Kapitel 23 - Waldelfen
„Du willst mir also nicht sagen, wer du in Wirklichkeit bist?"
Lasander schüttelte lachend den Kopf.
Es dauerte nicht mehr bis sie an der Lichtung ankamen, welche die Waldelfen ihr Zuhause nannten.
Den ganzen Weg hatte sie sich bei ihm für ihre Worte entschuldigt, aber er wollte davon nichts mehr hören. Das meiste hatte ja der Wahrheit entsprochen. Mehr oder weniger. Und er war sich sicher, wenn sie den Rest der Prophezeiung erfuhr, dann würde sie ihm weitaus Schlimmeres an den Kopf werfen als diese Lappalien von vorher. Denn er war sich nun ganz sicher, dass sie die Frau war, die ihm bestimmt war, denn er verliebte sich in sie. Doch er wusste, dass Astrid keinen Mann wollte. Sie hatte zu schlechte Erfahrungen gemacht mit dem Mann aus ihrer Welt. Sie hatte es ihm schließlich erzählt und er konnte verstehen, dass sie keinen Mann haben wollte. Jetzt zumindest nicht. Er hoffte nur, dass sie ihre Meinung irgendwann ändern würde. Auch wenn er im Moment wirklich keine gute Partie war.
„Nein, ich werde es dir nicht verraten. Es ist besser so, glaube mir."
Astrid zuckte mit den Schultern.
„Ich habe dir schließlich auch nicht alles erzählt. Deswegen werde ich nicht weiter nachfragen."
Nun musste er lachen.
„Das ehrt dich. Allerdings weiß ich, dass du dich als unbedeutend darstellst. Das warst du vielleicht in deiner Welt, aber hier wirst du eine wichtige Persönlichkeit werden."
Astrid schnaubte, während Heron wieder leise lachte. Er belauschte ihr Gespräch schon eine ganze Weile, mischte sich aber nicht ein.
„Das weißt du doch nicht. Wenn ich nur rein zufällig hier bin? Du kannst dir nicht sicher sein!"
Nun schnaubte er.
„Das weiß ich eben doch! Ich glaube auch nicht, dass du so unbedeutend bist und irgendetwas gut kannst."
Nun lachte sie laut und einige Vögel flogen erschreckt von ihren Verstecken in den Bäumen.
„Oh ja! Ich kann gut weglaufen! Deswegen war ich ja nur unter der Brücke."
Er riss verblüfft die Augen auf. Dann fing er an zu grinsen.
„Gut, damit weiß ich ehrlich gesagt auch nichts an zu fangen. Aber wir werden sehen!"
Sie schlug ihm leicht auf die Schulter.
„Du bist ein unverbesserlicher Optimist, Lasander." Sie sah ihn fragend an. „Darf ich dich eigentlich so nennen? Oder soll ich dich wieder Nimrod nennen?"
Er hob eine Augenbraue. Diese Frage war klug.
„Hier kennen sie mich alle unter dem Namen Lasander. Deswegen kannst du mich hier so nennen wie du willst. Sobald wir den Wald aber verlassen haben, sollte ich wieder der Nimrod sein. Ich will nicht, dass jemand meinen wahren Namen erfährt."
Astrid hob sich erschrocken eine Hand vor den Mund.
„Wäre das wirklich so schlimm wenn man deinen Namen erfährt?"
Lasander lachte leise.
„Ja, das wäre es. Ich würde zu etwas gezwungen, zu dem ich im Moment nicht bereit bin."
Astrid wurde blass.
„Aber das ist doch schrecklich. Du bist ein Mann. Man kann dich doch nicht zu etwas zwingen."
Lasander zuckte mit den Schultern.
„Das ist manchen herzlich egal!"
Sie blieb stehen.
Lasander und Heron sahen sie fragend an.
„Ich werde dich ab jetzt nicht mehr bei deinem richtigen Namen nennen. Ich möchte nicht, dass du durch mich in Schwierigkeiten kommst."
Er lachte leise.
„Vielleicht erinnert sich auch niemand mehr an diesen Namen. Es ist schon zu lange her!"
Sie schüttelte energisch den Kopf.
„Wahrscheinlich erinnern sich noch sehr viele daran, doch du willst es nicht wahr haben!"
Er zuckte mit den Schultern. Dann zeigte er auf eine Wand aus Weidenbäumen. Sie standen dicht bei dicht und man konnte nicht erkennen, was dahinter lag.
Heron war schon voraus gelaufen und hinter der Wand verschwunden.
„Was ist dahinter?", fragte Astrid.
Auf einmal kam ihr die Idee nicht mehr so toll vor. Sie hatte Borquias schließlich gesehen. Wenn man ihr ihrer Welt von Elfen sprach, dann hatte man zierliche, kleine Wesen im Kopf, die immer fröhlich und hilfsbereit waren. Selbst wenn sie einmal wütend werden sollten, sahen sie trotzdem niedlich aus.
Diese Elfen waren komplett anders.
Sie waren groß, hatten mächtige Muskeln und brachten Menschen um, ohne mit der Wimper zu zucken.
Sie hatte auch bemerkt, dass Lasander gezögert hatte, als Heron ihnen einen Aufenthalt bei ihnen angeboten hatte.
Und nun zögerte sie.
Der Nimrod bemerkte es, obwohl sie aufpasste.
„Wir müssen nicht hinein, Astrid!" Seine Stimme war sehr leise, beinahe ein Flüstern. "Es würde keine Konsequenzen nach sich ziehen, wenn wir jetzt verschwinden würden."
Astrid schüttelte den Kopf.
„Nein! Es wäre wahrscheinlich sehr unhöflich."
Entschlossen ging sie zu der Mauer aus Weidenästen zu, während Lasander ihr den Weg lächelnd frei machte. Es dauerte einen Moment, bis sie das Gewirr der Äste durchquerten, doch dann blieb sie staunend stehen. Der Anblick, der sich ihr bot, war atemberaubend.
Sie hatte mit einer Lichtung gerechnet und mit einigen Hütten, so wie sie es von den Menschen gewohnt war. Aber das hier war etwas ganz anders.
Es war zwar eine Lichtung, aber den Mittelpunkt bildete ein kleiner See, der von einem Bach gespeist wurde. Mächtige Bäume standen etwas abseits davon. Die Stämme waren ausgehöhlt, aber man sah, dass es von der Natur so gewollt war. Diese natürlichen Höhlen dienten offenbar auch nur als Schlafplatz, denn um den See spielte sich das eigentliche Leben ab. Man sah Kochstellen, kleine Kinder rannten umher, ältere Kinder saßen bei den Kriegern oder Frauen, die ihnen Geschichten erzählten. Andere Krieger trainierten ihre Kampftechnik und man hörte abwechselnd leise Schmerzensschreie oder Lachen.
Auch wenn sie es wollte, Astrid konnte einfach nicht weiter gehen. Sie konnte nur da stehen und staunen. Nimrod blieb hinter ihr stehen und legte seine Hände auf ihre Schulter. Astrid wusste nicht, ob er es tat, um sie zu stützen oder um jedem zu zeigen, dass sie zu seiner Familie gehörte. Es war ihr auch egal, denn sie musste zugeben, dass es ihr gefiel.
Heron kam wieder auf sie zu und nahm sie bei den Händen.
„Komm, Mädchen. Mein Vater wartet auf dich!"
Heron war nicht so feinfühlig wieder Nimrod. Oder er ignorierte ihr leichtes Zögern einfach und zog sie mit sich. Unsicher drehte sie ihren Kopf und warf Nimrod ein fast verzweifelten Blick zu. Er lächelte ihr aufmunternd zu und folgte ihnen.
Heron zog sie zu einen der Feuerstellen.
Im Gegensatz zu den anderen Feuerstellen, standen um diese grob gezimmerte Stühle, die nicht alle besetzt waren. Am Kopf dieser Sitzgruppe stand eine Art Thron. Astrid kniff die Augen zusammen. Nein, das war kein Thron. Er sah nur so aus. Es war ein Fels, allerdings hatten jahrelange Regenfälle und Witterungen ihn zu einem Sitz herausgewaschen. Die Rücklehne war ein Baum, der ebenfalls so gebogen war, dass man sich bequem anlehnen konnte. Efeuranken bildeten einen natürlichen Wandteppich und Moose luden regelrecht zum Hinsetzen ein.
Aber das würde sie selbstverständlich nie machen.
Der Anführer, oder König, der Waldelfen stand vor dem Thron und wartete auf sie. Sein Blick war ernst, fast feindselig. Doch nach einem kurzen Räuspern seines Sohnes wurde der Ausdruck freundlicher.
„Vater, ich möchte dir Aleada vorstellen. Sie kommt aus einer fremden Welt und ist mit unseren Sitten nicht vertraut. Ich möchte dir aber versichern, dass wenn sie etwas tut, was dir vielleicht seltsam erscheint, es bestimmt nicht aus Respektlosigkeit oder Bosheit geschieht. Ich habe ihre Gedanken gelesen und sie sind klar und rein. Sehr selten für einen Menschen!"
Sie sah verärgert zu Heron, der seinen Blick nicht von seinem Vater ließ. Auch Borquias ließ seinen Sohn nicht mehr aus den Augen. Die beiden schienen ein stummes Zwiegespräch zu führen. Es dauerte eine ganze Weile, dann atmete Borquias tief ein du lächelte. Er zeigte auf die Stühle.
„Setzt euch, Menschenkinder. Wir werden reden und essen."
Sie setzten sich zusammen und sofort wurden ihnen Schalen mit kleinen Happen gereicht. Schweigend aßen sie. Das Schweigen war ihr etwas unangenehm, doch es schien hier so üblich zu sein, dass man das Essen schweigend einnahm. Ihr Blick ging zum Nimrod, der nur unauffällig den Kopf schüttelte. Also hatte sie Recht.
Sobald Borquias mit dem Essen fertig war, wurden ihnen die Schalen abgenommen. Der Elfenkönig wartete, bis die Elfen wieder gegangen waren. Dann sah er ernst zu Nimrod.
„Wirst du nun endlich zur Vernunft kommen?", fragte er ohne Einleitung.
Der Nimrod rutschte etwas unangenehm berührt auf seinen Sitz hin und her.
„Ich bin mir nicht ganz sicher, wie du das meinst!"
Borquias schnaubte.
„Du kennst die Prophezeiung."
Nimrod schloss einen Moment die Augen.
„Ich habe nichts damit zu tun."
Borquias zuckte mit den Schultern.
„Das hast du sehr wohl und ich finde, du solltest nicht länger zögern. Selbst du siehst die Zeichen, dass es wahr ist. Ich habe deine Gedanken gelesen und ich weiß auch, wie es um dich steht. Dein Zögern ist unnötig."
Er hatte seine Meinung gesagt und wandte sich an Astrid.
„Und du Mädchen! Wie wirst du dich entscheiden?"
Sie sah den Elfenkönig unsicher an.
„Entscheiden?"
Borquias lächelte.
„Du weißt also nicht, was von dir erwartet wird?"
Sie bemerkte, dass Nimrod sich kerzengerade hin setzte, doch es war Heron, der seinem Vater ins Wort fuhr.
„Lass es gut sein, Vater! Sie muss sich frei entscheiden. Etwas anderes könnte alles zerstören."
Borquias wollte etwas erwidern, aber dieses Mal schaltete sich auch der Nimrod ein.
„Nein! Dein Sohn hat Recht. Sie muss sich frei entscheiden. In jeglicher Hinsicht."
Borquias schnalzte mit der Zunge.
„Wie viele Menschen kennst du, die von einer anderen Welt sich hierher verirren. Ich habe ihre Seele gesehen. Sie ist die Richtige!"
Sie stand auf und holte heftig Atem.
„Ich bin es aber vielleicht nicht! Ich kann nichts! Ich bin nichts! Und ich habe nicht die leistete Ahnung, warum ich hier bin oder wer mich hierher geschickt hat!"
Nimrod nahm sanft ihre Hand.
„Niemand verlangt etwas von dir, Astrid!"
Er legte seine Hand auf ihre Wange und mit einem Seitenblick auf Borquias fügte er hinzu: „Du bist nicht mehr in deiner Welt. Du kannst selbst entscheiden und niemand wird dir Vorschriften machen! Auch der König nicht."
Er ließ ihr Gesicht wieder los und wandte sich an Borquias.
„Ich danke dir für die Einladung, aber wir werden eure Gastfreundschaft nicht länger in Anspruch nehmen!"
Heron hob seine Hände.
„Mein Vater wollte nicht unhöflich sein..."
Borquias stand auf.
„Ich will sie zu nichts zwingen! Ich versichere allerdings, falls es zum Kampf kommt, werden wir den Menschen zur Seite stehen."
Nimrod nickte, verabschiedete sich und zog sie hinter sich her.
Borquias sah den beiden Menschen nachdenklich hinterher. Heron stellte sich neben ihn.
„Er ist immer noch nicht bereit!"
Borquias nickte.
„Genauso wie sie! Aber er hat wenigstens erkannt, dass sie diejenige ist, die er will! Du weißt, ich hatte schon Sorge, dass er sich nie für eine Frau entscheiden würde."
Heron lachte.
„Ich bin gespannt, wie es weiter geht. Wenn du erlaubst, werde ich ihnen folgen!"
Sein Vater sah ihn an.
„Meinst du, der Nimrod wird deine Anwesenheit akzeptieren?"
Heron schüttelte den Kopf.
„Niemals. Deswegen werde ich im Hintergrund bleiben und dir berichten!"
Borquias gab ihm die Erlaubnis und Heron entfernte sich.
Danach seufzte er.
Nicht mehr lange und Utek würde von allem Wind bekommen. Er hatte schließlich dafür gesorgt. Der Kerl, den er in die Wüste verbannt hatte, würde überleben und Utek berichten, was er gesehen hatte. Der Nimrod würde sich nicht mehr lange verstecken können.
Es wurde Zeit.
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