7 - Date mit Kommentator
Waverlys POV
Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht sicher, was anstrengender ist: Das Sprinttraining oder Everests dämlichen Sprüche. Natürlich muss er jede einzelne Übung kommentieren und mich mit seinem Halbwissen belehren, sodass er mich mehrfach an den Rand meiner Verzweiflung treibt.
Er kann von Glück reden, in meinem Kopf gefangen zu sein, denn andernfalls hätte ich ihn schon längst mundtot gemacht!
Keine Ahnung, wie ich es schaffe, das Training zu überleben, doch gute zwei Stunden später stehe ich unter der Dusche und genieße die lauwarmen Wassertropfen, die wie kleine Glaskugeln auf meiner Haut zerspringen.
„Ach, komm schon, Avie", mault Everest unzufrieden, „mach bitte deine Augen auf. Nur ganz kurz."
Ich seufze genervt. „Nö!"
„Bist du immer so prüde und verklemmt?"
Mir ist bewusst, dass es Everests Ziel ist, mich zu provozieren und aus der Reserve zu locken, aber ich kann es nicht verhindern, dass seine Worte trotzdem einen bitteren Beigeschmack auf meiner Zunge hinterlassen. Wahrscheinlich zähle ich mit meinen 17 Jahren zu der Minderheit, doch ich hatte bisher weder einen ersten Kuss noch Geschlechtsverkehr.
„Hast du dich denn wenigstens schon mal selbst befriedigt?", ertönt keine Sekunde später Everests neugierige Stimme, die ein loderndes Feuer in meinen Wangen entfacht.
Scheiße! Warum fällt es mir so verdammt schwer, meine Gedanken zu kontrollieren? Mein Sexleben, das im Grunde genommen überhaupt nicht existiert, geht niemanden etwas an. Erst recht nicht den vorlauten Everest Callahan!
„Jetzt sei doch nicht so spießig, Avie", versucht der Idiot ein weiteres Mal, mich zum Reden zu bringen. „Selbstbefriedigung ist etwas ganz Natürliches!"
Aus Angst, Everest einen zu tiefen Einblick in meine Gedankenwelt zu gewähren, summe ich leise das SpongeBob Schwammkopf Intro vor mich hin. Ablenkung ist immer die beste Lösung, richtig?
„Ernsthaft?"
Ich ignoriere die Nervensäge in meinem Kopf und taste blind nach dem Wasserhahn, um ihn auszuschalten. Danach steige ich mit geschlossenen Augen aus der Dusche und hülle mich in meinen flauschigen, knallpinken Bademantel. Erst als ich den Stoffgürtel um meine Taille gebunden habe, öffne ich meine Lider wieder.
„Du bist schon angezogen?", fragt mich Everest enttäuscht. „Manno!"
Im Einklang mit seinem Seufzen verdrehe ich meine Augen und tapse zurück in mein Zimmer.
Was mindestens genauso anstrengend wie mein Sprinttraining in Kombination mit Everests Kommentaren wird? Die Suche nach einem passenden Date-Outfit.
Auf ins Klamottenchaos!
***
Als ich gegen 4 PM die Eisdiele Frosty Flavors Fountain erreiche, wartet Preston bereits auf mich. Seine erdbeerblonden Haare kräuseln sich wild auf seinem Kopf, seine wasserblauen Augen strahlen mir wie zwei Saphire entgegen und ein sanftes Lächeln umspielt seine Lippen.
Verdammt! Wie kann man nur so gut aussehen?
„Pah!", hallt es noch in derselben Sekunde durch meinen Schädel. „Dieser Möchtegern-Sunnyboy sieht doch nicht gut aus! Leidest du etwa an Geschmacksverlust, Avie?"
„Halt die Klappe, Everest!"
Ich atme tief durch und versuche, meinen rasenden Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen. Blöderweise gelingt mir das aber nicht, denn mit jedem Schritt, mit dem ich mich Preston annähere, gewinnt meine Nervosität an Größe dazu.
Als ich dann endlich vor ihm stehenbleibe, dreht sich mein Magen einmal um und ein Feuer aus Aufregung wird auf meiner Seele entfacht.
„H-Hi", piepse ich mit zittriger Stimme.
„Hey", erwidert Preston meine Begrüßung mit seinem strahlenden Zahnpastalächeln. „Wie geht es dir, A ... E ... Äh ..."
Mein Hirn hat seine Frage noch gar nicht richtig verarbeitet, da spottet Everest auch schon: „Oh mein Gott. Kann es sein, dass dieser Typ nicht mal deinen Namen kennt?" Während er schadenfroh lacht, sacke ich ein paar Zentimeter in mir zusammen.
‚Natürlich kennt er meinen Namen!', schreie ich Everest gedanklich entgegen.
Zum Glück steht das Schicksal auf meiner Seite, denn nur einen nervösen Herzschlag später wiederholt Preston seine Frage. „Wie geht es dir, Eiscreme-Topping-Mädchen?"
Ha! Von wegen er würde meinen Namen nicht kennen ...
„Sei doch nicht immer so naiv und gutgläubig, Waverly!" Everest klingt fast schon vorwurfsvoll. Wie ein belehrender Großvater. „Du-"
Um sein nerviges Gelaber zu übertönen, säusele ich fröhlich in Prestons Richtung: „Du kannst mich ruhig Avie nennen." Ich lächele schüchtern und er erwidert es. „Oh, und es geht mir gut. Danke der Nachfrage."
Preston nickt, sodass seine erdbeerblonden Locken von rechts nach links hüpfen. „Wollen wir uns einen Platz suchen, Avie?"
Dieses Mal liegt es an mir, zu nicken.
Da Frosty Flavors Fountain die einzige Eisdiele in Pinecrest ist und heute die Sonne hoch oben am Himmelszelt steht, sind die meisten Tische schon besetzt. Nachdem sich Preston jedoch einen kurzen Überblick verschafft hat, lotst er mich zu einem etwas abgeschotteten Plätzchen unter einem Kirschblütenbaum.
„Wie romantisch", flötet Everest sarkastisch, als mir Preston den Stuhl zurückzieht.
„Danke, du Gentleman", kichere ich geschmeichelt. Einerseits, um mich bei Preston zu bedanken und andererseits, um Everest zu zeigen, dass mir dieses zuvorkommende Verhalten imponiert und gefällt.
Kaum hat Preston gegenüber von mir Platz genommen, versinken wir in den Eiskarten. Obwohl ich eigentlich ganz genau weiß, was ich bestellen möchte, blättere ich so lange durch die Angebote, bis auch mein Date fündig geworden ist.
„Was hältst du davon, wenn wir uns einen Eisbecher teilen?", möchte er lächelnd von mir wissen.
„Igitt! Bloß keinen Speichel mit diesem Sunnyboy austauschen!" Everest imitiert Würggeräusche.
Zwar würde ich am liebsten „Deine Meinung interessiert keinen!" schreien, aber ich schaffe es gerade noch rechtzeitig, mir auf die Zunge zu beißen. Stattdessen sage ich an Preston gewandt: „Wenn wir drei Kugeln Vanilleeis mit verschiedenen Toppings nehmen, bin ich dabei."
Sofort blitzt ein amüsiertes Funkeln in seinen blauen Augen auf.
„An welche Toppings hast du denn gedacht?", fragt er mich schmunzelnd. „Hoffentlich nicht an Kokosraspeln ..."
„Hey!", beschwere ich mich empört. Im Zuge dessen beuge ich mich leicht über den Tisch und boxe Preston spielerisch gegen den Oberarm. Dann raunen Everest und ich gleichzeitig: „Nichts gegen Kokosraspeln!"
Kurz bin ich so perplex, dass mir ein überraschtes Keuchen entflieht. Wäre ich jetzt allein mit Everest, würde ich ihn nach seinen Lieblings-Eiscreme-Toppings fragen, aber da Preston noch immer gegenüber von mir hockt und mich erwartungsvoll aus seinen wunderschönen, wasserblauen Augen anschaut, füge ich schnell hinzu: „Du darfst entscheiden."
Das lässt sich Preston natürlich nicht zweimal sagen.
Er winkt einen Kellner, der ungefähr in unserem Alter sein müsste, heran und flüstert ihm etwas ins Ohr. Der Junge mit den schwarzen, wuscheligen Haaren nickt, ehe er mich mit einem merkwürdigen Blick bedenkt und Preston zum Abschied freundschaftlich auf die Schulter klopft.
Ob sich die beiden wohl kennen?
„Sieht ganz danach aus", beantwortet Everest meine Frage, obwohl ich ihn nicht darum gebeten habe. „Der Kerl hat dich wie ein Stück Fleisch angeschaut, Waverly. Pass auf, dass-"
„Schönes Wetter heute, oder?", unterbreche ich Everest mitten im Satz.
„Ja", stimmt mir Preston lachend zu. Für ein paar Sekunden mustert er mich, bis er wissen möchte: „Wir führen jetzt aber nicht die ganze Zeit diesen öden Small Talk, oder?"
Ich spüre, wie mir siedend heiße Blitze in die Wangen schießen. Hätte mich Everest nicht zugetextet, hätte ich ein anderes Thema angeschnitten.
Mist! Worüber könnte ich mich gut mit Preston unterhalten? Über den Kellner? Oder über Eis?
Normalerweise liegt mir immer irgendein blöder Spruch auf den Lippen, doch ausgerechnet jetzt gerade ist mein Kopf wie leergefegt. Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich sagen könnte und das nervt mich.
„Frag ihn, wie er Mia Khalifa findet", schlägt Everest vor.
Da mir auf die Schnelle nichts Besseres einfällt, vertraue ich ihm ausnahmsweise mal und erkundige mich bemüht neugierig bei Preston: „Was hältst du eigentlich von Mia Khalifa?"
Seine Augenbrauen schießen wie Pfeilspitzen in die Höhe und ein überraschter Ausdruck macht sich auf seinem Gesicht breit. „Äh", stammelt er überrumpelt. „Warum fragst du?"
Tja, weil mich ein komischer Kerl, der in meinem Kopf gefangen ist, auf die Idee gebracht hat ...
„Erstens: Ich bin nicht komisch", tadelt mich Everest. „Und zweitens: Sag ihm, dass du Mia Khalifa magst. Dann wird er bestimmt auch offener."
Trotz des mulmigen Gefühls in meiner Magengegend höre ich auf Everest und murmele unschuldig: „Also ich persönlich mag Mia Khalifa total gerne. Sie ist echt toll! Eine richtige Inspiration!"
Falls das überhaupt möglich ist, wandern Prestons Augenbrauen noch weiter in die Höhe. „Heißt das, dass du ihre Pornos magst, oder wie soll ich deine Aussage deuten?"
Moment mal. Was?!
Mein Herz bleibt stehen, nur um gleich darauf dreimal so schnell weiterzuhämmern.
„P-Porno?", wiederhole ich stammelnd.
Während Everests schadenfrohes Lachen wie ein niemals endendes Echo durch meinen Kopf hallt, erklärt mir Preston: „Ja, Mia Khalifa ist schließlich eine bekannte Pornodarstellerin. Oder hast du dich vielleicht nur mit dem Namen vertan?"
Vor lauter Scham würde ich am liebsten im Erdboden versinken.
Wie konnte ich nur so dämlich sein und Everests Rat annehmen? Ich hätte wissen müssen, dass er es nicht ernst meint und mir ausschließlich Schaden zufügen möchte.
Wie ich mich jetzt noch aus dieser unangenehmen Situation retten kann? Keine Ahnung.
Zum Glück gesellt sich in diesem Augenblick der junge Kellner mit den schwarzen Wuschelhaaren zu uns. Er stellt einen großen Eisbecher, der mit verschiedenen Toppings verziert ist, vor uns auf dem Tisch ab und wünscht uns einen „Guten Appetit!".
Danach schaut er mich wieder so merkwürdig aus seinen dunklen Augen an und klopft Preston wieder auf die Schulter.
Komisch ...
„Die beiden haben bestimmt etwas ausgeheckt", vermutet Everest misstrauisch. „Vielleicht, wer von beiden dich eher ins Bett bekommt."
Seine Aussage lässt sämtliche Sicherungen durchbrennen.
„Halt die Klappe!", entfährt es mir wütend.
Wie kann er es wagen, sich die ganze Zeit in meine Angelegenheiten einzumischen? Seinetwegen verwandelt sich dieses Date immer mehr in einen Albtraum.
„Wie bitte?" Preston schaut mich ungläubig aus seinen blauen Augen an.
Verdammt!
„So ... So war das nicht gemeint!", beeile ich mich, schnell zu stottern. Ich raufe mir verzweifelt meine Haare, die ich extra noch geglättet habe, und lasse meinen Blick hilflos durch die Gegend schweifen. Auf der Suche nach einer plausiblen Ausrede für meinen kleinen Ausbruch.
Als meine Augen wenig später an zwei jugendlichen Mädchen haften bleiben, die ein Selfie von sich und ihrem Eis machen, krame ich hastig mein eigenes Handy aus der Hosentasche und behaupte möglichst überzeugend: „Ich meinte damit mein Handy. Das klingelt nämlich die ganze Zeit."
„Ach echt?", hakt Preston misstrauisch nach. „Ich höre gar nichts."
In derselben Sekunde gluckst Everest amüsiert: „Das ist echt besser als Kino! Zum Glück habe ich hier genug Eis und Limo!"
Ohne es kontrollieren zu können, raufe ich mir ein weiteres Mal die Haare. Vor lauter Überforderung und Stress.
„Ich ... Nein ...", verhaspele ich mich. „Mein Handy klingelt nicht. Es vibriert."
„Wie ein Vibrator?", hakt Everest lachend nach.
„Nein, nicht wie ein Vibrator!"
Scheiße! Habe ich das etwa laut gesagt?
„Jap, hast du!"
Oh Gott, das darf doch wohl nicht wahr sein! Voller Verzweiflung beginne ich damit, an meinen Fingernägeln zu knibbeln. Eine schlechte Angewohnheit, wenn ich mich in die Ecke gedrängt fühle.
„Ist, ähm, ist alles okay bei dir, Avie?", erkundigt sich Preston nun verunsichert bei mir. Seine blauen Augen werden zwar von einem Hauch Besorgnis verschleiert, doch da schwimmen noch mehr Emotionen in seinem Blick, die ich nicht richtig deuten kann. „Du, na ja, du bist so blass geworden und wirkst total durch den Wind."
„Damit möchte er dir sagen, dass du scheiße aussiehst und ein Freak bist!", behauptet Everest.
„Gar nicht!", widerspreche ich ihm. Blöderweise nicht in meinen Gedanken, sondern laut.
„Hey, kein Grund beleidigt zu sein!" Preston hebt abwehrend die Hände in die Luft. Als würde er sich verteidigen wollen. Die Besorgnis verschwindet währenddessen langsam aus seinen Augen. Stattdessen erkenne ich dort nur noch ein skeptisches Funkeln.
Verdammt! Das Date ist gelaufen.
Ich brauche einen Fluchtplan. Und zwar schnell!
„Du willst euer Date wirklich schon abbrechen?", fragt mich Everest halb verwundert und halb amüsiert. „Selbst ich habe mit den größten Schreckschrauben länger als zehn Minuten durchgehalten."
Ich ignoriere den Idioten und führe hektisch mein Handy zu meinem Ohr. Dann frage ich bemüht überrascht: „Serena? Was gibt's?"
Während mich Preston aufmerksam aus seinen blauen Augen mustert, nicke ich zwischendurch immer wieder.
Nach ein paar Sekunden lasse ich mein Handy wieder in meiner Hosentasche verschwinden und sage an Preston gerichtet: „Tut mir leid, aber ich muss gehen. Meine beste Freundin braucht mich jetzt. Es ist ein absoluter Notfall! Code Red!"
„Ernsthaft?", erwidern Preston und Everest wie aus einem Munde.
Mein Gegenüber schaut mich enttäuscht und vielleicht sogar auch ein bisschen wütend an. „Du wurdest gar nicht angerufen, oder?", fühlt er mir auf den Zahn. „Normalerweise nimmt man nämlich einen Anruf mit einem Streichen über das Display an ..."
Mein Herz rutscht mir bis in die Hose hinab.
„Gott, du bist echt eine miese Lügnerin, Avie!"
Immer abwechselnd prasseln die Stimmen von Preston und Everest auf mich nieder. So lange, bis ich vor lauter Überforderung von meinem Stuhl aufspringe und dabei laut pupsen muss. Eine weitere schlechte Angewohnheit, wenn ich nervös bin.
„Hast du etwa gerade ..." Everest führt seinen Satz nicht zu Ende, sondern verfällt in schallendes Gelächter.
Preston hat zum Glück etwas mehr Anstand, doch auch an seinen Mundwinkeln zupft ein minimales Schmunzeln.
Vor lauter Scham schießen mir mehrere, brennende Tränen in die Augen.
Dieses Date ist das reinste Desaster. Eine Katastrophe! Ein Albtraum! Nicht nur wegen Everests Kommentaren, sondern auch wegen meiner eigenen Dummheit.
„Ich ... Es tut mir leid", stammele ich verzweifelt.
Das ist alles, was ich noch sage, bevor ich Preston den Rücken zukehre und mit tränenverschleierter Sicht durch die Innenstadt von Pinecrest irre.
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