Erschöpfung, die er hinter eine eisernen Mauer geschlossen hatte.
Die Augen des Mannes funkelten bedrohlich und sein Gesicht verzog sich für einen Moment. Dann veränderte es sich, wies hinterlistige und überlegene Züge auf und mit einem Mal war der Doktor wieder ganz er selbst.
„Nein, mit ist gerade etwas viel besseres eingefallen. Aber darum kümmern wir uns morgen. Ob du es glaubst oder nicht, ich habe noch sehr viel zu tun, was nichts mit dir zu tun hat.", sagt der Mann.
Lennox konnte die unterschwellige Drohung in seinen Worten nicht überhören.
„Ach, wie schön!", spie der Oblivion.
Orion ignorierte seine Bemerkung und wandte sich einem Darkoner zu, dessen Namen Lennox nicht kannte.
„Bringt meinen Oblivion in seinen Schuppen zurück. Gebt ihm etwas Wasser und Nahrung, ich will schließlich nicht, dass er während der Arbeit wieder zusammenbricht!", befahl der Doktor und verließ damit das Labor.
Erleichterung durchflutete den Oblivion, die er jedoch nicht zeigte. Der Darkoner löste die Ketten und zog Lennox auf die Beine. Die Bewegung war weder brutal noch sanft, doch der Mann legte scheinbar trotz allem Wert darauf, Lennox nicht unnötig zu verletzen.
Wie befohlen brachte der Meermensch ihn in sein dunkles Gefängnis zurück. Ein Landgänger brachte einen Teller Nudeln und eine Flasche Wasser zu ihm. Im Beisein der beiden Wachen schlang der Oblivion das Essen hinunter und trank gierig das Wasser. Sein leerer Magen nahm die Teigwaren dankbar auf und das kühle Nass befeuchtete seine ausgedörrte Kehle. Beinahe hätte er ein genüssliches Stöhnen ausgestoßen, aber er hielt sich im letzten Augenblick zurück. Also Lennox aufgegessen hatte, fesselte man ihn wieder mit den Handschellen an die Wand und räumte das Besteck weg. Sowohl der Landgänger als auch der Darkoner verließen den Schuppen und Lennox konnte hören, wie das Schloss zusprang.
Lennox nahm sich endlich Zeit, in seinen Körper hineinzuspüren. Die Blessuren von den Schlägen, die Schürfwunden und die Verletzungen von Orions Überzeugungsmethoden. Nun kamen auch noch seine schmerzenden Muskeln dazu, die nach der ständigen erzwungenen Bewegungslosigkeit zum ersten Mal wieder harte Arbeit verrichtet hatten. Er fragte sich, wie lange er das noch durchhalten konnte. Doch den Gedanken verdrängte er unverzüglich wieder. Er würde so lange standhalten, bis er wieder an Aleas Seite durch die Ozeane schwimmen konnte!
Als die Tür sich mit einem leisen Knarren öffnete, blickte Lennox erwartungsvoll der Person entgegen, die hastig in den Schuppen schlüpfte. Nelani schloss die Tür hinter sich und Lennox meinte für einen Moment Hagen vor dem Eingang stehen zu sehen.
„Es tut mir leid, was heute wieder passiert ist. Sind die Schmerzen sehr schlimm?", fragte Aleas Mutter und hockte sich vor ihn.
Lennox zwang sich ein schwaches Lächeln auf die Lippen.
„Es war nicht deine Schuld. Und ich komm schon klar, ich bin es wohl gewohnt, von irgendwelchen Mistkerlen verprügelt zu werden.", antwortete Lennox mit Bitterkeit und musste an die Zeit bei seinem Vater denken.
Wie sonst auch überprüfte die Frau kurz die körperliche Verfassung des Oblivions, da sie im Labor keine gute Gelegenheit dazu hatte.
„Wie läuft es mit Orion im Labor?", verlangte Lennox zu wissen und sah die Mutter seiner Yavani fragend an.
„Ich verfälsche regelmäßig seine Ergebnisse, aber erst gestern hätte Orion fast einen Durchbruch errungen. Glücklicherweise ist es mir gelungen, zwei Substanzen zu vertauschen, die er für einen Test verwendet hat, wodurch dieser in einem Desaster geendet hat. Aber er hat bereits zu viele Informationen und ich komme nicht an die Daten, um sie zu löschen. Es würde sofort auffallen. Wer weiß, was dieser Dreckskerl dann mit uns anstellen würde.", seufzte Nelani.
Lennox senkte den Blick.
„Es ist egal...", wisperte Lennox so leise, das man ihn kaum verstehen konnte.
„Was hast du gesagt?", fragte Nelani und runzelte die Stirn.
„Es ist egal! Es ist unwichtig, was mit uns geschieht! Wenn Orion Erfolg hat, wird alles, wofür wir kämpfen, für immer zerstört! Er kann uns nicht umbeingen, er braucht uns. Nelani, du darfst keine Rücksicht nehmen! Du musst die Ergebnisse des Doktors vernichten. Alle.", sagte der Oblivion diesmal lauter, aber immernoch mit stark gedämpfter Stimme, damit die Darkoner ihn nicht hörten.
Für einen Moment zeigte sich keine Regung auf Nelanis Gesicht. Dann sah er etwas in ihren Augen, was er ewig nicht mehr bei jemandem gesehen hatte. Stolz.
„Du...du bist unglaublich. Trotz allem, was er dir antut behältst du deine Stärke bei...", stieß die Frau hervor und lächelte ihn warm an.
Lennox wusste nicht, was er erwidern sollte. Er gab es nur ungern zu, doch er war überwältigt und mit der plötzlichen Sentimentalität überfordert. Er nahm Nelanis Worte mit einem Senken seines Kopfes zur Kenntnis und konzentrierte sich danach sofort wieder auf das Schmieden eines Plans. Denn über ein Komponente wusste er aktuell noch nicht genug.
„Was ist mit McDonnahall? Wenn Orion weiter am Magischenvirus arbeitet, wird er ihn doch bestimmt als Testobjekt benutzen, oder?", erkundigte sich Lennox nach dem Kobold.
Er hatte den Magischen lange nicht mehr gesehen. Auch im Labor des Doktors war keine Spur von dem kleinen Wesen zu sehen gewesen. Anhand von Nelanis Reaktion erkannte Lennox auf der Stelle, dass die Erwähnung des Kobolds sie sehr aufwühlte. Er befürchtete bereits das Schlimmste, als die Walwanderin schwieg, doch glücklicherweise konnten ihre Worte, die nach einigen Sekunden an sein Ohr drangen, ihn wenigstens etwas beruhigen. Doch was sie danach sagte, ließ jeden Muskel seines Körpers erstarren.
„McDonnahall geht es gut. Er ist bisher nur selten Opfer von Orions Versuchen geworden. Allerdings...der Doktor...er benutzt andere Magische. Und ich...ich muss dabei zusehen, wie sie...leiden...und...teilweise sterben. Und dieses Monster...scheint das Ganze auch noch...zu genießen!", sagte Nelani und wurde mehrmals von leisen Schluchzern erfasst.
Lennox hasste es. Er hasste es, was der Doktor den Magischen antat. Jenen Geschöpfen, deren Schutz seine Aufgabe als Oblivion ist. Und er hasste es, dass dieser Bastard Nelani zum Weinen brachte. Genauso hasste er es, dass ihm selbst ebenfalls Tränen in die Augen schossen. Er wollte nicht weinen. Er wollte stark sein, Entschlossenheit und einen eisernen Willen zeigen. Doch es machte ihn fertig. Die Grausamkeit des Doktors zerstörte ihn Tag für Tag mehr, der Schrecken, den der Mann über die Meerwelt brachte, erschütterte ihn bis ins Mark. Und er verabscheute seine eigene Unfähigkeit. Die Tatsache, dass er hier saß, gefesselt in einem dunklen Raum, Tränen aus seinen Augen fließend, anstatt gegen diese Bestie zu kämpfen, erzeugte eine solch mächtige Abneigung in ihm, dass er am liebsten schreien, um sich schlagen und im Anschluss den Mann sowie all seine Verbündeten in eine der indirekt von diesen Ungeheuern selbst geschaffenen Todeszonen zerren wollte, um dem Schrecken endlich ein Ende zu machen.
Doch er konnte es nicht. Und darüber hinaus war er sich bewusst, dass seine Yavani das niemals wollen würde. Es war nicht der Weg der Alpha Cru. Aber diese impulsiven Ideen schlichen sich immer häufiger in Lennox' Gedanken. Würde das so weitergehen, befürchtete er, seine Vorstellungen einer Lösung würden sich immer weiter von denen seiner Freunde entfernen. Und dass er selbst zum Monster werden würde.
„Das ist schrecklich... Aber das macht es umso wichtiger, dass wir schnell etwas unternehmen.", wisperte der Oblivion nach einer Minute, in der niemand von ihnen gesprochen hatte.
Die Frage war bloß, was sie unternehmen sollten. So ungern Lennox das auch zugab, aber der Doktor war ein Genie.
Lennox sprach seinen Gedanken laut aus. Er konnte förmlich sehen, wie es in Nelanis Kopf ratterte.
„Es gibt nur einen Weg. Wir müssen sein ganzen Labor vernichten.", sagte Nelani.
„Aber wie? Willst du das Gebäude einfach in die Luft sprengen, oder was?", stöhnte Lennox frustriert.
Doch bereits ein paar Sekunden später stockte er. Nelani schien den gleichen Gedanken zu hegen. Sie blickten sich kurz tief in die Augen. Dann wirkte es, als würde Nelani eine Idee kommen.
„Weißt du, womit du den gewünschten Effekt erzielen kannst?", fragte der gefangene Krieger vorsichtig und hielt die Luft an, als er auf eine Antwort wartete.
„Ich denke...ich denke ich habe da eine Idee! Die nötigen Chemikalien finde ich im Labor. Allerdings bin ich dort nie allein. Ich würde ein Ablenkungsmanöver benötigen. Zwischendurch die Arbeit des Doktors zu manipulieren ist kein Problem, aber ein Diebstahl einer größeren Menge seiner Ressourcen...", überlegte die Frau fieberhaft, hielt dann jedoch inne.
Sie brauchte nichts zu erklären. Lennox wusste auch so, woran sie gerade dachte.
„Ich nehme jede Strafe in Kauf. Wenn ich dir durch ein Ablenkungsmanöver Zeit verschaffen kann, dann werde ich dafür sorgen, dass der Doktor und seine Leute mit mir beschäftigt sind. Mach dir keine Sorgen, ich halte es schon aus. Das ist es wert.", sagte Lennox entschlossen.
Nelani zögerte kurz. Doch dann nickte sie. Damit stand es fest. Bevor sie noch weitere Überlegungen treffen konnten, öffnete sich die Tür und Hagen schob seinen Kopf durch den Spalt.
„Nelani, du musst gehen, die Darkoner sind gleich von ihrer Gretzermission zurück, dann wird deine Abwesenheit bemerkt!", flüsterte er eindringlich.
„Ich danke dir, Hagen.", sprach die Walwanderin und erhob sich.
Sie warf Lennox einen letzten Blick zu. Dann verließ sie den Schuppen. Lennox nickte Hagen kurz zu und der Mann erwiderte die Geste, bevor er die Tür schloss und von außen verriegelte, sodass der Oblivion wieder alleine in dem Schuppen eingesperrt war. Er schloss die Augen. Auch wenn der Plan riskant war, blieb ihnen keine andere Wahl. Zu viel stand auf dem Spiel. Doch Lennox wusste, dass er für den nächsten Tag all seine Kraft brauchen würde. Denn es gab nur einen Weg für ein Ablenkungsmanöver, das Orion und seine gesamte Darkonerschar betraf. Eine Möglichkeit wäre ein Fluchtversuch, doch beim letzten Mal hatte Orion es scheinbar nicht für nötig gehalten, ihm seine ganze Schar hinterherzuschicken. Nein... Lennox musste zu eine solchen Bedrohung werden, dass ihn aufzuhalten die höchste Priorität haben würde. Er musste einen Angriff auf Orion oder Jinx starten. Er musste Chaos stiften. Und er musste so viel Schaden anrichten, dass der Doktor ihn schlimmer bestrafen würde als je zuvor. Denn nur so konnte er genug Zeit für Nelani schinden. Es machte ihm Angst. Er würde höchstwahrscheinlich leiden wie nie zuvor. Aber der Zweck, den die Schmerzen erfüllen würden, würde jede Strafe in den Schatten stellen.
Für die Meerwelt würde Lennox den ganzen Zorn des Teufels auf sich ziehen.
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