Feind oder Verbündeter?
Lennox starrte den Mann vor sich an. Hagen, ein Landgänger und somit nicht durch den Herrenschwur an Orion und seine Befehle gebunden, der zugesehen hatte, wie man ihn folterte und ihn schließlich wie einen Verbrecher abgeführt und wieder in diesen Schuppen gesperrt hatte, sollte nun auf seiner Seite sein? Natürlich, wieso auch nicht?! Also tat der Oblivion, was er schon oft auf der Straße getan hatte, als man ihn im Schlaf überfallen hatte: er warf den Mann vor sich mit einer geschickten Bewegung zu Boden. Allerdings vergaß er dabei seinen geschundenen Körper. Sein Knöchel pochte, nachdem er den Tritt ausgeführt hatte und da er sich aufgrund der Handschellen etwas verdrehen musste, spürte er auch die schmerzenden Rippen. Doch vor allem spürte er die Nachwirkungen der Schläge. Jedoch war all das nur ein kleines Ärgernis im Vergleich zu dem, was er im Labor hatte ertragen müssen. Außerdem besaß er starke Selbstheilungskräfte, also würden die Verletzungen bald schon nicht mehr allzu schlimm sein.
Hagen stöhnte und blieb einen Moment keuchend liegen. Kurz war Lennox versucht „leise" zu zischen, doch die Darkoner hatten den Lärm mit ihren empfindlichen Ohren sicher schon wahrgenommen.
Der Landgänger rappelte sich auf und fluchte. Nur einen Augenblick später wurde die Tür des Schuppens aufgerissen und drei Darkoner stürmten hinein.
Im nächsten Moment spürte Lennox einen schmerzhaften Aufprall und sein Kopf flog zur Seite. Er schmeckte Blut und wollte dem darauffolgendem Tritt ausweichen, doch die Fesseln behinderten ihn, sodass auch dieser sein Ziel fand.
„Versuch das lieber nicht nochmal, Oblivion, oder es wird weh tun!", drohte Hagen.
Lennox starrte dem Landgänger, der ihn geschlagen hatte, in die plötzlich eiskalten Augen.
„Du mieser Dreckskerl!", fauchte der Krieger der Elvarion.
Erst machte der Typ einen auf Verbündeter und dann nutzte er Lennox' Lage aus, um ihn zu verprügeln, wieso Tat er das? War er bloß grausam und wollte ihn leiden sehen, oder steckte mehr dahinter? Die Frage, ob Hagen letztendlich Verbündeter oder Feind war, schon er erstmal beiseite, als die Darkoner sich erkundigten, was passiert war.
„Der Oblivion hat Krawall gemacht und mich angegriffen, als ich nach ihm gesehen habe. Der Lärm war ziemlich heftig, habt ihr es denn nicht mitbekommen?"
Lennox sagte nichts, er warf dem Mann nur einen abschätzigen Blick zu. Einer der Darkoner, ein großer Mann mit ausdruckslosem Blick, doch weichen Gesichtszügen nickte knapp und verkündete:
„Gut. Ich erstatte dem Herrn auf der Stelle Bericht!"
„Ich bin nicht sicher, ob Doktor Orion mitten in der Nacht aufgrund solcher Nachrichten erfreut sein wird.", merkte Hagen sachlich an.
„Er befindet sich noch in seinem Labor und forscht.", gab der kleinste Darkoner von sich.
Hagen senkte in einer Geste der Zustimmung kurz den Kopf, bevor er mit den Darkonern den Schuppen verließ. Die Tür fiel hinter ihnen zu und Lennox hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Der Krieger des Vergessens schloss die Augen und versuchte zu schlafen. Es war noch immer Nacht und er würde all seine Kraft für die nächste Zeit brauchen. Allerdings schleuderte ihn sein Unterbewusstsein auf der Stelle ins Reich der Albträume, sodass er keine Ruhe fand. Zudem war seine gezwungene Sitzposition nicht grade angenehm, was die ganze Sache nochmals erschwerte.
Nach ein paar Momenten voller grausiger Szenen wurde er von einem lauten Knall geweckt. Erschrocken riss er die Augen auf und wollte seinen Instinkten folgend aufspringen, doch er konnte nicht, spürte bloß einen stechenden Schmerz in den blutigen Handgelenken. Durch den abrupten Abbruch der Bewegung meldeten sich auch seine vielen anderen Verletzungen und Lennox zischte. Dann starrte er zur Tür, darum bemüht im schwachen Licht die Ursache für den Knall auszumachen.
Die massive Holztür stand offen und zwei große Gestalten zeichneten sich im Schein der Lampen ab. Lennox knurrte, als er in ihnen seine größten Feinde erkannte.
„Was wollen Sie?", grollte er, darum bemüht in seiner Position nicht allzu jämmerlich auszusehen.
„Mir kam zu Ohren, dass du Probleme machst, mein lieber Oblivion. Und da du dich offenbar wieder gut fühlst und jetzt wohl Langeweile hast, können wir auch mit ein paar weiteren Tests beginnen."
Lennox Augen weiteten sich und Eiseskälte kroch durch seine Adern. Er versuchte seine Miene von sämtlichen Gefühlen zu leeren, den Hauch von Angst nicht zu zeigen, der bei den Worten des Doktors in ihm aufstieg. Was würde ihn diesmal erwarten?
Jinx löste die Handschellen, allerdings drehte er Lennox die Arme sofort auf den Rücken und wandte dabei soviel Kraft auf, dass der Oblivion meinte, er wollte sie brechen. Orion kam hinzu und schlang ein Seil um Lennox Handgelenke. Würden nicht ein Darkoner und eine Landgängerfrau die Tür blockieren, hätte er wahrscheinlich einen Fluchtversuch gewagt, so machte ein solcher aber nur wenig Sinn. Er wurde also wieder mal von Orion und Jinx durch das Lager gezerrt, ohne eine Möglichkeit sich zu wehren.
Der Mond stand noch hoch am Himmel und wurde von unzähligen Sternen umrahmt. Der Polarstern strahlte heller als alle anderen und entfachte Wehmut in Lennox.
Der Schuppen lag hinter ihnen und sie gingen den Weg zum Labor entlang.
Doktor Orion brach das düstere Schweigen der Gruppen, als er erzählte, das die Arbeit am Magischenvirus mit Nelanis Hilfe immer weiter voranschritt und Lennox erschrak angesichts der Neuigkeiten. Innerlich hatte er gehofft, dass Aleas Mutter irgendetwas bewirken könnte, das den Doktor ausbremste, doch momentan schien eher das Gegenteil der Fall zu sein.
„Soll ich mich jetzt etwa freuen oder was wollen Sie?!", fauchte Lennox, als der Doktor ihn leicht enttäuscht und erwartend ansah.
„Ich sehe keinen Grund, warum diese Neuigkeiten in irgendeiner Weise negativ sein sollten. Wenn man mal überlegt, löst die Auslöschung der Magischen all deine Probleme, so verspürst du diese alberne Verpflichtung nicht mehr, sie zu beschützen, wie es schon immer Ding der Oblivionen war, da sie dann schlichtweg nicht mehr existieren!"
Lennox verzog den Mund vor Abscheu.
„Sie glauben doch nicht wirklich, dass ich Ihnen zustimme, oder?", knurrte er wütend.
Orion seufzte. Bevor jemand noch etwas sagen konnte, passierten sie bereits die Tür zum Labor.
Der weiße Raum sah genauso aus, wie am Vortag, abgesehen von Nelanis Abwesenheit. Hatte der Doktor nicht grade noch von ihrer 'großartigen Hilfe' geschwärmt?
„Keine Sorge, mein Lieber, diesmal machen wir nur ein paar kurze Experimente.", sagte der Doktor.
Lennox wollte einen bissigen Kommentar abgeben, doch bevor es dazu kam, wurden ihm die Beine weggerissen und er kam hart auf dem Boden auf. Jinx kniete sich auf ihn und drückte seinen Kopf auf den Boden, während Lennox vor Schmerz stöhnte. Orion hockte sich neben sie, doch Lennox konnte sich nicht drehen, um ihn anzusehen. Die weißen Platten, die den Boden bedeckten waren kühl und wiesen nicht ein Körnchen Staub auf.
Orion tastete ihn ab und schmierte irgendein Zeug auf seine Prellungen. Lennox hatte mit mehr Schmerz, aber niemals damit gerechnet. Dennoch wurde er immer zorniger. Er wollte von seinen Feinden keine Hilfe! Vor allem wenn man bedachte, dass die Verletzungen erst durch Orion und seine Männer verursacht wurden. Allerdings hatte er auch nicht die Möglichkeit, den Doktor aufzuhalten.
Als er fertig war, zog Jinx Lennox wieder auf die Füße.
„Das hätten wir dann ja auch erledigt. Am besten wirkt die Salbe in Kombination mit Flüssigkeit, also passt das ganz gut mit dem nächsten Test zusammen. Ich würde gerne deine Fähigkeiten im Wasser untersuchen. Da du keine Kiemen und Schwimmhäute besitzt, verhält sich das alles schließlich etwas anders als bei vollständigen Meermenschen. Aus zuverlässigen Quellen weiß ich, dass du trotz dieser Mängel relativ schnell schwimmen und lange unter Wasser bleiben kannst. Allerdings reichen mir grobe Einschätzungen nicht, ich wüsste all das gerne genauer. Fangen wir mit der Zeit an, die du unter der Oberfläche bleiben kannst. Jinx!"
Auf Orions Kommando enthüllte Jinx dem riesigen Gegenstand in der Ecke, welcher sich als Wassertank entpuppte. Dann lösten sich auch bereits seine Fesseln und Jinx führte ihn zu dem Tank.
„Und mach es uns diesmal bitte nicht so schwer, das wird ein ganz normaler Test, der dir, wenn du kooperiest, keine Schmerzen bereitet."
Jinx bedeutete dem Oblivion, die Leiter hochzuklettern. Lennox machte sich an den Aufstieg. Wieso sollte er auch nicht, schließlich wurde er zur Abwechslung mal nicht gefoltert. Wahrscheinlich kam der Teil noch, aber bis dahin musste Lennox sich so weit es ging regenerieren und das ging nur, wenn er jetzt seine Energie sparte.
Der Tank war bis oben hin gefüllt und hatte scheinbar keinen Deckel. Bevor Lennox es sich anders überlegen konnte, wurde er bereits von Jinx reingeschubst. Das Wasser umhüllte ihn und tränkte seine Kleidung, welche er anbehalten hatte.
Lennox blickte nach oben und erschrak, als er ein Gitter sah, wo der Ausgang sein sollte. Es ließ keinen Platz zum Auftauchen. Der Krieger des Vergessens war unter Wasser eingesperrt! Panisch schlug er gegen die Wände, bis er schließlich zur Vernunft kam. Es würde ihm nichts bringen, seine Kraft auf diese Art zu verschwenden.
Lennox ließ sich auf den Grund des Tanks sinken und setzte sich. Er sah Orion auf der anderen Seite der Scheibe mit einer Stoppuhr in der Hand. Minuten vergingen und nach einer Weile verspürte Lennox den Drang, aufzutauchen, doch niemand entfernte das Gitter. Das Verlangen nach Luft wurde immer stärker und Lennox immer hektischer. Er begann am Gitter zu rütteln, Luftblasen entwichen seinem Mund und die Kraft verließ ihn. Kurz bevor er es nicht mehr ausgehalten hätte, wurde der Ausgang frei und jemand packte ihn unter den Achseln.
Jinx zog Lennox aus dem Tank heraus und schubste ihn runter, da der Mann selbst auf der Leiter stand. Der Krieger der Elvarion kam hart auf dem Boden auf und spuckte Wasser aus. Keuchend rollte er sich auf die Seite und hielt sich die schmerzenden Rippen. Wieso konnte die beiden nicht einmal davon absehen, ihn zu quälen?
Orion kniete sich neben ihn und fesselte ihm wieder. Er griff nach einer Schere und schnitt Lennox eine Haarsträhne 'für einen Test' ab. Dann befahl er Jinx, ihn zurück in den Schuppen zu bringen. Der Mann gehorchte, doch Lennox bemerkte, wie sich seine kalte Miene kurz lockerte und er Orion einen liebevollen Blick zuwarf. Dann verließ der Mann mit Lennox das Labor.
Vollkommen durchnässt wurde er erneut in den dunklen Raum geschleudert und mit den Handschellen an die Wand gefesselt. So konnte es nicht weitergehen! Er musste sich schnellstens einen Plan überlegen, wie er hier rauskam! Doch ohne Hilfe würde er das wohl kaum schaffen. Die Frage um die Loyalität von Hagen war noch immer offen, sollte er jedoch wirklich auf Lennox' Seite sein, so konnte er einen wichtigen Vorteil daraus ziehen.
Wie als hätte er seine Gedanken gehört, öffnete sich die Tür vom Schuppen einen Spalt breit und eine Hand tauchte auf, die ein Stück Stoff in den Raum fallen lief. Lennox schob den Stoff mit seinen Füßen näher zu sich und sog zischend Luft ein, als er das Stück erkannte. Es war von Nelanis Kleidung! Wer hatte es in den Raum geworfen? Zweifelsohne war dies ein Zeichen, aber von wem?
Egal wer es hierher gebracht hatte, diese Person war ein Verbündeter. Und Lennox war sich sicher, dass er schon bald herausfinden würde, wer es war.
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