~ 31 ~
Starla
In dem Moment, in dem ich Lorian sah, wusste ich, dass es ein Traum war. In letzter Zeit hatte ich manchmal von Lorian geträumt. Jedes Mal waren diese Träume von Dunkelheit geprägt. Manchmal wurde Lorian angeschrien. Manchmal musste er mit einer Spitzhacke auf Steine einhacken und manchmal war alles still. Das einzige, was immer gleich blieb waren die Schmerzen. Von Mal zu mal wurden die Träume realistischer und beim Aufwachen war ich jedes Mal verwirrt und wusste nicht wo ich war und was Wirklichkeit war obwohl ich die ganze Zeit wusste, dass es ein Traum gewesen war.
Dies war wieder einer dieser Träume, in dem Lorian still auf einem unbequemen Bett lag und um ihn herum war alles in Dunkelheit getaucht. Es war eine ähnliche Dunkelheit wie die bei diesem Wesen im Keller der Wüstentänzer. Allerdings war die Dunkelheit um ihn herum kälter. Es war so kalt, dass ich anfing zu frieren. Wie konnte er hier nur schlafen?
In einiger Entfernung hörte ich Schreie. Sie waren voller Schmerzen und ich wollte mir die Ohren zu halten. Dabei realisierte ich, dass ich mich hier nicht in einem Körper befand. Ich war hier als körperloser Zuschauer. Es war vergleichbar mit dem Zustand, in dem ich mich befand, wenn ich ein Schatten war.
Lorian lag immer noch auf dem Bett und lauschte genau wie ich diesen Schreien. Was für ein Traum war das bitte?
Ein Klopfen an der Türe ließ Lorian hochfahren. „Der König wünscht euch zu sehen," sagte ein breit gebauter Mann. Lorian stand daraufhin auf. Während ich Lorian durch die dunklen Gänge folgte, wusste ich instinktiv, dass ich bald aufwachen würde.
Die Gänge wurden von einzelnen Fackeln erleuchtet und führten letztendlich in einen großen Saal, an dessen Decke ein riesiger Kronenleuchter hing. Der Boden bestand aus Mamor und stellte einen extremen Kontrast zu den dunklen Gängen dar, aus denen wir kamen. Während Lorian durch weitere prunkvolle Gänge geführt wurde, wachte ich auf.
Während ich mich in meinem Zimmer umschaute, überlegte ich wieso ich genau von Lorian träumte. Ich vermisste ihn nicht einmal. Ich vermisste meine Geschwister und Gideon aber nicht Lorian. Hinzu kam noch die Art der Träume. Ich träumte von Orten und Personen, die ich noch nie gesehen hatte. War dies vielleicht mehr als nur ein Traum?
Ich schüttelte den Kopf. Es war ein Traum. Nicht mehr und nicht weniger.
Vielleicht sollte ich Lorian trotzdem mal schreiben und ihn fragen, ob bei ihm alles in Ordnung war.
Die nächsten Tage waren relativ ereignislos. Abgesehen davon, dass unser Trainer es durchzog und uns jeden zweiten Tag durch die Wüste scheuchte. Dabei wurde es von mal zu mal leichter, diese Strecke zu rennen.
Allerdings machte ich trotz des ganzen Trainings nur kleine Fortschritte.
Am Dienstag kam es dann noch dazu, dass Asami in eine andere Gruppe kam, wodurch ich nun alleine ohne Freunde in der Anfänger Gruppe rumgammelte. Ohne Asami hatte ich in den Pausen niemanden mehr, mit der ich reden konnte und die anderen hier wollten alle nichts mit mir machen.
Die Tage zogen sich gerade so und die einzigen Dinge, auf die ich mich freute, waren das Frühstück und das Abendessen mit Asami, Seungli und Saori. Allerdings redeten meistens nur Seungli und Asami während ich daneben saß. Saori machte ihren Mund nur an und zu für spöttische Bemerkungen auf.
„Du hast heute doch auch Nachtwache oder Starla?" fragte Seungli mich. Ich nickte daraufhin nur zur Bestätigung.
Nach dem Essen ging ich mit Seungli und Saori wieder zu dem Platz an dem wir uns für die Nachtschicht trafen.
Sib, mit dem ich die Nachtschicht hatte, tauchte dort nach einiger Zeit auch auf und wir gingen an den selben Platz, an dem wir das letzte Mal auch schon waren.
Diese Nacht fing ich gleich damit an, ihm Barva beizubringen. Sib war ein wirklich schneller Lerner. Er merkte sich die meisten Sachen direkt und konnte sie dann auch ziemlich schnell anwenden.
Je länger wir allerdings übten, desto öfter fiel mein Blick auf die Sterne, die wie jede Nacht hell am Himmel leuchteten. Ob meine Freunde und Familie die gleichen Sterne auch sehen konnten? „An was denkst du, wenn du die Sterne anschaust?" fragte Sib mich gerade heraus. Eigentlich war er nicht der neugierige Typ, der andere direkt etwas fragte. Er musterte mich allerdings nur aufmerksam. „Ich habe mich gefragt ob meine Freunde und Familie wohl die gleichen Sterne sehen," sagte ich und lies meinen Blick weiter über den Himmel schweifen. Sib schaute auch hoch zum Himmel. „Vermisst du sie?" fragte er und musterte mich dann wieder. Irgend etwas an ihm kam mir seltsam bekannt vor. Als hätte ich ihn schon mehr als nur ein paar mal getroffen aber das konnte nicht sein. „Ich weiß nicht, ob vermissen das richtig Wort ist. Ich fragte mich eher, wie es ihnen gerade geht und was sie gerade machen," überlegte ich und betrachtete den Nachthimmel. Was Gideon gerade wohl machte. Ob er mich vermisste?
Ich vermisste unsere Spaziergänge im Schnee und diese Unbeschwertheit, die ich in seiner Gegenwart immer verspürte und natürlich vermisste ich auch ihn als Person.
„Es muss schön sein zu wissen, dass jemand auf einen wartet," sagte Sib gedankenverloren. „Hast du keine Freunde oder Familie?" fragte ich überrascht. Sib zuckte daraufhin nur die Schultern „Als ich ungefähr zwei Jahre alt war, sind meine Eltern bei einem Unfall gestorben und ich bin von da an in einem Kinderheim aufgewachsen. Bevor ich hier her kommen bin, hat mich ein Mann besucht, der behauptet hat, ein Freund meiner Eltern gewesen zu sein. Er hat mir erzählt, dass ich einen älteren Bruder habe und dass er sich bei mir meldet, wenn er meinen Bruder gefunden hat," sagte Sib. Ich war überrascht über seine Offenheit. „Und hat er sich gemeldet?" fragte ich. Sib schüttelte den Kopf. „Einmal die Woche kletter ich auf einen Felsen, der ungefähr zwei Kilometer weiter südlich gelegen ist und auf dessen Spitze mein Handy Empfang hat." Ich nickte. „Kannst du mir den Felsen bei Gelegenheit mal zeigen?" fragte ich ihn. Dann konnte ich meinen Geschwistern schreiben und mich bei ihnen erkundigen, wie ihre Ferien bis jetzt waren. Bei der Gelegenheit konnte ich mich auch noch bei Lorian melden und ihn fragen, ob er in irgendwelchen Mienen war.
Sib zuckte mit den Schultern und nickte. „Ich gehe da immer Samstag Nachts hin," sagte er.
Daraufhin wandten wir uns wieder Barva zu.
Am nächsten Morgen war ich wieder todmüde, was sich beim Training zeigte. Heute wurden wieder zwei weitere aus meiner Gruppe in eine höhere Gruppe ‚befördert'. Ich könnte es natürlich mit der Ausrede entschuldigen, dass ich einfach müde war aber irgendwie wusste ich, dass ich mehr üben musste.
Trotz meiner Müdigkeit entschied ich mich, in der Stunde zwischen Training und Abendessen, in der ich eigentlich Freizeit hatte, zu trainieren.
Nach dem Training ging ich zu dem Wesen, weil ich dort ungestört trainieren konnte. „Bist du schon wieder da?" fragte es zur Begrüßung. „Ich will trainieren," sagte ich nur zur Antwort.
Daraufhin begann ich zu trainieren, während das Wesen mir gelegentlich sagte, was ich falsch machte.
Die Stunde ging schneller rum, als es mir vorkam und ich verabschiedete mich wieder von dem Wesen.
Beim Abendessen erzählte Asami von ihrem Training. „Und heute habe ich endlich diese halbe Drehung geschafft. Ich bin in meiner Gruppe immer noch ein bisschen hinten dran aber der Trainer unterstützt mich super. Nur dieser eine Junge hält sich für was besseres aber mit genug Training steige ich bald schon in die nächste Gruppe auf," erzählte sie begeistert. „Chill mal. Du hast noch nicht einmal deine Zwischenprüfung bestanden," sagte Saori ein bisschen genervt. Irgendwie konnte ich sie verstehen. Asamis ständiges Geplapper nervte allmählich wirklich. „Wann ist die Zwischenprüfung denn?" erkundigte sie sich. „Die Zwischenprüfung ist einmal im Monat zwischen der dritten und vierten Stufe," sagte Seungli. „Und danach bereite ich mich nur noch auf die Abschlussprüfung vor?" fragte Asami aufgeregt.
Als ich meinen Brei fertig gegessen hatte stand ich wortlos auf und ging.
Aus irgendeinem Grund trugen mich meine Beine wieder in diese bodenlose Dunkelheit, die ich erst vor wenigen Minuten verlassen hatte.
Das Wesen schien zu spüren, dass ich nicht reden wollte.
Ich setzte mich auf die Unterste Stufe der Treppe und lehnte mich an der kühlen Steinwand an.
Die zu Beginn bedrückende Dunkelheit hatte mittlerweile eine beruhigende Wirkung auf mich. Ich fühlte mich in ihr irgendwie geborgen und sicher. Wie unter alten Bekannten. Die meisten anderen Menschen hatten Angst vor der Dunkelheit und fühlten sich hilflos in ihr aber bei mir war dies mittlerweile nicht mehr der Fall. Ich hatte mich daran gewöhnt nichts zu sehen und fühlte mich zu der Dunkelheit hingezogen, als wäre sie ein Teil von mir.
Irgendwie beängstigte es mich aber auch, dass ich die Dunkelheit so mochte schließlich lauerten im Dunkeln sämtliche Gefahren und das Böse assoziierte man auch immer mit der Dunkelheit. War ich überhaupt normal? Oder war ich im tiefen Inneren böse? Und wollte ich überhaupt normal sein oder gefiel mir diese dunkle Seite an mir etwa?
„Über was zerbrichst du dir den Kopf?" riss mich diese alte und zugleich junge Stimme aus meinen Gedanken. „Ich frage mich, wie es sein kann, dass ich die Dunkelheit so mag und wieso ich mich nicht wie jeder andere normale Menschen vor ihr fürchtet," sprach ich meine Gedanken, so gut ich sie in Worte fassen konnte, aus.
„Hab ich dir dir schon einmal erzählen, wie es dazu kam, dass manche Menschen gewisse Fähigkeiten besitzen, die andere nicht haben?" fragte es mich. Ich legte daraufhin den Kopf schräg. Was hatte dies damit zu tun, dass ich die Dunkelheit mochte? „Es begann damit, dass meine Art diese Welt entdeckte und einige begannen Beziehungen mit den Menschen einzugehen. Die Kinder, die daraus entstanden waren die Ersten mit magischen Fähigkeiten." „heißt das, dass diejenigen mit magischen Fähigkeiten nicht ganz menschlich sind?" fragte ich ungläubig. „Wenn du es so ausdrücken möchtest. Allerdings ist die Magie bereits so lange ein Teil von euch, dass ihr gar nicht mehr daran zweifelt, dass dieser Teil nicht menschlich sein könnte," erzählte das Wesen.
Daraufhin herrschte eine Weile schweigen.
Nicht zum ersten Mal überlegte ich, wie alt dieses Wesen wohl war. „Also ist der Teil von mir, der die Dunkelheit mag, der Teil, der nicht Menschlich ist?" fragte ich. „Das kann sein aber was ist schon menschlich, wenn sich manche Menschen tierischer als die Tiere benehmen? Du solltest einfach jeden Teil von dir annehmen und akzeptieren wie er ist. Du bist du und so viel kannst du daran eh nicht ändern."
In der Theorie machte dies auf jeden Fall Sinn aber dies auch anzuwenden war schwieriger, als es sich anhörte.
Wer konnte schon vom einen auf den anderen Tag mit sich komplett zufrieden sein? Wird es nicht immer irgend etwas geben, mit dem man nicht komplett zufrieden war?
„Sind deine näheren Nachkommen eigentlich mächtiger als andere Menschen mit magischen Fähigkeiten?" fragte ich nach einigen Momenten des Schweigens. „In irgend einer Weiße schon aber mehr Macht bedeutet auch mehr Verantwortung. Die meisten haben gelernt, wie sie vernünftig mit ihren Fähigkeiten umgehen können aber andere sind wahnsinnig geworden," erzählte mir das Wesen. „Aber es lag doch auch an den Fähigkeiten, ob jemand böse oder verrückt geworden ist oder?"
Das Wesen schien daraufhin zu schmunzeln. „Ob jemand in diesem Sinne böse wird, hat nichts mit den jeweiligen Fähigkeiten zu tun. Oder würdest du sagen, dass Menschen mit anderer Hautfarbe als deine auch eher böse sind?" fragte es.
„Nein natürlich nicht aber wenn man Menschen wegen ihrer Hautfarbe schlecht behandelt oder diskriminiert, kann es sein, dass sie vom Opfer zum Täter werden," sagte ich. „Und genau so verhält es sich auch mit den Fähigkeiten. Menschen, die beispielsweise mit der Fähigkeit des Todes geboren werden, sind noch nicht automatisch böse aber aufgrund ihrer Fähigkeiten werden sie als Monster bezeichnet und früher oder später werden sie dann auch dazu aber nicht weil sie dazu geboren wurden sondern aufgrund ihrer Entscheidungen, die sie aus freien Stücken treffen."
„Was ist die Fähigkeit des Todes?" fragte ich. „Eine sehr mächtige Gabe, deren Besitzer meistens irgendwann zu machthungrig wurden," sagte das Wesen. „Und was kann man mit dieser Gabe?" fragte ich. „Je nach dem, wie man sie einsetzt aber grob gesagt ist es eine Form von Nebel, der Menschen und die meisten Tiere umbringt, wenn sie ihn einatmen," erklärte mir das Wesen. „Aber diese Fähigkeiten ist doch nur für böse Zwecke einsetzbar," sagte ich verständnislos. „Es erfordert einiges an Kontrolle aber solange der Nebel nicht in die Atemwege kommt, kann er oberflächliche Wunden ziemlich gut heilen und ist dazu noch ein sehr guter Dünger für Rosen," erklärte mir das Wesen. „Ernsthaft für Rosen?" fragte ich ungläubig. „Ja das wissen leider nur die Wenigsten und die, die diese Fähigkeit besitzen werden schon so früh als Waffe missbraucht, dass sie es meistens nie herausfinden," sagte das Wesen mit bedauern in der Stimme. „Ich dachte, dir sei es egal, ob sich die Menschen gegenseitig umbringen oder nicht?" merkte ich an. „Das ist es auch aber ich mag Rosen und mit keiner anderen Fähigkeit kann man Rosen so gut pflegen wie mit dieser. Ich habe sogar mal jemanden getroffen, der Rosen mit dieser Fähigkeit färben konnte," erzählte dieses Wesen mir begeistert. Es war fast schon beängstigend, wie begeistert es war.
Anschließend redeten wir nicht mehr viel sondern ich trainierte nur noch eine Weile.
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27.4.2021
5.9.2022
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