Chapter 2
Chapter 2
Als das Spiel endlich zu Ende war, fühlte ich mich kaum noch in der Lage, einen Schritt zu machen, geschweigedenn zu kämpfen. Dieses Spiel sollte eine Aufwärmübung gewesen sein? Das war ja lächerlich! Ich fühlte mich wie nach einem Marathon und die blauen Flecken von meinem Sturz machten es auch nicht gerade besser.
„Sucht euch alle einen Kampfpartner und übt die Techniken, die ich euch letztes Mal gezeigt habe!“, brüllte unser Sportlehrer so laut, dass er alle Gespräche, die nach dem Spiel ausgebrochen waren, übertönte. „Macht mal ein bisschen schneller, sonst ist die Stunde rum, bevor ihr einen Partner gefunden habt!“
„Ich nehme mal an, du kämpfst mit mir?“, fragte Cora mich und half mir auf die Beine.
„Du meinst wohl, wir tun so als ob“, stöhnte ich, hielt mich zwei Sekunden auf den Beinen und sackte dann stöhnend gegen die Wand. Besorgt sah meine Freundin mich an, dann half sie mir, mich wieder hinzusetzen.
„Du darfst dich bei den Aufwärmspielen nicht so verausgaben“, meinte sie.
„Ich wette, Ivon hat mit Absicht immer millimeterknapp daneben geworfen!“, beschwerte ich mich, aber das half natürlich auch nichts.
„Ihr seht aber nicht so aus, als ob ihr kämpfen würdet.“ Unser Sportlehrer trat neben uns und sah auf mich herab. „Wenn ihr es nicht wenigstens versucht, muss ich euch wohl andere Partner zuteilen.“
„Ich stehe noch frei!“, kam es von Ivon.
„Nein, tust du nicht!“ Ein etwas kleinerer Junge zog Ivon mit sich davon und der Sportlehrer wandte sich wieder uns zu.
„Ich weiß, dass du völlig erschöpft bist, Sama. Ruhe dich einfach noch ein paar Minuten aus, trink etwas, aber dann müsst ihr auch üben.“ Er drehte sich um und verschwand auf die andere Seite der Halle, um dort ein paar Schüler zurechtzuweisen.
Nach meiner Pause übten wir tatsächlich, aber nur Cora war annähernd erfolgreich und als endlich die Stunde um war, waren wir die Ersten, die aus der Halle eilten und die Letzten, die wieder im Klassenraum ankamen.
„Ruhestunde“, seufzte Cora. „Ich fühle mich nicht, als könnte ich jetzt eine ganze Stunde lang die Klappe halten.“
„Und ich darf nicht einmal laut keuchen“, jammerte ich, worauf Cora grinsen musste.
„Stell dich mal nicht so an, du hattest genug Zeit, dich auszuruhen.“
„Still jetzt“, mahnte Nico. Inzwischen war die ganze Klasse still geworden und die meisten legten ihren Kopf auf die Arme, warteten schweigend, bis die Stunde vorbeiging. Ich hingegen genoss die Stille, um mir auszudenken, wie schön ein Leben ohne Ivon sein könnte.
Es hatte den Anschein, als würde die ganze Klasse aus einem langen Schlaf erwachen, als die Ruhestunde vorbei war. Überall hörte man Gähnen, man streckte sich und gelegentlich rieb sich jemand verstohlen den Schlaf aus den Augen.
„Holt eure Schulbücher raus, wir machen jetzt ein bisschen Mathe!“ Nico klatschte in die Hände und begann eifrig, etwas an die Tafel zu schreiben.
„Warum muss bei Lehrern nur immer alles so schnell gehen?“, stöhnte ich und fischte das Buch aus meiner Schultasche. Ivon hingegen ließ sich weitaus mehr Zeit, stundenlang, so schien es mir, wühlte er in seinem Rucksack herum, ließ seine Schreibfeder fallen, kroch auf dem Boden herum und tauchte erst wieder auf, als alle anderen schon die erste Aufgabe gerechnet hatten.
Grimmig auf die Tafel starrend ignorierte ich ihn, trotzdem wartete ich nur darauf, dass er plötzlich zuschlug. Aber Ivon schlug mir nicht einmal gegen das Bein, und meine Schnürsenkel ließ er auch in Frieden.
„Idiot!“, knurrte ich ihm leise zu, als er sich endlich wieder auf seinen Stuhl setzte. Zu meiner Überraschung hatte er kein gemeines Schimpfwort parat, sondern zuckte nur leicht zusammen, was mich dazu veranlasste, vor Sorge die Stirn zu runzeln. Ivon musste etwas nicht sehr Freundliches dort unten angestellt haben und aller Wahrscheinlichkeit nach würde das auf eine unangenehme Überraschung für mich herauslaufen.
Schule war langweilig, und wenn man ständig darauf wartete, dass irgendwo eine Bombe hochgehen, oder etwas ähnlich schreckliches passieren würde, war es fast unerträglich, stillzusitzen und zuzuhören. So war es wohl durchaus verständlich, dass ich vor Erleichterung beinahe laut aufgelacht hätte, als es endlich klingelte und alle Schüler nach Hause rannten, nur ich und Ivon nicht, wir schlenderten in die Mittagspause, da wir ja noch Nachsitzen hatten.
Während mein schlimmster Feind in die Stadt lief, um sich etwas zu Essen zu kaufen, setzte ich mich in den Schlosspark und holte mein Pausenbrot hervor. Hier war es schön und größtenteils ziemlich ruhig und so kam ich hier eigentlich jeden Mittag hin (ich hatte praktisch jeden Nachmittag Nachsitzen, da ich (fast) immer zu spät kam).
„Und heute habe ich auch noch mit Ivon Nachsitzen“, erzählte ich niemand Bestimmtem, während ich es mir gemütlich machte und in mein Brot biss. „Ich weiß echt nicht mehr, womit ich das verdient habe.“ Selbst mein Brot schmeckt heute komisch!, dachte ich mir, als ich den zweiten Bissen nahm. Moment Mal! In einem hohen Bogen spuckte ich den Bissen, den ich gerade genommen hatte, wieder aus, klappte mein Brot auseinander und sah es mir genauer an. Aber zu meiner Erleichterung konnte ich nichts Ungewöhnliches oder Ekeliges entdecken und so aß ich schließlich doch weiter.
Wir hatten immer im Schloss Nachsitzen. Warum das so war, wusste ich nicht, aber es schien inzwischen Tradition zu haben, dass alle Kinder, die Nachsitzen hatten, in einem Raum im Schloss hockten und dumme Aufgaben erledigten. Cora hatte einmal vermutet, dass es deshalb immer im Schloss stattfand, weil es meistens so viele Kinder waren, die etwas verbockt hatten, dass sie in einem normalen Klassenraum kein Platz mehr hatten. Aber das war eigentlich Schwachsinn, denn normalerweise waren wir nur drei oder vier, und ich musste es ja wissen.
Als ich zielstrebig durch die langen Korridore des Schlosses lief, fühlte ich mich ganz und gar nicht gut. Mein Bauch rumorte, mir war leicht schwindelig und ich wollte nur noch schlafen.
Begleitet von einem lang gezogenen Gähnen betrat ich den Raum, in dem wir immer Nachsitzen hatten und ließ mich auf meinen Platz fallen.
„Da bist du ja, Sama. Ich dachte, jetzt wärest du auch schon zum Nachsitzen zu spät“, begrüßte mich Ivon und lächelte böse.
„Halt die Klappe, du kleines Biest“, murmelte ich und räusperte mich, um das Rumoren meines Magens zu übertönen. „Mit dir rechne ich später ab.“
„Tatsächlich?“
„Still jetzt, ihr beiden!“ Der Lehrer erhob sich und kam auf uns zu. „Setze dich endlich, Sama. Und, Ivon?“
„Ja?“
„Benimm dich wenigstens diesen Nachmittag, einverstanden?“
„Ich werde mein Bestes geben.“
„Das will ich für dich hoffen“, sagte der Lehrer, drehte sich wieder um und stapfte zu seinem Pult zurück. Dann zog er verschiedene Arbeitsblätter aus seiner Tasche und knallte sie uns vor die Nase, schnappte sich einen Stuhl und eine Zeitung und sagte: „Am Ende der Stunde sehe ich nach, was ihr geleistet habt. Und sorgt besser dafür, dass es zufriedenstellend ist!“ Kurz darauf war er so vertieft in die Nachrichten, die er las, dass wir von ihm nichts mehr hörten, bis auf ein gelegentliches Rascheln, wenn er umblätterte.
Ich stöhnte genervt auf, als ich die Aufgaben sah – es waren verdammt viele und dazu auch noch total einfache Aufgaben, die meines Erachtens nur dazu dienten, dass mir im Endeffekt die Hand vom ganzen Schreiben wehtat – und versuchte, mich zu konzentrieren. Aber das war schier unmöglich, ich schaffte es nur, ein paar Wörter hinzukritzeln, bevor mir wieder schwindelig wurde und alles sich zu drehen begann, zu allem Übel auch mein Magen.
„Ich muss mal auf’s Klo!“, stieß ich aus und im nächsten Moment hastete ich den Gang hinunter, sprintete würgend auf die Mädchentoilette und erbrach mich über der Kloschüssel.
„Igitt! Wenn ich Ivon zwischen die Finger kriege, dann …“, fluchte ich, doch ein erneuter Würgreiz ließ mich verstummen.
Immer, wenn ich gerade im Begriff war, das Badezimmer zu verlassen, wurde mir wieder kotzübel (im wahrsten Sinne des Wortes) und ich musste zur Toilette zurückrennen. Man konnte meinen Zustand getrost als „heftig“ bezeichnen und ich brachte bestimmt über eine Stunde auf dem Mädchenklo zu.
So hatte ich – von ein paar heftigen Schwindelanfällen mal abgesehen – viel Zeit, um herumzurätseln, weshalb ich wohl so plötzlich und heftig erkrankt war. Das heißt: Ich musste eigentlich gar nicht herumrätseln. Vom ersten Moment an war ich mir hundertprozentig sicher gewesen, dass Ivon mir doch etwas auf mein Brot getan hatte. Bestimmt handelte es sich dabei um ein besonders gemeingefährliches Mittel und Ivon hockte jetzt im Nachsitzraum und lachte sich heimlich ins Fäustchen.
Zudem hatte ich viel Zeit um Rachepläne zu schmieden, und auch, wenn ich Ivon nichts nachweisen konnte, würde er, wenn es nach mir ginge, schon bald sein blaues Wunder erleben, vielleicht mit einer leichten Verfärbung ins Violette.
Endlich ging es mir wieder besser und ich wollte erneut das Badezimmer verlassen – diesmal ohne, dass mit wieder schlecht wurde –als mein Nachsitzlehrer, gefolgt von der ganzen Gruppe, eintraf.
„Da steckst du ja, Sama.“ Der Lehrer klang nicht sonderlich erfreut.
„Ich habe doch gesagt, ich muss auf’s Klo“, verteidigte ich mich. „Mir war verdammt schlecht, da blieb keine Zeit für lange Worte.“
„Ach, dir war also schlecht. Fast zwei Stunden lang“, meldete Ivon sich zu Wort.
„An deiner Stelle würde ich meine Klappe halten, du fieses Miststück. Ich weiß, warum mir so speiübel war!“
„Ach, jetzt willst du also alles mir in die Schuhe schieben?“, giftete Ivon zurück. „Und das sollen wir glauben? Du bist total verdächtig! Ausgerechnet heute Nachmittag wurde dir schlecht, was?“
„Verdächtig? Wer ist hier verdächtig? Und drei Mal darfst du raten, warum mir ausgerechnet heute Nachmittag schlecht wurde! Weil ich nämlich ausgerechnet heute Nachmittag irgendein Kotzmittel auf …“
„Hört gefälligst auf zu streiten! Und du, Ivon, bist nicht für das Verhör zuständig!“, unterbrach der Lehrer mich und funkelte uns beide wütend an.
„Verhör? Was soll dieser Aufmarsch hier eigentlich?“ Verwirrt starrte ich all die Kinder an, die mich anglotzen, als wäre ich eine Mischung aus Krimineller und Fernsehstar.
„Du brauchst dich gar nicht so unwissend anzustellen“, drang Ivons Stimme hinter dem Rücken des Lehrers hervor. Wären nicht so viele Zeugen hier gewesen, ich wäre ihm wahrscheinlich an die Gurgel gegangen.
„Ivon, hör auf! Du kannst doch gar nicht wissen, ob sie es war!“, verteidigte der Lehrer mich.
„Sama liegt der Kriminalismus im Blut“, bemerkte Ivon spöttisch.
„Wenn hier einer kriminelles Blut hat, dann ja wohl du!“ Wütend funkelte ich ihn an. „Wahrscheinlich ist deine ganze Familie kriminell und deine Kinder werden … Nein, falsch, das geht ja nicht, du bist viel zu widerlich, als dass du jemals eine Frau bekommen würdest …“
„Weißt du, was“, fiel Ivon mir ins Wort, wurde jedoch seinerseits vom Lehrer unterbrochen.
„Still jetzt, es reicht! Los, ihr geht alle in den Nachsitzraum zurück, und du, Sama, kommst mit mir.“
„Wohin?“, fragte ich zaghaft, kaum, dass Ivon und die anderen Kinder endlich abgezogen waren.
„In den Saal des Königs, zum Verhör“, war die nüchterne Erklärung.
„Was? Was zum Teufel ist hier los? Ivon hat mich vergiftet, sodass ich mindestens zwei Stunden Dauerkotzen musste, und jetzt …“
„Spar dir deine Verteidigung lieber für das Verhör.“
„Na … gut.“ Ich atmete tief durch. „Weshalb werde ich verhört?“, fragte ich so ruhig wie möglich.
„Ich weiß auch noch nicht so viel, aber anscheinend wurde in der Zeit, in der du weg warst, der Schwertherr betäubt und das Königsschwert gestohlen.“
„Das Königsschwert?“, entfuhr es mir. „Echt? Das Königsschwert? Das kann doch kein Zufall sein!“
„Das denkt der König allerdings auch.“
„Nein, nein, so meinte ich das nicht! Was ich sagen wollte, ist: Es kann doch kein Zufall sein, das Ivon mir am selben Tag dieses Mittel unterjubelt, an dem …“
„Sama, sagte ich nicht vorher, du sollst deine Verteidigung für später aufheben?“
„Schon gut, ich bin ja schon ruhig.“
„Und noch was: Auch, wenn du Ivon alles zutraust, der König tut das nicht. Du kannst also wahrscheinlich nicht alles mit der Aussage: Ivon war’s, begründen.“ Der Lehrer lächelte schwach, doch mir war ganz und gar nicht danach zumute, zumal ich der Auffassung war, dass sich ziemlich viel damit begründen ließ, dass alles Ivons Schuld war.
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