Kapitel 14 - Vor- und Nachsicht
„Ich traue Stellon immer noch nicht, auch wenn wir nun schon einige Stunden von seinem Dorf entfernt sind!"
Kasek war übervorsichtig, seit sie das Dorf am Morgen verlassen hatten. Der Nimrod war selbst misstrauisch gewesen, denn Stellon hatte sich mehr als merkwürdig verhalten.
Er hatte ihnen, wie versprochen, Proviant zur Verfügung gestellte und dieses Mal war der Preis wirklich fair gewesen. Sie hatten sogar ein neues Pferd erstanden, das im Moment als Packpferd diente.
Stellon hatte ihnen persönlich Glück gewünscht und ihnen noch einmal versichert, dass sie hier bei ihm immer eine Unterkunft beanspruchen konnten. Dann hatte er sich noch einmal mit Aleada unterhalten, aber Nimrod hatte gesehen, dass es ihr eher unangenehm war. Sie wollte so schnell wie möglich weg von Stellon.
Bisher hatte keiner ein Wort gesprochen, nicht einmal Kulara, deren Mund eigentlich nie still stand. Jeder war angespannt, als ob sie ahnen würden, dass Stellon nicht so schnell aufgeben würde.
„Weißt du, ich mache mir Sorgen um Aleada!", verkündete Kasek. „Sie hat keine Waffen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie mit einer Waffe umgehen könnte. In manchen Sachen ist sie ziemlich unbeholfen."
Das war Nimrod bewusst. Aleada hatte in ihrem früheren Leben nichts mit Waffen zu tun gehabt. Ihm war aber klar, dass sie wenigstens eine Waffe haben sollte, um sich notfalls zu verteidigen.
Er nickte Kasek kurz zu und ließ sich zu ihr zurückfallen.
Aleada schien wie so oft ganz in ihren Gedanken versunken zu sein. Er sprach sie an, doch sie reagierte kaum.
„Astrid!", versuchte er es lauter.
Sie zuckte zusammen und starrte ihn erschrocken an. Er bemerkte diesen verängstigten Ausdruck in ihren Augen, den er schon ein paar Mal bei ihr entdeckt hatte und er fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Einen Moment schien sie sogar Angst zu haben. Das passierte öfters, wenn er lauter wurde.
„Nimrod?"
Langsam verschwand dieser Ausdruck. Nimrod wusste nicht, was er davon halten sollte. Irgendwann würde er sie danach fragen.
Doch nicht jetzt.
„Kasek hat mich auf etwas aufmerksam gemacht, was mir selbst schon seit einiger Zeit schwer im Magen liegt."
Sie hob fragend eine Augenbraue.
„Du kannst mit keiner Waffe umgehen, habe ich Recht? Du musstest es bisher auch nicht!"
Sie nickte und senkte beschämt ihren Blick.
Er lenkte seinen Hengst näher an ihre Stute heran und hob mit einer Hand ihr Kinn an.
„Das ist kein Grund sich zu schämen! Ich wollte nur sicher sein!"
Sie nickte wieder.
Er ließ ihr Kinn los und holte aus seinem Stiefel ein Messer heraus, das er ihr reichte.
„Trage es immer bei dir, bis du dich für eine Waffe entscheidest und einer von uns dir beibringen kann, wie man sie benutzt!"
Sie nickte und nahm das Messer entgegen. Sie steckte es in ihren Ärmel, was ihn beeindruckte. Andere hätten es an den Gürtel gesteckt, doch sie war schlau genug, es immer griffbereit zu haben.
„Stich zu, bevor du Fragen stellst. Wenn die jemand angreift, hat er meistens nicht vor, lange Reden zu schwingen. Nutze aus, dass die meisten dich für hilflos halten. Das bist du nämlich nicht!"
Sie nickte bei jedem Satz.
„Ich...ich würde gerne den Umgang von einer Waffe erlernen."
Er hob lächelnd einen Mundwinkel.
„Das habe ich gesagt. Wenn du dich entschieden hast, fängst du mit dem Lernen an."
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich habe mich entschieden! Ich will den Umgang mit allen Waffen erlernen! Ich möchte nicht mehr als hilfloses Frauenzimmer gesehen werden. Ich will kämpfen können! Im Moment habe ich das Gefühl, ich falle euch nur zu Last. Das muss sich ändern."
Nun lachte er leise.
„Dann werden wir es dir beibringen."
Nun schüttelte sie energisch den Kopf.
„Nein! Du wirst es mir beibringen!"
Erstaunt hob er eine Augenbraue. Bisher hatte er angenommen, sie hielt nicht viel von ihm. Schließlich endeten all ihre Gespräche in Streit, woran er nicht immer unschuldig war. Dass sie nun so darauf bestand, dass er ihr die Waffenkunst beibringen sollte...nun, es wunderte ihn.
Doch er war damit einverstanden.
„Gut! Dann werden wir morgen beginnen. Schwert oder Bogen?"
Sie starrte skeptisch auf sein großes Schwert, dass an seiner Seite hin.
Er lachte schallend.
„Gut, ich habe schon verstanden. Mit so einem Schwert werde ich dich auch nicht kämpfen lassen. Es ist zu schwer und du könntest nie lernen, damit umzugehen. Pfeil und Bogen also zuerst."
Sie nickte und wirkte erleichtert.
Er hob spöttisch einen Mundwinkel.
„Das heißt nicht, dass ich dir die Grundlagen des Schwertkampfes beibringen kann."
Als sie fragend den Blick hob, zeigte er auf die Bäume.
„Es gibt jede Menge Äste, die sich zur Übung eignen!"
Sie hatte es wohl verstanden und lächelte. Es war kein nettes Lächeln, sondern eher ein schelmisches Grinsen.
Sie wollte ihm eins überziehen.
Er lenkte seinen Hengst noch näher an sie heran und beugte sich grinsend zu ihr.
„Du wirst es nie schaffen, Astrid! Bevor du mir einen überziehen kannst, musst du sehr viel lernen!"
Sie grinste zurück.
Die Situation war auf einmal anders. Nimrod spürte, dass sie heute nicht streiten würden.
Nein, es würde ab heute anders sein.
Sie lachte nun leise.
„Sei dir nicht so sicher, Nimrod! Ich lerne vielleicht schneller als du denkst!"
Asiri starrte auf die glatte Oberfläche.
Sie konnte den Nimrod seit ein paar Tagen keine Nachricht zukommen lassen und das hatte ihr Sorgen bereitet. Deswegen hatte sie etwas getan, was sie eigentlich nicht wieder tun wollte, so lange Uteks Schreckensherrschaft nicht beendet war.
Sie hatte sich wieder der Zauberei bemächtigt, um ihn zu suchen.
Asiri konnte nicht sagen, warum sie gerade diesem Mann ihre Aufmerksamkeit schenkte. Sie spürte keine Liebe für ihn, aber trotzdem war er oft genug in ihren Gedanken. Sie hatte vom Anfang an gewusst, dass er etwas Besonderes war, obwohl er es nie zugeben würde. Er hatte ein Geheimnis, wollte es aber mit niemand teilen. Sie hatte noch nicht herausgefunden, was er genau war. Nun aber starrte sie auf die Oberfläche und sah, wie er mit einer fremden Frau scherzte. Das war völlig untypisch für ihn. Asiri kannte ihn nur als ernsthaften und pflichtbewussten Mann. Und dieser pflichtbewusste Mann hätte ihr nie diese fremde Frau verschwiegen.
Asiri spürte, dass es nicht nur eine Frau war, die er zufällig in einem der Dörfer gefunden hatte. Nein, sie wusste, dass es die Frau war, die prophezeit worden war.
Sie riss sich von der Wasseroberfläche los und schlug ihre Faust auf den Tisch, so dass Farani sie erstaunt an blickte.
„Herrin?", fragte er etwas verunsichert.
Sie schüttelte schnaubend den Kopf.
„Ich habe etwas getan, was ich im Moment bedaure!"
Farani stand auf und kam zu ihr hinüber.
„Darf ich fragen, was es war, Herrin?"
Sie schnaubte wütend.
„Ich habe den Nimrod gesucht und Zauberei verwendet. Das hätte ich lieber sein lassen sollen, denn dann hätte ich seinen Verrat nicht gesehen!"
Farani hob eine Augenbraue.
„Der Nimrod und Verrat? Wie das?"
Sie setzte sich auf ihren harten Stuhl und rieb sich die Schläfen. Da sie nun schon jahrelang ihre Kräfte nicht benutzt hatte, hatte sie heftige Kopfschmerzen. Und das nur bei diesem kleinen Zauber, den sie schon wieder bereute.
Farani reichte ihr einen Becher Wein, den sie in einem Zug austrank.
„Er hat die Frau bei sich! Du weißt schon, die aus der Prophezeiung!"
Farani setzte sich ihr gegenüber. Er konnte seine Neugier kaum verbergen.
„Nein, Herrin! Ich weiß es nicht! Ich kenne die Prophezeiung nur vom Hörensagen!"
Sie stand auf und drehte sich um, bevor aus ihrem Mieder den Zettel mit der Prophezeiung herauskramte und ihn Farani reichte.
Er nahm ihn an sich und begann zu lesen:
Eine dunkle Zeit beherrscht die zwei Königreiche,
zwei Könige sterben und ein falscher König setzt sich über alle
Regeln hinweg!
Zwei Menschen werden erscheinen,
beide hier, aber nicht von hier!
Die Fremden werden vor die Wahl gestellt, von der alles
abhängt!
Der Prinz wird seinen Platz einnehmen und mit den Menschen
die Königreiche einen, sollte die Wahl die Richtige sein. Die Frau
wird ihn bestärken.
Ansonsten werden die Königreiche in eine schlimmere Dunkelheit
gelangen, als sie schon waren.
Farani pfiff anerkennend durch die Zähne.
„Und die Frau, die Nimrod bei sich hat...ist sie wirklich diejenige?"
Asiri nickte.
„Oh ja! Sie ist es! Ich spüre, dass der Nimrod sich zu ihr hingezogen fühlt, doch sie ist nicht für ihn bestimmt!"
Farani hob fragend eine Augenbraue.
„Wie kommst du darauf?" Er las sich die Prophezeiung noch einmal durch und reichte ihr den Zettel. „Für wen sonst?"
Asiri steckte sich den Zettel wieder ins Mieder.
„Sie ist für den Prinzen bestimmt!"
Farani lachte kurz.
„Wie kommst du darauf?"
Er ließ es doch nun mächtig an Respekt mangeln. Das fand zumindest Asiri. Aber sie durfte es ihm nicht böse nehmen, denn er hatte ihr schon lange genug gedient um zu wissen, wann er es sich erlauben durfte.
Sie schnaubte stattdessen und setzte sich wieder hin.
„Sie ist für den Prinzen bestimmt! Das geht doch klar aus der Prophezeiung hervor!"
Farani schüttelte nachsichtig den Kopf und lehnt sich zurück.
„Asiri! Das stimmt nicht. Da steht nur, dass beide vor eine Wahl gestellt werden. Da steht nichts davon, dass die Frau den Prinzen erwählen soll."
Asiri sackte in sich zusammen. Er hatte Recht.
„Außerdem fehlen dir immer noch zwei wichtige Menschen! Der zweite Fremde und der Prinz! Oder weißt du, von welchem Prinz die Rede hier ist?"
Sie nickte.
„Natürlich! Es muss Prinz Lasander sein. Er hat als Einziger der Königsfamilie überlebt!"
Farani blickte eher zweifelnd.
„Das weißt du nicht. Kein Mensch hat je wieder etwas von ihm gehört! Und mittlerweile muss er ein Mann sein!"
Sie nickte.
„Natürlich. Er muss etwa dreißig Jahre alt sein!"
Langsam kam auch ihr Zweifel.
Sie senkte den Blick.
Farani hatte Recht. Sollte Lasander noch leben, dann hätte er sich doch bestimmt schon bemerkbar gemacht und sich gegen die Willkür von Utek zur Wehr gesetzt. Er musste doch wissen, dass sich viele Menschen in seinem Königreich nach seiner Rückkehr und der damit verbundenen Frieden sehnten. Konnte es wirklich sein, dass Utek auch ihn gefunden und getötet hatte?
Nein, das hätte er ihr bestimmt gesagt und damit geprahlt.
Lasander musste noch leben.
Wahrscheinlich wartete er, genau wie sie, auf seine Chance.
Sie stand auf.
„Er wird schon rechtzeitig auftauchen. Und was den Nimrod betrifft: ich werde ihm schon eintrichtern, dass er sich von der Frau fernhalten soll, die nicht für ihn bestimmt ist!"
Farani schüttelte ungläubig den Kopf.
„Das ist nicht richtig. Wie kann ich dich davon überzeugen, dass die Frau wählen soll! Und wenn sie den Nimrod wählt, anstatt den Prinzen...wie willst du sie davon abhalten?"
Sie lächelte leicht.
„Ich werde sie an ihre Pflichten erinnern. Außerdem, wenn der Prinz seinem Vater und seiner Mutter nur ein wenig gleicht, wird sie sich früher oder später in ihn verlieben."
Farani wischte sich über das Gesicht.
„Asiri! Du verrennst dich da in irgendetwas! Lass es nicht soweit kommen, dass die Frau dich hasst, weil du sie zu etwas gedrängt hast. Willst du, dass sie genauso endet wie du?"
Asiri war geschockt.
So direkt hatte er noch nie mit ihr gesprochen.
„Aber...aber, sie muss!"
Farani schüttelte den Kopf und ging wieder zu seinem Schreibtisch.
„Nein, Herrin! Sie muss gar nichts. Sie ist uns zu nichts verpflichtet. Habe Nachsicht mit ihr und lass dem Nimrod die Frau! Vielleicht ist es auch ganz anders, als du geglaubt hast zu sehen!"
Das glaubte Asiri nicht. Aber sie würde die Worte ihres Beraters berücksichtigen, denn er hatte Recht. Die Frau war ihnen zu nichts verpflichtet! Sie würde sich entscheiden müssen. So wie es geschrieben stand!
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