Chapter 5
Chapter 5
Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich wirklich nicht schlecht gelaufen war. Mein Sportlehrer wäre sicher stolz auf mich gewesen, Nico war es nicht.
„Tja, Sama, schade, dass du diesen Nachmittag nichts mehr klauen kannst.“ Ivon lächelte mich unverschämt an. „Das hast du ja schon gestern erledigt.“
„Hör mir gut zu, Ivon: Wenn ich so tief in dieser Scheiße stecken würde, wie du, würde ich lieber nicht eine so große Klappe riskieren!“, fauchte ich ihn an und glitt mit einem tödlichen Blick auf meinen Platz.
„Und, hat Ivon schon den ganzen Morgen lang Lügenmärchen über mich verbreitet?“, fragte ich Cora, doch bevor sie auch nur den Mund aufmachen konnte, drehte Ivon sich zu mir um und kam ihr zuvor.
„Du brauchst es gar nicht zu leugnen. Ich meine: Auffälliger ging es ja gar nicht! Und außerdem …“
„Still jetzt, Ivon! Und du Sama“, fügte Nico hinzu, als ich ebenfalls den Mund aufmachte, „bist auch still. Wir haben Unterricht, falls es euch noch nicht aufgefallen sein sollte! Und du solltest Sama nicht die Schuld geben, bis jetzt ist noch nichts bewiesen, klar Ivon?“
Schweigen. Ein paar Schüler starrten uns komisch an, wobei ich jedoch nicht sagen konnte, wen sie merkwürdiger anstarrten, mich oder Ivon.
„Ob das klar ist, will ich wissen!“
„Ja“, schmollte Ivon und ein triumphierendes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.
„Sind die eigentlich immer so?“, fragte in diesem Moment jemand hinter mir. Doch das Merkwürdigste war, dass ich diese Stimme noch nie zuvor gehört hatte. Erstaunt wirbelte ich herum und hätte meine Nase beinahe an der eines fremden Jungen zerquetscht.
„Wer bist du denn?“, entfuhr es mir, ehe ich mir auf die Lippen beißen konnte. Aber der Junge lächelte nur breit.
„Ich heiße …“
„Könnt ihr das nicht in der Pause klären?“ Diese Frage war eindeutig rhetorisch.
„Genau, wir haben jetzt nämlich Unterricht“, pflichtete Ivon unserem Lehrer bei.
„Ivon! Willst du eigentlich auch noch Nachsitzen?“, fauchte Nico, der inzwischen deutlich gereizt war.
„Nein.“
„Dann sei jetzt lieber mucksmäuschenstill und pass auf. Und Sama, wenn ich dich noch einmal mit so einem Grinsen auf dem Gesicht erwische, sorge ich höchstpersönlich dafür, dass es dir ausgetrieben wird!“
So hart war Nico noch nie zu mir gewesen, es schockte mich sogar ehrlich gesagt, unseren Lehrer so wütend zu sehen. Bisher hatte ich ihn eigentlich immer als Beschützer angesehen, aber nun musste ich feststellen, dass ich und Ivon ihn wahrscheinlich Tag für Tag näher an den Nervenzusammenbruch trieben.
Die ganze Stunde über gab ich keinen Mucks von mir.
Als es zur Pause klingelte, hatte ich den Neuen beinahe wieder vergessen. Erst als jemand neben mir sagte: „Ich heiße übrigens Jake“, wurde ich aus meinen Gedanken geschreckt.
„Äh, Sama“, sagte ich hastig, um zu überspielen, dass ich ganz woanders mit den Gedanken gewesen war.
„Ich weiß. Hab schon viel über dich gehört.“ Dafür lächelte Jake jedoch immer noch ziemlich freundlich.
„Tatsächlich? Ich nehme mal an, Ivon hat sich alle Mühe gegeben.“
„Oh, dieses eine Mädchen, Cora heißt sie, glaube ich, hat dich die ganze Zeit über verteidigt“, wandte er ein und warf einen leicht unsicheren Blick auf Nico, der leicht gelangweilt im Türrahmen lehnte.
„Ich glaube, wir sollten mal rausgehen“, sagte er und lief los. Neugierig, was er wohl noch alles zu berichten hatte, folgte ich ihm. Ehrlich gesagt erfuhr ich nämlich ziemlich selten, was Ivon eigentlich trieb, wenn ich nicht zugegen war, um ihn in die Schranken zu weisen. Und einen Neuen hatten wir auch noch nie gehabt.
„Wem glaubst du eigentlich mehr?“, bohrte ich nach. „Und was hat Ivon alles versucht, dir einzutrichtern?“
„Och, ich fürchte, dieser Ivon redet mehr, als mein armes Gehirn sich merken kann. Ehrlich gesagt ist das wahrscheinlich auch ganz gut so.“ Jake grinste mich an und schlenderte mit mir über den Pausenhof (ich schlenderte jedoch nicht, viel eher pirschte ich, immer auf der Hut, dass ich nicht Ivon über den Weg lief. Auf ein paar blaue Flecken konnte ich jetzt gut verzichten.).
„Und woher kommst du?“, fragte ich Jake weitere Löcher in den Bauch. Aber er erklärte nur knappt, dass er aus einem der Nachbarländer hier hinübergekommen war, weil sein Vater hier Arbeit gefunden hatte. Dann wechselte er das Thema.
„Jetzt bin ich aber mal dran mit Fragen stellen: Was ist mit dir und Ivon? Warum hasst ihr euch so?“
„Der Kerl ist einfach nicht mehr ganz dicht. Vor zig Jahren hat es angefangen und ist immer schlimmer geworden. Er will einfach nicht mehr aufhören, sich zu rächen. Wir haben schon so einiges versucht – aber vergebens.“
„Ivon meinte, du würdest einfach immer von Neuem anfangen, auf ihm rumzuhacken“, warf Jake unschuldig ein.
„Ach, mit dem hast du dich ja auch schon ausführlich unterhalten.“ Automatisch machte ich einen Schritt von ihm weg.
„Hey, ist ja nicht so, als ob ich ihm glauben würde. Ich wollte nur wissen, was du davon hältst.“ Besänftigend legte er mir eine Hand auf die Schulter und sah mich erwartungsvoll an. Wurde das hier ein Verhör oder was? Leicht ungehalten drehte ich mich zu Jake um und sagte grimmig: „Alles, was Ivon von sich gibt, ist eigentlich Schwachsinn. Rund um die Uhr, vierundzwanzig Stunden am Tag tut der Kerl so gut wie nichts anderes, als Scheiße zu labern.“
„Ach ja? Wenn hier einer Scheiße labert, dann ja wohl du!“, giftete Ivon mich an. Beim Klang seiner Stimme wirbelte ich angriffsbereit herum und hob automatisch eine schützende Hand über mein Gesicht.
„Einer Verbrecherin würde ich nicht glauben“, sagte Ivon an Jake gewandt. „Sie ist inzwischen schon so gut im Lügen, dass man den Unterschied nicht mehr merkt. Kein Wunder, sie tut ja auch nichts anderes!“
„Musst du mir eigentlich jede Minute meines Lebens durch deine Anwesenheit versauen? Geh doch im Matsch spielen, wo du hingehörst!“
„Kannst du glücklich sein, dass es dein Aussehen eh nicht mehr verschlechtern kann, wenn ich dir gleich in die Fresse schlage!“ Ivons Stimme troff nur so vor Hass, und er sah tatsächlich so aus, als stünde er kurz davor, mich zu vermöbeln. Mit zusammengekniffenen Augen fragte ich mich, was ich ihm wohl zuerst brechen wollte, und knackte schon bedrohlich mit den Fingern, als Jake plötzlich zwischen uns trat.
„Was sollte denn das werden? Kommt erst mal wieder runter!“, fuhr er uns an und schlagartig kam ich wieder zu mir. Auch Ivon hob langsam den Kopf.
„Wir sehen uns“, meinte er nur und marschierte mit hoch erhobenem Kopf davon.
Du dämlicher Gockel!, wollte ich ihm hinterherschreien, aber Jake hielt mir rechzeitig den Mund zu, sodass nur ein unartikuliertes „HmpfMmpf“ zu hören war. Ivon drehte sich nicht einmal um.
Zu meinem persönlichen Erstaunen erlebte ich den Schulschluss noch, sogar ohne irgendwelche blauen Flecken, Schürfwunden oder Ähnliches. Denn Ivon hatte sich den Rest des Vormittags ausgesprochen freundlich mir gegenüber verhalten, solange Jake in meiner Nähe war, und das war er eigentlich ständig. Ivon hatte sich also damit abgefunden, hinter meinem Rücken fiese Gerüchte über mich zu verbreiten, wobei ihm die Variante, in der ich hinterrücks das Schwert gestohlen, und dann versucht hätte, heimlich aus dem Schloss zu fliehen, am liebsten war.
„Hast du heute Nachmittag etwas vor?“, fragte Jake mich, als es zum Schulschluss geläutet hatte. Er klebte förmlich an mir, den ganzen Tag schon. Nicht, dass es mir unangenehm gewesen wäre, aber etwas merkwürdig war es schon.
„Ja, ich muss Nachsitzen“, antwortete ich seufzend.
„Stimmt ja, du warst zu spät.“
„Genau.“
„Ich hab gehört, du musst ständig nachsitzen. Stimmt das?“, wollte er interessiert wissen. Verzweifelt fragte ich mich, was an Nachsitzen wohl so spannend war.
„Hast du das von Ivon?“, muffelte ich, doch bevor ich wieder schlechte Laune kriegen konnte, tauchte Cora neben mir auf.
„Na, unterhaltet ihr euch schön?“, grinste sie und stieß mir in die Seite. „Ich will euch ja nicht stören, aber …“
„Hör auf mit dem peinlichen Getue!“, unterbrach ich sie, konnte jedoch nicht anders, als loszulachen. Jake hingegen war das alles ziemlich peinlich.
„Das ist Cora, meine beste Freundin“, stellte ich sie schnell vor, bevor die Situation noch peinlicher werden konnte.
„Wir kennen uns schon. Naja, ein bisschen.“ Leicht unsicher wippte Cora von einem Fuß auf den anderen, was sie immer tat, wenn sie nervös wurde.
„Äh, ja. Ich habe heute Morgen mal ein bisschen mit ihr geplaudert“, stimmte Jake zu und versuchte sich mit einem Lächeln. Doch die Atmosphäre war immer noch reichlich merkwürdig und entfremdend.
„Also, eigentlich bin ich ja nur gekommen, weil ich mich ein bisschen mit Sama unterhalten wollte“, sagte Cora zögerlich. „Unter zwei Augen, sozusagen.“ Sie warf Jake einen entschuldigenden Blick zu.
„Wieso?“, wollte der leicht empört wissen.
„Worüber denn?“ Ich fragte mich, was so wichtig sein konnte, dass Jake es nicht erfahren sollte. Viel kam da jedenfalls nicht infrage.
„Ich sagte doch: zu zweit.“
„Spuck’s einfach aus: Worum geht’s?“, forderte ich unbeirrt.
„Ich, äh, wollte, dass … dass du mir erzählst, was gestern vorgefallen ist. Alles. Es kann doch nicht angehen, dass hier ein Verbrechen geschieht, und ich nichts davon mitkriege! Wir müssen alle verdächtigen notieren, Nachforschungen anstellen, und, und …“
„Das würde mich allerdings auch interessieren“, warf Jake ein. „Können wir das nicht irgendwie zu dritt machen?“
„Erst wenn du mir eine Frage beantwortest“, bestimmte ich. „Wieso hast du den ganzen Vormittag über an mir geklebt?“ Prompt nahm Jake einen Hauch von Rosa an.
„Was?“
„Du hast sie sehr wohl verstanden“, grinste Cora, die sich köstlich zu amüsieren schien.
„Ich … war neugierig. Ich geb’s ja zu. Und außerdem bist du richtig nett.“
„Und ich?“ Cora stand kurz davor in schallendes Gelächter auszubrechen und ich hätte sie am liebsten dafür getreten. Aber Jake grinste nur breit, stürzte sich auf meine Freundin und kitzelte sie mit meiner Hilfe so lange durch, bis sie sich nach Luft japsend auf dem Boden wand und um Gnade flehte.
„Puh, das war hart“, japste Cora, kaum, dass sie wieder Luft bekam, und richtete sich leicht schwankend auf.
„Kommt ihr jetzt?“, fragte ich fröhlich und schlenderte mit ihnen aus dem Schulgebäude. „Ich dachte, wir wollen einen Verbrecher entlarven.“
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