Leave.
Das Schwingen der quietschenden Schaukel war wohl die einzige, wahrzunehmende Bewegung auf dem schon dunklen, nur noch mit Laternen beleuchteten Spielplatz.
Auf ihr saß ein Junge, seine Haare hatten einen braun-orangenen Farbton.
Seine Beine schwangen vor und zurück, bedacht darauf, den Rhythmus der Schaukel einzuhalten, damit diese nicht stehen blieb.
Sein Gesicht zierte ein kastenähnliches Lächeln, als er den Glühwürmchen beim Fangenspielen zu sah, die über dem Sandkasten schwebten.
Seine Gedanken schwankten zu seiner Mutter, die ihn wieder einmal im Park vergessen hatte.
Aber er nahm es ihr nicht böse.
Schließlich hatte sie ihm erzählt, dass sie Probleme mit ihrem Gedächtnis hatte.
In Momenten wie diesen, in denen er allein den Weg wieder zurück finden musste, führte ihn sein Gefühl immer wieder zu einem Waisenhaus.
Er schaute oft den Kindern beim Spielen zu, spielte auch manchmal mit und begrüßte immer freundlich die Betreuer dort.
Er wünschte sich oft Jemanden zum Spielen zu Hause, seine Eltern erklärten ihm jedoch, dass dies nicht ginge, da die Kinder in ihrem Umfeld sonst keinen guten Einfluss auf ihn hätten.
Hätte er doch nur früher gewusst, dass es sehr wohl eine Person gab, die gerne mit ihm befreundet wäre, ihn jedoch immer nur von einer Bank aus beobachtete, wenn er mal wieder zu diesem Ort kam, sobald er sich wieder einmal verlaufen hatte.
☆
Mit einem kleinen Schwung sprang er von der Schaukel ab und landete auf seinen Füßen. Und dort stand er nun im Sand.
Sein Oberkörper bedeckt von einem dünnen, schwarzen, durchlöcherten Pullover, der ihm über die Hände hing und bis zur Mitte seiner Oberschenkel reichte.
Seine leicht gebräunten Beine trugen eine knielange, dunkelblaue, auch schon durchlöcherte Shorts.
Dem Jungen war kalt, das sah man seiner Gänsehaut und seinem zitternden Körper an.
Da er merkte, dass es langsam kälter wurde, machte er sich auf den Weg nach Hause.
Seine nackten Füße kamen auf dem Asphalt auf, das Tapsen schallte durch die leergefegte Straße, die er seinen Heimweg nannte.
Aus seiner Hosentasche kramte er das zerfranste Schlüsselband, an dem die Hausschlüssel hingen.
Sobald er ankam, schloss er die Tür auf und betrat mit leisen Schritten das Haus.
Die Lichter waren, bis auf das des Fernsehers im Wohnzimmer, alle ausgeschaltet.
Keine Sekunde später, nachdem er den Schlüssel auf der Kommode abgelegt hatte, stand seine Mutter im Türrahmen.
Taehyung verbeugte sich sofort und stammelte eine Entschuldigung, da er so lange weg war.
Seine Mutter stand nur weiter dort, schien nicht mal daran zu denken, sich für das Vergessen ihres Sohnes zu entschuldigen. Ihr rotes Abendkleid lag eng an ihrem Körper und ihr zartes, geschminktes Gesicht zierte eine skeptische Miene, welche aber zu einem breiten Lächeln wechselte.
"Du musst dich nicht entschuldigen, du bist ja wieder da."
"J-Ja, Mama..."
Die Augenbrauen seiner Mutter zogen sich bei dem Namen zusammen und sie drehte sich um. Während sie zurück ins Wohnzimmer ging, sagte sie nur: "Geh ins Bett, wir müssen morgen früh raus."
Taehyung verbeugte sich noch einmal respektvoll vor ihr, auch wenn sie schon längst nicht mehr auf ihn achtete, und ging die Treppe nach oben in sein "Zimmer".
Naja, so weit man es Zimmer nennen konnte.
Eigentlich war es nur ein Raum. Ein Raum mit einer Matratze und einem Umzugskarton mit seinen Sachen.
Seine Eltern mussten seine Möbel verkaufen, damit sie sich ein neues Auto leisten konnten. Aber für Taehyung war das okay. Schließlich waren ihre zwei anderen Autos nur Autos, mit denen sie zur Arbeit und zum Einkaufen fuhren. Ein Auto für Ausflüge hatten sie schließlich noch nicht.
Seine Mutter wollte es außerdem auch nicht.
Sie hatte ihn mit Tränen in den Augen erklärt, dass es nicht anders ginge.
Und Taehyung wollte seine Mutter nicht enttäuschen.
Ihm fiel jedoch nicht das Grinsen auf, welches über das Gesicht seiner Mutter huschte, als er sich wegdrehte.
☆
Sein dünner Oberkörper kam zum Vorschein, als er sich den dünnen Stoff über den Kopf zog, um seinen Pullover mit einem Schlafshirt auszuwechseln.
Man sah ihm an, dass er nicht viel aß.
Aber auch das fand er okay.
Er fand es okay, jeden Tag ohne Abendbrot ins Bett zu gehen.
Er fand es okay, sein Essen abzugeben, wenn jemand Anderes noch Hunger hatte.
Alles was er wollte war, seine Familie glücklich zu sehen. Weil er sie über alles liebte.
Die dünne Decke umhüllte seinen zierlichen Körper.
In seinen Händen hielt Taehyung einen Teddy, der jedoch anscheinend auch schon viel durchgemacht hatte.
Ihm fehlte ein Auge und auch sein linkes Ohr war halb abgerissen, das ehemalige Pink war schon eher ein blasses Grau und auch sein rechtes Bein war nur noch dank einer Naht an ihm befestigt.
Doch egal, wie er aussehen mag, Taehyung liebte diesen Teddy.
Der Teddy, mit dem er immer Teepartys feierte.
Der Teddy, der mit ihm die Höhle aus Decken und Kissen erforschte.
Der Teddy, der Taehyung schon oft zur Seite stand, als sie als Geheimagenten das Böse bekämpfen mussten.
Der Teddy, der ihm immer zuhörte und ihm immer einen guten Rat gab, auf den Taehyung auch hörte.
Natürlich konnte der Teddy nicht sprechen und es war eher sein Herz, auf das Taehyung gehört hatte, aber er glaubte fest daran, dass sein Teddy ein Schutzengel war, der bei seiner Geburt vom Himmel fiel, um auf den damals noch kleinen Jungen aufzupassen.
Sein Teddy war der einzige Freund, den er hatte.
Seine Eltern wollten eigentlich ein Mädchen, aber nahmen, daran glaubte Taehyung ganz fest, ihn trotzdem liebevoll auf.
Sein großer Bruder war mit der Schule beschäftigt, da er einmal Arzt werden wollte.
Und im Kindergarten, sowie auch der Grundschule und dem Gymnasium, gab es kaum Leute, die sich mit Taehyung beschäftigen wollten.
Gruppenarbeiten machte er immer alleine.
Im Sportunterricht war er immer der Letzte, der gewählt wurde, und dies dann auch nur, weil er gezwungen wurde, in ein Team zu gehen.
Und am Ende der 8. Klasse konnten (bzw. wollten, aber das wusste Taehyung nicht) seine Eltern sein Schulgeld nicht mehr bezahlen.
Er musste anfangen, zu arbeiten.
Von 7 bis 13 Uhr Aushilfe im Laden seines Onkels, von 14 bis bis 17 Uhr half er als Betreuer im Hort der Grundschule aus und von 17:30 Uhr bis 19 Uhr half er einem Bekannten seines Vaters auf dem Hafen.
Er war erschöpft, keine Frage.
Jeden Tag konnte er jeden einzelnen seiner Knochen spüren, die Muskeln, die er jeden Tag beanspruchte und seinen Kopf, gegen dessen Kopfschmerzen er jeden Tag Tabletten nehmen musste.
Doch immer dann, wenn er den Lohn für seine harte Arbeit bekam, war er stolz auf sich.
Stolz darauf, seiner Familie helfen zu können.
☆
Das Geld, welches er verdiente, legte er zur Seite und schenkte es seinen Eltern immer zum Geburtstag, um sie zu überraschen.
Seine Eltern waren dann immer glücklich, umarmten ihn und lobten ihn für seine harte Arbeit.
Und immer wenn das geschah, wusste er, dass es seine Anstrengung wert war.
Bis zu diesem einen Tag.
☆
Taehyung war mit seinem Bruder auf einem Spielplatz, da ihre Eltern sie gebeten hatten, dort zu warten, bis sie wieder zurück waren.
Wäre sein Bruder nicht bei ihm gewesen, hätte der braunhaarige Junge ziemlich Angst gehabt, da sie in einer Umgebung waren, die er noch nicht kannte.
Er war froh, dass er einen so tollen, großen Bruder hatte.
Gerade spielten sie Verstecken, Taehyung war mit Verstecken dran.
Damit sein Bruder ihn auch bloß nicht finden konnte, versteckte er sich in einem kleinen Hohlraum unter der Rutsche.
Sein Bruder jedoch hatte nicht einmal angefangen zu zählen.
Denn kaum sah er, dass Taehyung losrannte, um sich zu verstecken, lief er in die andere Richtung.
Eine kleine Träne bildete sich in seinem Augenwinkel und er schluchzte auf, er hatte seinen kleinen Bruder wirklich lieb, aber hätte er es nicht getan, hätten seine Eltern ihn nicht mehr akzeptiert.
Er musste es tun.
Außerdem sagten seine Eltern, dass Onkel Park ihn abholen würde, also musste er sich keine Sorgen machen, richtig?
Er fand es schwer, den kleinen Jungen zurückzulassen, der immer lächelte, selbst wenn es ihm schlecht ging.
Den kleinen Jungen zurückzulassen, der seine schlechten Tage mit einem einzigen Lächeln immer wieder verschönert hatte.
Den kleinen Jungen zurückzulassen, der sein kleiner Bruder war.
☆
Taehyung fing an zu zittern, als ein kalter Windhauch direkt an ihm vorbei schlich, dafür sorgend, dass sich die Haare an seinen Armen aufstellten.
Sein Bruder suchte nun schon ziemlich lang. Taehyung wollte ihn nicht bis Sonnenuntergang suchen lassen, weswegen er beschloss sein Versteck zu verlassen und diese Runde des Spieles aufzugeben.
Mit einem lauten "Hyung" kroch er aus seinem Versteck und rief: "Ich gebe auf, du musst nicht mehr suchen", nur um zu realisieren, dass sein großer Bruder nirgends zu sehen war.
"Hyung? Ich dachte, ich war mit Verstecken dran", rief er erneut und lief über den Spielplatz.
"Wir haben doch gesagt, nur auf dem Spielplatz", schmollte er, als er seinen Bruder immer noch nicht gefunden hatte.
Ein erneuter Wind kam auf und ließ den Braunhaarigen in seiner viel zu dünnen Kleidung erschaudern.
Ein zitterndes "H-Hyung" entkam seiner Kehle in einem fragenden Laut.
Wo ist er nur hin?
Seine Frage blieb unbeantwortet, weswegen er die Gegend um den Spielplatz zusätzlich auch noch absuchte.
Wie vorherzusehen fand er seinen Bruder dort jedoch auch nicht.
Panik machte sich in ihm breit und ein mulmiges Gefühl entstand in seiner Magengegend.
Er hat mich doch nicht einfach verlassen, oder...? Nein. Nein. Er hat dich lieb, Taehyung. Hyung würde sowas niemals tun, wag es nicht, nochmal so schlecht über ihn zu denken! Er ist bestimmt nur irgendwohin gegangen, weil er mal musste. Das wird es sein. Hyung würde sowas niemals tun. Hyung würde sowas niemals tun. Hyung würde...sowas nie tun...Hyung...Hyung würde...Hyung...
Ein Schluchzen entfloh seiner Kehle und eine warme Flüssigkeit strömte seine Wangen nach unten. Wimmern erfüllte die menschenleere Gegend und ein paar Sekunden später fand Taehyung sich schluchzend, zusammengekauert unter einem Baum wieder.
Seine Beine hatte er an sich gezogen und den Kopf in seinen Knien vergraben, sein Körper zitterte, teils wegen der Kälte, teils wegen den Schluchzern, die in unregelmäßigen Abständen zu hören waren.
Sein Kopf fing an zu schmerzen, seine Füßen schliefen ein, sein Hals begann zu kratzen...
Von Sekunde zu Sekunde schmerzte sein Körper mehr.
Sein ganzer Schmerz kehrte wieder zurück.
Der ganze Schmerz, den er die ganzen letzten Jahre zum Wohle seiner Familie zu unterdrücken versuchte.
Alles kam zurück.
Er wusste nicht, wie lange er dort saß und weinte.
Er wusste nicht, wann er verstummt war.
Er wusste nicht, wo er war.
Er war vollkommen hilflos.
Sein Kopf lehnte am Baum, seine Augen waren geschlossen und er atmete tief durch, nur um danach seine Augen wieder zu öffnen, doch...es war dunkel.
Er blinzelte noch ein paar Mal, nur um zu sehen, dass es eine Person war, die im Licht stand und die Hand nach ihm ausstreckte.
Taehyung sah zu der Person hoch, es war ein schwarzhaariger Junge, circa in seinem Alter.
Sein Gesicht zierte ein tröstendes Lächeln, welches den Braunhaarigen dazu verleitete, die Hand dankbar du umschließen und sich hochziehen zu lassen.
Sein Körper war schwach und leicht, weswegen es nicht einmal überraschend war, dass er, da der Fremde zu sehr gezogen hatte, direkt gegen dessen Brust fiel und sich in sein Shirt krallen musste, um das Gleichgewicht nicht noch mehr zu verlieren.
Der schwarzhaarige Fremde kommentierte dies nur mit einem leichten Lachen.
"Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so von dir angefallen werden würde", meinte er, amüsiert darüber, wie Taehyung's Gesicht von Sekunde zu Sekunde an Farbe zunahm.
Dieser löste sich natürlich so schnell wie möglich wieder aus dem Griff des Schwarzhaarigen und schaute auf den Boden.
Das amüsierte Gesicht des Fremden verwandelte sich in ein sanftes Lächeln und er streckte die Hand nach Taehyung aus.
"Ich bin Jeon Jungkook", sagte er, "aber du kennst mich wahrscheinlich nur unter dem Namen 'Kookie'."
Taehyung's Kopf schnellte nach oben und er schaute den 'Fremden' ungläubig an.
"Kookie? Aus dem Waisenhaus?"
Er schniefte und wischte sich schnell mit seinem Ärmel die übriggebliebenen Tränenspuren von den Wangen, bevor er wieder zu Kookie nach oben sah.
Genannter nickte nur und lächelte.
In diesem Moment wusste Taehyung, dass er es war. Er würde dieses Lächeln überall wiedererkennen.
Sie beide hatten nie wirklich miteinander gesprochen. Das Einzige, was sie ab und zu austauschten war ein kleines Lächeln oder ein "Hallo".
Jungkook war nie der gesprächige Typ gewesen, weswegen er es bevorzugte, den Gleichaltrigen beim Spielen mit den anderen Kindern zu beobachtet und darüber zu lächeln, wie gut dieser sich mit den Kleinen verstand.
Taehyung bemerkte es nie, bekam aber mit, dass Jungkook sich immer abseits setzte. Er hatte mehrmals versucht, auf ihn zuzukommen, jedoch ging Jungkook in genau diesen Momenten irgendwo anders hin.
☆
"Sieht aus, als wäre ich endlich mal der, der auf dich zukommt, hm", brach Jungkook die angenehme Stille, nachdem sie sich auf eine Bank gesetzt hatten.
Taehyung sagte nichts und drehte seinen Blick einfach zu Jungkook, welcher auch zurücksah.
"Weißt du, ich wollte mich immer dafür entschuldigen, kam aber nie dazu", fuhr der Schwarzhaarige fort und schaute ihm tief in die Augen.
"Du wolltest nur freundlich sein und Zeit mit mir verbringen, ich aber habe dich immer nur weggestoßen."
"Ich wollte immer mit dir reden, hab mich dann aber doch nicht getraut und bin weggerannt", erzählte er amüsiert und zauberte damit Taehyung ein leichtes Lächeln aufs Gesicht.
"Aber jetzt sitze ich hier, wow."
Erneut machte sich eine angenehme Stille breit, in denen die Beiden sich einfach nur ansahen und die Gesichtszüge ihres Gegenübers zu studieren schienen.
"Willst du reden?", fragte Jungkook und schaute den Braunhaarigen besorgt an, welcher nur den Kopf schüttelte und bedrückt nach unten sah.
Der Schwarzhaarige zögerte kurz, rutschte dann aber näher zu ihm und legte zögernd einen Arm um seine Hüfte.
Er wollte erst weiter fragen, entschied sich dann aber dafür, dass es besser wäre, Taehyung die Zeit zu lassen, die er brauchte.
Taehyung war dafür sichtlich dankbar und zeigte dies auch, indem er sich dem Anderen schon so weit öffnete, dass er seine Nähe suchte, indem er sich leicht an ihn lehnte, was Jungkook ein Lächeln aufs Gesicht brachte.
Beide saßen schweigend auf der Bank, eingehüllt in eine angenehme Stille, bis Jungkook leises Gemurmel aus Taehyung's Richtung wahrnehmen konnte.
Er verstand nicht viel, nur etwas von "Verlass mich nicht" und "Lass mich nicht allein".
Der Schwarzhaarige löste sich leicht vom Kleineren, um zu sehen, dass er schlief und strich dem Schlafenden über die Wange.
"Das werde ich nicht. Niemals. Versprochen", flüsterte er und löste die Arme von ihm, damit er vorsichtig aufstehen konnte.
Seine Arme fanden ihren Weg in Taehyung's Kniekehlen und unter seinen Rücken, um ihn problemlos hochheben zu können.
"Deine Eltern werden schon sehen, was sie angerichtet haben", flüsterte er.
Ein Grinsen huschte über sein Gesicht und für einen kurzen Moment, hätte man meinen können, war ein Rotschimmer in seinen Augen zu erkennen, bevor er mit Taehyung in seinen Armen in den Schatten der Bäume verschwand.
Not proofread, sorry.
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