Chapter 9
Chapter 9
Wie eine halbe Ewigkeit war mir das Verhör erschienen, doch als ich mit immer noch wild klopfendem Herzen zur Klasse zurücklief, zeigte mir ein Blick auf die große Schlossuhr, dass es keine zwei Stunden gedauert hatte.
„Ich fürchte, du musst jetzt noch eine Weile in den Unterricht“, erklärte mir mein Begleiter vorsichtig (es war mir übrigens äußerst unangenehm, von einem Wächter des Königs begleitet zu werden, da ich mir dabei immer viel zu auffällig vorkam.)
„Und Nachsitzen habe ich auch noch“, murmelte ich und versuchte möglichst ruhig zu erscheinen. Gar nicht so einfach, wenn mir schon allein bei dem Gedanken, Ivon und der Klasse gegenüberzutreten, die Knie beinahe wegsackten.
„Oh“, sagte der Wächter. „Tatsächlich. Schon wieder.“
Diese Unterhaltung war äußerst kurz und ich war froh darüber. Über den Schwertdiebstahl wollte ich unter keinen Umständen reden, auf ein Verhör auf offener Straße konnte ich getrost verzichten. Außerdem fühlte ich mich extrem erschöpft, was allerdings auch an dem Mittel liegen konnte, das man mir eingeflößt hatte.
Ivon war höchst erfreut, mich in Begleitung eines Wächters in der Klasse erscheinen zu sehen. Und wenn Ivon erfreut war, war er nahezu unausstehlich.
„Ach, wieder da? Ich dachte, du landest jetzt im Knast“, spottete er und erwiderte meinen tödlichen Blick mit einem bösen Lächeln.
„Spar dir deine Worte, Ivon, sie verschmutzen die Luft“, giftete ich eisig zurück. Nico verdrehte erschöpft die Augen und auch der Wächter schien nicht besonders erfreut über die scheußliche Stimmung zu sein, sondern machte sich lieber gleich aus dem Staub.
„Schade, dass du wieder da bist, die Klasse wäre weitaus besser dran gewesen ohne dich.“
Im Vorbeigehen verpasste ich Ivon einen Tritt für diesen Kommentar, aber diesmal war ich nicht allein im Kampf gegen meinen Erzfeind.
„Um ehrlich zu sein, wäre die Klasse besser dran, wenn du, Ivon, in den Knast geflogen wärest“, bemerkte Cora, wobei sie genüsslich die Feder zwischen den Fingern drehte.
„Fang du nicht auch noch an, Cora“, stöhnte Nico.
„Dabei hat sie doch recht!“, unterstützte ich meine Freundin, doch der Lehrer wollte nichts davon wissen.
„Sama! Still jetzt!“
„Sie sollte einfach mal den Mund halten, wenn nichts Gescheites rauskommt!“, meinte Ivon gehässig. „Auch, wenn das bedeuten würde, dass sie nie …“
„Ivon!“ Nico setzte seinen bösesten Lehrerblick auf, und so war zumindest diese Stunde Ruhe. Zeit genug, um sich für die nächste Pause zu wappnen.
Als die Stunde dann vorbei war, verschwand ich mit Cora so schnell nach draußen das Ivon gar keine Chance hatte mich zu erwischen.
Erleichtert zogen wir uns in einen etwas abgelegeneren Bereich zurück, da ich mir sicher war, dass Ivon wahrscheinlich die ganze Pause nach mir suchen würde um mir zu erzählen, dass ich meine wenigen freien Tage, die ich noch hätte, genießen sollte.
„Was für Beweise sind bei dir denn gefunden worden?“, fragte Cora und sah mich fragend an.
Ich seufzte. „Edelsteine, die zum Schwert gehören, warum?“
„Ich wundere mich nur. Wenn du dass Schwert nicht gestohlen hast, dürften sie eigentlich nicht da sein, und wenn du es doch gestohlen hast, währe es dir beim Wegschaffen des Schwertes garantiert aufgefallen, wenn ein paar der Edelsteine fehlen, schließlich kann man die auch noch verkaufen“, überlegte sie und strich sich gedankenverloren eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Frustriert atmete ich aus. „Verdächtigst du mich auch noch?“
„Nein, natürlich nicht. Ich finde es nur … merkwürdig. Beide Varianten ergeben keinen Sinn.“
„Natürlich ergeben sie keinen Sinn. Ich habe das Schwert auch nicht gestohlen, also können sie gar keinen Sinn ergeben, und nur weil Ivon mir irgendwelche Beweise unterschiebt, hält der König mich für verdächtig!“ Wütend warf ich die Arme in die Luft.
„Aber warum denkst du, dass Ivon es war? Na gut, er benimmt sich schon komisch, aber sonst..“
„Ivon schreit ja richtig nach Ärger. Der zieht Unheil an, wie ein du-weißt-schon-was die Fliegen“, antwortete ich mürrisch.
„Wer zieht die Fliegen an?“, fragte in dem Moment jemand hinter uns und wir wirbelten herum.
Jake stand etwas unsicher ein paar Schritte entfernt und schien irgendwie verlegen.
„Oh, nicht so wichtig“, murmelte ich und sah zur Seite.
Cora schaute von ihm zu mir und dann wieder zu ihm. „Ich, ähm, muss mal auf die Toilette“, bemerkte sie ganz neben bei und verschwand, ehe ich sie aufhalten konnte.
„Ähm, ich … hast du heute Mittag schon etwas vor?“, fragte Jake vorsichtig und sah betreten auf den Boden.
Einen kurzen Moment war ich überrascht. „Ähm ja. Ich habe Nachsitzen.“
„Danach?“ Es klang ein kleines bisschen hoffnungsvoll und ich fragte mich wieso. Warum wollte er sich mit mir treffen? Vielleicht wollte er mich ja nur den ganzen Nachmittag aushorchen, was passiert war, und vielleicht erhoffte er ja noch weitere Beweise zu finden …
Meine Gedanken wurden immer finsterer und scheinbar konnte man dass auch von meinem Gesicht ablesen.
„Also wenn du nicht willst …“, fing er an, doch ich unterbrach ihn.
„Das Problem ist, dass ich noch Nachsitzen habe und erst ganz spät nach Hause komme. Es tut mir leid, aber vielleicht ein anderes Mal, wenn ich mehr Zeit habe.“
Er nickte. „OK.“
„Tut mir leid“, sagte ich und hoffte, dass ich nicht zu abweisend gewesen war.
„Ist schon in Ordnung“, antwortete er und lächelte leicht. „Die Pause ist gleich rum, kommst du?“
„Klar!“ Erleichtert lief ich neben ihm zurück in die Klasse, Ivons hoch gezogene Augenbraue ignorierend.
Nachsitzen war so langweilig wie schon lange nicht mehr. Lee war nicht da. Eigentlich schade. Er hätte mich bestimmt aufmuntern können.
Als ich vom Nachsitzen zurückkam, hatte ich natürlich noch Zeit, doch ich war eigentlich ganz froh, sie nicht mit Jake verbringen zu müssen. Nicht, dass Jake nicht nett wäre, fügte ich schnell in Gedanken hinzu, aber ich brauche eben ein bisschen Zeit zum Nachdenken.
Fakt war folgender: Jemand (höchstwahrscheinlich war dieser Jemand Ivon) musste irgendwann heimlich in mein Haus eingedrungen sein und Steine von der Schwertscheide irgendwo hingelegt haben. Und natürlich bedeutete das auch, dass irgendwo bei mir Spione des Königs herumschlichen, ständig auf der Suche nach Beweisen!
„Na toll!“, grummelte ich. „Jetzt ist die Privatsphäre endgültig dahin!“
Wenn mir doch bloß einfallen würde, wie ich beweisen könnte, dass Ivon – ähm, korrigiere: irgendjemand – die Steine mit Absicht in mein Haus gelegt hatte, um mir alle Schuld in die Schuhe zu schieben. Ich musste den Täter auf frischer Tat ertappen, das war es! Oder, nein, dann würde der König wahrscheinlich denken, dass ich mir das alles nur ausdachte. Mist. Ich brauchte Beweise. Ich brauchte eine Falle! Haha, dann würde Ivon – korrigiere: der wahre Täter – sehen, wo er blieb! Wahrscheinlich im Knast, dachte ich mit hämisch grinsend und rannte voller Vorfreude in mein Zimmer, nur um innezuhalten und mir zu überlegen, was ich hier eigentlich wollte.
Eine Falle. Hm. Blechdosen waren eigentlich immer gut, aber was, wenn ich nicht da war, während er (der unbekannte er) einbrach, um erneut Beweisstücke zu verstecken?
Hähä, wie wäre es denn mit einem Fallstrick und einer heruntersausenden Falle?, war mein nächster Gedanke und wieder schlich sich ein böses Grinsen auf mein Gesicht. Aber es währte nur so lange, bis mir einfiel, dass ich überhaupt keinen Käfig hatte, erst recht keinen, der groß genug für einen Menschen war.
Aber der Strick war schon mal gar keine so schlechte Idee … eben nur anstatt eines Käfigs einen Wassereimer, davon hatten wir wahrlich genug, und dann – halt, welcher Kriminelle würde sich schon von ein bisschen Wasser abschrecken lassen?
„Ivon“, antwortete ich mir selbst und kicherte bösartig. Ich war in blendender Laune. „Der Kerl wäscht sich so selten, dass ihn wahrscheinlich schon allein der Anblick von Wasser in die Flucht schlagen würde!“ Zu meiner Ernüchterung musste sogar ich zugeben, dass das nicht stimmte, aber mein Plan stand trotzdem fest, nur noch mit einem kleinen Zusatz: Ich würde eine Zeitung untendrunter legen, sodass ich auf jeden Fall bemerken würde, wenn jemand in die Falle getappt war – denn Ivon, oder um wen auch immer es sich handelte, würde wohl kaum einen Stapel aller Zeitungen der letzten Monate mit sich rumschleppen, nur für den Fall, dass er in eine solche Falle tappen würde.
Die Zeitung versteckte ich provisorisch unter der Fußmatte, den Eimer malte ich in derselben Farbe wie die Hauswand an – es war noch ein bisschen vom letzten Streichen übrig geblieben und mit ein bisschen Wasser bekam sie auch eine annähernd flüssige Konsistenz – nur für den Strick suchte ich etwas länger, sodass ich noch mitten beim Basteln war, als meine Mutter, erschöpft von der Arbeit, hereinkam.
„Na, Sama, was treibst du denn da?“ Interessiert betrachtete sie das wirre Chaos auf dem Fußboden und stiefelte vorsichtig über den leicht unappetitlich aussehenden Farbeimer, der immer noch mitten im Raum stand.
„Ich wurde heute vor den König gebracht, es wurden Beweisstücke bei uns gefunden“, erklärte ich möglichst nüchtern, obwohl ich schon alleine bei dem Gedanken wieder anfing, zu zittern. „Jetzt werde ich I – den echten Täter zur Strecke bringen.“
„Du glaubst also immer noch, dass es Ivon war? Er war aber zur Tatzeit beim Nachsitzen, und zwar unter Aufsicht.“ Sie sagte das beinahe so, als ob sie sich das selbst einreden wollte.
„Wer außer Ivon würde versuchen, die ganze Schuld mir zuzuschieben?“
„Sama, ich glaube, du musst dich mit dem Gedanken anfreunden, dass es auch noch andere schlechte Menschen gibt, nicht nur Ivon.“
Zum Glück war am nächsten Tag Sonntag, der einzige Tag, an dem ich wirklich freihatte, denn noch einen Tag länger Schule hätte ich bestimmt nicht ertragen. Ich brauchte einfach mal eine Runde Auszeit (besonders von Ivon und den Verhören) und was wäre da besser, als Cora zu treffen?
Gefragt hatte ich sie zwar nicht, aber ein Versuch war es wert.
Ha, und vielleicht tappt ja jemand in meine Falle, während ich weg bin!, dachte ich mir voller Vorfreude und wäre beinahe schwungvoll durch die Haustür gehüpft, wäre mir nicht gerade noch rechtzeitig der Wassereimer eingefallen, der keine Sekunde später seinen ganzen Inhalt auf mich geschüttet hätte.
„Hups“, murmelte ich und eilte schleunigst zum Hinterausgang. Das leise Kichern bemerkte ich jedoch nicht.
Es war wahrlich schön draußen, und ehe ich mich versah, war ich auch schon in der Stadt. Zu Cora war es nun nicht mehr weit und doch schaffte ich es nicht zu ihrem Haus, was jedoch nicht daran lag, dass ich etwa von dunkel gekleideten Gaunern überfallen wurde, sondern viel eher, weil mir gerade in dem Moment, in dem ich in Coras Straße einbiegen wollte, ein ziemlich ungesund aussehender Toma entgegenstolperte. Nicht nur, dass sein Gesicht einen unnatürlichen Weißton angenommen hatte – sein Arm sah aus, als hätte ihn ein blutrünstiger Köter fast verfehlt. Aber eben nur fast.
„Um Himmels Willen, was ist denn mit dir passiert?“, rutschte es mir heraus, während ich voller Entsetzten auf seine Wunde starrte. Das war doch nicht mehr normal!
„Es … wie …?“Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte.
„Ach, einem … Kunden hat unsere Arbeit nicht so wirklich gefallen …“ Es klang wenig überzeugend, eher wie ein klitzekleiner Nebenfaktor, den man versuchte, in den Vordergrund zu drängen.
„Und Rio?“, fragte ich behutsam, da ich vorerst nicht tiefer bohren wollte. Toma jedoch machte ein Gesicht, als wäre das die falsche Frage gewesen. Mein Magen zog sich krampfartig zusammen.
„Er … hat sich einen Kaffee geholt, als es passiert ist“, erklärte er mir zögernd. „Ich kann nur hoffen, dass er nicht den Fehler begangen hat, zurückzugehen.“ Halb besorgt, halb verstört blickte Toma zurück und ein leichtes Zittern lief durch seine Glieder. Seinen großen, schlanken Körper so gebrechlich zu sehen machte mir Angst, und ich fragte mich, ob seine Wunde nicht vielleicht noch schlimmer war, als sie aussah.
„Wenn du willst, kannst du mit zu mir nach Hause kommen. Ich kann dich verarzten“, bot ich an, nicht ganz sicher, ob ich das wirklich konnte.
„Mach dir keine Umstände“, murmelte Toma, doch wie um seine Worte Lügen zu strafen, klappten ihm plötzlich die Beine weg – mit einem leisen Stöhnen stolperte er mir in die Arme.
„Urgh!“ Langsam sackte ich unter seinem Gewicht in die Knie, doch da hatte Toma sich auch schon wieder gefangen und rappelte sich auf.
„Geht schon wieder.“ Sehr überzeugend wirkte er jedoch nicht und ich war mir sicher, dass der Schock und der Schmerz eine Nummer zu viel für ihn gewesen waren.
„Ich kann dich doch nicht einfach so durch die Stadt rennen lassen!“, meinte ich wildentschlossen. „Du kommst mit mir nach Hause. Es ist auch gar nicht … naja, sooo weit.“
„Klingt ja gut“, lächelte Toma, folgte mir jedoch vorsichtig. Zwischendurch verzog er das Gesicht leicht vor Schmerz, aber ich hatte keine Ahnung, was ich für ihn tun konnte, was es fast unerträglich machte.
So dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis wir endlich das Stadttor erreicht hatten, und natürlich ließen uns die Wächter nicht ohne Weiteres passieren.
„Na, wieder mal einen neuen Freund gewonnen?“, neckten sie mich, während sie mein Zeichen checkten und wissend lächelten, als sie auch Toma kontrollierten.
„Sicher, dass dieser Arbeitstag nicht ein bisschen zu lang für euch gewesen ist?“, ärgerte ich sie zurück, als die Zwei das amüsierte Lächeln kaum noch unterdrücken konnten. „Man, ist das kindisch hier!“
„Ach mir gefällt‘s“, grinste der erste Torwächter und tippte mir fies auf die Nase. Inzwischen musste auch Toma etwas lächeln, immerhin erste Anzeichen einer Besserung.
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